Seinem Denkmal


An Goethe.

16. Juni.

Gott lasse mir den einzigen Wunsch gedeihen, Dich wieder zu sehen, und zögere nicht allzulang. Soeben vernehme ich, daß jemand von meiner Bekanntschaft nach Weimar geht. Das bläst die Asche von der Glut, mich hält's, daß ich von hier aus die Tiroler Berge sehen kann, sonst nichts. Es martert mich alle Tage, nicht zu wissen, was dort vorgeht; ich käme mir vor wie ein feiger Freund, wenn ich mich dem Einfluß, den die Nähe des bedrängten Landes auf mich hat, entziehen wollte; wahrhaftig, wenn ich abends von meinem Schneckenturm die Sonne dort untergehen sehe, da muß ich immer mit ihr.

Wir haben schon seit Wochen schlecht Wetter. Nebel und Gewölk, Wind und Regen und schmerzliche Botschaft wird indessen durch Dein Andenken wie durch einen Sonnenstrahl erhellt. – Beinah' vier Wochen hab' ich nicht geschrieben, aber ich hab' Dich diese ganze Zeit über bedacht, mit Gedanken, Wort und Werken, und nun will ich's gleich auseinandersetzen: Dürer: Selbstbildnis im Pelzrockes ist auf der hiesigen Galerie ein Bild von Albrecht Dürer, in seinem achtundzwanzigsten Jahre von ihm selbst gemalt; es hat die graziösesten Züge eines weisheitsvollen, ernsten, tüchtigen Antlitzes; aus der Miene spricht ein Geist, der die jetzigen elenden Weltgesichter niederkracht. Als ich Dich zum erstenmal sah, war es mir auffallend und bewegte zugleich zu inniger Verehrung, zu entschiedener Liebe, das sich in Deiner ganzen Gestalt aussprach, was David von den Menschen sagt: ein jeder mag König sein über sich selber. So meine ich nämlich, daß die Natur des inneren Menschen die Oberhand erringe über die Unzuverlässigkeit, über die Zufälle des äußeren, daraus entstehe die edle Harmonie, das Wesen, was sowohl über Schönheit hinaus ist als der Häßlichkeit trotzt. So bist Du mir erschienen, die geistige Erscheinung der Unsterblichkeit, die der irdischen vergänglichen Meister wird. Obschon nun Dürers Antlitz ein ganz anderes ist, so hat mich doch die Sprache seines Charakters mächtig an die Deinige erinnert, ich habe mir's kopieren lassen. – Ich hab' das Bild den ganzen Winter über auf meinem Zimmer gehabt und war nicht allein. Ich hab' mich viel in Gedanken an diesen Mann gewendet, hab' Trost und Leid von ihm empfunden, bald war mir traurig zu fühlen, wie manches, worauf man doch in sich stolz ist, zugrunde geht vor einem solchen, der recht wollte, was er wollte; bald flüchtete ich mich zu diesem Bild als zu einem Hausgott. Wenn mich die Lebenden langweilten, und daß ich Dir's recht sage: mein Herz war in manchen Stunden so tief von dem reinen Scharfblick gerührt, der aus seinen edlen Augen dringt, daß er mir mehr im Umgang war als ein Lebender. Dieses Bild nun hatte ich eigentlich für dich kopieren lassen, ich wollte Dir's als einen Sachwalter meiner Herzensangelegenheiten senden, und so verging Woche um Woche, immer mit dem festen Entschluß es die nächstfolgende abzusenden, ohne daß ich es je dazu bringen konnte, mich davon zu trennen. Mein lieber Goethe, ich hab' noch weniges gesehen in der Welt, sowohl von Kunstwerken als sonst, was mich herzlich interessierte. Daher wär' wohl meiner kindischen Art zu verzeihen. Das Bild kann ich nun nicht mehr von mir lossagen, so wie man sich von einem Freund nicht mehr lossagen kann, Dir aber will ich's schicken, meinem geliebtesten von allen. Doch, wie es das Schicksal führt, soll es nicht in andre Hände kommen, und sollte der Zufall es von Dir trennen, so müsse es wieder in meine Hände kommen. Ich hoffte, die ganze Zeit es selbst bringen zu können, indessen ist gar keine Wahrscheinlichkeit in diesem Augenblick, wenn ich nicht stets auf die kommende Zeit hoffte, so würde ich verzweifeln, Dich bald wiederzusehen; allein, daß nach der Zukunft immer wieder eine ist, das hat schon manchen Menschen alt gemacht. – Du bist mir lieb über alles, in der Erinnerung, wie in der Zukunft; der Frühling, den Deine Gegenwart in mir erschaffen hat, dauert; denn schon sind zwei Jahre um, und noch hat kein Sturm ein Blättchen vom Ast gelöst, noch hat der Regen keine Blüte zerstört, alle Abend' hauchen sie noch den süßen Duft der Erinnerung aus; ja wahrhaftig kein Abend ist bis jetzt zum Schlafen gekommen, daß ich Dich nicht bei Namen gerufen und der Zeit gedacht, da Du mich auf meinen Mund geküßt, mich in Deinen Arm genommen, und ich will stets hoffen, daß die Zeit wiederkehre. Da ich Dir nichts in der Welt vorziehe, so glaub' ich's auch von Dir. Sei Du so alt und klug wie ich, lass' mich so jung und weise sein wie Du, und so möchten wir füglich die Hand einander reichen und sein wie die beiden Jünger, die zwei verschiednen Propheten folgten in einem Lehrer.

Schreib mir, wie Du glaubst, daß ich das Bild ohne Gefahr schicken könne, aber bald. Wenn Du mir keine Gelegenheit angeben kannst, so werde ich selbst schon eine finden. Hab' niemand lieber wie mich; Du, Goethe, wärest sehr ungerecht, wenn du andre mir vorzögst, da so meisterlich, so herrlich, Natur mein Gefühl dir verwebt hat, daß Du das Salz Deines eignen Geistes in mir schmecken mußt.

Wenn kein Krieg, kein Sturm und vorab keine verwüstende Zeitung, die alles bildende Ruhe im Busen störte, dann möchte ein leichter Wind, der durch die Grashalmen fährt, der Nebel, wie er sich von der Erde löst, die Mondessichel, wie sie über den Bergen hinzieht, oder sonst einsames Anschauen der Natur einem wohl tiefe Gedanken erregen; jetzt aber in dieser beweglichen Zeit, wo alle Grundfesten ein rechtes Krachen und Gliederreißen haben, da will sie keinem Gedanken Raum gestatten, aber das, woran ein Freund teilgenommen, daß man sich auf seinen Arm gestützt, auf seiner Schulter geruht hat, dies einzige ätzt tief jede Linie der Gegenstände ins Herz, so weiß ich jeden Baum des Parks noch, an dem wir vorübergegangen, und wie Du die Äste der Zuckerplatane niederbogst und zeigtest mir die rötliche Wolle unter den jungen Blättern und sagtest, die Jugend sei wollig; und dann die runde, grüne Quelle, an der wir standen, die so ewig über sich sprudelt, bul, bul, und Du sagtest, sie rufe der Nachtigall, und die Laube mit der steinernen Bank, wo eine Kugel an der Wand liegt, da haben wir eine Minute gesessen, und Du sagtest: »Setze Dich näher, damit die Kugel nicht in Schatten komme, denn sie ist eine Sonnenuhr«, und ich war einen Augenblick so dumm, zu glauben, die Sonnenuhr könne aus dem Gange kommen, wenn die Sonne nicht auf sie scheine, und da hab' ich gewünscht, nur einen Frühling mit Dir zu sein, hast Du mich ausgelacht; da fragte ich, ob Dir dies zu lang sei; »ei nein«, sagtest du, »aber dort kommt einer gegangen, der wird gleich dem Spaß ein Ende machen«; das war der Herzog, der grad' auf uns zukam, ich wollte mich verstecken, Du warfst Deinen Überrock über mich, ich sah durch den langen Ärmel, wie der Herzog immer näher kam, ich sah auf seinem Gesicht, daß er was merkte, er blieb an der Laube stehen, was er sagte, verstand ich nicht, so große Angst hatte ich unter Deinem Überrock, so klopfte mir das Herz, Du winktest mit der Hand, das sah ich durch Deinen Rockärmel, der Herzog lachte und blieb stehen; er nahm kleine Sandsteinchen und warf nach mir, und dann ging er weiter. Da haben wir nachher noch lang geplaudert miteinander, was war's doch?, – nicht viel Weisheit, denn du verglichst mich damals mit der weisheitvollen Griechin, die den Sokrates über die Liebe belehrte, und sagtest: »Kein gescheutes Wort bringst Du vor, aber Deine Narrheit belehrt besser, wie ihre Weisheit«, – und warum waren wir da beide so tief bewegt? – daß Du von mir verlangtest mit den einfachen Worten: »Lieb' mich immer«, und ich sagte: »Ja.« – Und eine ganze Weile drauf, da nahmst Du eine Spinnwebe von dem Gitter der Laube und hingst mir's aufs Gesicht, und sagtest: »Bleib verschleiert vor jedermann und zeige niemand, was Du mir bist.« – Ach! Goethe, ich hab' dir keinen Eid der Treue getan mit den Lippen, die da zuckten vor heftiger Bewegung und keine Worte kannten; ich erinnere mich gar nicht, daß ich mit Selbstbewußtsein Dir die Treue zugesagt hätte, es ist alles mächtiger in mir wie ich, ich kann nicht regieren, ich kann nicht wollen, ich muß alles geschehen lassen. Zwei einzige Stunden waren so voll Ewigkeit; einen einzigen Frühling verlangte ich damals, und jetzt meine ich kaum, daß ich diesen bewältigen könne mein ganzes Leben lang, und mir klopft das Herz jetzt ebenso vor Unruh', wenn ich mich in die Mitte jenes Frühlings denke. Ich bin am Ende des Blattes, und wär's nicht gar zu sehr auf Dich gesündigt, so möcht' ich ein neues anfangen, um so fort zu plaudern; ich liege hier auf dem Sofa und schreibe den Brief auf einem Kissen, deswegen ist er auch so ungleich. Daß sie doch alle vergehen, wenn ich zu Dir sprechen will, diese Gedanken, die so ungerufen vor mir auf- und niedertanzen, von denen Schelling sagt: es sei unbewußte Philosophie.

Lebe wohl! So wie die vom Wind getragne Samenflocke auf den Wellen hintanzt, so spielt meine Phantasie auf diesem mächtigen Strom Deines ganzen Wesens und scheut nicht, drin unterzugehen; möchte sie doch! welch seliger Tod! –

Geschrieben am 16. Juni in München an einem Regentag, wo zwischen Schlaf und Wachen die Seele nach Wind und Wetter sich bequemte.

Bettine.
 

Bleib ihr gut, schreib ihr bald und grüß' die Deinen.


An Bettine.

In zwei Deiner Briefe hast Du ein reiches Füllhorn über mich ergossen, liebe Bettine, ich muß mich mit Dir freuen und mit Dir betrüben und kann des Genusses nimmer satt werden. So lasse Dir denn genügen, daß die Ferne Deinen Einfluß nicht mindert, da Du mit unwiderstehlicher Gewalt mich den mannigfachen Einwirkungen Deiner Gefühle unterwirfst, und daß ich Deine bösen wie Deine guten Träume mit träumen muß. Was Dich nun mit Recht so tief bewegt, über das verstehst Du auch allein Dich wieder zu erheben, hierüber schweigt man denn wie billig und fühlt sich beglückt, mit Dir in Befreundung zu stehen und Anteil an Deiner Treue und Güte zu haben; da man doch Dich lieben lernen müßte, selbst wenn man nicht wollte.

