Seinem Denkmal


An Goethe.

Am 13. Dezember 1809.

Ach, ich will dem Götzendienst abschwören! Von Dir spreche ich nicht; denn welcher Prophet sagt, daß Du kein Gott seist? –

Ich spreche von Großem und Kleinem, was die Seele irrt. O wüßtest Du, was Dir zum Heile dient jetzt in den Tagen Deiner Heimsuchung? Lukas XIX.

Ich hätte Dir vieles zu sagen, aber in meinem Herzen zuckt es, und schmerzliche Gedanken türmen sich übereinander,

Der Friede bestätigt sich. Im Augenblick der glorreichsten Siege, wo die Energie dieses Volkes seinen Gipfel erreichte, mahnt Österreich, die Waffen niederzulegen; was hat es für ein Recht dazu? – Hat es nicht lange schon tückisch furchtsam seine Sache von der der Tiroler getrennt? – Da stehen die gekrönten Häupter um diesen Edelstein Tirol, sie schielen ihn an und sind alle von seinem reinen Feuer geblendet; aber sie werfen ein Leichentuch darüber hin: ihre abgefeimte Politik! Und nun entscheiden sie kaltblütig über sein Los. Wollt' ich sagen, welche tiefe Wunden mir die Geschichte dieses Jahres geschlagen, wer würde mich bemitleiden? – Ach und wer bin ich, daß ich meine Anklage, meinen Fluch dürfte verlauten lassen? – Jeder hat das Recht, sich den höchsten Geschicken zu vermählen, dem es so rast im Herzen wie mir, ach, ich hab' auch zu nichts mehr Lust und Vertrauen; der kalte Winterwind, der heute stürmt, mit dem bin ich nicht im Widerspruch, der belügt mich doch nicht. Vor sechs Wochen waren noch schöne Tage, wir machten eine Reise ins Gebirg'. Wie wir uns dem Kettenwerk der felsigen Alpen näherten, das hat mächtig in mir gearbeitet, die Asche fiel vom Herzen, es strömte Frühlingsglut in den matten Schein der Herbstsonne. Es war herrlich unter den Tannen und Fichten auf der Hochalme, sie neigten im Windesrauschen ihre Wipfel zueinander; war ich ein Kätzchen, in ihrem Schatten hätte mich des Kaisers Majestät nicht geblendet. – Hier lag ich am jähen Abhang und überschaute das enge Tal, dem verkuppelt mit Bergen hieroglyphische Felswände entstiegen. Ich war allein auf steilster Höhe und übersah unzählige Schluchten, die gefühlvollen Entzückungsprediger waren zurückgeblieben, es war für sie zu steil. – Wären wir beide doch dort beisammen im Sommer und stiegen Hand in Hand bedachtsam, langsam, einsam den gefahrsamen Pfad hinab, das waren so meine heiligen Gedanken da oben; wärst Du dabei gewesen, wir hätten noch anderes bedacht. – Ein Kranz kühlt und steht schön zu erhitzten Wangen; was willst Du? – Tannen stechen, Eichen wollen sich nicht geschmeidig biegen, Ulme, sind die Zweige zu hoch, Pappel schmückt nicht, und der Baum, der Dein ist, der ist nicht hier. – Das hab' ich oft gesagt, der mein ist, der ist nicht hier, Du bist mein, Du bist aber nicht hier.

Es könnte sich auch fügen, daß nach Deiner prophetischen Vision in kurzer Zeit mein Weg mich mit Dir zusammen führte, ich bedarf dieser Entschädigung für die böse Zeit, die ich ohne Dich verlebte.

Eine ausgezeichnete Klasse von Menschen, worunter herrliche Leute waren, sind die Mediziner, da die Krankheiten so schrecklich durch den Krieg in Aufruhr kamen, wurden die meisten ein Opfer ihrer Tätigkeit, da merkt man denn erst, wieviel einer wert war, wenn er nicht mehr lebt. Der Tod treibt zur Unzeit die Knospen in die Blüte.

Beiliegende Zeichnung ist das Porträt von Tiedemann, eines hiesigen Professors der Medizin, er interessiert sich so sehr für die Fische, daß er ein schönes Werk über die Fischherzen schrieb, mit gar guten Kupfern versehen; da Du nun in Deinen »Wahlverwandtschaften« gezeigt, daß Du Herz und Nieren genau prüfst, so werden Dir Fischherzen auch interessant sein, und vielleicht entdeckst du, daß Deine Charlotte das Herz eines Weißfisches hat; mit nächstem, wo ich noch manches andre übersende, werd' ich's mitschicken. Die Zeichnung achte nicht gering, lernst Du den Mann einmal kennen, so wirst Du sehen, daß er seinem Spiegel Ehre macht.

Um wieder auf etwas Bitteres zu kommen, die Meline mit den schönen Augenwimpern, von der Du sagtest, sie gleiche einer Rose, die der Tau eben aus tiefem Schlaf geweckt, die heiratet einen Mann, von dem die allgemeine Sage geht, er sei ein ganz vortrefflicher Mensch. O, wie ist das traurig, Sklave der Vortrefflichkeit sein, da bringt man es nicht weiter wie Charlotte es gebracht hat, man ketzert sich und andre mit der Tugend ab. Verzeih nur, daß ich immer wieder von Deinem Buch anfange, ich sollte lieber schweigen, da ich nicht Geist genug habe, es ganz zu fassen.

Seltsam ist es, daß, während die Wirklichkeit mich so gewaltig aufregt, schlägt mich die Dichtung so gewaltig nieder. Die schwarzen Augen, die groß sind und etwas weit offen, aber ganz erfüllt voll Freundlichkeit, wenn sie mich ansehen, der Mund, von dessen Lippen Lieder fließen, die ich schließen kann mit einem Spiegel, die dann viel schöner singen, süßer und wärmer plaudern als vorher, und die Brust, an die ich mich verbergen kann, wenn ich zu viel geschwätzt habe, die werd' ich doch nie mißverstehen, die werden mir nie fremd sein. – Gute Nacht hierüber.

Beiliegende Kupfer sind von unserm Grimm, die beiden Bubenköpfchen machte er nur flüchtig auf einer Reise nach dem Staremberger See, die Zeichnung davon ist noch besser, sie ist samt der Gegend, die Buben, der braune auf einer Bank in der Sonne sitzend, der blonde auf die Brunnenmauer gelehnt, alles ganz lieblich nach der Natur. Das Mädchen ist ein früherer Versuch seiner Nadel, Dein Lob hat ihm großen Eifer gegeben, sein Lehrer ist der Kupferstecher Heß, dem ich manchmal mit stillem Staunen bei seinen großen ernsten Arbeiten zusehe.

Marcellos Psalmen werden hier in Landshut zu schlecht abgeschrieben, es ist alter Kirchenstil, ich muß Geduld haben, bis ich einen Abschreiber finde.

Lebe wohl, alles grüße herzlich von mir, was Dein ist.

Meine Adresse ist in Graf Joners Hause in Landshut.

Bettine.


An Goethe.

Ich habe meine Türe verriegelt, und um doch nicht so ganz allein zu sein mit meinem Mißmut, sucht' ich Deine »Eugenie«; sie hatte sich ganz in den hintersten Winkel des Bücherschranks versteckt, mir ahnte ein Trost, ein himmlischer Gedanke werde mich drin anwehen, ich habe sie eingezogen wie Blumenduft, unter drückenden Wolken bin ich gelassen unermüdet vorwärts geschritten bis zum einsamen Ziel, wo keiner gern weilt, weil da die vier Winde zusammenstoßen und den armen Menschen nicht jagen, aber fest in ihrer Mitte halten; ja, wen das Unglück recht anbraust, den treibt's nicht hin und her, es versteinert ihn wie Niobe.

Da nun das Buch gelesen ist, verzieht sich der dichte Erdennebel, und nun muß ich mit Dir reden. – Ich bin oft unglücklich und weiß nicht warum, heute meine ich nun, es komme daher, weil ich dem Boten Deinen Brief abzunehmen glaubte, und es war ein anderer, nun klopfte mir das Herz so gewaltig, und dann war's nichts. Als ich hereinkam, fragten alle, warum siehst Du so blaß aus? Und ich reichte meinen Brief hin und fiel ganz matt auf einen Sessel, man glaubte wunder, was er enthalte, es war eine alte Rechnung von 4 Fl. von dem alten Maler Robert aus Kassel, bei dem ich nichts gelernt habe; sie lachten mich alle aus, ich kann aber doch nicht lachen; denn ich hab' ein bös Gewissen, ich weiß ja wenig, was Geist, Seele und Herz für Prozesse miteinander führen, warum hab' ich Dir denn allerlei geschrieben, was ich nicht verantworten kann? Du bist nicht böse auf mich, wie könnte mein unmündig Geschwätz Dich beleidigen, aber Du antwortest nicht, weil ich ja doch nicht verstehe, was Du sagen könntest, und so hat mich mein Aberwitz um mein Glück gebracht, und wer weiß, wann Du wieder einlenkst. Ach, Glück! Du läßt dich nicht meistern und nicht bilden, wo du erscheinst, da bist du immer eigentümlich und vernichtest durch deine Unschuld alles Planmäßige, alle Berechnung auf die Zukunft.

Unglück ist vielleicht die geheime Organisation des Glückes, ein flüssiger Demant, der zum Kristall anschießt eine Krankheit der Sehnsucht, die zur Perle wird. O, schreib mir bald.

Am 12. Januar 1810.

Bettine.


Goethe an Bettine

Das ist ein liebes, feines Kind, listig wie ein Füchschen, mit einer Glücksbombe fährst Du mir ins Haus, in der Du Deine Ansprüche und gerechte Klagen versteckst. Das schmettert einem denn auch so nieder, daß man gar nicht daran denkt, sich zu rechtfertigen. – Die Weste, innen von weichem Samt, außen glatte Seide, ist nun mein Bußgewand, je behaglicher mir unter diesem wohlgeeigneten Brustlatz wird, je bedrängter ist mein Gewissen, und wie ich gar nach zwei Tagen zufällig in die Westentasche fahre und da das Register meiner Sünden herausziehe, so bin ich denn auch gleich entschlossen, keinen Entschuldigungen für mein langes Schweigen aufzusuchen. Dir selbst aber mache ich es zur Aufgabe, mein Schweigen bei Deinen so überraschenden Mitteilungen auf eine gefällige Weise auszulegen, die Deiner nie versiegenden Liebe, Deiner Treue für Gegenwärtiges und Vergangenes auf verwandte Weise entspricht. Über die »Wahlverwandtschaften« nur dies: der Dichter war bei der Entwickelung dieser herben Geschicke tief bewegt, er hat seinen Teil Schmerzen getragen, schmäle daher nicht mit ihm, daß er auch die Freunde zur Teilnahme auffordert. Da nun so manches Traurige unbeklagt den Tod der Vergangenheit stirbt, so hat sich der Dichter hier die Aufgabe gemacht, in diesem einen erfundnen Geschick wie in einer Grabesurne die Tränen für manches Versäumte zu sammeln. Deine tiefen, aus dem Geist und der Wahrheit entspringende Ansichten gehören jedoch zu den schönsten Opfern, die mich erfreuen, aber niemals stören können, ich bitte daher recht sehr, mit gewissenhafter Treue dergleichen dem Papier zu vertrauen und nicht allenfalls in Wind zu schlagen, wie bei Deinem geistigen Kommers und Überfluß an Gedanken leichtlich zu befahren ist. Lebe wohl und lasse bald wieder von Dir hören.

Weimar, den 5. Februar 1810.

Goethe.

 

Meine Frau mag Dir selbst schreiben, wie verlegen sie um ein Maskenkleid gewesen und wie erfreut sie bei Eröffnung der Schachtel war, es hat seinen herrlichen Effekt getan. Über der lieben Meline Heirat sage ich nichts, es macht einem nie wohl, wenn ein so schönes Kind sich weggibt, und der Glückwunsch, den man da anbringt, drückt einem nur auf dem Herzen.


An Goethe.

Fahre fort, so liebreich mit mir zu sein, packe selbst zusammen, was Du mir schickst, mache selbst die Adresse aufs Paket, das alles freut mich, und Dein Brief, der allen Schaden vergütet, ja meine eignen Schwächen so sanft stützt, mich mir selbst wiedergibt, indem er sich meiner annimmt.

Nun, ich bin angeblasen von allen Launen, ich drücke die Augen zu und brumme, um nichts zu sehen und zu hören, keine Welt, keine Einsamkeit, keinen Freund, keinen Feind, keinen Gott und endlich auch keinen Himmel.

Den Hofer haben sie in einer Sennhütte auf den Passeirer Bergen gefangen, diese ganze Zeit bin ich diesem Helden mit Gebet heimlich nachgegangen, gestern erhalt' ich einen Brief mit einem gedruckten Tiroler Klagelied: »Der Kommandant der Heldenschar, auf hoher Alp gefangen gar, findet viel Tränen in unseren Herzen.«Ach, dieser ist nicht unbeweint von mir, aber die Zeit ist eisern und macht jede Klage zu Schanden, so muß man auch das Ärgste fürchten, obschon es unmöglich ist. Nein, es ist nicht möglich, daß sie diesem sanften Helden ein Haar krümmen, der da für alle Aufopferung, die er und sein Land umsonst gemacht hatten, keine andre Rache nahm, als daß er in einem Brief an Speckbacher schrieb: »Deine glorreichen Siege sind alle umsonst, Österreich hat mit Frankreich Friede geschlossen und Tirol vergessen.«

In meinem Ofen saust und braust der Wind und treibt die Glut in Flammen und brennt die alten bayrischen Tannen recht zu Asche zusammen, dabei hab' ich denn meine Unterhaltung, wie es kracht und rumpelt und studiere zugleich Marpurgs Fugen, dabei tut mir denn gar wohl, daß das Warum nie beantwortet werden kann, daß man unmittelbare Herrschaft des Führers (Dux) annehmen muß, und daß der Gefährte sich anschmiegt, ach, wie ich mich gern an Dich anschmiegen möchte; wesentlich möchte ich ebenso Dir sein, ohne viel Lärm zu machen, alle Lebenswege sollten aus Dir hervorgehen und sich wieder in Dir schließen, und das wäre eine echte, strenge Fuge, wo dem Gefühl keine Forderung unbeantwortet bleibt, und wo sich der Philosoph nicht hineinmischen kann.

