Entsagung

Eines wird dir überaus schwer, liebe Seele, das ist Entsagen, Aufgeben, Verzichten. Das kostet viele heiße Stunden, manche bittre Träne, und so schwere Seufzer, daß dein Herz davon sehr beklommen und manchmal ganz schwach wird. 0 liebe Seele! Das ist wohl das bitterste in deinem Leben, wenn das Hoffen daraus ausgelöscht wird, wenn du selbst verzichten mußt, wo du sicher geglaubt hattest, etwas zu erreichen, wo du deines Herzens heißesten Wunsch als unerreichbar aufgeben mußt und entsagen, wo du besitzen solltest. Manchmal scheint alles so erreichbar, so ganz einfach, gar keine übertriebene Forderung an das Schicksal, und dennoch mußt du langsam zur Einsicht gelangen, das Erstrebte und Ersehnte ist nicht für dich; das ist schwer. Du fühlst dich fast berechtigt, zu murren; denn du hattest nur das verlangt, ohne das dir das Leben überhaupt unmöglich erschien, und auf dieses eine Lebensbrot sollst du verzichten? 0 wie zittern dir Herz und Hände! Die Nieren schmerzen und das Haupt schwindelt. Es geht beinahe ans leben, was du aufgeben sollst. Der Kampf deiner Nächte ist so groß, daß du Angst hast vor dem Tage, wenn der Morgen graut, und der Kampf deiner Tage ist so schwer, daß du dich vor der Nacht fürchtest, wenn der Abend hereinbricht. In diesen Stunden stehst du nicht vor dir selber da wie ein tapfrer Held, sondern dir ist so schwach und elend, daß du sterben möchtest.

Klag nicht vor den Menschen, liebe Seele, suche allein den Kampf auszufechten. Denn niemand kann dir helfen. Gott verlangt von dir, zu gehorchen, er kennt das Ringen in dir, er sieht deine Nächte, er weiß, daß du leidest, laß dir daran genug sein! Denn die Menschen verstehen dich selten, und sind nicht im Stande, dein Leiden zu erleichtern, auch dann nicht, wenn sie es verstehen. Gib auf, was dir Freude machte, verzichte auf den Wunsch deines Lebens, aber still, klaglos, daß die andern nicht darunter leiden, und schrei nicht auf, nicht einmal im lautlosen Jammern des Seelenkämmerleins, wenn andern das geschenkt wird, was dir versagt geblieben ist. Entsagen heißt: lächeln und dem Nächsten alles gönnen. Entsagen heißt: sich lossagen von sich selbst und nichts mehr begehren. Entsagen heißt: Nicht in Worte kleiden, was ewig verschwiegen und verborgen bleiben soll. Der Kampf, den es zuerst gekostet, das begehrte Kleinod zu erringen, und den noch viel größeren Kampf, den es gekostet, es aufzugeben, verschließ in die innersten Tiefen und denk, daß du in dem Glühofen männlich und nervig und von reinem Metall geworden bist, schlackenfrei, selbstlos, echt. Du wärst das alles vielleicht lieber nicht, statt dessen glücklich; aber das Glücklichsein war nicht für dich, es war dir garnicht bestimmt. Denn wärest du glücklich geworden, so wärest du eben der Mensch nicht mehr, der du werden solltest. Gott selbst hat nicht gemeint, daß es leicht sei, als er dir das Entsagen auferlegte. Er hat nicht gewollt, daß es kampflos, von selbst käme. Er wollte, du solltest den ganzen Acheron durchwandern, Psyche, bevor er dir den Himmel auftun konnte.

Solange du nicht vollkommen heiter bist, so lange wisse, hast du dich noch nicht ganz selbst entäußert, so lange lebt noch ein Funken von dem alten Feuer in dir und ein leises Sehnen nach dem, was du entbehrst. Wirf es hinter dich, seufze noch einmal und lächle dann, und lächle gerade dem zu, der das Ersehnte besitzt und es vielleicht nicht einmal so doch schätzt, als du es getan hättest. Dein Leben ist darum nicht weniger schön, weil es weniger Freude enthält. Dein Leben ist vielleicht um das reicher als du dich ärmer fühlst. Dein Leben ist vielleicht um das schöner, um das du es beraubt wähnst. Was weißt du davon? Du wirst stärker, immer stärker durch die Kraft der Besitzlosigkeit, durch das ewige Entbehren. Dir ist ein beständiges Fasten auferlegt und das macht dich zu jedem Werke nüchtern und tüchtig. Du leidest nicht an Sattheit, sondern du hast beständig alle Sehnen gespannt in heißer Arbeit, weil du in der Arbeit allein das völlige Vergessen deiner selbst finden kannst. Wenn man ganz vollkommen wäre, so würde man gar keinen so brennenden Wunsch mehr hegen, sondern immer sagen: Wie Gott will!

Es ist sogar ein Unrecht um ein teures Leben zu flehen, denn wir wissen nicht, ob die Erhörung unsrer Bitte ihm nicht den Himmel verschließt und es in ein Leben zurückschleudert, von dem es beinahe befreit gewesen wäre. Es ist lauter Selbstsucht von uns. Sonst würden wir uns freuen, daß der Mensch erlöst und noch heute im Paradiese sein wird. Denn das Erdenleben ist im besten Falle leidvoll, da es soviel Sterben und Abschiednehmen in sich schließt, ohne alle die andern selbstgeschaffenen Leiden.

Wunschlos zu sein macht unabhängig und macht stark, noch mehr als besitzlos zu sein. Es macht von allen Menschen frei und gibt dir dadurch große Gewalt über sie. Du wirst aller Freund und Ratgeber, sobald sie ahnen, daß du garnichts mehr für dich selbst begehrst, liebe Seele. Sie kommen zu dir wie die Kinder, weil sie noch Wünsche haben, die du gütig lächelnd anhören und manchmal erfüllen kannst. Gib dich ganz auf, liebe Seele, dann hat dein Erdenwandern dich reif gemacht!

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