Seinem Denkmal


An Goethe.

Am 21. August.

Du kannst Dir keinen Begriff machen, mit welchem Jubel die Mutter mich aufnahm! Sowie ich hereinkam, jagte sie alle fort, die bei ihr waren. »Nun, ihr Herren«, sagte sie, »hier kommt jemand, der mit mir zu sprechen hat«, und so mußten alle zum Tempel hinaus. Wie wir allein waren, sollte ich erzählen – da wußt' ich nichts. »Aber wie war's, wie Du ankamst?« – »Ganz miserabel Wetter«; »vom Wetter will ich nichts wissen; – vom Wolfgang, wie war's, wie du hereinkamst?« »Ich kam nicht, er kam«; – »nun wohin?« – »In den Elefanten, um Mitternacht drei Treppen hoch; alles schlief schon fest, die Lampen auf dem Flur ausgelöscht, das Tor verschlossen, und der Wirt hatte den Schlüssel schon unterm Kopfkissen und schnarchte tüchtig.« – »Nun, wie kam er denn da herein?« – »Er klingelte zweimal, und wie er zum drittenmal recht lang an der Glocke zog, da machten sie ihm auf.« »Und du?« – »Ich in meiner Dachstube merkte nichts davon; Meline lag schon lange und schlief im Alkoven mit vorgezognen Vorhängen; ich lag auf dem Sofa und hatte die Hände überm Kopf gefaltet und sah, wie der Schein der Nachtlampe wie ein großer, runder Mond an der Decke spielte; da hört' ich's rascheln an der Tür und mein Herz war gleich auf dem Fleck; es klopfte, während ich lauschte, aber weil es doch ganz unmöglich war in dieser späten Stunde und weil es ganz still war, so hört' ich nicht auf mein ahnendes Herz; und da trat er herein, verhüllt bis ans Kinn im Mantel und machte leise die Tür hinter sich zu und sah sich um, wo er mich finden sollte; ich lag in der Ecke des Sofas ganz in Finsternis eingeballt und schwieg; da nahm er seinen Hut ab, und wie ich die Stirne leuchten sah, den suchenden Blick, und wie der Mund fragte: ›Nun, wo bist du denn?‹ da tat ich einen leisen Schrei des Entsetzens über meine Seligkeit, und da hat er mich auch gleich gefunden.«

Die Mutter meinte, das würde eine schöne Geschichte geworden sein in Weimar. Der Herr Minister um Mitternacht im Elefanten drei Treppen hoch eine Visite gemacht! – Jawohl, ist die Geschichte schön! Jetzt, wo ich sie hier überlese, bin ich entzückt, überrascht, hingerissen, daß mir dies all begegnet ist, und ich frag' Dich: welche Stunde wird so spät sein in Deinem Leben daß es nicht Dein Herz noch rühren sollte? Wie Du in der Wiege lagst, da konnte kein Mensch ahnen, was aus Dir werden würde, und wie ich in der Wiege lag, da hat mir's keiner gesungen, daß ich Dich einst küssen würde.

Hier fand ich alles auf dem alten Fleck; mein Feigenbaum hat Feigen gewonnen und seine Blätter ausgebreitet; mein Gärtchen auf dem großen Hausaltan, der von einem Flügel zum andern reicht, steht in voller Blüte, der Hopfen reicht bis ans Dach, in die Laube hab' ich meinen Schreibtisch gesetzt, da sitze ich und schreib' an Dich und träume von Dir, wenn mir der Kopf trunken ist von den Sonnenstrahlen; ach, ich lieg' so gern in der Sonne und lasse mich recht durchbrennen.

Gestern ging ich am Stift vorbei, da klingelte ich nach früherer Gewohnheit, und da lief ich nach dem kleinen Gang, der nach der Günderode ihrer Wohnung führt. Die Tür ist noch verschlossen, es hat noch niemand wieder den Fuß über die Schwelle gesetzt; ich küßte diese Schwelle, über die sie so oft geschritten ist, um zu mir zu gehen und ich zu ihr. – Ach, wenn sie noch lebte, welch neues Leben würde ihr aufgehen, wenn ich ihr alles erzählte, wie wir in jenen Nachtstunden so still nebeneinander gesessen haben, die Hände ineinander gelegt, und wie die einzelnen Laute, die über Deine Lippen kamen, mir ins Herz drangen. Ich schreib' Dir's her, damit Du es nie vergessen sollst. Freund, ich könnte eifersüchtig sein über Deine Anmut; die Grazien sind weiblich, sie schreiten vor Dir her, wo Du eintrittst, da ist heilige Ordnung; denn alles Zufällige selbst schmiegt sich Deiner Erscheinung an. – Sie umgeben Dich, sie halten Dich gefangen und in der Zucht; denn Du möchtest vielleicht manchmal anders, aber die Grazien leiden's nicht, ja diese stehen Dir weit näher, sie haben viel mehr Gewalt über Dich als ich.