Ich will Dir beichten, will Dir alle meine Sünden aufrichtig gestehen, erst die, an welchen Du zum Teil Schuld hast, und die Du auch mitbüßen mußt, dann die, so mich am meisten drücken, und endlich jene, an denen ich sogar Freude habe.

Erstens: sage ich Dir zu oft, daß ich Dich liebe, ja, ich weiß gar nichts anders, wenn ich's hin- und herwende, es kömmt sonst nichts heraus.

Zweitens: beneide ich alle Deine Freunde, die Gespielen Deiner Jugend und die Sonne, die in Dein Zimmer scheint und Deine Diener, vorab Deinen Gärtner, der unter Deinem Kommando Spargelbeete anlegt.

Drittens: gönne ich Dir keine Lust, weil ich nicht dabei bin, wenn einer Dich gesehen hat, von Deiner Heiterkeit und Anmut spricht, das ist mir eben kein besonder Vergnügen; wenn er aber sagt, Du seist ernst, kalt, zurückhaltend usw. gewesen, das ist mir recht lieb.

Viertens: vernachlässige ich alle Menschen um Deinetwillen, es gilt mir keiner etwas, aus ihrer Liebe mache ich mir gar nichts; ja, wer mich lobt, der mißfällt mir, das ist Eifersucht auf mich und Dich und eben kein Beweis von einem großen Herzen und ist eine elende Natur, die auf einer Seite ausdürrt, wenn sie auf der andern blühen will.

Fünftens: hab' ich eine große Neigung, die Welt zu verachten, besonders in denen, so Dich loben, alles, was Gutes über Dich gesagt wird, kann ich nicht hören, nur wenige einfache Menschen, denen kann ich's erlauben, daß sie über Dich sprechen, und das braucht nicht grade Lob zu sein, nein, man kann sich ein bißchen über Dich lustig machen, und da kann ich Dir sagen, daß sich ein unbarmherziger Mutwille in mir regt, wenn ich die Sklavenketten ein bißchen abwerfen kann.

Sechstens: hab' ich einen tiefen Unwillen in der Seele, daß Du es nicht bist, mit dem ich unter einem Dach wohne und dieselbe Luft einatme, ich fürchte mich in der Nähe fremder Menschen zu sein, in der Kirche suche ich mir einen Platz auf der Bank der Bettler, weil die am neutralsten sind, je vornehmer die Menschen, je stärker ist mein Widerwillen; angerührt zu werden, macht mich zornig, krank und unglücklich; so kann ich's auch in Gesellschaften auf Bällen nie lange aushalten, tanzen mag ich gern, wenn ich allein tanzen könnte, auf einem freien Platz, wo mich der Atem, der aus fremder Brust kömmt, nicht berührte. Was könnte das für einen Einfluß auf die Seele haben, nur neben dem Freund zu leben? – Um so schmerzlicher der Kampf gegen das, was geistig und leiblich ewig fremd bleiben muß.

Siebentens: wenn ich in Gesellschaft soll vorlesen hören, setze ich mich in eine Ecke und halte die Ohren heimlich zu, oder ich verliere mich über dem ersten besten Wort ganz in Gedanken, wenn denn einer etwas nicht versteht, so erwache ich aus einer andern Welt und maße mir an, die Erklärung darüber zu geben, und was andre für Wahnwitz halten, das ist mir verständlich und hängt zusammen mit einem innern Wissen, das ich nicht von mir geben kann. Von Dir kann ich durchaus nichts lesen hören, noch selbst vorlesen, ich muß mit mir und Dir allein sein.

Achtens: kann ich gegen niemand fremd oder vornehm bleiben, wenn ich im mindesten unbequem bin, so werde ich ganz dumm; denn es scheint mir ungeheuer dumm, einander was weiszumachen. Auch daß sich der Respekt mehr in etwas Erlerntem, als in etwas Gefühltem äußert; ich meine, daß Ehrfurcht nur aus Gefühl der inneren Würde entspringen müsse. Dabei fällt mir ein, daß nahe bei München ein Dorf liegt, was Kultersheim heißt, auf einem Spaziergang dahin erklärte man mir, daß dieser Name von Kultursheim herrühre, weil man da dem Bauernstand eine höhere Bildung zu geben beabsichtigt habe; das Ganze hat sich jedoch auf den alten Fuß gesetzt, und diese guten Bauern, die dem ganzen Lande mit schönem Beispiel voranschreiten sollten, sitzen bei der Bierkanne und zechen um die Wette, das Schulhaus ist sehr groß und hat keine runde, sondern lauter viereckige Scheiben, doch liebt der Schulmeister die Dämmerung; er saß hinter dem Ofen, hatte ein blaues Schnupftuch über dem Kopf hängen, um sich vor den Fliegen zu schützen, die lange Pfeife war ihm entfallen, und er schlief und schnarchte, daß es widerhallte; die Schreibbücher lagen alle aufgehäuft vor ihm, um Vorschriften im Schönschreiben zu machen; – ich malte einen Storch, der auf seinem Neste steht und schrieb darunter:

»Ihr Kinder lernt bauen euer Nest mit eigner Hand aufs allerbest. Die Tanne in dem Walde stolz, die fällt zu euerm Zimmerholz. Und dann, wenn alle Wände stehn, müßt ihr euch nach 'ner Eich' umsehn; daraus ihr schnitzelt Bank und Tisch, worauf ihr speist gebratnen Fisch. Das best' Holz nehmt zu Bett und Wiegen für Frau und Kind, die ihr werd't kriegen, und lernt benützen Gottes Segen bei Sonnenschein und auch bei Regen. Dann steht ihr stolz auf eignem Hort wie der Storch auf seinem Neste dort. Der möge stets bei euch einkehren, um böses Schicksal abzuwehren. Dann lernt noch schreiben euern Namen, unter gerechte Sach', ich sage Amen. Das ist das echte Kultursheim, worauf ich machte diesen Reim.«

Ich flirrte jeden Augenblick zur Tür hinaus, aus Angst, der Schulmeister möge aufwachen, draußen machte ich meinen Reim und schlich wieder auf den Zehen herbei, um ihn mit einer einseitigen Feder, die wahrscheinlich mit dem Brodkneip zugeschnitten war, aufzuschreiben, zuletzt nahm ich das blaue Band von meinem Strohhut und machte eine schöne Schleife um das Buch, damit er's doch sehen möge; denn sonst hätte dies schöne Gedicht leicht unter dem Wust der Schreibbücher verloren gehen können. Vor der Tür saß Rumohr, mein Begleiter, und hatte unterdessen eine Schüssel mit saurer Milch ausgespeist, ich wollte nichts essen und auch mich nicht mehr aufhalten, aus Furcht, der Schulmeister könne aufwachen. Unterwegs sprach Rumohr sehr schön über den Bauernstand, über ihre Bedürfnisse, und wie das Wohl des Staats von dem ihrigen abhinge, und wie man ihnen keine Kenntnisse aufzwingen müsse, die sie nicht selbst in ihrem Beruf unmittelbar benützen könnten, und daß man sie zu freien Menschen bilden müsse, das heißt: zu Leuten, die sich alles selbst verschaffen, was sie brauchen. Dann sprach er auch über ihre Religion, und da hat er etwas sehr Schönes gesagt, er meinte nämlich, jedem Stand müsse das als Religion gelten, was sein höchster Beruf sei; des Bauern Beruf sei, das ganze Land vor Hungersnot zu schützen, hierin müsse ihm seine Wichtigkeit für den Staat, seine Verpflichtungen für denselben begreiflich gemacht werden, es müsse ihm ans Herz gelegt werden, welchen großen Einfluß er auf das Wohl des Ganzen habe, und so müsse er auch mit Ehrfurcht behandelt werden, daraus werde die Selbstachtung entstehen, die doch eigentlich jedem Menschen mehr gelte wie jeder andre Vorteil, und so würden die Opfer, die das Schicksal fordert, ungezwungen gebracht werden, wie die Mutter, die ihr eignes Kind nährt, auch demselben mit Freuden ihr letztes aufopfert; so würde das unmittelbare Gefühl dem Wohle des Ganzen wesentlich zu sein, gewiß jedes Opfer bringen, um sich diese Würde zu erhalten; keine Revolutionen würden dann mehr entstehen; denn der gewitzigte Staatsgeist in allen würde jeder gerechten Forderung vorgreifen, und das würde eine Religion sein, die jeder begreife, und wo das ganze Tagewerk ein fortwährendes Gebet sei; denn alles, was nicht in diesem Sinn geschehe, das sei Sünde; er sagte dies noch viel schöner und wahrer, ich bin nur dieser Weisheit nicht gewachsen und kann es nicht so wiedergeben.

So bin ich denn auf einmal von meiner Beichte abgekommen, ich wollte Dir noch manches sagen, was man sündlich finden dürfte, wie daß ich Dein Gewand lieber habe wie meinen Nebenmenschen, daß ich die Stiege küssen möchte, auf der Deine Füße auf- und niedersteigen usw. – Dies könnte man Abgötterei nennen, oder ist es so, daß der Gott, der Dich belebt, auch an jeder Wand Deines Hauses hinschwebt? – Daß, wenn er in Deinen Mund und Augen spielt, er auch unter Deinen Füßen hingleitet und selbst in den Falten Deines Gewandes sich gefällt, daß, wenn er sich im Maskenzug in alle bunten Gestalten verwandelt, er wohl auch im Papier, in welches du den Maskenzug einpackst, verborgen sein kann? Also, wenn ich's Papier küsse, so ist es das Geliebte in Dir, das sich mir zulieb' auf die Post schicken ließ.

Adieu! Behalte Dein Kind lieb in trüben wie in hellen Tagen, da ich ewig und ganz Dein bin.

Bettine.

 

Du hast mein Tagebuch erhalten, aber liest Du auch darin, und wie gefällt Dir's? –

Am 29. Februar.


An Bettine.

Liebe Bettine, ich habe mich schon wieder eines Versehens an Dir schuldig gemacht, daß ich Dir nicht den Empfang Deines Tagebuchs angezeigt habe, Du mußt glauben, daß ich eines so schönen Geschenkes nicht würdig bin, indessen kann ich Dir nicht mit Worten schildern, was ich darauf zu erwidern habe. Du bist ein einziges Kind, dem ich mit Freuden jede Erheiterung, jeden lichten Blick in ein geistiges Leben verdanke, dessen ich ohne Dich vielleicht nie wieder genossen haben würde; es bleibt bei mir verwahrt, an einem Ort, wo ich alle Deine lieben Briefe zur Hand habe, die so viel Schönes enthalten, wofür ich Dir niemals genug danken kann, nur das sage ich Dir noch, daß ich keinen Tag vergehen lasse, ohne drin zu blättern. An meinem Fenster wachsen, wohlgepflegt, eine Auswahl zierlicher ausländischer Pflanzen; jede neue Blume und Knospe, die mich am frühen Morgen empfängt, wird abgeschnitten und nach indischem Gebrauch als Opfergras in Dein liebes Buch eingestreut. Alles, was Du schreibst, ist mir eine Gesundheitsquelle, deren kristallne Tropfen mir Wohlsein geben, erhalte mir diese Erquickung, auf die ich meinen Verlaß habe.

Weimar, am 1. März 1810.

Goethe.


An Goethe

Ach, lieber Goethe! Deine Zeilen kamen mir zu rechter Stunde, da ich eben nicht wußte, wohin mit aller Verzweiflung; zum erstenmal hab' ich die Weltbegebenheiten verfolgt mit großer Treue für die Helden, die ihr Heiligtum verfechten; dem Hofer war ich nachgegangen auf jeder Spur, wie oft hat er nach des Tages Last und Hitze sich in der späten Nacht noch in die einsamen Berge verborgen und mit seinem reinen Gewissen beratschlagt, und dieser Mann, dessen Seele frei von bösen Fehlen, offen vor jedem lag als ein Beispiel von Unschuld und Heldentum, hat nun endlich am 20. Februar zur Bestätigung seines großen Schicksals den Tod erlitten; wie konnt' es anders kommen, sollte er die Schmach mittragen? – Das konnt' nicht sein, so hat es Gott am besten gemacht, daß er nach kurzer Pause seit dieser verklärenden Vaterlandsbegeisterung mit großer Kraft und Selbstbewußtsein, und nicht gegen sein Schicksal klagend, seinem armen Vaterland auf ewig entrissen ward. Vierzehn Tage lag er gefangen in dem Kerker bei Porta Molina, mit vielen andern Tirolern. Sein Todesurteil vernahm er gelassen und unerschüttert; Abschied ließ man ihn von seinen geliebten Landsleuten nicht nehmen, den Jammer und das Heulen der eingesperrten Tiroler übertönte die Trommel, er schickte ihnen durch den Priester sein letztes Geld und ließ ihnen sagen: er gehe getrost in den Tod und erwarte, daß ihr Gebet ihn hinüberbegleite. – Als er an ihren Kerkertüren vorbeischritt, lagen sie alle auf den Knien, beteten und weinten; auf dem Richtplatz sagte er: er stehe vor dem, der ihn erschaffen und stehend wolle er ihm seinen Geist übergeben; ein Geldstück, was unter seiner Administration geprägt war, übergab er dem Korporal, mit dem Bedeuten: es solle Zeugnis geben, daß er sich noch in der letzten Stunde an sein armes Vaterland mit allen Banden der Treue gefesselt fühle. Dann rief er: »Gebt Feuer!« Sie schossen schlecht, zweimal nacheinander gaben sie Feuer, erst zum drittenmal machte der Korporal, der die Exekution leitete, mit dem dreizehnten Schuß seinem Leben ein Ende.