Du scheinst denn auch Deine liebenswürdige despotische Macht an verschiednen Trabanten zu üben, die Dich als ihren erwählten Planeten umtanzen. Der humoristische Freund, der mit Dir die Umgegend rekognosziert, scheint wohl nur durch die Atmosphäre der heißen Junitage dem Schlaf zu unterliegen, während er träumend das anmutige Bild Deiner kleinen Person rekognosziert, da mag es ihm denn freilich nicht beikommen, daß Du ihn unterdessen dahin versetzen möchtest, wo Dein heroischer Geist selber weilt.

Was Du mir von Jacobi erzählst, hat mich sehr ergötzt, seine jugendlichen Eigenheiten spiegeln sich vollkommen darin; es ist eine geraume Zeit her, daß ich mich nicht persönlich mit ihm berührt habe, die artige Schilderung Deiner Erlebnisse mit ihm auf der Seefahrt, die Dein Mutwille ausheckte, haben mir ähnliche heitere Tage unseres Umgangs wieder zurückgerufen. Zu loben bist Du, daß Du keiner authentischen Gewalt bedarfst, um den Achtungswerten ohne Vorurteil zu huldigen. So ist gewiß Jacobi unter allen strebenden und philosophierenden Geistern der Zeit derjenige, der am wenigsten mit seiner Empfindung und ursprünglichen Natur in Widerspruch geriet und daher sein sittliches Gefühl unverletzt bewahrte, dem wir als Prädikat höherer Geister unsere Achtung nicht versagen möchten. Wolltest Du nun auf Deine vielfach erprobte anmutige Weise ihm zu verstehen geben, wie wir einstimmen in die wahre Hochachtung, die Du unter Deinen liebenwürdigen Koboldstreichen verbirgst, so wäre dies ganz in meinem Sinne gehandelt.

Dein Eifer, mir die verlangten Gedichte zu verschaffen, verdient Anerkenntnis, obschon ich glauben muß, daß es Dir ebenso darum zu tun ist, den Gefühlen Deines Generalissimus näher auf die Spur zu kommen als auch meine Wünsche zu befriedigen, glauben wir indessen das Beste von ihm bis auf näheres; und da Du so entschieden die Divinität des schöpferischen Dichtervermögens erhebst, so glaube ich nicht unpassend beifolgendes kleine Gedicht vorläufig für Dich herausgehoben zu haben aus einer Reihe, die sich in guten Stunden allmählich vermehrt, wenn sie Dir später einmal zu Gesicht kommen werden, so erkenne daran, daß, während du glaubst, mein Gedächtnis für so schöne Vergangenheit wieder anfrischen zu müssen, ich unterdessen der süßesten Erinnerung in solchen unzulänglichen Reimen ein Denkmal zu errichten strebe, dessen eigendste Bestimmung es ist, den Widerhall so zarter Neigung in allen Herzen zu erwecken.

Bleibe mir schreibend und liebend von Tag zu Tag beglückender Gewohnheit treu.

G.

Jena, den 7. Juli 1809.

        Wie mit innigstem Behagen
Lied, gewahr' ich deinen Sinn;
Liebevoll scheinst du zu sagen,
Daß ich ihm zur Seite bin.

Daß er ewig mein gedenket,
Seiner Liebe Seligkeit
Immerdar der Treuen schenket,
Die ein Leben ihm geweiht.

Ja, mein Herz, es ist der Spiegel,
Freund, worin du dich erblickt,
Diese Brust, wo deine Siegel
Kuß auf Kuß hereingedrückt.

Süßes Dichten, lautre Wahrheit
Fesselt mich in Sympathie!
Rein verkörpert Liebesklarheit
Im Gewand der Poesie.


An Goethe.

Kein Baum kühlt so mit frischem Laub, kein Brunnen labt so den Durstigen, Sonn' und Mondlicht und tausend Sterne leuchten so nicht ins irdische Dunkel, wie Du leuchtest in mein Herz. Ach, ich sage Dir: einen Augenblick in Deiner Nähe zu sein hält so viel Ewigkeit in sich, daß ein solcher Augenblick der Ewigkeit gleichsam einen Streich spielt, indem er sie gefangen nimmt, zum Scherz nur, er entläßt sie wieder, um sie wieder zu fangen, und was sollte mir auch in Ewigkeit noch für Freude geschehen, da Dein ewiger Geist, Deine ewige Güte mich in ihre Herrlichkeit aufnehmen.

Geschrieben am Tag, da ich Deinen letzten Brief empfangen.

Das Gedicht gehört der Welt, nicht mein, denn wollt' ich es mein nennen, es würde mein Herz verzehren.

Ich bin zaghaft in der Liebe, ich zweifle jeden Augenblick an Dir, sonst wär' ich schon auf eine Zeit zu Dir gekommen; ich kann mir nicht denken (weil es zu viel ist), daß ich Dir wert genug bin, um bei Dir sein zu dürfen.

Weil ich Dich kenne, so fürchte ich den Tod, die Griechen wollten nicht sterben ohne Jupiter Olymp gesehen zu haben, wie viel weniger kann ich die schöne Welt verlassen wollen, da mir prophezeit ist von Deinen Lippen, daß Du mich noch mit offnen Armen empfangen wirst.

Erlaube mir, ja fordere es, daß ich dieselbe Luft einatme wie Du, daß ich täglich Dir unter die Augen sehe, daß ich den Blick aufsuche, der mir die Todesgötter bannt.

Goethe, Du bist alles, Du gibst wieder, was die Welt, was die traurige Zeit raubt; da Du es nun vermagst mit gelaßnem Blick reichlich zu spenden, warum soll ich mit Zutrauen nicht begehren? Diese ganze Zeit bin ich nicht mehr ins Freie gekommen, die Gebirgsketten, die einzige Aussicht, die man von hier hat, waren oft von den Flammen des Kriegs gerötet, und ich habe nie mehr gewagt, meinen Blick dahin zu wenden, wo der Teufel ein Lamm würgt, wo die einzige Freiheit eines selbständigen Volkes sich selber entzündet und in sich verlodert. Diese Menschen, die mit kaltem Blut und sicher über ungeheure Klüfte schreiten, die den Schwindel nicht kennen, machen alle andere, die ihnen zusehen, von ihrer Höhe herab schwindlich; es ist ein Volk, das für den Morgen nicht sorgt, dem Gott unmittelbar grade, wenn die Stunde des Hungers kommt, auch die Nahrung in die Hand gibt; das, wie es den Adlern gleich, auf den höchsten Felsspitzen über den Nebeln ruht, auch so über den Nebeln der Zeit thront, das lieber im Licht untergeht, als im Dunkeln ein ungewisses Fortkommen sucht. O Enthusiasmus des eignen freien Willens! wie groß bist du, da du allen Genuß, der über ein ganzes Leben verbreitet ist, in einen Augenblick zusammenfassest, darum so läßt sich um einen solchen Moment auch wohl das Leben wagen; mein eigner Wille aber ist, Dich wiederzusehen, und allen Enthusiasmus der Liebe wird ein solcher Moment in sich fassen, und darum begehre ich auch außer diesem nichts mehr.

Von den Kuffsteiner Belagerungsgeschichten möchte ich Dir manches erzählen, was dem Dux gewiß Freude machen würde, und was auch verdiente, verewigt zu werden; allein zu sehr wird eine ernste Teilnahme an dem echten Heroismus mißhandelt durch Betrug aller Art, und das macht auch, daß man lieber gar nicht hinhorcht, als daß man das Herz durch Lügen sich schwer machen läßt. – Das Gute, was die Bayern als wahr passieren lassen, daran ist nicht zu zweifeln, denn wenn sie es vermöchten, so würden sie gewiß das Gelingen der Feinde leugnen. Speckbacher ist ein einziger Held, Witz, Geist, kaltes Blut, strenger Ernst, unbegrenzte Güte, durchsichtige, bedürfnislose Natur; Gefahr ist ihm gleich dem Aufgang der Sonne; da wird ihm Tag, da sieht er deutlich was not tut; und tut alles, indem er seinen Enthusiasmus beherrscht, er denkt auf seine Ehre und auf seine Verantwortung zugleich, er richtet alles durch sich allein aus, die Befehle der Kommandanten und seine eigne wohlberechneten Pläne; und auch noch was der Augenblick erheischt; unter dem Kanonenfeuer der Festung verwüstet er die Mühlen, erbeutet das Getreide und löscht die Haubitzen mit dem Hut; keinen gefahrvollen Plan überläßt er einem andern, die kleine Stadt Kuffstein steckte er selbst in Brand mitten unter den Feinden; eine Schiffbrücke der Bayern macht er flott. In einer stürmischen Nacht, im Wasser bis an die Brust, hält er aus bis zum Morgen mit zwei Kameraden, wo er noch die letzten Schiffe unter einem Hagel von Kartätschen flott macht. – List ist seine göttlichste Eigenschaft, den verwilderten Bart, der ihm das halbe Gesicht bedeckt, nimmt er ab, verändert Kleidung und Geberde, und so verlangt er den Kommandanten der Festung zu sprechen, man läßt ihn ein, er macht ihnen was weis von Verrat und errät unterdessen alles, was er wissen will, in dieser großen Gefahr, mit noch zwei andern Kameraden, ist er keinen Augenblick verlegen, läßt sich beleuchten, untersuchen, zutrinken und endlich, vom Kommandanten bis zum kleinen Pförtchen, zu dem sie hereingekommen waren, begleitet, nimmt er treuherzig Abschied.

Alle diese Mühen und Aufopferungen werden indessen zunichte gemacht durch die Unzuverlässigkeit von Österreich, das überhaupt ist, als könne es keinen glücklichen Erfolg ertragen, und fürchte sich vor seinem großen Feind, einst diese Siege verantworten zu müssen, und so wird es auch noch kommen, es wird noch den großen Napoleon um Verzeihung bitten, daß man ihm die Ehre erzeigt, ihm ein Heldenvolk entgegenzustellen; ich breche ab, zu gewiß ist mir, daß auf Erden allem Großen schlecht vergolten wird.

Vor drei Wochen hat man ein Bild, eine Kopie von Albrecht Dürers selbst verfertigtem Porträt, an Dich abgeschickt; ich war grade auf einige Tage verreist und weiß also nicht, ob es wohl eingepackt und ob die Gelegenheit, mit welcher es ging, exakt ist, Du mußt es der Zeit nach jetzt bald in Händen haben, schreib mir darüber, das Bild ist mir sehr lieb, und darum mußt' ich Dir's geben, weil ich mich selbst Dir geben möchte.

Selbst in dem kalten Bayernlande reift alles nach und nach, das Korn wird schon gelb, und wenn die Zeit auch keine Rosen hier bricht, so bricht sie doch der Sturm, und falbe Blätter fliegen schon genug auf dem nassen Sandboden; wann wird denn eine gütige Sonne die Früchte an meinem Lebensbaum reifen, daß ich ernten kann Kuß um Kuß? –

Einen Weg geh' ich alle Tage, jede Staude, jedes Gräschen ist mir auf diesem bekannt, ja die Sandsteinchen im Kiesweg hab' ich mir schon betrachtet. Dieser Weg führt nicht zu Dir, und doch wird er mir täglich lieber, wenn mich nun einer gewohnt würde, zu Dir zu tragen, wie würden da Blumen und Kräuter erst mit mir bekannt werden, und daß mir stets das Herz pochte bis an Deine Schwelle, und allen Liebreiz hätte auf diesem Weg jeder Schritt.

