Zynismus

Den garstigen Bruder des Humors in die Schranken weisen, möchte Christa Schyboll

Unter Zynismus verstand man ursprünglich die Lebensweise der Kyniker im Griechenland der Antike. Heute versteht man darunter eine Haltung oder auch eine Denk- und Handlungsweise, die eben durch jenen beißenden Spott geprägt ist, der die Gefühle anderer Menschen verletzen soll.

Zynismus kann sich aber auch auf gesellschaftliche Konventionen beziehen und muss nicht zwangsläufig eine Einzelperson im Visier haben. Insofern kann sie auch politisch motiviert sein.

Echte Zyniker sind oft messerscharfe Denker. Sie sprechen oftmals schmerzliche Wahrheiten auf eine Weise aus, dass einem der Atem stockt. Und genau das beabsichtigen sie auch und bemerken es, weil sie auch gute Beobachter sind. Ihrem privaten oder öffentlichen Publikum in vielen Fällen überlegen, da ihnen eine gewisse Hemmungslosigkeit gegeben ist, die blockadefrei feuert. Diese Salven bringen ihnen häufig kurzfristige Befriedigung. Und weil die Befriedigung am Schock des fast Mundtoten, so herrlich unter der Haut kribbelt, wiederholt der Zyniker seine Ansprache immer wieder neu. Natürlich immer wieder anders, damit keine Langeweile oder Gewöhnung auftritt. Dann wäre der Zauber ja vorbei. Es muss immer wieder neu weh tun - und der Schmerz muss möglichst registrierbar sein. Dann hat der Zyniker sein Futter.

Zyniker sind in der Regel leise stolz auf dieses Vermögen. Sie halten eine Macht in Händen, die verführerisch ist, weil sie Gegner schnell spontan Schachmatt setzen kann.

Aber warum nur wird aber ein Mensch zynisch, wenn fröhlicher Humor doch eine gesunde Alternative wär? Zyniker sind in aller Regel gebrannte Kinder. Das muss ihnen aber nicht zwangsläufig auch bewusst sein. Viele verfügen zwar über eine scharfe Beobachtungsgabe im Außen, sind aber nicht fähig zur kritischen Selbstreflexion. Geistig mögen sie meist sehr frisch auf andere wirken, aber in der Seele verwundet. Wer oder was zu dieser Verwundung führte und warum ein Mensch irgendwann im Laufe seines früheren oder späteren Lebens zynisch wurde, ist eine Frage des Einzelschicksals. Allgemein ist aber festzustellen, dass der beißende Spott, den der Zyniker verbreitet, gezielt darauf ausgerichtet ist, möglichst andere zu verletzen oder es doch zumindest bejahend in Kauf zu nehmen. Das bringt die tiefste Befriedigung. Daran weidet sich der Zyniker und ist oftmals frei von jeglichem schlechten Gewissen. Warum sollten andere nicht leiden, wenn es einem selbst schon nicht gut geht!? Diese Haltung muss nicht bewusst sein, aber sie wird so stark gefühlt, dass entsprechende Handlungen aus ihr resultieren.

Zyniker wirken nach außen oftmals potent und stark - sind aber in Wirklichkeit unendlich schwach auf eine andere Weise. Sie sind zu schwach zum Glück! So schwach eben, dass sie das (meist ja auch nur vorübergehende) Glück anderer Menschen einfach nicht ertragen können. Sie müssen oft zwanghaft zur üblen Nachrede greifen, müssen anderes mies reden, niedermachen, klein machen, verurteilen und versuchen Neid und Missgunst über das Glück anderer zu übertünchen, in dem sie auf scheinbare Nebengleise ablenken. Aber tief innen ist der Zyniker ein einsamer und auch trauriger Mensch, dem es nicht nur selbst an Liebe mangelt, sondern der auch wenig Liebe von außen erfährt, weil er ist wie er ist. Wenn schon keine ausreichende Liebe im Leben zu ergattern ist, dann aber doch wenigstens ein Stückchen Macht oder Dominanz, scheint oftmals seine Devise zu sein.

Was also ist zu tun, wenn man mit Zynismus konfrontiert ist? Schafft man es, ihn möglichst schnell und klar zu entlarven und seinen beißenden Spott klar zu benennen, wird er einem weniger Schaden zufügen können, als wenn man ihn schockiert über sich ergehen lässt, so man selbst das Opfer ist. Wachsames Zuhören ist bei Zynikern ebenso angeraten wie ein genaues Hinfühlen, aus welchem eigenen Schmerz heraus er diese oder jene Äußerung tut. Ist die Gesamtatmosphäre günstig, sollte man es ansprechen, um auch dem Zyniker die Möglichkeit aufzuzeigen, dass seine Kritik mit intelligentem Humor eine wesentlich bessere Wirkung gehabt hätte, sofern es ihm nicht nur darum ging zu verletzen. Zyniker, die auf ihre bewusste Verletzungsabsicht klar angesprochen werden, haben dann zumindest einen ebenbürtigen Gegner, an dem sie sich endlich einmal die Zähne ausbeißen dürfen oder das Abenteuer der Reflexion beginnen können.

— 05. April 2012
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