Ehrgeiz

Diesem Abschnitt sollte man das schöne Gedicht von Wilhelm Jordan voranschicken: »Bescheide dich!« Denn es will von dem unruhigen Gesellen, dem Ehrgeiz, reden. Du meinst, liebe Seele, du bist garnicht ehrgeizig. Aber was dich eben nicht schlafen läßt, das ist doch ein Gefühl, das dem Ehrgeiz merkwürdig nahe verwandt ist. Mendelssohn hatte mit 19 Jahren schon den Sommernachtstraum geschrieben! Denkt, der zwanzigjährige Komponist, und wandelt in seinem Zimmer auf und ab statt zu schlafen. Victor Hugo schrieb mit 80 Jahren noch wunderschön! Denkt, der Dichter, der sich ergrauen sieht und erkalten fühlt.

Von gemeinem Ehrgeiz, Ruhmsucht, Glanzsucht, von Hermelinfieber und Größenwahn reden wir hier nicht. Hier ist es von Seele zu Seele, die ganz stillen, zarten Regungen, die niemand kennt, als die stille Nacht und was in der Nacht wach ist, unsre stärksten Gefühle und brennendsten Gedanken, unsre verborgensten Regungen und ungestandenen Schmerzen.

Es ist notwendig, bis zu einem gewissen Grade ehrgeizig zu sein, aber nur vor sich selber, nicht vor den Menschen. Aber dies Gefühl, sein Bestes leisten zu wollen, nicht zu krankhafter Ruhmsucht ausarten zu lassen, dazu gehört eiserne Standhaftigkeit, ein Erhabensein über sich selbst und ein kindliches Vertrauen. Der Nachtigall gab Gott die wunderbare Flöte, der Meise ihren herzigen Frühlingsruf: »Spitz die Schar! Spitz die Schar!« Du weißt es aber selbst nicht, ob du Nachtigall bist oder Meise. Darum laß dich nicht traurig stimmen, sondern gib dein Bestes. Sorge aber, daß dein tägliches Erleben dich täglich höher bringe und täglich reife. Dann wirst du dich wundern über das, was du hervorbringen kannst. Kein Ehrgeiz, kein Gutmachenwollen kann zeitigen, was eine einzige Erfahrung in Hirn und Herzen wach ruft.

Vor allem aber niemals dich hinreißen lassen, etwas besser machen zu wollen als ein anderer. Das mißlingt. Sei du dein eigenstes bestes Selbst, liebe Seele, aber nicht besser als der andre, der vielleicht sehr vollkommen ist. Warum denn immer Turniere? Warum die andern aus dem Sattel heben? Du bist du, und kannst nicht schreiben, singen, spielen wie der andre. Kein Operateur arbeitet wie der andre. Die besten Stickerinnen gleichen sich nicht in ihrer Arbeit. Es gibt so vieles, das vollkommen ist oder scheint, in der großen menschlichen Unvollkommenheit. Liebe Seele! Sei vor allem du selbst in deiner eignen, bescheidenen Gestalt; harre bei aller Arbeit auf den Strahl von oben, auf den Tropfen, der von der Gottheit dir zugedacht ist. Mit Ehrgeiz kannst du nur die herrlichen Gaben zerstören, denn Ehrgeiz enthält einen sehr gefährlichen Mehltau, der heißt Neid und Mißgunst, und ehe du dich dessen verstehst, hat er deine Seele vergiftet, deine heiße Mühe vergiftet, deine Arbeit unschön gemacht. Sei das, was du selbst sein kannst, mit heiligem Eifer, mit dem einzigen Ehrgeiz, die Saat erstehen zu lassen, die in dich gelegt ist. O nicht über die andern fortsteigen wollen, liebe Seele! Es ist so viel Raum in der Welt für dich und für die andern. Laß dich nicht berauschen von Erfolg und vor allem nicht niederdrücken von Kritik und Tadel. Die Menschen, die dich beurteilen, sind ebensowenig unfehlbar als du selbst. Sie sind einseitig, oft sehr ungebildet, und du würdest, bei stiller Überlegung, oftmals dich schämen müssen, der Menschen Urteil soviel Gewicht und Bedeutung beigelegt zu haben. Der Erfolg berauscht dich keinen Augenblick, wenn du mit dir selbst nicht zufrieden bist, und der Tadel ist dir im Grunde des Herzens gleichgültig, wenn der heilige Engel, der dir die Inspiration geschickt hat, dir lächelnd in die Augen schaut und flüstert: »Das war schön!«

Laß es dein einziger Ehrgeiz sein, dem Engel in deiner Brust zu gefallen, und kümmere dich nicht um die andern, als, um dich mitzufreuen, wenn auch sie haben Schönes zu Tage fördern dürfen. Es wäre der Himmel auf Erden, wenn alle gemeinsam arbeiteten, jeder das, was er am besten kann, und mit seinem Können denen zu Hilfe käme, die er um ihrer Vollkommenheiten willen wiederum herzlich bewundert. Ehrgeiz hat ein dunkles Gesicht und finstere Brauen, während deine Arbeit ein helles Licht in dein Herz und auf dein Antlitz zaubern soll. Arbeite dir selbst zur Freude. Denn du weißt sehr wohl, daß du dein eigener strengster Richter bist, viel strenger als alle, die dich umgeben; denn der dir deine Gaben geschenkt hat, der legte auch das Wissen in dich, wann und wie du sie zu ihrer vollen Entwicklung zu bringen hast. Du bist nur für das Maß deiner Gaben verantwortlich. Da du aber nie wissen kannst, wie hoch der Gipfel ist, den du erreichen sollst, so sei ungeheuer ehrgeizig, mit dir selbst die volle Höhe zu erklimmen. Mach, daß du heiteren Antlitzes von Gipfel zu Gipfel mit den andern Meistern himmelwärts blicken kannst in die ewige Vollkommenheit hinein.

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