Vom Kronprinz weiß ich Gutes, er hat mit den Gefangenen, die man hart behandelte und hungern ließ, zu Mittag gegessen. Die Kartoffeln waren gezählt, er teilte treulich mit ihnen, seitdem werden sie gut bedient, und er hat ein scharfes Auge darauf; das hab' ich durch seinen getreuen Bopp, der die ausführliche Erzählung mit etlichen Freudentränen begleitete. Sein kaltes Blut mitten in Gefahren, seine Ausdauer bei allen Mühen und Lasten werden auch noch anderweitig gerühmt, und immer ist er dabei bedacht, nutzlosen Grausamkeiten vorzubeugen; das war von ihm zu erwarten, aber daß er diese Erwartung nicht zuschanden gemacht hat, dafür sei er gelobt und gesegnet.

Einliegendes Kupfer von Heinze wirst Du wohl erkennen, ich hab's von Sömmering erhalten und zugleich den Auftrag, um Dein Urteil darüber zu bitten, er selbst findet es gleichend, aber nicht in den edelsten Zügen; ich sage: es hat eine große Ähnlichkeit mit einem Bock, dies ließe sich noch rechtfertigen.

Tieck liegt noch immer als Kranker auf dem Ruhebettlein, ein Zirkel vornehmer und schöner Damen umgibt sein Lager, das paßt zu gut und gefällt ihm zu wohl, als daß er je vom Platz rückte.

Jacobi befindet sich ganz leidlich, Tante Lene schreit zwar, sein Kopf tauge nichts, der, sowie er etwas Philosophisches schreiben wolle, ihn schmerze, zusamt den Augen; wenn nun auch der Kopf nichts taugt, so war doch sein Herz sehr lebendig aufgeregt als ich ihm vorlas, was du für ihn geschrieben hast; ich mußte es ihm abschreiben, er meinte, da er keine so freundliche Fürsprache bei Dir habe, wie Du bei ihm, so müsse er wohl selbst Dir schriftlich danken, einstweilen schickt er beikommende Rede über Vernunft und Verstand.

Bettine.

*

Köln, wo ich vorm Jahr so fröhlich war, der launige Rumohr hat's hingekritzelt, er geht hier so ganz verträglich mit der Langenweile um, und bejammert mit aufrichtigem Herzen die Zeit, die wir miteinander am Rhein zubrachten.

Hier spielt der Wind schon manches falbe Laub von den Ästen und mir die kalten Regentropfen ins Gesicht, wenn ich frühe, wo noch kein Mensch des Weges geht, durch die feuchten Alleen des englischen Gartens wandre, denn die langen Schatten am frühsten Morgen sind mir beßre Gefährten als alles, was mir den ganzen Tag über begegnet.

Da besuche ich alle Morgen meinen alten Winter; bei schönem Wetter frühstückt er in der Gartenlaube mit der Frau, da muß ich immer den Streit zwischen beiden schlichten um die Sahne auf der Milch. Dann steigt er auf seinen Taubenschlag, so groß wie er ist, muß er sich an den Boden ducken, hundert Tauben umflattern ihn, setzen sich auf Kopf, Brust, Leib und Beine; zärtlich schielt er sie an, und vor Freundlichkeit kann er nicht pfeifen, da bittet er mich: o pfeifen Sie doch; so kommen denn noch Hunderte von draußen hereingestürzt mit pfeifenden Schwingen; gurren, rucksen, lachen und umflattern ihn; da ist er selig und möchte eine Musik komponieren, die grad' so lautet. Da nun Winter ein wahrer Koloß ist, so stellt er ziemlich das Bild des Nils dar, der von einem kleinen Geschlecht umkrabbelt wird, und ich als Sphinx neben ihm kauernd, einen großen Korb voll Wicken und Erbsen auf dem Kopf. Dann werden Marcellos Psalmen gesungen, eine Musik, die mir in diesem Augenblick sehr zusagt, ihr Charakter ist fest und herrschend, man kann sie nicht durch Ausdruck heben, sie läßt sich nicht behandeln, man kann froh sein, wenn die Kraft ausreicht, welche der Geist dieser Musik fordert. Von höherer Macht fühlt man sich als Organ benützt, Figur und Ton von Harmonie umkreist und bedingt auszusprechen. So ist diese kunstgerechte gewaltige Sprache idealischer Empfindung, daß der Sänger nur Werkzeug, aber mitdenkend, mitgenießend sich empfindet, und dann die Rezitative, das Ideal ästhetischer Erhabenheit, wo alles, sei es Schmerz oder Freude, ein tobend Element der Wollust wird.

Wie lange haben wir nichts über Musik gesprochen, damals am Rhein, da war's, als müsse ich Dir den gordischen Knoten auflösen, und doch fühlte ich meine Unzulänglichkeit, ich wußte nichts von ihr, wie man auch vom Geliebten nichts weiß, als nur, daß man in ihn verliebt ist. Und jetzt bin ich erst gar ins Stocken geraten, alles möcht' ich gern aussprechen, aber in Worten zu denken, was ich im Gefühl denke, das ist schwer; – ja, solltest Du's glauben? – Gedanken machen mir Schmerzen, und so zaghaft bin ich, daß ich ihnen ausweiche, und alles, was in der Welt vorgeht, das Geschick der Menschen und die tragische Auflösung macht mir einen musikalischen Eindruck. Die Ereignisse im Tirol nehmen mich in sich auf wie der volle Strom allseitiger Harmonie. Dies Streben mitzuwirken ist grade wie in meinen Kinderjahren, wenn ich die Symphonien hörte im Nachbarsgarten und ich fühlte, man müsse mit einstimmen, mitspielen, um Ruhe zu finden; und alles Zerschmetternde in jenen Heldenereignissen ist ja auch wieder so belebend, so begeistigend, wie dies Streiten und Gebären der verschiedenen Modulationen, die doch alle in ihren eigensinnigen Richtungen unwillkürlich durch ein Gesamtgefühl getragen, immer allseitiger, immer in sich konzentrierter in ihrer Vollendung sich abschließen. – So empfinde ich die Symphonie, so erscheinen mir jene Heldenschlachten auch Symphonien des göttlichen Geistes, der in dem Busen des Menschen Ton geworden ist himmlischer Freiheit. Das freudige Sterben dieser Helden ist wie das ewige Opfern der Töne einem hohen gemeinsamen Zweck, der mit göttlichen Kräften sich selbst erstreitet; so scheint mir auch jede große Handlung ein musikalisches Dasein; so mag wohl die musikalische Tendenz des Menschengeschlechts als Orchester sich versammeln und solche Schlachtsymphonien schlagen, wo denn die genießende, mitempfindende Welt neu geschaffen, von Kleinlichkeit befreit, eine höhere Befähigung in sich gewahrt.

Ich werde müde vom Denken und schläfrig, wenn ich mir Mühe gebe, der Ahnung nachzugehen, da wird mir angst, ja ich möchte die Hände ringen vor Angst um einen Gedanken, den ich nicht fassen kann. Da möcht' ich mit einem Ausdruck Dir hingeben Dinge, denen ich nicht gewachsen bin, und da schwindet mir alle Erkenntnis, langsam, wie die untergehende Sonne, ich weiß, daß sie ihr Licht ausströmt, aber sie leuchtet mir nicht mehr.

Denken ist Religion, fürs erste Feueranbeten, wir werden einst noch weiter schreiten, wo wir mit dem ursprünglich göttlichen Geist uns vereinen, der Mensch geworden und gelitten hat, bloß um in unser Denken einzudringen; so erkläre ich mir das Christentum als Symbol einer höheren Denkkraft, wie mir denn überhaupt alles Sinnliche Symbol des Geistigen ist.

Nun, wenn auch die Geister sich mit mir necken und nicht fangen lassen, so erhält dies mich doch frisch und tätig, und sie haben mir auf den Weg gestreut gleich einem auserwählten Ritter der Tafelrunde gar mannigfach Ebenteuer auf holperigem Pfad, bekannt bin ich worden mit den dürren Geistern der Zeit, mit Ungeheuern verschiedener Art, und wunderbar haben mich diese Besessenen in ihr träumerisch Schicksal gezogen. Aber nicht hab' ich erblickt wie bei Dir, da von heiliger Leier mir frisches Grün entgegenglänzte, und nicht hört' ich wie bei Dir, dem unter den Füßen silbern der Pfad tönt, als der auf Straßen Apollos wandelt. Da denk' ich mit verschlossenen Augen, wie ich gewohnt war, mit Dir lächelnd des Herzens Meinung zu wechseln, den eignen Geist in der Seele fühlend. Deine Mutter sagte mir manchmal von vergangner Zeit, da wollt' ich nicht zuhören und hieß sie schweigen, weil ich grad' eben mich in Deine Gegenwart träumte.

Franz Bader, der nach seiner Glasfabrik in Böhmen gereist ist, hat mir beim Abschied beigepackte Abhandlungen für Dich gegeben und mich zugleich gebeten, Dich seiner innigsten Achtung zu versichern, er hat mir dabei mancherlei aus seinem Leben erzählt, wie er in Schottland zum Beispiel gar gefahrvolle Reisen gemacht, in einem winzigen Nachen, mit Deinem »Egmond«, im Meer zwischen Klippen und Inseln hin und her geworfen, wie er mit den Meerkatzen fechten müssen, wie Nacht und Sturm ihm alle Lebensgeister ausbliesen und er mitten in der Not nur immer Deine Bücher zu retten gesucht. Siehst Du! so treibt's Dein Geist auf allen Pfaden, zu Land wie zu Wasser, und er zieht von der Quelle an fort mit dem Strom, bis wo er sich ergießt, und so ziehen mit die noch fremden Ufer, und die blaue Ferne sinkt neigend zusammen vor Deiner Ankunft. Und es sehen die Wälder Dir nach, und die vergoldende Sonne schmückt die Bergeshöhen zu Deinem Empfang; es feiern aber im Mondglanz Dein Andenken die Silberpappel und die Tanne am Weg, die Deiner Jugend reine Stimme gehört.

Gestern erhielt ich Dein Bild, eine kleine Paste in Gips, aus Berlin, es gleicht, was hilft's, ich muß nach Dir verlangen.