Ich muß meinen Brief schließen, was könnte ich Dir noch schreiben? Die ganze Welt hat ihre Farbe für mich verloren. Ein großer Mann sei Napoleon, so sagen hier alle Leute, ja äußerlich, aber dieser äußern Größe opfert er alles, was seine unplanetarische Laufbahn durchkreuzt. Unser Hofer, innerlich groß, ein heiliger deutscher Charakter, wenn Napoleon ihn geschätzt hätte, dann wollte ich ihn auch groß nennen. – Und der Kaiser, konnte der nicht sagen, gib mir meinen Tiroler Helden, so geb' ich Dir meine Tochter, so hätte die Geschichte groß genannt, was sie jetzt klein nennen muß.

Adieu! Daß Du mein Tagebuch zum Tempel einer indischen Gottheit erhebst, ist Prädestination. Von jenen lichten Waldungen des Äthers, von Sonnenwohnungen, vom vielgestaltigen Dunkel und einer bildlosen Klarheit, in der die tiefe Seele lebt und atmet, habe ich oft schon geträumt.

An Rumohr konnt' ich Deinen Gruß nicht bestellen, ich weiß nicht, nach welcher Seite er mit dem Winde davongestoben ist.

Landshut, den 10. März 1810.


An Bettine.

Liebe Bettine, es ist mir ein unerläßlich Bedürfnis, Deiner patriotischen Trauer ein paar Worte der Teilnahme zuzurufen und Dir zu bekennen, wie sehr ich mich von Deinen Gesinnungen mit ergriffen fühle. Lasse Dir nur das Leben mit seinen eigensinnigen Wendungen nicht allzusehr verleiden. Durch solche Ereignisse sich durchzukämpfen, ist freilich schwer, besonders mit einem Charakter, der soviel Ansprüche und Hoffnungen auf ein idealisches Dasein hat wie Du. – Indem ich nun Deinen letzten Brief zu den andern lege, so finde ich abermals mit diesem eine interessante Epoche abgeschlossen. Durch einen lieblichen Irrgarten zwischen philosophischen, historischen und musikalischen Ansichten hast Du mich zu dem Tempel des Mars geleitet, und überall behauptet sich Deine gesunde Energie, habe den herzlichsten Dank dafür und lasse mich noch ferner der Eingeweihte Deiner inneren Welt sein und sei gewiß, daß die Treue und Liebe, die Dir dafür gebührt, Dir im Stillen gezollt wird.

Goethe.


An Goethe.

Lieber Goethe! Vieltausend Dank für Deine zehn Zeilen, in denen Du Dich tröstend zu mir neigst, so mag denn diese Periode abgeschlossen sein; dieses Jahr von 1809 hat mich sehr turbiert; nun sind wir an einem Wendepunkt: in wenig Tagen verlassen wir Landshut und gehen über und durch manche Orte, die ich Dir nicht zu nennen weiß. – Die Studenten packen eben Savignys Bibliothek ein, man klebt Nummern und Zettel an die Bücher, legt sie in Ordnung in Kisten, läßt sie an einem Flaschenzug durchs Fenster hinab, wo sie unten von den Studenten mit einem lauten Halt empfangen werden, alles ist Lust und Leben, obschon man sehr betrübt ist, den geliebten Lehrer zu verlieren; Savigny mag so gelehrt sein, wie er will, so übertrifft seine kindliche Freundesnatur dennoch seine glänzendsten Eigenschaften, alle Studenten umschwärmen ihn, es ist keiner, der nicht die Überzeugung hätte, auch außer dem großen Lehrer noch seinen Wohltäter zu verlieren; so haben auch die meisten Professoren ihn lieb, besonders die Theologen. Sailer, gewiß sein bester Freund. Man sieht sich hier täglich und zwar mehr wie einmal, abends begleitet der Wirt vom Hause leichtlich seine Gäste mit angezündetem Wachsstock einem jeden bis zu seiner Haustür, gar oft hab' ich die Runde mitgemacht; heute war ich noch mit Sailer auf dem Berg, auf dem die Trausnitz steht, ein Schloß alter Zeit: Traue nicht. Die Bäume schälen ihre Knospen! Frühling! Die Sperlinge flogen scharenweis' vor uns her, von Sailer hab' ich Dir wenig erzählt, und doch war er mir der Liebste von allen. Im harten Winter gingen wir oft über die Schneedecke der Wiesen und Ackerfläche und stiegen miteinander über die Hecken von einem Zaun zum andern, und alles, was ich ihm mitteilte, daran nahm er gern teil, und manche Gedanken, die aus Gesprächen mit ihm hervorgingen, die hab' ich aufgeschrieben, obschon sie in meinen Briefen nicht Platz finden, so sind sie doch für Dich; denn nie denke ich etwas Schönes, ohne daß ich mich darauf freue, es Dir zu sagen,

Zur Besinnung kann ich während dem Schreiben nicht kommen, der Studentenschwarm verläßt das Haus nicht mehr, seitdem Savignys Abreise in wenig Tagen bestimmt ist; eben sind sie vorbeigezogen an meiner Tür mit Wein und einem großen Schinken, den sie beim Packen verzehren, ich schenkte ihnen meine kleine Bibliothek, die sie eben auch einpacken wollten, da haben sie mir ein Vivat gebracht. – Abends bringen sie oft ein Ständchen mit Gitarren und Flöten, und das dauert oft bis nach Mitternacht, dabei tanzen sie um einen großen Springbrunnen, der vor unserm Hause auf dem Markt steht; ja, die Jugend kann sich aus allem einen Genuß machen. Die allgemeine Konsternation über Savignys Abreise hat sich bald in ein Jubelfest verwandelt; denn man hat beschlossen, zu Pferd und zu Wagen uns durch das Salzburgische zu begleiten, wer sich kein Pferd verschaffen kann, der geht zu Fuß voraus; nun freuen sich alle gar sehr auf den Genuß dieser letzten Tage, beim aufgehenden Frühling durch eine herrliche Gegend mit ihrem geliebten Lehrer zu reisen; auch ich erwarte mir schöne glückliche Tage, – ach, ich glaub', ich bin nah an dem Ziel, wo mein Leben am schönsten und herrlichsten ist. Sorgenfrei, voll süßem Feuer der Frühlingslust, in Erwartung herrlicher Genüsse, so klingen Ahnungstöne in meiner Brust, wenn das wahr wird, so muß es gewiß wahr werden, daß ich Dir bald begegne; ja, nach so vielem, was ich erlebt und Dir treulich mitgeteilt habe, wie kann es anders sein, da muß das Wiedersehen eine neue Welt in mir erschaffen. Wenn alle freudigen Hoffnungen in die Wirklichkeiten ausbrechen, wenn die Gegenwart die Finsternis der Ferne durch ihr Licht verscheucht, ach und mit einem Wort: wenn Gefühl und Blick Dich erfaßt und hält, da weiß ich wohl, daß mein Glück zu ungemeßnem Leben sich steigert. Ach, und es reißt mich mit Windesflügeln zu diesen höchsten Augenblicken, wenn auch bald die süßesten Genüsse scheidend fliehen, einmal muß doch wiederkehren zu festem Bund, was sich begehrt.

Landshut, den 31. März 1810.

Bettine.

 

Wenn du mir eine Zeile gönnen wolltest über Deinen Aufenthalt dieses Sommers, so bitte ich an Sailer in Landshut zu adressieren, dieser bleibt mit Savigny in Korrespondenz und wird mir am besten die Kleinodien deiner Zeilen nachschicken.


An Bettine.

Von Dir, liebe Bettine, habe ich sehr lange nichts gehört und kann meine Reise ins Karlsbad unmöglich antreten, ohne Dich nochmals zu begrüßen und Dich zu ersuchen, mir dorthin ein Lebenszeichen zu geben; möge ein guter Genius Dir diese Bitte ans Herz legen, da ich nicht weiß, wo Du bist, so muß ich schon meine Zuflucht zu höheren Mächten nehmen. Deine Briefe wandern mit mir, sie sollen mir dort Dein freundliches, liebevolles Bild vergegenwärtigen. Mehr sage ich nicht; denn eigentlich kann man dir nichts geben, weil Du Dir alles entweder schaffst oder nimmst. Lebe wohl und gedenke mein.

Jena, den 10. Mai 1810.

Goethe.

*

Wien, den 15. Mai.

Ein ungeheurer Maiblumenstrauß durchduftet mein kleines Kabinett, mir ist wohl hier im engen kleinen Kämmerchen auf dem alten Turm, wo ich den ganzen Prater übersehe; Bäume und Bäume von majestätischem Ansehen, herrlicher grüner Rasen. Hier wohne ich im Hause des verstorbnen Birkenstock, mitten zwischen zweitausend Kupferstichen, ebensoviel Handzeichnungen, soviel hundert Aschenkrügen und hetrurischen Lampen, Marmorvasen, antiken Bruchstücken von Händen und Füßen, Gemälden, chinesischen Kleidern, Münzen, Steinsammlung, Meerinsekten, Ferngläser, unzählbare Landkarten, Pläne alter versunkener Reiche und Städte, kunstreich geschnitzter Stöcke, kostbare Dokumente und endlich das Schwert des Kaiser Carolus. Dies alles umgibt uns in bunter Verwirrung und soll grade in Ordnung gebracht werden, da ist denn nichts zu berühren und zu verstehen, die Kastanienallee in voller Blüte und die rauschende Donau, die uns hinüberträgt auf ihrem Rücken, da kann man es im Kunstsaal nicht aushalten, heute morgen um sechs Uhr frühstückten wir im Prater, rund umher unter gewaltigen Eichen lagerten Türken und Griechen, wie herrlich nehmen sich auf grünem Teppich diese anmutigen buntfarbigen Gruppen schöner Männer aus! Welchen Einfluß mag auch die Kleidung auf die Seele haben, die mit leichter Energie die Eigentümlichkeit dieser fremden Nationen hier in der frischen Frühlingsnatur zum Allgemeingültigen erhebt und die Einheimischen in ihrer farblosen Kleidung beschämt. Die Jugend, die Kindheit, beschauen sich immer noch in den reifen Gestalten und Bewegungen dieser Südländer; sie sind kühn und unternehmend, wie die Knaben rasch und listig, doch gutmütig. Indem wir an ihnen vorübergingen, konnte ich nicht umhin, einen Pantoffel, der einem hingestreckten Türken entfallen war, unter meinen Füßen eine Strecke mit fortzuschlurren, endlich schleifte ich ihn ins Gras und ließ ihn da liegen; wir saßen und frühstückten, es währte nicht lange, so suchten die Türken den verlornen Pantoffel. Goethe, was mir das für eine geheime Lust erregte! Wie vergnügt ich war, sie über dies Wunder des verschwundenen Pantoffels staunen zu sehen; auch unsre Gesellschaft nahm Anteil daran, wo der Pantoffel geblieben sein möchte; nun wurde mir zwar Angst, ich möchte geschmält werden, allein der Triumph, den Pantoffel herbeizuzaubern, war zu schön, ich erhob ihn plötzlich zur allgemeinen Ansicht auf einer kleinen Gerte, die ich vom Baum gerissen hatte, nun kamen die schönen Leute heran und lachten und jubelten, da konnt' ich sie recht in der Nähe betrachten, mein Bruder Franz war einen Augenblick beschämt, aber er mußte mitlachen, so ging alles noch gut

*

27. Mai.

Es sind nicht Lustpartien, die mich abhalten, Dir zu schreiben, sondern ein scharlachkrankes Kind meines Bruders, bei dem ich Tage und Nächte verbringe, und so vergeht die Zeit schon in die dritte Woche; von Wien hab' ich nicht viel gesehen und von der Gesellschaft noch weniger, weil einem eine solche Krankheit eine Diskretion auflegt wegen Ansteckung. Der Graf Herberstein, der in meiner Schwester Sophie eine geliebte Braut verloren hat, hat mich mehrmals besucht und ist mit mir spazieren gegangen und hat mich alle Wege geführt, die er mit Sophie gewandert ist, da hat er mir sehr Schönes, Rührendes von ihr erzählt, es ist seine Freude, meiner Ähnlichkeit mit ihr nachzuspüren; er nannte mich gleich Du, weil er die Sophie auch so genannt hatte, manchmal, wenn ich lachte, wurde er blaß, »weil die Ähnlichkeit mit Sophie ihn frappierte«. Wie muß diese Schwester liebenswürdig gewesen sein, da sie jetzt noch im Herzen der Freunde so tiefe Spuren der Wehmut ließ. Bänder, Tassen, Locken, Blumen, Handschuhe, die zierlichsten Billete, Briefe, alle diese Andenken liegen in einem kleinen Kabinett umher zerstreut, er berührt sie gern und liest die Briefe oft, die freilich schöner sind als alles, was ich je in meinem Leben gelesen habe; ohne heftige Leidenschaft deutet jeder Ausdruck auf innige Freundlichkeit, nichts entgeht ihr, jeder Reiz der Natur dient ihrem Geist. O! Was ist Geist für ein wunderbarer Künstler, wär' ich doch imstande, Dir von dieser geliebten Schwester einen Begriff zu geben, ja wär' ich selbst imstande, ihre Liebenswürdigkeit zu erfassen, alle Menschen, die ich hier sehe, sprechen mir von ihr, als wenn man sie erst vor kurzer Zeit verloren hätte, und Herberstein meinte, sie sei seine letzte und erste einzig wahre Liebe, dies alles bewegt mich, gibt mir eine Stimmung fürs Vergangene und Zukünftige, dämpft mein Feuer der Erwartung. Da denk' ich an den Rhein bei Bingen, wie da plötzlich seine lichte, majestätische Breite sich einengt zwischen düsteren Felsen, zischend und brausend sich durch Schluchten windet, und nie werden die Ufer wieder so ruhig, so kindlich schön, wie sie vor der Binger Untiefe waren, solche Untiefen stehen mir also bevor, wo sich der Lebensgeist durch schauerliche Schluchten winden muß. Mut! Die Welt ist rund, wir kehren zurück mit erhöhten Kräften und doppeltem Reiz, die Sehnsucht streut gleich beim Abschied schon den Samen der Wiederkehr; so bin ich nie von dir geschieden, ohne zugleich mit Begeisterung der Zukunft zu gedenken, die mich in Deinen Armen wieder empfangen werde, so mag wohl alle Trauer um die Abgeschiednen ein bescheidner Vorgenuß einer zukünftigen Wiedervereinigung sein, gewiß, sonst würden keine solchen Empfindungen der Sehnsucht das Herz durchdringen.

