Temperamente

Kriegs-Bericht aus dem verminten Gebiet der Marketing-Abteilung. Von Christa Schyboll

Melanie und Manfred sind Kollegen. Sie arbeiten beide in der Marketing-Abteilung. Damit ist fast alle Gemeinsamkeit der beiden benannt. Doch, eine gibt es noch: Den Krieg zwischen ihnen. Hier sind sie sich einig. Den wollen beide. Bloß keine Unterhändler. Man lasse auch bitte die UNO aus dem Spiel.

Melanie ist ehrgeizig. Damit sie damit aber auch erfolgreich ist, musste sie weitere Eigenschaften dazu entwickeln. So ist sie auch willensstark, bestimmend, direkt, selbstbewusst, aktiv und hitzig. Mit anderen Worten: Sie ist eine waschechte Cholerikerin. Mit noch genaueren Worten: Sie ist unerträglich.

Manfred ist ihr Kollege. Er ist anders. Er ist ihr Gegenpart. In fast allem. Er ist sensibel und aufopferungsvoll. Er hat eine gute Portion Idealismus mitbekommen, verhält sich loyal und so bescheiden, dass Melanies Omnipotenzansprüche überhaupt nicht gefährdet sind. Manfred ist ein Melancholiker. Und damit ist er für Melanie unerträglich. Er ist ja noch nicht einmal eine echte Konkurrenz! Das beleidigt Melanie in der Tiefe ihres Herzens.

Damit bilden die beiden ein einzigartiges Team. Doch die erst latent entwickelte Schwarmintelligenz, für die sie gerade aufgrund ihrer Gegensätze geradezu befähigt wären, wollen sie weder erkennen noch nutzen. Sie wollen Krieg. Krieg und Intelligenz schließen sich aber aus. Das hat Folgen. Für beides. Auf den ersten Blick scheint alles doch ideal zu sein, weil Manfred Melanie nicht nur das Wasser nicht reichen kann, sondern es ihr auch nicht einmal reichen will. Er denkt gar nicht daran! Was soll die Zicke mit Wasser, wenn sie sonst nur Champagner säuft! Und ihr den Gefallen zu tun und mit ihr um den Posten eines Vorgesetzten zu konkurrieren, das kann sie sich abschminken. Das hätte sie wohl gerne. Aber nicht mit Manfred. Nicht mit Manfred!

Melanie hasst Manfred. Warum musste man gerade ihn ihr beruflich zur Seite stellen? Warum nicht den smarten Finn oder den cleveren Tom. An beiden hätte sie sich hervorragend qualifizieren können. Stattdessen Manfred. Dazu noch gleichberechtigt. Man stelle sich das vor. Diese taube Nuss. Zu nichts fähig. Aber verdient das gleiche Gehalt. Dabei ist sie die Bessere. Das weiß doch jeder im Konzern. Na ja, zumindest in der Abteilung. Sie checkt alles nicht nur schneller, sondern kann es auch viel raffinierter umsetzen, falls sie es nicht eh schon vorher geschickt manipuliert. Das jedoch darf der Idealist Manfred nicht mitbekommen. Seine Tölpelhaftigkeit und sein mangelnder Ehrgeiz lassen da aber auch nur wenig Spielraum für solcherart spannende Entdeckungen. Niemals wird er eine ernsthafte Konkurrenz sein. Trotzdem muss sie mit ihm zusammenarbeiten, muss mit ihm gemeinsame Entscheidungen fällen. Sie hat derzeit keine Wahl.

Wird Manfred von ihr bei einer Entscheidung übergangen oder nur knapp informiert, nölt er rum. Er spielt den Beleidigten, macht dann schön langsam Dienst nach Vorschrift und verhält sich so, wie sich Melancholiker halt verhalten: skeptisch, mürrisch, langweilig und unglaublich pessimistisch. Das bringt Melanie schon beim Betreten des gemeinsamen Büros fast um den Verstand. Und weil er das checkt, legt er noch eine dicke Prise Schwermütigkeit drauf. Dann verfällt er ins Selbstmitleid. Heute wegen des Benzinpreises. Das macht ihn sehr depressiv.

Bereits gegen 8.30 Uhr am Morgen würde Melanie am liebsten schreiend aus dem Büro laufen. Menschen wie Manfred sind die Hölle. Sie foltern allein schon durch Schweigen. Man schaue nur in seine Miene. Und wehe, es stehen wichtige Absprachen an! Dann muss Melanie tatsächlich zu Hilfsmitteln greifen. Zum Glück hat die pharmazeutische Industrie sich da einiges einfallen lassen, damit sich ihre Stimmung hebt.

Manfred freut sich, wenn Melanie ihre Pillen schluckt. Er weiß ja warum sie es tut. Nur darf er diese Freude auf keinen Fall zeigen. Denn sonst schöpft Melanie Hoffnung, ihn mit ihrer widerwärtig dominanten Art am Ende doch noch klein zu kriegen. Schön schwermütig bleiben! Alles schön langsam verrichten. Nicht auf ihre Mails antworten. Ihre Termine ständig verschieben und vor allem: Alles schwerfällig entscheiden. Das macht sie klein.

Rein beruflich gesehen, sind Melanie und Manfred ein gutes Team. Das jedenfalls findet der Chef, wenn er ihre Ergebnisse in toto betrachtet. Natürlich macht er dabei keine Blutanalyse bei Melanie. Und auch von Manfreds Bluthochdruck will er nichts wissen. Man sieht doch, dass es klappt. Geht doch! Ausgerechnet die beiden in der Abteilung zusammenzustecken, sieht er als persönliche Meisterleistung an.

Ob der Chef dies dauerhaft überlebt? Was, wenn die beiden sich in schierer Not aneinander einmal gegen ihn, den Dritten, verbünden, der ihnen das alles eingebrockt hat? Was, wenn es dem ruhigen Melancholiker Manfred einfällt, in einem Blitzanfall von Geistesgegenwart seiner dauergehassten Kollegin Melanie schnell ein scharfes Messer in die Hand zu drücken, wenn der Chef vorschlägt, dass sie beide ihre Zusammenarbeit in Zukunft in noch viel engerem Umfang als bisher eng miteinander vernetzen müssen? Was dann?

— 21. Juli 2013
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