Noch ein ägyptisches Ungeheuer ist mir hier auf Bayerns feuchtem Boden begegnet, und nicht wundert mich, daß seine trockne sandige Natur hier verfault, es ist Klotz, der von den Geistern der Farbe verfolgte und gepeinigte, endlich ihrer Gewalt erliegend, sein fünfundzwanzigjähriges Werk endet. Ägyptisch nenne ich ihn, weil erstens sein Antlitz, wie von glühenden Harzen geschmiedet, zugleich eine ungeheure Pyramide darstellt, und zweitens, weil er in fünfundzwanzig Jahren mit außerordentlicher Anstrengung sich nicht vom Platze gearbeitet hat. Ich habe aus christlicher Milde (und zugleich um Dir, als welcher nach Klotzens Aussage einer Entschuldigung bedürfte, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen) sein ganzes Manuskript angehört. Nun kann ich mich freilich mit was ich von ihm erlernt, nicht breit machen, ich war mit Rätseln umstrickt, die durch seine Reden nur noch verwickelter wurden, und er war ängstlich auf seiner Hut, daß ich ihm nicht eins seiner Geheimnisse erschnappe, um es Dir zu übertragen, er möchte gern mit Dir selber hierüber sprechen, am meisten klagte er, daß Du ihm auf einen demütigen, aufrichtigen Brief keine Antwort gegeben, ich aber tröstete ihn damit, daß Du mir auf einen bittenden, liebenden Brief auch keine Antwort gegeben, und so war es gut. – Ich kann dem armen Mann nicht begreiflich machen, daß er die Perlen mit den Kleien gemischt, und daß wahrscheinlich beides zusamt von den Schweinen gefressen wird. Du aber könntest hier gewiß Gutes stiften, wenn Du Dich über seine Entdeckungen mit ihm einlassen wolltest. Beikommende Tabelle hab' ich ihm für Dich abgeluchst, sie gefällt mir so wohl, daß ich sie wie ein schönes Bild betrachte.

Jetzt hab' ich noch eine geringe Frage, aber sie gilt mir viel, denn sie soll mir eine Antwort eintragen: hast Du Albrecht Dürers Bildnis, welches schon vor sechs Wochen von hier abging, erhalten? – wo nicht, so bitte ich, lasse doch in Weimar bei den Fuhrleuten nachfragen.

Es geht hier eine Sage unter dem Volk, es werde bald eine Erscheinung sein, die soll »Wahlverwandtschaften« heißen und von Dir in Gestalt eines Romans ausgehen. Ich habe einmal einen fünf Stunden langen, saueren Weg nach einem Sauerbrunnen gemacht, er lag so einsam zwischen Felsen, der Mittag konnte nicht zu ihm niedersteigen, die Sonne zersplitterte tausendfach ihre Strahlenkrone an dem Gestein, alte dürre Eichen und Ulmen standen wie die Todeshelden drum her, und Abgründe, die man da sah, waren keine Abgründe der Weisheit, sondern dunkle, schwarze Nacht, mir wollt's nicht behagen, daß die himmlische Natur solche Launen habe, der Atem wurde mir schwer, und ich hatte das Gesicht ins Gras gewühlt. Wenn ich aber diese Wahlverwandtschaften dort an der Quelle wüßte, gern wollt' ich den schauerlichen, unheimlichen Weg noch einmal machen, und zwar mit leichtem Schritt und leichtem Sinn, denn erstens dem Geliebten entgegengehen beflügelt den Schritt, und zweitens mit dem Geliebten heimgehen ist der Inbegriff aller Seligkeit.

9. September 1809.

Bettine.


An Bettine.

Ihr Bruder Clemens, liebe Bettine, hatte mir bei einem freundlichen Besuche den Albrecht Dürer angekündigt, so wie auch in einem Ihrer früheren Briefe desselben gedacht war. Nun hoffte ich jeden Tag darauf, weil ich an diesem guten Werk viel Freude zu erleben gedachte, und wenn ich mir's auch nicht zugeeignet hätte, es doch gern würde aufgehoben haben, bis Sie gekommen wären, es abzuholen. Nun muß ich Sie bitten, wenn wir es nicht für verloren halten sollen, sich genau um die Gelegenheit zu erkundigen, durch welche es gegangen, damit man etwa bei den verschiedenen Spediteurs nachkommen kann, denn aus Ihrem heutigen Briefe sehe ich, daß es Fuhrleuten abgeliefert worden. Sollte es inzwischen ankommen, so erhalten Sie gleich Nachricht.

Der Freund, welcher die Kölner Vignette gezeichnet, weiß, was er will, und versteht mit Feder und Pinsel zu hantieren, das Bildchen hat mir einen freundlichen guten Abend geboten.

Franz Badern werden Sie schönstens für das Gesendete danken. Es war mir von den Aufsätzen schon manches einzelne zu Gesicht gekommen. Ob ich sie verstehe, weiß ich selbst kaum, allein ich konnte mir manches daraus zueignen. Daß Sie meine Unart gegen den Maler Klotz durch eine noch größere, die Sie mir verziehen haben, entschuldigt, ist gar löblich und hat dem guten Mann gewiß besonders zur Erbauung gedient. Die Tafel ist wohlbehalten angekommen, so angenehm auch der Eindruck ist, den sie auf das Auge macht, so schwer ist sie doch zu beurteilen; wenn Sie ihn daher bewegen können, den Schlüssel zu diesem Farbenrätsel herzuleihen, so könnte ich vielleicht durch eine verständige und gegründete Antwort mein früheres Versäumnis wieder gutmachen.

Wieviel hätte ich nicht noch zu sagen, wenn ich auf Ihren vorigen lieben Brief zurückgehen wollte? Gegenwärtig nur so viel von mir, daß ich mich in Jena befinde, und vor lauter Verwandtschaften nicht recht weiß, welche ich wählen soll.

Wenn das Büchlein, das man Ihnen angekündigt hat, zu Ihnen kommt so nehmen Sie es freundlich auf, ich kann selbst nicht dafür stehen, was es geworden ist.

 

Mit eigner Hand: Nimm es nicht übel, daß ich mit fremder Hand schreibe, die meine war müde, und ich wollte Dich doch nicht ohne Nachricht lassen über das Bild, suche ihm doch ja auf die Spur zu kommen, fahre fort, an mich zu denken und mir etwas von Deinem wunderlichen Leben zu sagen, Deine Briefe werden wiederholt gelesen mit vieler Freude, was Dir auch die Feder darauf erwidern könnte, es wäre doch immer weit entfernt von dem unmittelbaren Eindruck, dem man sich so gern hingibt, selbst wenn es Täuschung wär', denn wer vermag bei wachenden Sinnen zu glauben an den Reichtum Deiner Liebe, den man als Traum aufzunehmen wohl am besten tut. – Was Du zum voraus über die »Wahlverwandtschaften« sagst, ist prophetischer Blick, denn leider geht die Sonne düster genug dort unter. Suche doch ja dem Albrecht Dürer auf die Spur zu kommen. Lebe recht wohl.

Jena, den 11. September 1809.

Goethe.

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Heute bitt' ich wieder einmal um Verzeihung, liebe Bettine, wie ich es schon oft hätte tun sollen. Ich habe Dir wegen des Bildes vergebene Sorge gemacht, es ist in Weimar wirklich angekommen, und nur durch Zufall und Vernachlässigung kam die Nachricht nicht an mich herüber. Nun soll es mich bei meiner Rückkehr in Deinem Namen freundlichst empfangen und mir ein guter Wintergeselle werden, auch so lang bei mir verweilen, bis Du zu mir kommst, es abzuholen. Laß mich bald wieder von Dir vernehmen. Der Herzog grüßt Dich aufs beste, einiges muß ich ihm auch diesmal aus Deinem schönen Fruchtkranz von Neuigkeiten zukommen lassen. Er ist Dir mit besonderer Neigung zugetan, und besonders was die Schilderung von Kriegsszenen anbelangt, teilt er vollkommen Deine enthusiastische An- und Umsichten; erwartet aber auch nur ein tragisches Ende.

August kommt Anfang Oktobers von Heidelberg zurück, wo es ihm ganz wohlgegangen ist. Auch hat er eine Rheinreise bis Koblenz gemacht. Lebe meiner gedenk.

Jena, den 15. September 1809.

G.

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26. September.

Wie ein Sperling kam mir Dein Brief vom 11. September auf den Schreibtisch geflogen; zuletzt hast Du zwar ein kleines Dompfaffenstückchen dran gehängt von besonderer Teilnahme, allein ich lasse mir nichts weismachen, das war nach der alten Drehorgel gepfiffen. Hättest Du mich lieb, unmöglich könntest Du von Deinem Sekretär einen Brief abschnurren lassen wie ein Paternoster, er ist ein Philister, daß er so was schreibt und Dich selbst dazu macht, ich kann mir auch gar nicht vorstellen, wie Du es mit ihm anstellst; sprichst Du ihm denn den Inhalt Deines Briefs vor, oder gibst Du ihm Deine Gedanken so im Rummel, daß er sie nachher reihenweis' nebeneinander aufschichte? –

Verliebt bist Du, und zwar in die Heldin Deines neuen Romans, und das macht Dich so eingezogen und so kalt gegen mich, Gott weiß, welches Muster Dir hier zum Ideal diente; ach Du hast einen eignen Geschmack an Frauen, Werthers Lotte hat mich nie erbaut, wär' ich nur. damals bei der Hand gewesen, Werther hätte sich nicht erschießen dürfen, und Lotte hätte sich geärgert, daß ich ihn so schön trösten konnte.

So geht mir's auch im »Wilhelm Meister«, da sind mir alle Frauen zuwider, ich möchte sie alle zum Tempel hinausjagen, und darauf hatte ich auch gebaut, Du würdest mich gleich liebgewinnen, wenn Du mich kennenlerntest, weil ich besser bin und liebenswürdiger wie die ganze weibliche Komitee Deiner Romane, ja wahrhaftig, das ist nicht viel gesagt, für Dich bin ich liebenswürdiger, wenn Du, der Dichter, das nicht herausfinden willst? für keinen andern bin ich geboren; bin ich nicht die Biene, die hinausfliegt, aus jeder Blume Dir den Nektar heimbringt? – und ein Kuß! meinst Du, der sei gereift wie die Kirsche am Ast? – nein, ein Umschweben Deiner geistigen Natur, ein Streben zu Deinem Herzen, ein Sinnen über Deine Schönheit strömt zusammen in Liebe; und so ist dieser Kuß ein tiefes unbegreifliches Einverständnis mit Deiner unendlich verschiedensten Natur von mir. O versündige Dich nicht an mir und mache Dir kein geschnitzeltes Bild, dasselbige anzubeten, während die Möglichkeit Dir zuhanden liegt, ein wunderbares Band der Geisterwelt zwischen uns zu weben.

Wenn ich mein Netz aufzog, so willkürlich gewebt, so kühn ausgeworfen, im Gebiet des Unbekannten, ich brachte Dir den Fang, und was ich Dir auch bot, es war der Spiegel des menschlich Guten. Die Natur hat auch einen Geist, und in jeder Menschenbrust empfindet dieser Geist die höheren Ereignisse des Glücks und des Unglücks, wie sollte der Mensch um sein selbst willen selig sein können, da Seligkeit sich in allem empfindet und keine Grenze kennt? So empfindet sich Natur selig im Geist des Menschen, das ist meine Liebe zu Dir, und so erkennt der Menschengeist diese Seligkeit, das ist Deine Liebe zu mir: geheimnisvolle Frage und unentbehrliche Antwort.

Genug! lasse mich nicht vergebens bei Dir angeklopft haben, nimm mich auf und verhülle mich in Dein tieferes Bewußtsein.

Dein zweiter Brief ist auch hier, der mir das glückliche Einfangen des vagabundierenden Kunstwerkes meldet, möge es Dir bei Deiner Heimkehr einleuchten; es ist ein Gesicht, zwar nur ein gemaltes, aber unter tausend lebendigen wird Dir kein so durchdringender Blick begegnen, der hat sich angesehen, hat sich sein tiefstes Herz abgefragt und auf die Leinwand gemalt, daß es Rechenschaft gebe von ihm den nachkommenden Geschlechtern als der Würdige unter den Besten.