*

20. Mai.

Am Ende März war's wohl, wie ich Dir zum letztenmal von Landshut aus schrieb; ja, ich hab' lange geschwiegen, beinah' zwei Monate, heute erhielt ich durch Sailer von Landshut Deine lieben Zeilen vom 10. Mai, in denen du mich mit Schmeichelworten ans Herz drückst, nun fällt mir's erst ein, was ich alles nachzuholen habe; denn jeder Weg, jeder Blick in die Natur hängt am Ende mit Dir zusammen. Landshut war mir ein gedeihlicher Aufenthalt, in jeder Hinsicht muß ich's preisen. Heimatlich die Stadt, freundlich die Natur, zutunlich die Menschen und die Sitten harmlos und biegsam; kurz nach Ostern reisten wir ab, die ganze Universität war in und vor dem Hause versammelt, viele hatten sich zu Wagen und zu Pferde eingefunden, man wollte nicht so von dem herrlichen Freund und Lehrer scheiden, es ward Wein ausgeteilt, unter währendem Vivatrufen zog man zum Tor hinaus, die Reiter begleiteten das Fuhrwerk, auf einem Berg, wo der Frühling eben die Augen auftat, nahmen die Professoren und ernsten Personen einen feierlichen Abschied, die andern fuhren noch eine Station weiter, unterwegs trafen wir aller Viertelstunden noch auf Partien, die dahin vorausgegangen waren, um Savigny zum letztenmal zu sehen; ich sah schon eine Weile vorher die Gewitterwolken sich zusammenziehen, im Posthause drehte sich einer um den andern nach dem Fenster, um die Tränen zu verbergen. Ein junger Schwabe, Nußbaumer, die personifizierte Volksromanze, war weit vorausgelaufen, um dem Wagen noch einmal zu begegnen, ich werde das nie vergessen, wie er im Feld stand und sein kleines Schnupftüchelchen im Wind wehen ließ und die Tränen ihn hinderten aufzusehen, wie der Wagen an ihm vorbeirollte; die Schwaben hab' ich lieb.

Mehrere der geliebtesten Schüler Savignys begleiteten uns bis Salzburg, der erste und älteste, Nepomuk Ringseis, ein treuer Hausfreund, hat ein Gesicht wie aus Stahl gegossen, alte Ritterphysiognomie, kleiner, scharfer Mund, schwarzer Schnauzbart, Augen, aus denen die Funken fahren, in seiner Brust hämmert's wie in einer Schmiede, will vor Begeisterung zerspringen, und da er ein feuriger Christ ist, so möchte er den Jupiter aus der Rumpelkammer der alten Gottheiten vorkriegen, um ihn zu taufen und zu bekehren.

Der zweite, ein Herr von Schenk, hat weit mehr feine Bildung, hat Schauspieler kennen lernen, deklamiert öffentlich, war verliebt ganz glühend oder ist es noch, mußte seine Gefühle in Poesie ausströmen, lauter Sonette, lacht sich selbst aus über seine Galanterie, blonder Lockenkopf, etwas starke Nase, angenehm, kindlich, äußerst ausgezeichnet im Studieren. Der dritte, der Italiener Salvotti, schön im weiten grünen Mantel, der die edelsten Falten um seine feste Gestalt wirft, unstörbare Ruhe in den Bewegungen, glühende Regsamkeit im Ausdruck, läßt sich kein gescheit Wort mit ihm sprechen, so tief ist er in Gelehrsamkeit versunken. Der vierte, Freiherr von Gumpenberg, Kindesnatur, edlen Herzens, bis zur Schüchternheit still, um so mehr überrascht die Offenherzigkeit, wenn er erst Zutrauen gefaßt hat, wobei ihm denn unendlich wohl wird, nicht schön, hat ungemein liebe Augen, ein unzertrennlicher Freund des fünften, Freiberg, zwanzig Jahr alt, große männliche Gestalt, als ob er schon älter sei, ein Gesicht wie eine römische Gemme, geheimnisvolle Natur, verborgner Stolz, Liebe und Wohlwollen gegen alle, nicht vertraulich, verträgt die härtesten Anstrengungen, schläft wenig, guckt nachts zum Fenster hinaus nach den Sternen, übt eine magische Gewalt über die Freunde, obschon er sie weder durch Witz, noch durch entschiedenen Willen zu behaupten geneigt ist; aber alle haben ein unerschütterliches Zutrauen zu ihm, was der Freiberg will, das muß geschehen. Der sechste war der junge Maler Ludwig Grimm, von dem ich dir mein Bildchen und die schönen radierten Studien nach der Natur geschickt habe, so lustig und naiv, daß man mit ihm bald zum Kind in der Wiege wird, das um nichts lacht, er teilte mit mir den Kutschersitz, von wo herab wir die ganze Natur mit Spott und Witz begrüßten; warum ich Dir diese alle so deutlich beschreibe? – Weil keiner unter ihnen ist, der nicht durch Reinheit und Wahrheit im allgemeinen Leben hervorleuchten würde, und weil sie Dir als Grundlagen zu schönen Charaktern in Deiner Welt dienen können; diese alle feiern Dein Andenken in treuem Herzen, Du bist wie der Kaiser, wo er hinkommt, jauchzen ihm die Untertanen entgegen.

Der Tagereisen waren zwei bis Salzburg, auf der ersten kamen wir bis Alt-Öttingen, wo das wundertätige Marienbild in einer düsteren Kapelle die Pilger von allen Seiten herbeilockt. Schon der ganze Platz umher und die äußeren Mauern sind mit Votivtafeln gedeckt, es macht einen sehr ängstlichen Eindruck, die Zeugnisse schauerlicher Geschicke und tausendfachen Elendes gedrängt nebeneinander und über diese hin ein beständiges Ein- und Ausströmen der Wallfahrer mit bedrängenden Gebeten und Gelübden um Erhörung, jeden Tag des Jahres von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Früh morgens um vier Uhr beginnt der Gottesdienst mit Musik und währt bis zur Nacht. Das Innere der Kapelle ist ganz mit schwarzem Samt überzogen, auch selbst das Gewölbe, und mehr durch Kerzenlicht als vom Tag erleuchtet, die Altäre von Silber, an den Wänden hängen silberne Glieder und Gebeine und viele silberne Herzen mit goldnen Flammen oder feurigen Wunden, – wie sonderbar, Goethe! Der Mensch! Er bringt seine Schmerzen als Opfer der Gottheit, und da mögen diese Schmerzen entstanden sein, woher sie wollen, in Gott wird alles göttlich; – Max von Bayern kniet in Lebensgröße, auch von Silber, auf den schwarzen Stufen des Altars, vor dem kohlrabenschwarzen Muttergottesbild, das ganz in Diamanten gekleidet ist, zwei Männerstimmen, von der dumpfen Orgel begleitet, singen ihre Hymnen, das stille Messelesen, die Menschen, die mit Tränen die Stufen des Altars küssen, viele tausend Seufzer aus allen Ecken, das macht den wunderlichsten Eindruck. Wo alle beten, sollt' ich auch beten, dacht' ich, aber nimmermehr, das Herz war in beständigem Klopfen; ich hatte vor der Tür einem Bettelmann einen Veilchenkranz abgekauft, da stand ein kleines Kind vor dem Altar mit blonden Locken, es sah mich so freundlich an und langte nach dem Kranz, den gab ich ihm, da warf es ihn auf den Altar; denn es war zu klein, um hinaufzureichen, der Kranz fiel grade zu den Füßen der Mutter Gottes, es war ein glücklicher Wurf, der machte mein Herz leicht. Der Strom der Pilger zog mich mit sich fort zur gegenüberstehenden Tür hinaus, ich wartete lange auf das Kind, ich hätte es so gern geküßt und wollte ihm eine kleine goldene Kette schenken, die ich am Hals trage, weil es mir ein so gutes Zeichen gegeben hatte für Dich; denn ich dachte grade in dem Augenblick, wo es mir den Kranz abnahm, an Dich, aber das Kindchen kam nicht heraus, der Wagen stand vor der Tür, ich schwang mich auf meinen Kutschersitz, auf jeder Station hatte ich einen andern Kameraden, der den Sitz mit mir teilte und zugleich mir seine Herzensangelegenheiten mitteilte, sie fingen immer so schüchtern davon an, daß mir bange ward, aber weit gefehlt, allemal war's eine andere, keinmal war ich's.

Unsre Reise ging durch einen Wald von Blüten, der Wind streute sie wie einen Regen nieder, die Bienen flogen nach den Blumen die ich hinter's Ohr gesteckt hatte, gelt, das war angenehm! –

*

26. Mai.

Von Salzburg muß ich Dir noch erzählen. Die letzte Station, vorher Laufen; diesmal saß Freiberg mit mir auf dem Kutschersitz, er öffnete lächelnd seinen Mund, um die Natur zu preisen, bei ihm ist aber ein Wort wie der Anschlag in einem Bergwerk, eine Schicht führt zur andern; es ging in einen fröhlichen Abend über, die Täler breiteten sich rechts und links, als wären sie das eigentliche Reich, das unendliche gelobte Land. Langsam wie Geister hob sich hie und da ein Berg und sank allmählich in seinem blitzenden Schneemantel wieder unter. Mit der Nacht waren wir in Salzburg, es war schauerlich, die glattgesprengten Felsen himmelhoch über den Häusern hervorragen zu sehen, die wie ein Erdhimmel über der Stadt schwebten im Sternenlicht – und die Laternen, die da all mit den Leutlein durch die Straßen fackelten, und endlich die vier Hörner, die schmetternd vom Kirchturm den Abendsegen bliesen, da tönte alles Gestein und gab das Lied vielfältig zurück. – Die Nacht hatte in dieser Fremde ihren Zaubermantel über uns geworfen, wir wußten nicht, wie das war, daß alles sich beugte und wankte, das ganze Firmament schien zu atmen, ich war über alles glücklich, Du weißt ja, wie das ist, wenn man aus sich selber, wo man so lange gesonnen und gesponnen, heraustritt ganz ins Freie.

Wie kann ich Dir nun von diesem Reichtum erzählen, der sich am andern Tag vor uns ausbreitete? – Wo sich der Vorhang allmählich vor Gottes Herrlichkeit teilet und man sich nur verwundert, daß alles so einfach ist in seiner Größe. Nicht einen, aber hundert Berge sieht man von der Wurzel bis zum Haupt ganz frei, von keinem Gegenstand bedeckt, es jauchzt und triumphiert ewig da oben, die Gewitter schweben wie Raubvögel zwischen den Klüften, verdunkeln einen Augenblick mit ihren breiten Fittichen die Sonne, das geht so schnell und doch so ernst, es war auch alles begeistert. In den kühnsten Sprüngen, von den Bergen herab bis zu den Seen, ließ sich der Übermut aus, tausend Gaukeleien wurden ins Steingerüst gerufen, so verlebten wir wie die Priesterschaft der Ceres bei Brot, Milch und Honig ein paar schöne Tage; zu ihrem Andenken wurde zuletzt noch ein Granatschmuck von mir auseinandergebrochen, jeder nahm sich einen Stein und den Namen eines Berges, den man von hier aus sehen konnte und nennen sich die Ritter vom Granatorden, gestiftet auf dem Watzmann bei Salzburg.

Von da ging die Reise nach Wien, es trennten sich die Gäste von uns, bei Sonnenaufgang fuhren wir über die Salza, hinter der Brücke ist ein großes Pulvermagazin, hinter dem standen sie alle, um Savigny ein letztes Vivat zu bringen, ein jeder rief ihm noch eine Beteuerung von Lieb' und Dank zu. Freiberg, der uns bis zur nächsten Station begleitete, sagte: »Wenn sie nur alle so schrien, daß das Magazin in die Luft sprengte; denn uns ist doch das Herz gesprengt«; und nun erzählte er mir, welch neues Leben durch Savigny aufgeblüht war, wie alle Spannung und Feindschaft unter den Professoren sich gelegt oder doch sehr gemildert habe, besonders aber sei sein Einfluß wohltätig für die Studenten gewesen, die weit mehr Freiheit und Selbstgefühl durch ihn erlangt haben. Nun kann ich Dir auch nicht genug beschreiben, wie groß Savignys Talent ist, mit jungen Leuten umzugehen; zuvörderst fühlt er eine wahre Begeisterung für ihr Streben, ihren Fleiß; eine Aufgabe, die er ihnen macht: wenn sie gut behandelt wird, so macht es ihn ganz glücklich, er möchte gleich sein Innerstes mit jedem teilen, er berechnet ihre Zukunft, ihr Geschick, und ein leuchtender Eifer der Güte erhellt ihnen den Weg, man kann von ihm wohl in dieser Hinsicht sagen, daß die Unschuld seiner Jugend auch der Geleitsengel seiner jetzigen Zeit ist, und das ist eigentlich sein Charakter, die Liebe zu denen, denen er mit den schönsten Kräften seines Geistes und seiner Seele dient; ja, das ist wahrhaft liebenswürdig, und muß Liebenswürdigkeit nicht allein Größe bestätigen? – Diese naive Güte, mit der er sich allen gleichstellt bei seiner ästhetischen Gelahrtheit, macht ihn doppelt groß. Ach, liebes Landshut, mit deinen geweißten Giebeldächern und dem geplackten Kirchturm, mit deinem Springbrunnen, aus dessen verrosteten Röhren nur sparsam das Wasser lief, um den die Studenten bei nächtlicher Weile Sprünge machten und sanft mit Flöte und Gitarre akkompagnierten, und dann aus fernen Straßen singend ihre »Gute Nacht« ertönen ließen; wie schön war's im Winter auf der leichten Schneedecke, wenn ich mit dem siebzigjährigen Kanonikus Eixdorfer, meinem Generalbaßlehrer und vortrefflichen Bärenjäger, spazieren ging, da zeigte er mir auf dem Schnee die Spuren der Fischottern, und da war ich manchmal recht vergnügt und freute mich auf den andern Tag, wo er mir gewiß ein solches Tier auffinden wollte, und wenn ich denn am andern Tag kam, daß er mich versprochnermaßen auf die Otternjagd begleiten sollte, da machte er Ausflüchte, heute seien die Ottern bestimmt nicht zu Hause; wie ich Abschied von ihm nahm, da gab er mir einen wunderlichen Segen, er sagte: »Möge ein guter Dämon Sie begleiten und das Gold und die Kleinodien, die Sie besitzen, allemal zu rechter Zeit in Scheidemünze verwandeln, womit Sie allein sich das erwerben können, was Ihnen fehlt.« Dann versprach er mir auch noch, er wolle mir einen Otternpelz zusammenfangen, und ich solle über's Jahr kommen, ihn holen. Ach, ich werde nicht wiederkommen in das liebe Landshut, wo wir uns freuten, wenn's schneite und nachts der Wind recht gestürmt hatte, so gut, als wenn die Sonne recht herrlich schien, wo wir alle einander so gut waren, wo die Studenten Konzerte gaben und in der Kirche höllisch musizierten und es gar nicht übelnahmen, wenn man ihnen davonlief.