Vom Welttheater auf den Felsspitzen ist nur zu melden, daß sie gut balancieren. Am 3. September, am Geburtstag Deines gnädigsten Herrn und Freundes, hat ganz Tirol mit allen Glocken geläutet und Te Deum gesungen; es ist grade Platz genug dort, daß von allen Seiten Heldentaten dargestellt werden, die so kühn sind, so himmelanstrebend wie die Felszacken, von denen sie ausgehen, und bald so tief vergessen sein werden wie die tiefen Klüfte, in denen sie ihre Feinde begraben, entschieden Genaues erfährt man nicht; das Großartige wird so viel wie möglich verketzert und verheimlicht; in diesen letzten Wochen hat sich Steger hervorgetan, auch ein allseitiges Genie, der sich selber als ein Geschenk Gottes betrachten kann für seine Landsleute. Von Deinem Musensohn, dem Kronprinzen, sind Briefe hier, über Begebenheiten melden sie nichts, er ist gesund und dichtet, auch mitten in dem Tumult des Schicksals, das beweist, daß er sich in diesem Element nicht fremd fühlt; weiter weiß ich nichts, das Gedicht bekam ich nicht zu lesen, ich hätte es Dir sehr gern als Probe gesendet, man fürchtet, es möchte mich zu tief ergreifen, sonderbar! Ich könnte mein ganzes Herz tätowieren, Namenszeichen und Andenken einbrennen lassen, und doch blieb' es so gesund und frisch dabei als ein gesunder Handwerksbursch, so geht's, wenn man Freunde hat, die sich um einen kümmern, sie beurteilen einem verkehrt und mißhandeln einen danach, das nennen sie Anteil nehmen, und dafür soll man sich noch bedanken: ich habe mir nun ein apartes Pläsier gemacht und ein schönes Miniaturbild des jungen Königsohns an mich gebracht, das betracht' ich zuweilen und bete ihm im Geist vor, wie es mit ihm werden soll; aber, aber! es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht im Himmel wachsen, sag' ich mit Dir; es hat gute Wege mit Weltherrschern, daß die ihre Macht nicht gewahr werden und ihrer Fähigkeiten nicht Meister.

Rundum in der Gegend ist der Typhus ausgebrochen, durchmarschierende Truppen haben ihn mitgebracht, ganze Familien sterben auf dem Lande einer einzigen Nachteinquartierung nach; es raffte schon die meisten Lazarettärzte weg, gestern hab' ich einen jungen Mediziner, der sich freundlich an mich attaschiert hatte, verabschiedet, er heißt Janson, er ging nach Augsburg ins Lazarett, um dort einen alten Lehrer, der Frau und Kinder hat, abzulösen, dazu gehört auch großartiger Mut. Auch in Landshut, wo Savignys sind, fährt der Tod seinen Karren triumphierend durch alle Straßen, und besonders hat es mehrere junge Leute, ausgezeichnet an Herz und Geist, die sich der Krankenpflege annahmen, weggerafft, es waren treue Hausfreunde von Savigny; ich werde nächstens hingehen, um böse und gute Zeit mit auszuhalten. Denn ich sag' allen politischen Ereignissen Valet, was hilft alles Forschen, wenn man betrogen wird und alle aufgeregten Gefühle nutzlos sich verzehren müssen. Adieu, ich bin Dir nicht grün, daß Du Deinen Sekretär an mich hast schreiben lassen. Es braucht nur wenig zu sein zwischen uns, aber nichts Gleichgültiges, das tötet das flüchtige Salz des Geistes und macht die Liebe scheu. Schreibe bald und mache wieder gut.

Bettine.


An Bettine.

Deinen Vorwürfen, liebste Bettine, ist nicht auszuweichen, da bleibt nichts übrig als die Schuld zu bekennen und Besserung zu versprechen, um so mehr, da Du mit den geringen Beweisen von Liebe, die ich Dir geben kann, zufrieden bist; auch bin ich nicht imstande, Dir das von mir zu schreiben, was Dir am interessantesten sein möchte, dagegen Deine lieben Briefe so viel Erfreuliches gewähren, daß sie billig allem andern vorgehen; sie bescheren mir eine Reihe von Festtagen, deren Wiederkehr mich immer aufs neue erfreut.

Gern geb' ich Dir zu, daß Du ein weit liebenswürdigeres Kind bist wie alle, die man Dir als Geschwister an die Seite zu stellen versucht wird; eben darum erwart' ich von Dir, daß Du ihnen zugute halten werdest, was Du vor ihnen voraus hast. Verbinde nun mit solchen schönen Eigenschaften auch die, immer zu wissen, wie Du mit mir dran bist; schreibe mir, was Dir deucht, es wird jederzeit aufs herrlichste aufgenommen, Dein offenherziges Plaudern ist mir eine echte Unterhaltung, und Deine vertraulichen Hingebungen überwiegen mir alles. Lebe wohl, bleibe mir nah und fahre fort, mir wohl zu tun.

Jena, 7. Oktober.

Goethe.

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Landshut, am 24. Oktober.

Das Reich Gottes steht in der Kraft zu jeder Zeit und an allen Orten, dies habe ich heute bemerkt bei einer hohlen Eiche, die da stand in der Schar wilder hoher Waldpflanzen mächtig groß, und ihre Jahrhunderte zählte, ganz abgewendet vom Sonnenschein. Wolfsstein ist bei drei Stunden von hier, man muß über manchen Stiegelhupfer, kommt allmählich aufwärts zwischen Tannen und Fichten, die ihre breiten Äste im Sand schleifen. Dort stand vor vielen hundert Jahren ein Jagdschloß von Ludwig dem Schönen, Herzog in Bayern, dessen sonderliche Lust war, in Nebel und Abenddämmerung herumzuschweifen, da war er einstmals abwärts gegangen und hatte ihn die Dunkelheit heimlich noch an eine Mühle geführt, das Wasser hörte er brausen und das Mühlenrad gehen, sonst war alles still, er rief, ob ihn niemand höre, die Müllerin, die gar schön war, wachte auf, zündete ein Kienholz an und kam vor die Tür gegangen, da war der Herzog gleich verliebt, da er sie beim Schein der Flamme sehen konnte, und ging mit ihr ein, blieb auch bis am frühen Morgen. Er suchte sich aber einen heimlichen Weg, wie er wieder zu ihr kommen möge. Er vergaß ihrer nicht, aber wohl vergaß er der Mark Brandenburg, die er verlor, darum, daß er auf nichts achtete als nur auf die Liebe; eine Ulmenallee, die zur Mühle führt vom Schloß aus, und die er selbst pflanzte, steht noch; »daran sieht man, daß die Bäume wohl alt werden, aber die Liebe nicht«, sagte einer von unserer Gesellschaft, da wir durch die Allee gingen.

Und darum hat der Herzog nicht unrecht, daß er die Mark Brandenburg um die Liebe gab, denn diese ist immer noch da und ist dumm, aber in der Liebe geht man umher wie im Frühling, denn sie ist ein Regen von sammetnen Blütenblättern, ein kühles Hauchen am heißen Tag, und sie ist schön, bis sie am End' ist. Gäbst Du nun auch die Mark um die Liebe? – es würde mir nicht gefallen, wenn Du Brandenburg lieber hättest wie mich.

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Am 23. Oktober.

Der Mond scheint weit her über die Berge, die Winterwolken ziehen herdenweis' vorüber. Ich habe schon eine Weile am Fenster gestanden und zugesehen, wie's oben jagt und treibt. Lieber Goethe, guter Goethe, ich bin allein, es hat mich wieder ganz aus den Angeln gehoben und zu Dir hinauf! wie ein neugeboren Kindchen, so muß ich diese Liebe pflegen zwischen uns; schöne Schmetterlinge wiegen sich auf den Blumen, die ich um seine Wiege gepflanzt habe, goldne Fabeln schmecken seine Träume, ich scherze und spiele mit ihm, jede List versuch' ich um seine Gunst. Du aber beherrschst es mühelos, durch das herrliche Ebenmaß Deines Geistes; es bedarf bei Dir keiner zärtlichen Ausbrüche, keiner Beteuerungen. Während ich sorge um jeden Augenblick der Gegenwart, geht eine Kraft von Dir aus des Segens, die da reicht über alle Vernunft und über alle Welt.

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Am 22. Oktober.

Ich fange gern hoch oben am Blatt an zu schreiben, und endige gern tief unten, ohne einen Platz zu lassen für den Respekt; das malt mir immer vor, wie vertraut ich mit Dir sein darf; ich glaub' wahrhaftig, ich hab's von meiner Mutter geerbt, denn alte Gewohnheit scheint's mir, und wie das Ufer den Schlag der Wellen gewöhnt ist, so mein Herz den wärmeren Schlag des Blutes bei Deinem Namen, bei allem, was mich daran erinnert, daß Du in dieser sichtbaren Welt lebst.

Deine Mutter erzählte mir, daß, wie ich neugeboren war, so habest Du mich zuerst ans Licht getragen und gesagt, das Kind hat braune Augen, und da habe meine Mutter Sorge getragen, Du würdest mich blenden, und nun geht ein großer Glanz von Dir aus über mich.

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Am 21. Oktober.

Es geht hier ein Tag nach dem andern hin und bringt nichts, das ist mir nicht recht; ich sehne mich wieder nach der Angst, die mich aus München vertrieben hat, ich habe Durst nach den Märchen von Tirol, ich will lieber belogen sein als gar nichts hören; so halte ich doch mit ihnen aus und leide und bete für sie.

Der Kirchturm hat hier was Wunderliches, sooft ein Domherr stirbt, wird ein Stein am Turm geweißt, da ist er nun von oben bis unten weiß geplackt.

Indessen geht man an schönen Tagen hier weit spazieren mit einer liebenswürdigen Gesellschaft, die sich an Savignys menschenfreundlicher Natur ebenso erquickt wie an seinem Geist. Salvotti, ein junger Italiener, den Savigny sehr auszeichnet, hat schöne Augen, ich sehe ihn aber doch lieber vor mir hergehen als ins Gesicht; denn er trägt einen grünen Mantel, dem er einen vortrefflichen Faltenwurf gibt, Schönheit gibt jeder Bewegung Geist; er hat das Heimweh, und obschon er alle Tage seinen vaterländischen Wein durch den bayerischen Flußsand filtriert, um sich zu gewöhnen, so wird er täglich blasser, schlanker, interessanter, und bald wird er seine Heimat aufsuchen müssen, um ihr seine heimliche Liebe einzugestehen; so wunderliche Grillen hat Natur, zärtlich, aber nicht überall dieselbe, demselben.

Ringseis, der Arzt, der mir den Intermaxillarknochen sehr schön präpariert hat, um mir zu zeigen, wie Goethe recht hat, und viele freundliche Leute sind unsre Begleiter, man sucht die steilsten Berge und die beschwerlichsten Wege, man übt sich aufs kommende Frühjahr, wo man eine Reise in die Schweiz und Tirol vorhat; wer weiß, wie's dann dort aussehen wird, dann werden die armen Tiroler schon seufzen gelernt haben.

Heute Nacht hab' ich von Dir geträumt, was konnte mir Schöneres widerfahren? – Du warst ernsthaft und sehr geschäftig und sagtest: ich solle Dich nicht stören. Das machte mich traurig, da drücktest Du sehr freundlich meine Hand auf mein Herz und sagtest: »Sei nur ruhig, ich kenne Dich und weiß alles«, da wachte ich auf; Dein Ring, den ich im Schlaf an mich gedrückt hatte, war auf meiner Brust abgebildet, ich paßte ihn wieder in die Abbildung und drückte ihn noch fester an, weil ich Dich nicht an mich drücken konnte. Ist denn ein Traum nichts? – Mir ist er alles; ich will gern die Geschäfte des Tages aufgeben, wenn ich nachts mit Dir sein und sprechen kann. O sei's gern im Traum, mein Glück, Du.

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Am 19. Oktober.

Auch hier hab' ich der Musik ein Lustlager aufzuschlagen gewußt, ich hab' mir eine Kapelle von sechs bis acht Sängern errichtet, ein alter geistlicher Herr, Eixdorfer (behalte seinen Namen, ich werde Dir noch mehr von ihm erzählen), ein tüchtiger Bärenjäger und noch kühnerer Generalbaßspieler, ist Kapellmeister. An Regentagen werden in meinem kleinen Zimmer die Psalmen von Marcello aufgeführt, ich will Dir gern die schönsten davon abschreiben lassen, wenn Du sie selbsten nicht hast, schreib nur ein Wort drum, denn die Musik ist einzig herrlich und nicht gar leicht zu haben. Auch die Duetten von Durante sind schön, das Gehör muß sich erst daran gewöhnen, ehe es ihre harmonische Disharmonie bändigen mag, eine Schar gebrochner Seufzer und Liebesklagen, die in die Luft wie ein irrendes Verhallen abbricht; drum sind sie aber auch so gewaltig, wenn sie recht gesungen werden, daß man sich immer wieder neu in diesen Schmerzen verschmachten ließe. Man hatte indessen ein barbarisches Urteil über diese und Marcello gefällt, ich wurde bizarr genannt, daß ich täglich zweimal, morgens und abends, nur diese Musik singen ließ. Nach und nach, wie jeder Sänger seinen Posten verstehen lernte, gewann er auch mehr Interesse. Auf Apolls hohen Kothurnen schreiten, mit Jupiters Blitzen um sich schleudern, mit Mars Schlachten liefern, Sklavenketten zerbrechen, den Jubel der Freiheit ausströmen, bacchantische Lust ausrasen, mit dem Schild der Minerva die anstürmenden Chöre zusammendrängen, ihre Evolutionen ordnend schützen, das sind so einzelne Teile dieser Musik, an denen ein jeder die Kraft seiner Begeisterung kann wirksam machen. Da ist denn auch kein Widerstand; Musik macht die Seele zu einem gefühligen Leib, jeder Ton berührt sie; Musik wirkt sinnlich auf die Seele, wer nicht so erregt ist im Spiel wie in der Komposition, der bringt nichts Gescheites hervor; die scheinheiligen, moralischen Tendenzen seh' ich so alle zum Teufel gehen mit ihrem erlogenen Plunder, denn nur die Sinne zeugen in der Kunst wie in der Natur, und Du weißt das am besten.

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Am 18. Oktober.

Von Klotzens Farbenmartyrtum hab' ich noch Rechenschaft zu geben; es ist nichts mit ihm anzufangen, ich habe zum Teil mit Langerweile, aber doch auch mit Teilnahme mein Ohr seinem fünfundzwanzigjährigen Manuskript geliehen, mich mühsam durchgearbeitet und mit Verwunderung entdeckt, daß er sich selbst in höchst prosaischem Wahnsinn hinten angehängt hat; nichts hab' ich besser verstanden als dies eine: Ich bin Ich, und beim Lichte besehen, hat er sich durch häufiges Hineinsinnen endlich selbst in drei grobe, schmutzige Stoffarben verwandelt. Nachdem ich eine wahre Marter bei ihm ausgestanden hatte, besonders durch sein schauerliches Gesicht, so konnt' ich nach endlich beendigten Kollegien nicht mehr über mich gewinnen, ihn zu besuchen, und kam mir eine seltsame Furcht, wenn ich ihn auf der Straße witterte. Bei Sonn- und Mondenschein stürzt er auf mich los, ich suche zu entweichen, ach, vergebens, die Angst lähmt meine Glieder, und ich falle in seine Hände. Nun fing er an, sein System von Grund aus in meine Seele einzukeilen, damit ich den Unterschied von Goethes Ansicht ja recht auffasse; auch lud er mich ein, um mir seine Lichttheorie auf französisch vorzulesen, er übersetzte das Ganze, um es der Pariser Akademie zu übergeben; da nun ein Dämon in mir dem allen entgegenarbeitet, was sich als Wirklichkeit behauptet, keine Form veredelt, alles Poetische leugnet oder höchst gleichgültig überbaut oder zertrümmert, so hab' ich ihm durch meine großen Lügen, Parodien und Vergleichsammlungen wiederum das Leben, das ganz erstarren wollte, auf etliche Zeit gefristet.

Ich meinte, da ich durch sein Prisma sah in den schwarzen Streif und alles sah, was er wollte, daß der Glaube die Geburt und sichtliche Erscheinung des Geistes sei und eine Befestigung seines Daseins; denn ohne ihn schwebt alles und gewinnt keine Gestalt und verfliegt in tausend Auswegen, so auch, wenn ich zweifle, und nicht glaube, so verfliegt mir auch Dein schönes Andenken, und ich habe nichts.

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Am 17. Oktober.

Um etwas bitte ich, Du darfst mir's nicht abschlagen, man kann nämlich während der Lebzeit nicht genug sammlen der Dinge, die die Einsamkeit des Grabes versüßen, als da sind: Schleifen, Haarlocken der Geliebten und so weiter; meine Liebe zu Dir ist zu groß, als daß ich Dir ein Haar krümmen möchte, viel weniger eins abschneiden, denn Dein Haar gehört zu Dir, und Du bist ein Ganzes, das meine Liebe sich zugeeignet hat und will auch nicht ein Haar an Dir missen. – Gib mir Dein Buch – lasse es schön einbinden in eine freundliche Farbe, in Rot etwa; denn das ist eine Farbe, in der wir uns oft begegneten, und dann schreibe mit eigner Hand vorne hinein: Bettine oder Schatz und so weiter – dies Buch schenk' ich Dir.

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Am 16. Oktober.

Zwei Briefe erhielt ich von Dir über Dürers Bildnis, Du mußt mir aber auch Nachricht geben, ob es unbeschädigt angekommen, und ob es Dir gefällt? – Sag' mir, was Du Lobenswertes daran findest, damit ich's dem sehr armen Maler wiedersagen kann. Ich habe jetzt noch obendrein gehäufte Korrespondenzen mit jungen Aufschößlingen der Kunst, einem jungen Baumeister in Köln, ein Musiker von achtzehn Jahren, der bei Winter Komposition studiert, reich an schönen Melodien, wie ein silberner Schwan, der in hellblauer Luft mit ausgespannten Flügeln singt. Der Schwan hat einen verflixt bayerischen Namen, er heißt Lindpaintner, doch sagt Winter, er wird diesen Namen zu Ehren bringen. Ein junger Kupferstecher, der bei Heß in München studiert. Beiliegendes radiertes Blättchen ist von ihm, es ist der erste Abdruck, noch verwischt und unzart, auch ist das Ganze etwas düster und nach dem Urteil anderer zu alt, indessen scheint mir's nicht ganz ohne Verdienst, er hat es ohne Zeichnung gleich nach der Natur aufs Kupfer gearbeitet; wenn Dir's gefällt, so schick' ich ein reineres, besseres, mit mehr Sorgfalt gepackt, das kannst Du an Dein Bett an die Wand stecken. – Allen diesen Menschen sprech' ich nun in verschiedner Art Trost zu und ist mir eine angenehme Würde, als ihr kleines Orakel von ihnen beraten zu werden, ich lehre sie nun ihre fünf Sinne verstehen; wie daß aller Dinge Wesen in ihnen fliegt und kriecht, wie Duft der Lüfte, wie Kraft der Erde, wie Drang der Wässer und Farben des Feuers in ihnen leben und arbeiten, wie die wahre Ästhetik im hellen Spiegel der Schöpfung liege, wie Reif, Tau und Nebel, Regenbogen, Wind, Schnee, Hagel, Donner und die drohenden Kometen, die Nordscheine und so weiter einen ganz andern Geist herbeiziehen. Der Gott, der den Winden Flügel anbindet, der wird sie ihrem Geist auch anbinden.

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Am 15. Oktober.

Merkst Du denn nicht, daß mein Datum immer zurück, statt vorwärts geht? – Ich habe mir nämlich eine List ausgesonnen; da die Zeit mich immer weiter trägt und nie zu Dir, so will ich zurückgehen bis auf den Tag, wo ich bei Dir war, und dort will ich stehen bleiben und will von dem: In Zukunft und: Mit der Zeit und: Bald gar nichts mehr wissen, sondern dem allen den Rücken kehren, ich will der Zukunft ein Schloß vor die Tür legen und somit Dir auch den Weg versperren, daß Du nirgends als zu mir kannst.

Schreib mir über die Musik, damit ich sie schicken kann, wenn Du sie nicht hast, ich schicke so gern etwas, dann bitte ich an die Frau meinen lieblichsten Gruß, des Sohns gedenke ich auch, Du aber schreib mir an einem hellen Tag; ich bilde mir immer ein, daß ich Dir unter vielem das Liebste sei. Als Deine Mutter noch lebte, da konnte ich mich mit ihr drum besprechen, die erklärte mir aus Deinen paar flüchtigen Zeilen alles; »ich kenne ja den Wolfgang«, sagte sie, »das hat er mit schwebendem Herzen geschrieben, er hält Dich so sicher in seinen Armen wie sein bestes Eigentum.« – Da streichelte mich diese Hand, die Deine Kindheit gepflegt hatte, und sie zeigte mir zuweilen noch manches aus dem ehmaligen Hausrat, wo Du dabei gewesen warst. Das waren Lieblichkeiten.

Bettine.

 

Morgen geh' ich wieder nach München, da werde ich den liebenswürdigen Präsidenten wiedersehen. In der diesjährigen öffentlichen Sitzung der Akademie ist eine sehr schöne Abhandlung über die ehmalige Geschichte des Salzwesens zu Reichenhall gelesen worden. Sie hatte das eigne Schicksal, jedermann zu ennuyren, wenn mein Brief dies Schicksal mit mir teilt, so lese ihn immer um des Zwangs, den ich mir angetan, auch von was anderm als meiner ewigen Liebe zu sprechen.


Goethe an Bettine.

Weimar, den 3. November 1809.

Wie könnte ich mich mit Dir, liebe Bettine, wollen in Wettstreit einlassen, Du übertriffst die Freunde mit Wort und Tat, mit Gefälligkeiten und Gaben, mit Liebe und Unterhaltung; das muß man sich denn also gefallen lassen und Dir dagegen so viel Liebe zusenden als möglich, und wenn es auch im Stillen wäre.

Deine Briefe sind mir sehr erfreulich, könntest Du ein heimlicher Beobachter sein, während ich sie studiere, Du würdest keineswegs zweifeln an der Macht, die sie über mich üben; sie erinnern mich an die Zeit, wo ich vielleicht so närrisch war wie Du, aber gewiß glücklicher und besser als jetzt.