Und nun ist weiter nichts Merkwürdiges auf der Reise bis Wien vorgefallen, außer daß ich am nächsten Morgen die Sonne aufgehen sah, ein Regenbogen drüber und davor ein Pfau, der sein Rad schlug.

*

Wien, am 28. Mai.

Wie ich diesen sah, von dem ich Dir jetzt sprechen will, da vergaß ich der ganzen Welt, schwindet mir doch auch die Welt, wenn mich Erinnerung ergreift – ja sie schwindet. Mein Horizont fängt zu meinen Füßen an, wölbt sich um mich, und ich stehe im Meer des Lichts, das von Dir ausgeht, und in aller Stille schweb' ich gelassenen Flugs über Berg und Tal zu Dir. – Ach, lasse alles sein, mache Deine lieben Augen zu, leb' in mir einen Augenblick, vergesse, was zwischen uns liegt, die weiten Meilen und auch die lange Zeit. – Von da aus, wo ich Dich zum letztenmal sah, sehe mich an; ständ' ich doch vor Dir! – Könnt' ich's Dir deutlich machen! Der tiefe Schauder, der mich schüttelt, wenn ich eine Weile der Welt mit zugesehen habe, wenn ich dann hinter mich sehe in die Einsamkeit und fühle, wie fremd mir alles ist. Wie kömmt's, daß ich dennoch grüne und blühe in dieser Öde? – Wo kömmt mir der Tau, die Nahrung, die Wärme, der Segen her? – Von dieser Liebe zwischen uns, in der ich mich selbst so lieblich fühle. – Wenn ich bei Dir wär', ich wollte Dir viel wiedergeben für alles. – Es ist Beethoven, von dem ich Dir jetzt sprechen will, und bei dem ich der Welt und Deiner vergessen habe; ich bin zwar unmündig, aber ich irre darum nicht, wenn ich ausspreche (was jetzt vielleicht keiner versteht und glaubt), er schreitet weit der Bildung der ganzen Menschheit voran, und ob wir ihn je einholen? – Ich zweifle; möge er nur leben, bis das gewaltige und erhabene Rätsel, was in seinem Geiste liegt, zu seiner höchsten Vollendung herangereift ist, ja, möge er sein höchstes Ziel erreichen, gewiß, dann läßt er den Schlüssel zu einer himmlischen Erkenntnis in unseren Händen, die uns der wahren Seligkeit um eine Stufe näher rückt.

Vor Dir kann ich's wohl bekennen, daß ich an einen göttlichen Zauber glaube, der das Element der geistigen Natur ist, diesen Zauber übt Beethoven in seiner Kunst; alles, wessen er Dich darüber belehren kann, ist reine Magie, jede Stellung ist Organisation einer höheren Existenz, und so fühlt Beethoven sich auch als Begründer einer neuen sinnlichen Basis im geistigen Leben; Du wirst wohl herausverstehen, was ich sagen will, und was wahr ist. Wer könnte uns diesen Geist ersetzen? Von wem könnten wir ein Gleiches erwarten? – Das ganze menschliche Treiben geht wie ein Uhrwerk an ihm auf und nieder, er allein erzeugt frei aus sich das Ungeahnte, Unerschaffne, was sollte diesem auch der Verkehr mit der Welt, der schon vor Sonnenaufgang am heiligen Tagwerk ist und nach Sonnenuntergang kaum um sich sieht, der seines Leibes Nahrung vergißt und von dem Strom der Begeisterung im Flug an den Ufern des flachen Alltagslebens vorübergetragen wird; er selber sagte: »Wenn ich die Augen aufschlage, so muß ich seufzen; denn, was ich sehe, ist gegen meine Religion, und die Welt muß ich verachten, die nicht ahnt, daß Musik höhere Offenbarung ist als alle Weisheit und Philosophie, sie ist der Wein, der zu neuen Erzeugungen begeistert, und ich bin der Bacchus, der für die Menschen diesen herrlichen Wein keltert und sie geistestrunken macht, wenn sie dann wieder nüchtern sind, dann haben sie allerlei gefischt, was sie mit aufs Trockne bringen. – Keinen Freund hab' ich, ich muß mit mir allein leben; ich weiß aber wohl, daß Gott mir näher ist wie den andern in meiner Kunst, ich gehe ohne Furcht mit ihm um, ich hab' ihn jedesmal erkannt und verstanden, mir ist auch gar nicht bange um meine Musik, die kann kein bös Schicksal haben, wem sie sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die andern schleppen.« Dies alles hat mir Beethoven gesagt, wie ich ihn zum erstenmal sah, mich durchdrang ein Gefühl von Ehrfurcht, wie er sich mit so freundlicher Offenheit gegen mich äußerte, da ich ihm doch ganz unbedeutend sein mußte; auch war ich verwundert; denn man hatte mir gesagt, er sei ganz menschenscheu und lasse sich mit niemand in ein Gespräch ein. Man fürchtete sich, mich zu ihm zu führen, ich mußte ihn allein aufsuchen, er hat drei Wohnungen, in denen er abwechselnd sich versteckt, eine auf dem Lande, eine in der Stadt und die dritte auf der Bastei, da fand ich ihn im dritten Stock; unangemeldet trat ich ein, er saß am Klavier, ich nannte meinen Namen, er war sehr freundlich und fragte: ob ich ein Lied hören wolle, was er eben komponiert habe; – dann sang er scharf und schneidend, daß die Wehmut auf den Hörer zurückwirkte: »Kennst du das Land?« – »Nicht wahr, es ist schön«, sagte er begeistert, »wunderschön! Ich will's noch einmal singen«, er freute sich über meinen heiteren Beifall. »Die meisten Menschen sind gerührt über etwas Gutes, das sind aber keine Künstlernaturen, Künstler sind feurig, die weinen nicht«, sagte er. Dann sang er noch ein Lied von Dir, das er auch in diesen Tagen komponiert hatte: »Trocknet nicht Tränen der ewigen Liebe.« – Er begleitete mich nach Hause und unterwegs sprach er eben das viele Schöne über die Kunst, dabei sprach er so laut und blieb auf der Straße stehen, daß Mut dazugehörte zuzuhören, er sprach mit großer Leidenschaft und viel zu überraschend, als daß ich nicht auch der Straße vergessen hätte, man war sehr verwundert, ihn mit mir in eine große Gesellschaft, die bei uns zum Diner war, eintreten zu sehen. Nach Tische setzte er sich unaufgefordert ans Instrument und spielte lang und wunderbar, sein Stolz fermentierte zugleich mit seinem Genie; in solcher Aufregung erzeugt sein Geist das Unbegreifliche, und seine Finger leisten das Unmögliche. Seitdem kommt er alle Tage, oder ich gehe zu ihm. Darüber versäume ich Gesellschaften, Galerien, Theater und sogar den Stephansturm. Beethoven sagt: »Ach, was wollen Sie da sehen! Ich werde Sie abholen, wir gehen gegen Abend durch die Allee von Schönbrunn.« Gestern ging ich mit ihm in einen herrlichen Garten, in voller Blüte, alle Treibhäuser offen, der Duft war betäubend; Beethoven blieb in der drückenden Sonnenhitze stehen und sagte: »Goethes Gedichte behaupten nicht allein durch den Inhalt, auch durch den Rhythmus eine große Gewalt über mich, ich werde gestimmt und aufgeregt zum Komponieren durch diese Sprache, die wie durch Geister zu höherer Ordnung sich aufbaut und das Geheimnis der Harmonien schon in sich trägt. Da muß ich denn von dem Brennpunkt der Begeisterung die Melodie nach allen Seiten hin ausladen, ich verfolge sie, hole sie mit Leidenschaft wieder ein, ich sehe sie dahinfliehen, in der Masse verschiedener Aufregungen verschwinden, bald erfasse ich sie mit erneuter Leidenschaft, ich kann mich nicht von ihr trennen, ich muß mit raschem Entzücken in allen Modulationen sie vervielfältigen, und im letzten Augenblick da triumphiere ich über den ersten musikalischen Gedanken, sehen Sie, das ist eine Symphonie; ja, Musik ist so recht die Vermittelung des geistigen Lebens zum sinnlichen. Ich möchte mit Goethe hierüber sprechen, ob der mich verstehen würde? – Melodie ist das sinnliche Leben der Poesie. Wird nicht der geistige Inhalt eines Gedichts zum sinnlichen Gefühl durch die Melodie? Empfindet man nicht in dem Lied der Mignon ihre ganze sinnliche Stimmung durch die Melodie? Und erregt diese Empfindung nicht wieder zu neuen Erzeugungen? – Da will der Geist zu schrankenloser Allgemeinheit sich ausdehnen, wo alles in allem sich bildet zum Bett der Gefühle, die aus dem einfachen musikalischen Gedanken entspringen, und die sonst ungeahnt verhallen würden; das ist Harmonie, das spricht sich in meinen Symphonien aus, der Schmelz vielseitiger Formen wogt dahin in einem Bett bis zum Ziel. Da fühlt man denn wohl, daß ein Ewiges, Unendliches, nie ganz zu Umfassendes in allem Geistigen liege, und obschon ich bei meinen Werken immer die Empfindung des Gelingens habe, so fühle ich einen ewigen Hunger, was mir eben erschöpft schien, mit dem letzten Paukenschlag, mit dem ich meinen Genuß, meine musikalische Überzeugung den Zuhörern einkeilte, wie ein Kind von neuem anzufangen. Sprechen Sie dem Goethe von mir, sagen Sie ihm, er soll meine Symphonien hören, da wird er mir recht geben, daß Musik der einzige unverkörperte Eingang in eine höhere Welt des Wissens ist, die wohl den Menschen umfaßt, daß er aber nicht sie zu fassen vermag. – Es gehört Rhythmus des Geistes dazu, um Musik in ihrer Wesenheit zu fassen, sie gibt Ahnung, Inspiration himmlischer Wissenschaften, und was der Geist sinnlich von ihr empfindet, das ist die Verkörperung geistiger Erkenntnis. – Obschon die Geister von ihr leben, wie man von der Luft lebt, so ist es noch ein anders, sie mit dem Geiste begreifen; – je mehr aber die Seele ihre sinnliche Nahrung aus ihr schöpft, je reifer wird der Geist zum glücklichen Einverständnis mit ihr. – Aber wenige gelangen dazu; denn so wie Tausende sich um der Liebe willen vermählen und die Liebe in diesen Tausenden sich nicht einmal offenbart, obschon sie alle das Handwerk der Liebe treiben, so treiben Tausende einen Verkehr mit der Musik und haben doch ihre Offenbarung nicht; auch ihr liegen die hohen Zeichen des Moralsinns zum Grunde wie jeder Kunst, alle echte Erfindung ist ein moralischer Fortschritt. – Sich selbst ihren unerforschlichen Gesetzen unterwerfen, vermöge dieser Gesetze den eignen Geist bändigen und lenken, daß er ihre Offenbarungen ausströme, das ist das isolierende Prinzip der Kunst; von ihrer Offenbarung aufgelöst werden, das ist die Hingebung an das Göttliche, was in Ruhe seine Herrschaft an dem Rasen ungebändigter Kräfte übt und so der Phantasie die höchste Wirksamkeit verleihet. So vertritt die Kunst allemal die Gottheit, und das menschliche Verhältnis zu ihr ist Religion, was wir durch die Kunst erwerben, das ist von Gott, göttliche Eingebung, die den menschlichen Befähigungen ein Ziel steckt, was er erreicht.

Wir wissen nicht, was uns Erkenntnis verleihet; das fest verschloßne Samenkorn bedarf des feuchten, elektrisch warmen Bodens, um zu treiben, zu denken, sich auszusprechen. Musik ist der elektrische Boden, in dem der Geist lebt, denkt, erfindet. Philosophie ist ein Niederschlag ihres elektrischen Geistes; ihre Bedürftigkeit, die alles auf ein Urprinzip gründen will, wird durch sie gehoben, obschon der Geist dessen nicht mächtig ist, was er durch sie erzeugt, so ist er doch glückselig in dieser Erzeugung, so ist echte Erzeugung der Kunst, unabhängig, mächtiger als der Künstler selbst, kehrt durch ihre Erscheinung zum Göttlichen zurück, hängt nur darin mit dem Menschen zusammen, daß sie Zeugnis gibt von der Vermittelung des Göttlichen in ihm.

Musik gibt dem Geist die Beziehung zur Harmonie. Ein Gedanke abgesondert, hat doch das Gefühl der Gesamtheit der Verwandtschaft im Geist; so ist jeder Gedanke in der Musik in innigster, unteilbarster Verwandtschaft mit der Gesamtheit der Harmonie, die Einheit ist.

Alles Elektrische regt den Geist zu musikalischer, fließender, ausströmender Erzeugung.

Ich bin elektrischer Natur. Ich muß abbrechen mit meiner unerweislichen Weisheit, sonst möchte ich die Probe versäumen, schreiben Sie an Goethe von mir, wenn Sie mich verstehen, aber verantworten kann ich nichts und will mich auch gern belehren lassen von ihm.« – Ich versprach ihm, so gut ich's begreife, Dir alles zu schreiben. – Er führte mich zu einer großen Musikprobe mit vollem Orchester, da saß ich im weiten unerhellten Raum in einer Loge ganz allein; einzelne Streiflichter stahlen sich durch Ritzen und Astlöcher, in denen ein Strom bunter Lichtfunken hin und her tanzte, wie Himmelsstraßen mit seligen Geistern bevölkert.

Da sah ich denn diesen ungeheuren Geist sein Regiment führen. O Goethe! Kein Kaiser und kein König hat so das Bewußtsein seiner Macht, und daß alle Kraft von ihm ausgehe, wie dieser Beethoven, der eben noch im Garten nach einem Grund suchte, wo ihm denn alles herkomme; verstünd' ich ihn so, wie ich ihn fühle, dann wüßt' ich alles. Dort stand er, so fest entschlossen, seine Bewegungen, sein Gesicht drückten die Vollendung seiner Schöpfung aus, er kam jedem Fehler, jedem Mißverstehen zuvor, kein Hauch war willkürlich, alles war durch die großartige Gegenwart seines Geistes in die besonnenste Tätigkeit versetzt. – Man möchte weissagen, daß ein solcher Geist in späterer Vollendung als Weltherrscher wieder auftreten werde.

Gestern abend schrieb ich noch alles auf, heute morgen las ich's ihm vor, er sagte: »Hab' ich das gesagt? – Nun dann hab' ich einen Raptus gehabt«; er las es noch einmal aufmerksam und strich das oben aus und schrieb zwischen die Zeilen; denn es ist ihm drum zu tun, daß Du ihn verstehst.

Erfreue mich nun mit einer baldigen Antwort, die dem Beethoven beweist, daß Du ihn würdigst. Es war ja immer unser Plan, über Musik zu sprechen, ja, ich wollte auch, aber durch Beethoven fühl' ich nun erst, daß ich der Sache nicht gewachsen bin.

Bettine.

 

Meine Adresse ist Erdberggasse im Birkenstockischen Hause, noch vierzehn Tage trifft mich Dein Brief.


An Bettine.

Dein Brief, herzlich geliebtes Kind, ist zur glücklichen Stunde an mich gelangt, Du hast Dich brav zusammengenommen, um mir eine große und schöne Natur in ihren Leistungen wie in ihrem Streben, in ihren Bedürfnissen, wie in dem Überfluß ihrer Begabtheit darzustellen, es hat mir großes Vergnügen gemacht, dies Bild eines wahrhaft genialen Geistes in mich aufzunehmen, ohne ihn klassifizieren zu wollen, gehört doch ein psychologisches Rechnungskunststück dazu, um das wahre Fazit der Übereinstimmung da herauszuziehen, indessen fühle ich keinen Widerspruch gegen das, was sich von Deiner raschen Explosion erfassen läßt; im Gegenteil möchte ich Dir für einen innern Zusammenhang meiner Natur, mit dem, was sich aus diesen mannigfaltigen Äußerungen erkennen läßt, einstweilen einstehen, der gewöhnliche Menschenverstand würde vielleicht Widersprüche darin finden, was aber ein solcher vom Dämon Besessener ausspricht, davor muß ein Laie Ehrfurcht haben, und es muß gleichviel gelten, ob er aus Gefühl oder aus Erkenntnis spricht; denn hier walten die Götter und streuen Samen zu künftiger Einsicht, von der nur zu wünschen ist, daß sie zu ungestörter Ausbildung gedeihen möge; bis sie indessen allgemein werde, da müssen die Nebel vor dem menschlichen Geist sich erst teilen. Sage Beethoven das Herzlichste von mir, und daß ich gern Opfer bringen würde, um seine persönliche Bekanntschaft zu haben, wo denn ein Austausch von Gedanken und Empfindungen gewiß den schönsten Vorteil brächte, vielleicht vermagst Du so viel über ihn, daß er sich zu einer Reise nach Karlsbad bestimmen läßt, wo ich doch beinah' jedes Jahr hinkomme und die beste Muße haben würde, von ihm zu hören und zu lernen; ihn belehren zu wollen, wäre wohl selbst von Einsichtigern als ich Frevel, da ihm sein Genie vorleuchtet und ihm oft wie durch einen Blitz Hellung gibt, wo wir im Dunkel sitzen und kaum ahnen, von welcher Seite der Tag anbrechen werde.

Sehr viel Freude würde es mir machen, wenn Beethoven mir die beiden komponierten Lieder von mir schicken wollte, aber hübsch deutlich geschrieben, ich bin sehr begierig sie zu hören, es gehört mit zu meinen erfreulichsten Genüssen, für die ich sehr dankbar bin, wenn ein solches Gedicht früherer Stimmung mir durch eine Melodie (wie Beethoven ganz richtig erwähnt) wieder aufs neue versinnlicht wird.

Schließlich sage ich Dir noch einmal den innigsten Dank für Deine Mitteilungen und Deine Art mir wohlzutun, da Dir alles so schön gelingt, da Dir alles zu belehrendem, freudigem Genuß wird, welche Wünsche könnten da noch hinzugefügt werden, als daß es ewig so fortwähren möge; ewig auch in Beziehung auf mich, der den Vorteil nicht verkennt, zu Deinen Freunden gezählt zu werden. Bleibe mir daher, was Du mit so großer Treue warst, sooft Du auch den Platz wechseltest und sich die Gegenstände um Dich her veränderten und verschönerten.

Auch der Herzog grüßt Dich und wünscht, nicht ganz von Dir vergessen zu sein. Ich erhalte wohl noch Nachricht von Dir in meinem Karlsbader Aufenthalt bei den drei Mohren.

Am 6. Juni 1810.

G.


An Goethe

Liebster Freund! Dem Beethoven hab' ich Deinen schönen Brief mitgeteilt, soweit es ihn anging, er war voll Freude und rief: »Wenn ihm jemand Verstand über Musik beibringen kann, so bin ich's.« Die Idee, Dich im Karlsbad aufzusuchen, ergriff er mit Begeistrung, er schlug sich vor den Kopf und sagte: »Konnte ich das nicht schon früher getan haben? – Aber wahrhaftig, ich hab' schon daran gedacht, ich hab's aus Timidität unterlassen, die neckt mich manchmal, als ob ich kein rechter Mensch wär', aber vor dem Goethe fürchte ich mich nun nicht mehr.« – Rechne daher darauf, daß Du ihn im nächsten Jahr siehst.

Nun antworte ich nur noch auf die letzten Punkte Deines Briefs, aus denen ich Honig sammle: Die Gegenstände um mich her verändern sich zwar, aber sie verschönern sich nicht, das Schönste ist ja doch, daß ich von Dir weiß, und mich würde nichts freuen, wenn Du nicht wärst, vor dem ich es aussprechen dürfte; und zweifelst Du daran, so ist Dir auch daran gelegen, und bin ich auch glücklicher, als mich alle gezählten und ungezählten Freunde je machen können. Mein Wolfgang, Du zählst nicht mit unter den Freunden, lieber will ich gar keinen zählen.

Den Herzog grüße, leg' mich ihm zu Füßen, sag' ihm, daß ich ihn nicht vergessen habe, auch keine Minute, die ich dort mit ihm erlebt habe. – Daß er mir erlaubte, auf dem Schemel zu sitzen, worauf sein Fuß ruhte, daß er sich seine Zigarre von mir anrauchen ließ, daß er meine Haarflechte aus den Krallen des bösen Affen befreite und gar nicht lachte, obschon es sehr komisch war, das vergesse ich gar nicht, wie er dem Affen so bittend zuredete; dann der Abend beim Souper, wo er dem Ohrenschlüpfer den Pfirsich hinhielt, daß er sich darin verkriechen sollte, und wie jemand anders das Tierchen vom Tisch herunterwarf, um es tot zu treten; er wendete sich zu mir und sagte: »So böse sind Sie nicht, das hätten Sie nicht getan!« – Ich nahm mich zusammen in dieser kitzligen Affäre und sagte: »Ohrenschlüpfer soll man bei einem Fürsten nicht leiden«; er fragte: »Hat man auch die zu meiden, die es hinter den Ohren haben, so muß ich mich vor Ihnen hüten«; auch die Promenade zu den jungen ausgebrüteten Enten, die ich mit ihm zählte, wo Du dazu kamst und über unsere Geduld Dich schon lange gewundert hattest, ehe wir fertig waren, und so könnte ich Dir Zug für Zug jeden Moment wieder herbeirufen, der mir in seiner Nähe gegönnt war. Wer ihm nah sein darf, dem muß wohl werden, weil er jeden gewähren läßt und doch mit dabei ist und die schönste Freiheit gestattet und nicht unwillig ist um die Herrschaft des Geistes und dennoch sicher ist, einen jeden durch diese großartige Milde zu beherrschen. Das mag ins Große und Allgemeine gehen, so wie ich's im Kleinen und Einzelnen erfahren habe. Er ist groß, der Herzog, und wächst dennoch, er bleibt sich selber gleich, gibt jeglichen Beweis, daß er sich überbieten kann. So ist der Mensch, der einen hohen Genius hat, er gleicht ihm, er wächst so lange, bis er eins mit ihm wird.

Danke ihm in meinem Namen, daß er an mich denkt, beschreibe ihm meine zärtliche Ehrfurcht. Wenn mir wieder beschert ist, ihn zu sehen, dann werde ich von seiner Gnade den möglichsten Ertrag ziehen.

Morgen packen wir auf und gehen hin, wo lauter böhmische Dörfer sind. Wie oft hat mir Deine Mutter gesagt, wenn ich ihr allerlei Projekte machte: »Das sind lauter böhmische Dörfer«, nun bin ich begierig, ein böhmisches Dorf zu sehen. Beide Lieder von Beethoven sind hier beigelegt, die beiden andern sind von mir, Beethoven hat sie gesehen und mir viel Schönes darüber gesagt, daß wenn ich mich dieser Kunst gewidmet hätte, ich große Hoffnungen darauf bauen könnte; ich aber streife sie nur im Flug; denn meine Kunst ist Lachen und Seufzen in einem Säckelchen, und über die ist mir keine.

Adieu! Vieles hole ich noch nach im böhmischen Schloß Bukowan.

Bettine.


An Goethe.

Bukowan im Praginer Kreis: Juli.

Wie bequem ist's, wie lieblich an Dich zu denken unter diesem Dach von Tannen und Birken, die den heißen Mittag in hoher Ferne halten. Die schweren Tannzapfen glänzen und funkeln mit ihrem Harze, wie tausend kleine Tagsterne, machen's droben nur noch heißer und hier unten kühler. Der blaue Himmel deckt mein hohes enges Haus; ich messe rücklings seine Ferne, wie er unerreichbar scheint, doch trug mancher schon den Himmel in der Brust; ist mir doch, als hab' auch ich ihn in mir festgehalten einen Augenblick, diesen weitgedehnten über Berg und Tal hinziehenden: über alle Ströme Brücken; durch alle Felsen, Höhlen; über Stock und Stein in einem Strich fort, der Himmel über mir, bis dort an Dein Herz, da sinkt er mit mir zusammen.

Liegt es denn nur in der Jugend, daß sie so innig wolle, was sie will? – Bist Du nicht so? Begehrst nicht nach mir? – Möchtest Du nicht zuweilen bei mir sein? – Sehnsucht ist ja doch die rechte Fährte, sie weckt ein höheres Leben, gibt helle Ahnung noch unerkannter Wahrheiten, vernichtet allen Zweifel und ist sie die sicherste Prophetin seines Glückes.

Dir sind alle Reiche aufgetan, Natur, Wissenschaft und Kunst, aus allen sind den Fragen Deiner Sehnsucht göttliche Wahrheiten zugeströmt. – Was hab' ich? Ich habe Dich auf tausend Fragen.

Hier in der tiefen Felsschlucht denk' ich so allerlei; – ich hab' mich einen halsbrechenden Weg heruntergewagt, wie werd' ich wieder hinaufkommen an diesen glatten Felswänden, an denen ich vergeblich die Spur suche, wo ich herabgeglitten bin. Selbstvertrauen ist Vertrauen auf Gott, er wird mich doch nicht stecken lassen! – Ich lieg' hier unter frischen hohen Kräutern, die mir die heiße Brust kühlen, viele kleine Würmchen und Spinnen klettern über mich hinaus, alles wimmelt geschäftig um mich her. Die Eidechsen schlüpfen aus ihren feuchten Löchern und heben das Köpfchen und staunen mich an mit ihren klugen Augen und schlüpfen eilig zurück; sie sagen's einander, daß ich da bin; – ich der Liebling des Dichters – es kommen immer mehr und gucken.

Ach, schöner Sommernachmittag! Ich brauch' nicht zu denken, der Geist sieht müßig hinauf in die kristallne Luft. – Kein Witz, keine Tugend, nackt und bloß ist die Seele, in der Gott sein Ebenbild erkennt.

Die ganze Zeit war Regenwetter, heute brennt die Sonne wieder. Nun lieg' ich hier zwischen Steinen auf weichem Moos von vielen Frühlingen her, die jungen Tannen dampfen heißes Harz aus und rühren mit den Ästen meinen Kopf. Ich muß jedem Fröschchen nachgucken, mich gegen Heuschrecken und Hummeln wehren, dabei bin ich so faul – was soll ich mit Dir schwätzen, hier wo ein Hauch das Laub bewegt, durch das die Sonne auf meine geschloßnen Augenlider spielt? – Guter Meister! Hör' in diesem Lispeln, wie sehr Du meine Einsamkeit beglückst; der Du alles weißt und alles fühlst und weißt, wie wenig die Worte dem innern Sinn gehorchen. – Wann soll ich Dich wiedersehen? – Wann? – Daß ich mich nur ein klein wenig an Dich anlehnen möge und ausruhen, ich faules Kind.