Dein hinzugefügtes Bild ward gleich von deinen Freunden erkannt und gebührend begrüßt. Es ist sehr natürlich und kunstreich, dabei ernst und lieblich. Sage dem Künstler etwas Freundliches darüber und zugleich: er möge ja fortfahren, sich im Radieren nach der Natur zu üben, das Unmittelbare fühlt sich gleich, daß er seine Kunstmaximen dabei immer im Auge habe, versteht sich von selbst. Ein solches Talent müßte sogar lukrativ werden, es sei nun, daß der Künstler in einer großen Stadt wohnte oder darauf reiste. In Paris hatte man schon etwas Ähnliches. Veranlasse ihn doch, noch jemand vorzunehmen, den ich kenne, und schreibe seinen Namen, vielleicht gelingt ihm nicht alles wie das interessante Bettinchen, fürwahr, sie sitzt so treulich und herzlich da, daß man dem etwas korpulenten Buche, das übrigens im Bilde recht gut komponiert, seine Stelle beneiden muß. Das zerknillte Blättchen habe ich sogleich aufgezogen, mit einem braunen Rahmen umstrichen, und so steht es vor mir, indem ich dies schreibe, sende ja bald bessere Abdrücke.

Albrecht Dürer wäre ganz glücklich angekommen, wenn man nicht die unselige Vorsicht gehabt hätte, feines Papier obenauf zu packen, das denn im Kleide an einigen Stellen gerieben hat, die jetzt restauriert werden. Die Kopie verdient alle Achtung, sie ist mit großem Fleiß und mit einer ernsten, redlichen Absicht verfertigt, das Original möglichst wiederzugeben. Sage dem Künstler meinen Dank, Dir sag' ich ihn täglich, wenn ich das Bild erblicke; ich möchte von diesem Pinsel wohl einmal ein Porträt nach der Natur sehen.

Da ich das Wort Natur abermals niederschreiben so fühle ich mich gedrungen Dir zu sagen: daß Du doch Dein Naturevangelium, das Du den Künstlern predigst, in etwas bedingen möchtest; denn wer ließe sich nicht von so einer holden Pythonisse gern in jeden Irrtum führen. Schreibe mir, ob Dir der Geist sagt, was ich meine. Ich bin am Ende des Blatts und nehme dies zum Vorwand, daß ich verschweige, was ich zu sagen keinen Vorwand habe. Ich bitte Dich nur noch durch Übersendung Durantischer und Marcellischer Kompositionen abermals lieblich in meinem Hause zu spuken.

In diesen Tagen ließ sich eine Freundin melden, ich wollt' ihr zuvorkommen und glaubte wirklich Dir entgegenzugehen, da ich die zweite Treppe im Elefanten erstieg, aber es entwickelte sich ein ganz ander Gesicht aus der Reisekapuze, doch ist mir's seitdem angetan, daß ich mich oft nach der Tür wende, in der Meinung, Du kommst, meinen Irrtum zu berichtigen; durch eine baldige ersehnte Überraschung würde ich mich auch noch der in meiner Familie altherkömmlichen prophetischen Gabe versichert halten, und man würde sich mit Zuversicht auf ein so erfreuliches Ereignis vorbereiten, wenn der böse Dämon nicht gerade eingeübt wär', zuvörderst dem Herzen seine tückischsten Streiche zu spielen; und wie die zartesten Blüten oft noch mit Schnee gedeckt werden, so auch die lieblichste Neigung in Kälte zu verwandeln, auf so was muß man denn immer gefaßt sein, und es ist mir zum warnenden Merkzeichen, daß ich in dem launigen April, obschon im Scheiden begriffen, Deine erste Erscheinung verdanke.

Goethe.


An Goethe.

München, den 9. November.

Ach, es ist so schauerlich mit sich allein sein, in mancher Stunde! Ach, so mancher Gedanke bedarf des Trostes, den man doch niemand sagen kann, so manche Stimmung, die geradezu ins Ungeheure, Gestaltlose hinzieht, will verwunden sein. Hinaus ins Kalte, Freie, auf die höchsten Schneealpen mitten in der Nacht, wo der Sturmwind einem anbliese, wo man dem einzigen einengenden Gefühl der Furcht hart und keck entgegenträte, da könnte einem wohl werden, bilde ich mir ein.

Wenn Dein Genius eine Sturmwolke an dem hohen, blauen Himmel hinträgt und sie endlich von den breiten, mächtigen Schwingen niederschmettern läßt in die volle Blüte der Rosenzeit, das erregt nicht allgemeines Mitleid; mancher genießt den Zauber der Verwirrung, mancher löst sein eignes Begehren drin auf, ein dritter (mit diesem ich) senkt sich neben die Rose hin, so wie sie vom Sturm gebrochen ist, und erblaßt mit ihr und stirbt mit ihr, und wenn er dann wieder auflebt, so ist er neu geboren in schönerer Jugend – durch Deinen Genius, Goethe. Dies sag' ich Dir von dem Eindruck jenes Buchs: die »Wahlverwandtschaften«.

Eine helle Mondnacht hab' ich durchwacht, um Dein Buch zu lesen, das mir erst vor wenig Tagen in die Hände kam. Du kannst Dir denken, daß in dieser Nacht eine ganze Welt sich durch meine Seele drängte. Ich fühle, daß man nur bei Dir Balsam für die Wunde holen kann, die Du schlägst; denn als am andern Morgen Dein Brief kam mit allen Zeichen Deiner Güte, da wußte ich ja, daß Du lebst und auch für mich; ich fühlte, daß mir der Sinn mehr geläutert war, mich Deiner Liebe zu würdigen. Dies Buch ist ein sturmerregtes Meer, da die Wellen drohend an mein Herz schlagen, mich zu zermalmen. Dein Brief ist das liebliche Ufer, wo ich lande und alle Gefahr mit Ruhe, ja sogar mit Wohlbehagen übersehe.

Du bist in sie verliebt, Goethe, es hat mir schon lange geahnt, jene Venus ist dem brausenden Meer deiner Leidenschaft entstiegen, und nachdem sie eine Saat von Tränenperlen ausgesäet, da verschwindet sie wieder in überirdischem Glanz. Du bist gewaltig, Du willst, die ganze Welt soll mit Dir trauern, und sie gehorcht weinend Deinem Wink. Aber ich, Goethe, hab' auch ein Gelübde getan; Du scheinst mich freizugeben in Deinem Verdruß, »lauf hin«, sagst Du zu mir, »und such' dir Blumen«, und dann verschließt Du Dich in die innerste Wehmut Deiner Empfindung, ja, das will ich, Goethe! – Das ist mein Gelübde, ich will Blumen suchen, heitere Gewinde sollen Deine Pforte schmücken und wenn Dein Fuß strauchelt, so sind es Kränze, die ich Dir auf die Schwelle gelegt, und wenn Du träumst, so ist es der Balsam magischer Blüten, der Dich betäubt; Blumen einer fernen fremden Welt, wo ich nicht fremd bin, wie hier in dem Buch, wo ein gieriger Tiger das feine Gebild geistiger Liebe verschlingt; ich verstehe es nicht, dieses grausame Rätsel, ich begreife nicht, warum sie alle sich unglücklich machen, warum sie alle einem tückischen Dämon mit stacheligem Zepter dienen; und Charlotte, die ihm täglich, ja stündlich Weihrauch streut, die mit mathematischer Konsequenz das Unglück für alle vorbereitet. Ist die Liebe nicht frei? – Sind jene beiden nicht verwandt? – Warum will sie es ihnen wehren, dies unschuldige Leben mit- und nebeneinander? Zwillinge sind sie; ineinander verschränkt reifen sie der Geburt ins Licht entgegen, und sie will diese Keime trennen, weil sie nicht glauben kann an eine Unschuld; das ungeheure Vorurteil der Sünde impft sie der Unschuld ein. O, welche unselige Vorsicht.

Weißt Du was? Keiner ist vertraut mit der idealischen Liebe, jeder glaubt an die gemeine, und so pflegt, so gönnt man kein Glück, das aus jener höheren entspringt oder durch sie zum Ziel geführt könnte werden. Was ich je zu gewinnen denke! es sei durch diese idealische Liebe; sie sprengt alle Riegel in neue Welten der Kunst, der Weissagung und der Poesie; ja, natürlich, so wie sie in einem erhabneren Sinn nur sich befriedigt fühlt, so kann sie auch nur in einem erhabneren Element leben.

Hier fällt mir Deine Mignon ein, wie sie mit verbundnen Augen zwischen Eiern tanzt. Meine Liebe ist geschickt, verlasse Dich ganz auf ihren Instinkt, sie wird auch blind dahintanzen und wird keinen Fehltritt tun.

Du nimmst teil an meinen Zöglingen der Kunst, das macht mir und ihnen viel Freude. Der junge Mensch, welcher mein Bildchen radiert hat, ist aus einer Familie, deren jedes einzelne Mitglied mit großer Aufmerksamkeit an Deinem Beginnen hängt; ich hörte den beiden älteren Brüdern oft zu, wie sie Pläne machten, Dich nur einmal von weitem zu sehen; der eine hatte Dich aus dem Schauspiel gehen sehen, in einen großen grauen Mantel gehüllt, er erzählte es mir immer wieder. – Wie mir das ein doppelter Genuß war! – Denn ich war ja selbst an jenem Regentag mit Dir im Schauspiel gewesen, und dieser Mantel schützte mich vor den Augen der Menge, wie ich in Deiner Loge war, und Du nanntest mich Mäuschen, weil ich so heimlich verborgen aus seinen weiten Falten hervorlauschte; ich saß im Dunkel, Du aber im Licht der Kerzen, Du mußtest meine Liebe ahnen, ich konnte Deine süße Freundlichkeit, die in allen Zügen, in jeder Bewegung verschmolzen war, deutlich erkennen; ja, ich bin reich, der goldne Pactolus fließt durch meine Adern und setzt seine Schätze in meinem Herzen ab. Nun sieh! – Solch süßer Genuß von Ewigkeit zu Ewigkeit, warum ist der den Liebenden in Deinem Roman nicht erlaubt? – Oder warum genügt er ihnen nicht? – Ja, es kann sein, daß ein ander Geschick noch zwischen uns tritt, ja, es muß sein; da doch alle Menschen handeln wollen, so werden sie einen solchen Spielraum nicht unbenutzt lassen; laß sie gewähren, laß sie säen und ernten, das ist es nicht; – die Schauer der Liebe, die tief empfundnen, werden einst wieder auftauchen; die Seele liebt ja; was ist es denn, was im keimenden Samen befruchtet wird? Die tief verschlossene, noch ungeborne Blüte, diese, ihre Zukunft, wird erzeugt durch solche Schauer; die Seele aber ist die verschlossene Blüte des Leibes, und wenn sie aus ihm hervorbricht, dann werden jene Liebesschauer in erhöhtem Gefühl mit hervorbrechen, ja, diese Liebe wird nichts anderes sein als der Atem jenes zukünftigen himmlischen Lebens, drum klopft uns auch das Herz, und der Atem regiert das unbegreifliche Wonnegefühl; bald schöpft er mit tiefem Seufzer aus dem Abgrund der Seligkeit, bald kann er mit Windesschnelle kaum alles erfassen, was ihn gewaltig durchströmt. Ja, so ist es, lieber Goethe, ich empfinde jede Minute, in der ich Deiner gedenke, daß sie die Grenze des irdischen Lebens überschreitet, und die tiefen Seufzer wechseln unversehen mit den raschen Pulsen der Begeisterung; ja, so ist es, diese Schauer der Liebe sind der Atem eines höheren Lebens, dem wir einst angehören werden, und das uns in diesen irdischen Beseligungen nur sanft anbläst.