Bettine.

*

Wie ich gestern aus meiner Faulheit erwachte und mich besann, da waren die Schatten schon lang geworden; ich mußte mich an den jungen Birkenstämmchen, die aus den Felsritzen wachsen, aus meiner Untiefe heraufschwingen, das Schloß Bukowan mit seinen roten Dächern und schönen Türmen sah ich nirgends, ich wußte nicht, welchen Weg ich einschlagen sollte, und entschloß mich kurz, ein paar Ziegen nachzugehen, die brachten mich wieder zu Menschen, mit denen sie in einer Hütte wohnen, ich machte diesen verständlich, daß ich nach Bukowan wolle, sie begleiteten mich, der Tag ging schlafen, der Mond ging auf, ich sang, weil ich doch nicht mit ihnen sprechen konnte, nachher sangen sie wieder, und so kam ich am späten Abend an, ein paarmal hatte ich Angst, die Leute könnten mich irreführen, und war recht froh, wie ich in meiner kleinen Turmstube saß.

Ich bin übrigens nicht ohne Beschäftigung, so einsam es auch ist, an einem Morgen hab' ich mehrere Hundert kleine Backsteine gemacht, das Bauen ist meine Freude, mein Bruder Christian ist ein wahres Genie, er kann alles, eben ist das Modell einer kleinen Schmiede fertig geworden, das nun auch gleich im großen ausgeführt werden soll. Die Erfindungsgabe dieses Bruders ist ein unversiegbarer Quell, und ich bin sein bester Handlanger, soweit meine Kräfte reichen, mehrere ideale Gebäude stehen in kleinen Modellen um uns her in einem großen Saal, und da sind der Aufgaben so viele, die ich zu lösen habe, daß ich abends oft ganz müde bin, es hindert mich jedoch nicht, morgens den Sonnenaufgang auf dem Pedeetsch zu erwarten, ein Berg, der rund ist wie ein Backofen und hiervon den Namen trägt (denn Pedeetsch heißt auf Böhmisch Backofen), etwas erhöht über hundert seinesgleichen, die wie ein großes Lager von Zelten ihn umgeben, da seh' ich und abermals und abermals die Welt dem Licht erwachen; alleine und einsam wie ich bin, kämpft's in meiner Seele, müßte ich länger hier bleiben, so schön es auch ist, ich könnt's nicht aushalten. Vor kurzem war ich noch in der großen Wienstadt, ein Treiben, ein Leben unter den Menschen, als ob es nie aufhören sollte, da wurden in Gemeinschaft die üppigen Frühlingstage verlebt, in schönen Kleidern ging man gesellig umher. Jeder Tag brachte neue Freude und jeder Genuß wurde eine Quelle interessanter Mitteilungen, über das alles hinaus ragte mir Beethoven, der große, übergeistige, der uns in eine unsichtbare Welt einführte, und der Lebenskraft einen Schwung gab, daß man das eigne beschränkte Selbst zu einem Geisteruniversum erweitert fühlte. Schade, daß er nicht hier ist in dieser Einsamkeit, daß ich über seinem Gespräch das ewige Zirpen jener Grille vergessen möchte, die nicht aufhört mich zu mahnen, daß nichts außer ihrem Ton die Einsamkeit unterbricht. – Heute habe ich mich eine ganze Stunde exerziert, einen Kranz von Rosen mit dem Stock auf ein hohes steinernes Kreuz zu schwingen, das am Fahrweg steht, es war vergebens, der Kranz entblätterte, ich setzte mich ermüdet auf die Bank darunter, bis der Abend kam, und dann ging ich nach Hause. Kannst Du glauben, daß es mich sehr traurig machte, so einsam nach Hause zu gehen, und daß es mir war, als hänge ich mit nichts zusammen in der Welt, und daß ich unterwegs an Deine Mutter dachte, wenn ich im Sommer zum Eschenheimer Tor hereinkam vom weiten Spaziergang, da lief ich zu ihr hinauf, ich warf Blumen und Kräuter, alles, was ich gesammelt hatte, mitten in die Stube und setzte mich dicht an sie heran und legte den Kopf ermüdet auf ihren Schoß; sie sagte: »Hast Du die Blumen so weit hergebracht und jetzt wirfst du sie alle weg«, da mußte ihr die Lieschen ein Gefäß bringen, und sie ordnete den Strauß selbst, über jede einzelne Blume hielt sie ihre Betrachtung und sagte vieles, was mir so wohltätig war, als schmeichle mir eine liebe Hand; sie freute sich, daß ich alles mitbrachte, Kornähren und Grassamen und Beeren am Aste, hohe Dolden, schöngeformte Blätter, Käfer, Moose, Samendolden, bunte Steine, sie nannte es eine Musterkarte der Natur und bewahrte es immer mehrere Tage; manchmal bracht' ich ihr auserlesene Früchte und verbot ihr, sie zu essen, weil sie zu schön waren, sie brach gleich einen schöngestreiften Pfirsich auf und sagte: »Man muß allem Ding seinen Willen tun, der Pfirsich läßt mir nun doch keine Ruh', bis er verzehrt ist.« In allem, was sie tat, glaubt' ich Dich zu erkennen, ihre Eigenheiten und Ansichten waren mir liebe Rätsel, in denen ich Dich erriet.

Hätt' ich die Mutter noch, so wüßt' ich, wo ich zu Hause wär', ich würde ihren Umgang allem andern vorziehen, sie machte mich sicher im Denken und Handeln, manchmal verbot sie mir etwas, wenn ich aber doch als meinem Eigensinn gefolgt war, verteidigte sie mich gegen alle, und da holte sie aus in ihrem Enthusiasmus wie der Schmied, der das glühende Eisen auf dem Ambos hat, sie sagte: »Wer der Stimme in seiner Brust folgt, der wird seine Bestimmung nicht verfehlen, dem wächst ein Baum aus der Seele, aus dem jede Tugend und jede Kraft blüht, und der die schönsten Eigenschaften wie köstliche Äpfel trägt, und Religion, die ihm nicht im Weg ist, sondern seiner Natur angemessen, wer aber dieser Stimme nicht horcht, der ist blind und taub und muß sich von andern hinführen lassen, wo ihre Vorurteile sie selbst hin verbannen. Ei«, sagte sie, »ich wollte ja lieber vor der Welt zuschanden werden, als daß ich mich von Philisterhand über einen gefährlichen Steig leiten ließ, am End' ist auch gar nichts gefährlich als nur die Furcht selber, die bringt einem um alles.« Grad' im letzten Jahr war sie am lebendigsten und sprach über alles, mit gleichem Anteil, aus den einfachsten Gesprächen entwickelten sich die feierlichsten und edelsten Wahrheiten, die einem für das ganze Leben ein Talisman sein konnten; sie sagte: »Der Mensch muß sich den besten Platz erwählen, und den muß er behaupten sein Leben lang und muß all seine Kräfte daran setzen, dann nur ist er edel und wahrhaft groß. Ich meine nicht einen äußern, sondern einen innern Ehrenplatz, auf den uns stets diese innere Stimme hinweist, könnten wir nur das Regiment führen in uns selbst, wie Napoleon das Regiment der Welt führt, da würde sich die Welt mit jeder Generation erneuern und über sich selbst hinausschwingen. So bleibt's immer beim Alten, weil's halt keiner in sich weiter treibt wie der vorige, und da langweilt man sich schon, wenn man auch eben erst angekommen ist, ja, man fühlt's gleich, wenn man's auch zum erstenmal hört, daß die Weisheit schon altes abgedroschnes Zeug ist.« – Ihre französische Einquartierung mußte ihr viel von Napoleon erzählen, da fühlte sie mit alle Schauer der Begeisterung; sie sagte: »Der ist der Rechte, der in allen Herzen widerhallt mit Entzücken, Höheres gibt es nichts, als daß sich der Mensch im Menschen fühlbar mache«, und so steigere sich die Seligkeit durch Menschen und Geister wie durch eine elektrische Kette, um zuletzt als Funken in das himmlische Reich überzuspringen. – Die Poesie sei dazu, um das Edle, Einfache, Große aus den Krallen des Philistertums zu retten, alles sei Poesie in seiner Urpsprünglichkeit, und der Dichter sei dazu, diese wieder hervorzurufen, weil alles nur als Poesie sich verewige; ihre Art zu denken hat sich mir so tief eingeprägt, ich kann mir in ihrem Sinn auf alles Antwort geben, sie war so entschieden, daß die allgemeine Meinung durchaus keinen Einfluß auf sie hatte, es kam eben alles aus so tiefem Gefühl, sie sagte mir oft, ihre Vorliebe für mich sei bloß aus der verkehrten Meinung andrer Leute entstanden, da habe sie gleich geahnet, daß sie mich besser verstehen werde. – Nun, ich werde mich noch auf alles besinnen; denn mein Gedächtnis wird mir doch nicht weniger treu sein wie mein Herz. Am Pfingstfest, in ihrem letzten Lebensjahr, da kam ich aus dem Rheingau, um sie zu besuchen, sie war freudig überrascht, wir fuhren ins Kirschenwäldchen; es war so schön Wetter, die Blüten wirbelten leise um uns herab wie Schnee, ich erzählte ihr von einem ähnlichen schönen Feiertag, wie ich erst dreizehn Jahr' alt gewesen, da hab' ich nachmittags allein auf einer Rasenbank gesessen, und da habe sich ein Kätzchen auf meinen Schoß in die Sonne gelegt und sei eingeschlafen, und ich bin sitzen geblieben, um sie nicht zu stören, bis die Sonne unterging, da sprang die Katze fort. Die Mutter lachte und sagte: »Damals hast du vom Wolfgang noch nichts gewußt, da hast du mit der Katze vorlieb genommen.«

Ja, hätte ich die Mutter noch! Mit ihr brauchte man nicht Großes zu erleben, ein Sonnenstrahl, ein Schneegestöber, der Schall eines Posthorns weckte Gefühle, Erinnerung und Gedanken. – Ich muß mich schämen vor Dir, daß ich so verzagt bin. Bist Du mir nicht gut und nimmst mich auf wie eine gute Gabe? – Und kann einer Gabe annehmen, der sich nicht hingibt der Gabe? – Und ist das Gabe, die nicht ganz und immerdar sich gibt? Geht auch ein Schritt vorwärts, der nicht in ein neues Leben geht ? – Geht einer rückwärts, der nicht mit dem ewigen Leben verfallen wäre? – Siehst Du, das ist ein sehr einfaches Rechenexempel, warum man nicht verzagen soll, weil das Ewige keine Grenze hat. Wer will der Liebe, wer kann dem Geist Grenzen setzen? – Wer hat je geliebt, der sich etwas vorbehalten habe? Vorbehalt ist Selbstliebe. Das irdische Leben ist Gefängnis, der Schlüssel zur Freiheit ist Liebe, sie führt aus dem irdischen Leben ins Himmlische. – Wer kann aus sich selbst erlöst werden ohne die Liebe? Die Flamme verzehrt das Irdische, um dem Geist grenzenlosen Raum zu gewinnen, der auffliegt zum Äther; der Seufzer, der sich in der Gottheit auflöst, hat keine Grenze. Nur der Geist hat ewige Wirkung, ewiges Leben, alles andre stirbt. Gute Nacht; gute Nacht, es ist um die Geisterstunde.

Dein Kind, das sich an Dich drängt aus
Furcht vor seinen eignen Gedanken.


An Bettine.

Da Du in der Fülle interessanter Begebenheiten und Zerstreuungen der volkreichsten Stadt nicht versäumt hast, mir so reichhaltige Berichte zu senden, so wäre es unbillig, wenn ich jetzt in Deinen verborgnen Schlupfwinkel Dir nicht auch ein Zeichen meines Lebens und meiner Liebe dahinüber schickte. Wo steckst Du denn? – Weit kann es nicht sein; die eingestreuten Lavendelblüten in Deinem Brief ohne Datum waren noch nicht welk, da ich ihn erhielt, sie deuten an, daß wir einander vielleicht näher sind, als wir ahnen konnten. Versäume ja nicht bei Deinen allseitigen Treiben und wunderlichen Versuchen, der Göttin Gelegenheit einen Tempel aus gemachten Backsteinen zu errichten, und erinnere Dich dabei, daß man sie ganz kühn bei den drei goldnen Haaren ergreifen muß, um sich ihrer Gunst zu versichern. Eigentlich hab' ich Dich schon hier, in Deinen Briefen, in Deinen Andenken und lieblichen Melodien und vor allem in Deinem Tagebuch, mit dem ich mich täglich beschäftige, um mehr und mehr Deiner reichen erhabenen Phantasie mächtig zu werden, doch möchte ich Dir auch mündlich sagen können, wie Du mir wert bist.

Deine Weissagungen über Menschen und Dinge, über Vergangenheit und Zukunft sind mir lieb und nützlich, und ich verdiene auch, daß Du mir das Beste gönnst. – Treues, liebevolles Andenken hat vielleicht einen bessern Einfluß auf Geschick und Geist als die Gunst der Sterne selbst, von denen wir ja doch nicht wissen, ob wir sie nicht den Beschwörungen schöner Liebe zu danken haben.

Von der Mutter schreib alles auf, es ist mir wichtig; sie hatte Kopf und Herz zur Tat wie zum Gefühl.

Was Du auf Deiner Reise gesehen und erfahren hast, schreib mir alles, lasse Dich die Einsamkeit nicht böslich anfallen, Du hast Kraft, ihr das Beste abzugewinnen.

Schön wär's, wenn das liebe Böhmer Gebirg' nun auch Deine liebe Erscheinung mir bescherte. Lebe wohl, liebstes Kind, fahre fort, mit mir zu leben, und lasse mich Deine lieben ausführlichen Briefe nicht missen.

Goethe.


An Goethe.

Dein Brief war ganz rasch da, ich glaubte, Deinen Atem noch darin zu erhaschen, noch eh' ich ihn gelesen hatte, hab' ich dem eine Falle gestellt, an der Landkarte bin ich auch gewesen. Wenn ich heute von hier abreiste, so läg' ich morgen früh zu Deinen Füßen; und wie ich an der weichen Molltonart Deines Schreibens erkenne, so würdest Du mich nicht lange da schmachten lassen, Du würdest mich bald ans Herz ziehen, und in stürmender Freude würde gleich Zimbeln und Pauken mit raschem Wirbelschlag ein durch Mark und Bein dringendes Finale der süßen Ruhe vorangehen, die mich in Deiner Gegenwart beglückt. Wem entdeck' ich's? Die kleine Reise zu Dir? – Ach, nein, ich sag's nicht, es versteht's doch keiner, wie selig es mich machen könnte, und dann ist es ja auch so allgemein, die Freude der Begeistrung zu verdammen, sie nennen es Wahnsinn und Verkehrtheit. – Glaub' nicht, daß ich sagen dürfte, wie lieb ich Dich habe, was man nicht begreift, das findet man leicht toll, ich muß schweigen. Aber der herrlichen Göttin, die mit den Philistern ihr Spiel treibt, hab' ich nach Deinem Wink und um meiner Ungeduld zu steuern, mit selbstgemachten Backsteinen schon den Grund zum Tempelchen gelegt. Hier male ich Dir den Grundriß: eine viereckige Halle in der Mitte ihrer vier Wände, Türen klein und schmal, innerhalb derselben eine zweite auf Stufen erhaben, die auch in der Mitte jeder Wand eine Tür hat; dieser Raum steht aber quer, also, daß die Ecken auf die vier Türen der äußeren Halle gerichtet sind; in diesem ein dritter viereckiger Raum, der auf Stufen erhöht liegt, nur eine Tür hat und wieder mit dem äußersten Raum gleich steht, die drei Ecken, welche sich durch den innersten Raum in dem zweiten abschneiden und durch große Öffnungen sich an denselben anschließen, während die vierte Ecke den Eingang zur Tür bildet, stellen die Gärten der Hesperiden dar, in der Mitte auf weichgepolstertem Thron die Göttin; nachlässig hingelehnt, schießt sie ohne Wahl nur spielend nach den goldnen Äpfeln der Hesperiden, die mit Jammer zusehen müssen, wie die vom Pfeil zufällig durchschoßnen Äpfel über die umwachte Grenze hinausfliegen. – O Goethe! Wer nun von außen die rechte Tür wählt und ohne langes Besinnen durch die Vorhalle grade zum innersten Tempel gelangt, den Apfel am fliegenden Pfeil kühn erhascht, wie glücklich ist der!

Die Mutter sagte: alle schönen Empfindungen des Menschengeistes, wenn sie auch auf Erden nicht auszuführen seien, so wären sie dem Himmel, wo alles ohne Leib, nur im Geist da sei, doch nicht verloren. Gott habe gesagt, er werde, und habe dadurch die ganze schöne Welt erschaffen, ebenso sei dem Menschen diese Kraft eingeboren, was er im Geist erfinde, das werde durch diese Kraft im Himmel erschaffen. Denn der Mensch baue sich seinen Himmel selbst und seine herrlichen Erfindungen verzieren das ewige unendliche Jenseits; in diesem Sinne also baue ich unserer Göttin den schönen Tempel, ich bekleide seine Wände mit lieblichen Farben und Marmorbildern, ich lege den Boden aus mit bunten Steinen, ich schmücke ihn mit Blumen und erfülle durchwandelnd die Hallen mit dem Duft des Weihrauchs, auf den Zinnen aber bereite ich dem glückbringenden Storch ein bequemes Nest, und so vertreibe ich mir die ungeduldige Zeit, die mich aus einer Aufregung in die andere stürzt. – Ach, ich darf gar nicht hinhorchen in die Ferne wie sonst, wenn ich in der waldrauschenden Einsamkeit auf das Zwitschern der Vögel lauschte, um ihr Nestchen zu entdecken. Jetzt am hohen Mittag sitz' ich allein im Garten und möchte nur fühlen – nicht denken – was Du mir bist; da kommt leise der Wind, als käm' er von Dir; er legt sich so frisch ans Herz – er spielt mit dem Staub zu meinen Füßen und jagt unter die tanzenden Mückchen, er streift mir die heißen Wangen, hält schmeichelnd den Brand der Sonne auf; am unbeschnittnen Rebengeländer hebt er die Ranken und flüstert in den Blättern, dann streift er eilend über die Felder, über die neigenden Blumen. Brachte er Botschaft? Hab' ich ihn recht verstanden? – Ist's gewiß? Er soll mich tausendmal grüßen vom Freund, der gar nicht weit von hier meiner harrt, um mich tausendmal willkommen zu heißen? – Ach, könnt' ich noch einmal ihn fragen! – Er ist fort; laß ihn ziehen zu andern, die auch sich sehnen, ich wende mich zu ihm, der allein mein Herz ergreift, mein Leben erneut mit seinem Geist, mit dem Hauch seiner Worte.

*

Montag.

Frag' nur nicht nach dem Datum, ich habe keinen Kalender, und ich muß Dir gestehen, es ist, als ob sich's nicht schicke für meine Liebe, daß ich mich um die Zeit bekümmere. Ach Goethe! Ich mag nicht hinter mich sehen und auch nicht vor mich. Dem himmlischen Augenblick ist die Zeit ein Scharfrichter, das scharfe Schwert, das sie über ihm schwingt, seh' ich mit scheuer Ahnung blitzen; nein, ich will nicht fragen nach der Zeit, wo ich fühle, daß die Ewigkeit mir den Genuß nicht über die Grenze des Augenblicks ausdehnen würde; aber doch, wenn Du wissen willst, über's Jahr vielleicht – oder in späterer Zeit, wann es doch war, daß mich die Sonne braun gebrannt hat und ich's nicht spürte vor tiefem Sinnen an Dich; so merk' es Dir, es ist grade, wo die Johannisbeeren reif sind, der spekulierende Geist des Bruders will sich in einem trefflichen Goose-beery vine versuchen, ich helfe keltern. Gesten abend im Mondlicht haben wir Traubenlese gehalten, da flogen unzählige Nachtfalter mir um den Kopf; wir haben eine ganze Welt träumerischer Geschöpfe aufgestört bei dieser nächtlichen Ernte, sie waren ganz irre geworden. Wie ich in mein Zimmer kam, fand ich unzählige, die das Licht umschwärmten, sie dauerten mich, ich wollte ihnen wieder hinaushelfen, ich hielt lange das Licht vors Fenster und habe die halbe Nacht mit zugebracht, es hat mich keine Mühe verdrossen. Goethe, habe doch auch Geduld mit mir, wenn ich Dich umschwärme und von den Strahlen Deines Glanzes mich nicht trennen will, da möchtest Du mir wohl auch gern nach Hause leuchten.

Bettine.

*

Dienstag.

Heute morgen hat der Christian, der auch Arzneiwissenschaft treibt, eine zahme Wachtel kuriert, die in meinem Zimmer herumläuft und krank war, er versuchte ihr einen Tropfen Opium einzuflößen, unversehens trat er auf sie, daß sie ganz platt und tot dalag. Er faßte sie rasch und ribbelte sie mit beiden Händen wieder rund, da lief sie hin, als wenn ihr nichts gefehlt hätte, und die Krankheit ist auch vorbei, sie macht sich gar nicht mehr dick, sie frißt, sie säuft, badet sich und singt, alles staunt die Wachtel an.

*

Mittwoch.

Heute gingen wir auf's Feld, um die Wirkung einer Maschine zu sehen, mit der Christian bei großer Dürre die Saaten wässern will; ein sich weit verbreitender Perlenregen spielte in der Sonne und machte uns viel Vergnügen. Mit diesem Bruder geh' ich gern spazieren, er schlendert so vor mir her und findet überall was Merkwürdiges; er kennt das Leben der kleinen Insekten und ihre Wohnungen, und wie sie sich nähren und mehren; alle Pflanzen nennt er und kennt ihre Abkunft und Eigenschaften, manchmal bleibt er den ganzen Tag auf einem Fleck liegen und simuliert, wer weiß, was er da alles denkt, in keiner Stadt gäb's so viel zu tun, als was seine Erfindsamkeit jeden Augenblick ausheckt; bald hab' ich beim Schmied, bald bei dem Zimmermann oder Maurer subtile Geschäfte für ihn, bei dem einen zieh' ich den Blasbalg, bei dem andern halte ich Schnur und Richtmaß. Mit der Nähnadel und Schere muß ich auch eingreifen; eine Reisemütze hat er erfunden, deren Zipfel sich in einen Sonnenschirm ausbreitet, und einen Reisewagen rund wie eine Pauke, mit Lämmerfell ausgeschlagen, der von selbst fährt; Gedichte macht er auch, ein Lustspiel hat er gemacht zum Lachen für Mund und Herz; auf der Flöte bläst er in die tiefe Nacht hinein selbstgemachte, sehr schöne brillante Variationen, die im ganzen Praginer Kreis widerhallen. Er lehrt mich reiten und das Pferd regieren wie ein Mann; er läßt mich ohne Sattel reiten und wundert sich, daß ich sitzen bleib' im Galopp. Der Gaul will mich nicht fallen lassen, er kneipt mich in den Fuß zum Scherz und daß ich Mut haben soll, er ist vielleicht ein verwünschter Prinz, dem ich gefall'. Fechten lehrt mich der Christian auch, mit der linken Hand und mit der rechten, und nach dem Ziel schießen nach einer großen Sonnenblume, das lern' ich alles mit Eifer, damit mein Leben doch nicht gar zu dumm wird, wenn's wieder Krieg gibt; heute abend waren wir auf der Jagd und haben Schmetterlinge geschossen, zwei hab' ich getroffen auf einen Schuß.

So geht der Tag rasch vorüber, erst fürchtete ich vor Zeitüberfluß allzulange Briefe zu schreiben oder Dich mit spekulativen Gedanken über Gott und Religion zu behelligen, weil ich in Landshut viel in der Bibel gelesen habe und in Luthers Schriften. Jetzt ist mir alles so rund wie die Weltkugel, wo denn gar nichts zu bedenken ist, weil wir nirgendwo herunterfallen können. Deine Lieder singe ich im Gehen in der freien Natur, da finden sich die Melodien von selbst, die meiner Erfindung den rechten Rhythmus geben; in der Wildnis mach' ich bedeutende Fortschritte, das heißt, kühne Sätze von einer Klippe zur nächsten. Da hab' ich einen kleinen Tummelplatz von Eichhörnchen entdeckt, unter einem Baum lagen eine große Menge dreieckiger Nüsse, auf dem Baum saßen zum wenigsten ein Dutzend Eichhörnchen und warfen mir die Schalen auf den Kopf, ich blieb still unten liegen und sah durch die Zweige ihren Ballettsprüngen und mimischen Tanz zu, was man mit so großem Genuß verzehren sieht, das macht einem auch unwiderstehlichen Appetit, ich habe ein ganzes Tuch voll dieser Nüsse, die man Bucheckern nennt, gesammelt und die ganze Nacht daran geknuspert wie die Eichhhörnchen; wie schön speisen die Tiere des Waldes, wie anmutig bewegen sie sich dabei, und wie beschreibt sich in ihren Bewegungen der Charakter ihrer Nahrungsmittel. Man sieht der Ziege gleich an, daß sie gerne säuerliche Kräuter frißt, denn sie schmatzt. Die Menschen seh' ich nicht gerne essen, da fühl' ich mich beschämt. Der Geruch aus der Küche, wo allerlei bereitet wird, kränkt mich, da wird gesotten und gebraten und gespickt; Du weißt vielleicht nicht, was das ist? – Das ist eine gewaltig große Nähnadel, in die wird Speck eingefädelt, und damit wird das Fleisch der Tiere benäht, da setzen sich die vornehmen, gebildeten Männer, die den Staat regieren, an die Tafel und kauen in Gesellschaft. In Wien, wie sie den Tirolern Verzeihung für die Revolution ausgemacht haben, die sie doch selbst angezettelt hatten, und haben den Hofer an die Franzosen verkauft, das ist alles bei Tafel ausgemacht worden, mit trunknem Mut ließ sich das ohne sonderliche Gewissenbisse einrichten.

Die Diplomaten haben zwar die List des Teufels, der Teufel hat sie aber doch zum besten, das sieht man an ihren närrischen Gesichtern, auf denen der Teufel alle ihre Intrigen abmalt. In was liegt denn die höchste Würde als nur im Dienst der Menschheit, welche herrliche Aufgabe für den Landesherrn, daß alle Kinder kommen und flehen: »Gib uns unser täglich Brot!« – Und daß er sagen kann: »Da habt! Nehmt alles, denn ich bedarf nur, daß ihr versorgt seid«, ja wahrlich! Was kann einer für sich haben wollen als alles nur für andre zu haben, das wäre der beste Schuldentilger; aber den armen Tirolern haben sie doch ihre Schulden nicht bezahlt. Ach, was geht mich das alles an, der Bote geht ab, und nun hab' ich Dir nichts geschrieben von vielem, was ich Dir sagen wollte, ach, wenn es doch käme, daß ich Dir bald begegnete, was gewiß werden wird, ja, es muß wahr werden. Dann wollen wir alle Welthändel sein lassen und wollen jede Minute gewissenhaft verwenden.

Bettine.


An Bettine.

Töplitz.

Deine Briefe, allerliebste Bettine, sind von der Art, daß man jederzeit glaubt, der letzte sei der interessanteste. So ging mir's mit den Blättern, die Du mitgebracht hattest, und die ich am Morgen Deiner Abreise fleißig las und wieder las. Nun aber kam Dein letztes, das alle die andern übertrifft. Kannst Du so fortfahren, Dich selbst zu überbieten, so tue es, Du hast so viel mit Dir genommen, daß es wohl billig ist, etwas aus der Ferne zu senden. Gehe Dir's wohl!

Goethe.

Deinen nächsten Brief muß ich mir unter gegenüberstehender Adresse erbitten, wie ominös! O weh! Was wird er enthalten?

Durch Herrn Hauptmann von Verlohren in Dresden.

 Top