Nun will ich wieder zu meinem jungen Künstler zurückkehren, der einer der liebenswürdigsten Familien angehört, deren alle sehr hoch begabten Mitglieder so jung schon jetzt weit über ihre Zeit hinausragen. Ludwig Grimm, der Zeichner, machte schon vor zwei Jahren, da er noch gar wenig Übung hatte, aber viel stillen vergrabenen Sinn, ein Bildchen von mir; für mich hat es Bedeutung, es hat Wahrheit, aber kein Geschick fürs Äußere, wenig Menschen finden es daher ähnlich; auch hat mich noch niemand über der Bibel eingeschlafen gesehen, im roten Kleide in der kleinen gotischen Kapelle, mit den Grabsteinen und Inschriften rund umher, ich eingeschlafen über der Weisheit Salomonis. Lasse es einrahmen als Lichtschirm und denke dabei, daß, während er Dein Abendlicht in stille Dämmerung verwandelt, ich träumend einer Hellung nachspähe, die den feurigliebendsten der Könige erleuchtet.

Des jungen Künstlers Charakter ist übrigens so, daß das übrige Gute, was Du für ihn sagst, nicht anwendbar ist; er ist furchtsam, ich habe ihn mit List erst nach und nach zahm gemacht, ich gewann ihn dadurch, daß ich mit Lust ebenso Kind war wie er; wir hatten eine Katze, mit der wir um die Wette spielten, in einer unbewohnten Küche kochte ich selbst das Nachtessen; während alles beim Feuer stand, saß ich daneben auf einem Schemel und las; wie es der Zufall wollte war ich gekleidet, gelagert, drapiert. – Mit großem Enthusiasmus für den günstigen Zufall machte er Skizzen nach der Natur und litt nicht, daß ich auch nur eine Falte änderte, so brachten wir eine interessante kleine Sammlung zusammen, wie ich gehe und stehe und liege; in die umliegende Gegend ist er gereist, wo schöne anziehende Gesichter sind, er brachte allemal einen Schatz von radierten Blättchen mit, mit schöner Treue, für das Gemütliche, nachgeahmt; das einfache Evangelium, was ich ihm predige, ist nichts anderes, als was dem Veilchen der laue Westwind zuflüstert. Dadurch wird's nicht in Irrtümer geführt werden. Beiliegende radierte Blättchen nach der Natur werden Dich erfreuen.

Der Musiker ist mein Liebling, und bei diesem könnte ich schon eher in meinen Kunstpredigten über die Schnur gehauen haben; denn da hole ich weiter aus, und hier schenke ich Dir nichts; es geht nächstens wieder über Dich her, Du mußt das überströmende unbegriffne Ahnungsgefühl wunderbarer Kräfte und ihrer mystischen Wirkungen in Dich aufnehmen, nächstens werde ich tiefer Atem holen und alles vor Dir aussprechen. Sehr sonderbar ist es, auch einen Architekten lernte ich früher schon kennen, der in Deinen »Wahlverwandtschaften« unverkennbar erscheint; er verdient es durch frühere enthusiastische Liebe zu Dir. Er machte damals einen Plan zu einem sehr wunderbaren Haus für Dich, das auf einem Felsen stand und mit vielen erznen Figuren, Springbrunnen und Säulen geziert war.

Wieviel hätte ich Dir noch zu sagen auf ein herrlich Wort aus Deinem Brief, es wird sich aber von selbst beantworten, oder ich bin nicht wert, daß Du so viel Herablassung an mich vergeudest. Oft möcht' ich Dich ansehen, um Dir Glück in die Augen zu tragen und wieder auch Glück daraus zu saugen, darum höre ich auch jetzt auf zu schreiben.

Bettine.


An Goethe.

Die Welt wird mir manchmal zu eng. Was mich drückt? Es ist der Waffenstillstand, der Friede mit allen schauerlichen Folgen, mit aller verruchten Verräterei der Politik. Die Gänse, die mit ihrem Geschrei das Kapitol einst retteten, lassen sich ihr Recht nicht streitig machen, sie allein führen das Wort.

Aber Du, freundlicher Goethe! Sonnenschein! Der auch mitten im Winter auf den beschneiten Höhen liegt und in mein Zimmer guckt. – Ich hab' mir des Nachbars Dach, das morgens von der Sonne beschienen ist, als ein Zeichen von Dir gesetzt.

Ohne Dich wär' ich vielleicht so traurig geworden als ein Blindgeborner, der von den Himmelslichtern keinen Begriff hat. Du klarer Brunnen, in dem der Mond sich spiegelt, da man die Sterne mit hohler Hand zum Trinken schöpft; Du Dichter, Freier der Natur, der, ihr Bild in der Brust, uns arme Sklavenkinder es anbeten lehrt.

Daß ich Dir schreibe, ist so sonderbar, als wenn eine Lippe zur andern spräche. Höre, ich habe Dir was zu sagen, ja ich hole zu weit aus, da sich doch alles von selbst versteht, und was sollte die andere Lippe darauf antworten? Im Bewußtsein meiner Liebe, meiner innigsten Verwandtschaft zu Dir schweigst Du. – Ach, wie konnte doch Ottilie früher sterben wollen? – O, ich frage Dich: ist es nicht auch Buße, Glück zu tragen, Glück zu genießen? – O Goethe, konntest Du keinen erschaffen, der sie gerettet hätte? – Du bist herrlich, aber grausam, daß Du dies Leben sich selbst vernichten läßt; nachdem nun einmal das Unglück hereingebrochen war, da mußtest Du decken, wie die Erde deckt, und wie sie neu über den Gräbern erblüht, so mußten höhere Gefühle und Gesinnungen aus dem Erlebten erblühen, und nicht durfte der unreife jünglinghafte Mann so entwurzelt weggeschleudert werden, und was hilft mich aller Geist und alles Gefühl in Ottiliens Tagebuch? Nicht kindlich ist's, daß sie den Geliebten verläßt und nicht von ihm die Entfaltung ihres Geschicks erwartet, nicht weiblich ist's, daß sie nicht bloß sein Geschick beratet; und nicht mütterlich, da sie ahnen muß die jungen Keime alle, deren Wurzeln mit den ihrigen verweht sind, daß sie ihrer nicht achtet und alles mit sich zugrunde richtet.

Es gibt eine Grenze zwischen einem Reich, was aus der Notwendigkeit entsteht, und jenem höheren, was der freie Geist anbaut; in die Notwendigkeit sind wir geboren, wir finden uns zuerst in ihr, aber zu jenem freien werden wir erhoben. Wie die Flügel den Vogel in die Lüfte tragen, der unbefiedert vorher ins Nest gebannt war, so trägt jener Geist unser Glück stolz und unabhängig in die Freiheit; hart an diese Grenze führst Du Deine Lieben, kein Wunder! Wir alle, die wir denken und lieben, harren an dieser Grenze unserer Erlösung; ja die ganze Welt kommt mir vor wie am Strand versammelt und einer Überfahrt harrend durch alle Vorurteile, böse Begierden und Laster hindurch zum Land, da einer himmlischen Freiheit gepflegt werde. Wir tun unrecht zu glauben, dazu müsse der Leib abgelegt werden, um in den Himmel zu kommen. Wahrhaftig! Wie die ganze Natur von Ewigkeit zu Ewigkeit sich vorbereitet, ebenso bereitet sich der Himmel vor, in sich selbsten, in der Erkenntnis eines keimenden geistigen Lebens, dem man alle seine Kräfte widmet, bis es sich von selbst in die Freiheit gebäre, dies ist unsere Aufgabe, unsere geistige Organisation, es kommt drauf an, daß sie sich belebe, daß der Geist Natur werde, damit dann wieder ein Geist, ein weissagender sich aus dieser entfalte. Der Dichter (Du, Goethe) muß zuerst dies neue Leben entfalten, er hebt die Schwingen und schwebt über den Sehnenden und lockt sie und zeigt ihnen, wie man über dem Boden der Vorurteile sich erhalten könne; aber ach! Deine Muse ist eine Sappho, statt dem Genius zu folgen, hat sie sich hinabgestürzt.

*

Am 29. November.

Gestern hab' ich so weit geschrieben, da hab' ich mich ins Bett gelegt aus lauter Furcht, und wie ich alle Abend tue, daß ich im Denken an Dich zu Deinen Füßen einschlafe, so wollte es mir gestern nicht gelingen; ich mußte mich schämen, daß ich so hoffärtig geschwätzt habe, und alles ist vielleicht doch nicht, wie ich's meine. Am End' ist es die Eifersucht, die mich so aufbringt, daß ich einen Weg suche, wie ich Dich wieder an mich reiße und ihrer vergessen mache; nun! Prüfe mich, und wie es auch sei, so vergesse nur meiner Liebe nicht und verzeihe mir auch, daß ich Dir mein Tagebuch zuschicke; am Rhein hab' ich's geschrieben, ich habe darin das Leben meiner Kinderjahre vor Dir ausgebreitet und Dir gezeigt, wie unser beider Wahlverwandtschaft mich trieb, wie ein Bächlein eilend dahinzurauschen über Klippen und Felsen zwischen Dornen und Moosen bis dahin, wo Du gewaltiger Strom mich verschlingst. Ja, ich wollte dies Buch behalten, bis ich endlich wieder bei Dir sein würde, da wollte ich morgens in Deinen Augen sehen, was Du abends darin gelesen hattest; nun aber quält mich's, daß Du mein Tagebuch an die Stelle von Ottilien ihrem legest, und die Lebende liebst, die bei Dir bleibt, mehr wie jene, die von Dir gegangen ist.

Verbrenne meine Briefe nicht, zerreiße sie nicht, es möchte Dir sonst selber weh tun, so fest, so wahrhaft lebendig häng' ich mit Dir zusammen, aber zeige sie auch niemanden, halt's verborgen wie eine geheime Schönheit, meine Liebe steht Dir schön, Du bist schön, weil Du Dich geliebt fühlst.

 

Am Morgen.

Über Nacht blüht oft ein Glück empor wie die türkische Bohne, die, am Abend gepflanzt, bis zum Morgen hinaufwuchs und sich in die Mondsichel einrankte; aber beim ersten Sonnenstrahl verwelkt alles bis zur Wurzel, so hat sich heute nacht mein Traum blühend zu Dir hinaufgerankt, und eben war's am schönsten, Du nanntest mich »Dein alles«, da dämmerte der Morgen, und der schöne Traum war verwelkt wie die türkische Bohne, an der man nachts so bequem das Mondland erstieg.

Ach, schreibe mir bald, ich bin unruhig über alles, was ich gewagt habe in diesem Brief, ich schließe ihn, um einen neuen anzufangen, ich könnte zwar zurückhalten, was ich Dir über die Wahlverwandtschaften sagte, aber wär' es recht, dem Freund zu verschweigen, was im Labyrinth der Brust wandelt in der Nacht? –

Bettine.

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