Der Primas hat mich auch einladen lassen, wie er hörte, daß ich von Weimar gekommen; ich sollte ihm von Dir erzählen. Da hab' ich ihm allerlei gesagt, was ihm Freude machen konnte. Dein Mädchen hatte sich geputzt, es wollte Dir Ehre machen, ja, ich wollte schön sein, weil ich Dich liebe, und weil es die Leute wissen, daß Du mir gut bist; ein rosa Atlaskleid mit schwarzen Samtärmeln und schwarzem Bruststück, und ein schöner Strauß duftete an meinem Herzen, und goldne Spangen hielten meine schwarzen Locken zurück. Du hast mich noch nie geputzt gesehen; ich kann Dir sagen, mein Spiegel ist freundlich bei solcher Gelegenheit, und das macht mich sehr vergnügt, so daß ich geputzt immer sehr lustig bin. Der Primas fand mich auch hübsch und nannte die Farben meines Kleides »préjugé vaincu.« »Nein«, sagte ich, »Marlborough s'en va-t-en guerre, qui sait quand il reviendra.« – »Le voilà de retour«, sagte er und zog meinen Engländer hervor, der vor drei Wochen mit mir bei ihm zu Mittag gegessen hatte; nun mußte ich wieder neben ihm sitzen beim Souper, und er sagte mir auch englisch allerlei Zärtlichkeiten, die ich nicht verstehen wollte, und worauf ich ihm verkehrte Antworten gab, so war ich sehr lustig; wie ich spät nach Hause kam, da duftete mein Schlafzimmer von Wohlgeruch, und da war eine hohe Blume, die diesen Duft ausströmte, die ich noch nie gesehen hatte, eine Königin der Nacht; ein fremder Bedienter, der nicht deutsch sprechen konnte, hatte sie für mich gebracht; das war also ein freundliches Geschenk vom Engländer, der in dieser Nacht noch abgereist war. Ich stand vor meiner Blume allein und beleuchtete sie, und ihr Duft schien mir wie Tempelduft. Der Engländer hat's verstanden, mir zu gefallen.

Der Primas hat mir noch Aufträge gegeben; ich soll Dir sagen, daß wenn Dein Sohn kommt, so soll er ihn in Aschaffenburg besuchen, wohin er in diesen Tagen abreist. – Da er aber erst zu Ostern kommt, so wird der Primas wieder hier sein.

Dein Kind küßt Dir die Hände.

 

Die Mutter läßt mich heut' rufen und sagt, sie habe einen Brief von Dir, und läßt mich nicht hineingehen und sagt, Du verlangst, ich soll dem Dux schreiben, ein paar Zeilen, weil er die Artigkeit gehabt hat, für die umgestürzte Linde zu sorgen, und das nennst Du in meine elegischen Empfindungen eingehen. – Liebster Freund, ich kann nicht leiden, daß ein andrer in meine Empfindung eingehe, die ich bloß zu Dir hege; da treib ihn nur wieder heraus und sei Du allein in mir und mache mich nicht eifersüchtig.

Dem Dux aber sage, was meine Devotion mir hier eingibt: daß es ein andrer hoher Baum ist, für dessen Pflege ich ihm danke, dessen blühende Äste weit über die Grenzen des Landes in andre Weltteile ragen und Früchte spenden und duftenden Schatten geben. Für den Schutz dieses Baumes, für die Gnadenquelle, die ihn tränkt, für den Boden der Liebe und Freundschaft, aus welchem er begeisternde Nahrung saugt, bleibt mein Herz ihm ewig unterworfen, und dann dank' ich ihm auch noch, daß er der Wartburger Linde nicht vergißt. –


An Bettine.

Am 5. September.

Du hast Dich, liebe Bettine, als ein wahrer kleiner Christgott erwiesen, wissend und mächtig, eines jeden Bedürfnisse kennend und ausfüllend; – und soll ich Dich schelten oder loben, daß Du mich wieder zum Kinde machst? Denn mit kindischer Freude hab' ich Deine Bescherung verteilt und mir selbst zugeeignet. Deine Schachtel kam kurz vor Tische; verdeckt trug ich sie dahin, wo Du auch einmal gesessen, und trank zuerst August aus dem schönen Glase zu. Wie verwundert war er, als ich es ihm schenkte! Darauf wurde Riemer mit Kreuz und Beutel beliehen; niemand erriet, woher? Auch zeigte ich das künstliche und zierliche Besteck; – da wurde die Hausfrau verdrießlich, daß sie leer ausgehen sollte. Nach einer Pause, um ihre Geduld zu prüfen, zog ich endlich den schönen Gewandstoff hervor; das Rätsel war aufgelöst und jedermann in Deinem Lobe eifrig und fröhlich.

Wenn ich also das Blatt noch umwende, so hab' ich immer nur Lob und Dank da capo vorzutragen; das ausgesuchte Zierliche der Gaben war überraschend. Kunstkenner wurden herbeigerufen, die artigen Balgenden zu bewundern – genug, es entstand ein Fest, als wenn Du eben selbst wiedergekommen wärst. – Du kommst mir auch wieder in jedem Deiner lieben Briefe und doch immer neu und überraschend, so daß man glauben sollte, von dieser Seite habe man Dich noch nicht gekannt; und Deine kleinen Abenteuer weißt Du so allerliebst zu drehen, daß man gern der eifersüchtigen Grillen sich begibt, die einem denn auch zuweilen anwandeln; bloß um das artige Ende des Spaßes mit zu erleben. So war es mit der launigen Episode des Engländers, dessen ungeziemendes Wagnis den Beweis für sein schönes sittliches Gefühl herbeiführen mußte. Ich bin Dir sehr dankbar für solche Mitteilungen, die freilich nicht jedem recht sein mögen; möge Dein Vertrauen wachsen, das mir so viel zubringt, was ich jetzt nicht mehr gerne entbehren mag; auch ein belobendes Wort muß ich Dir hier sagen für die Art, wie Du Dich mit meinem gnädigsten Herrn verständigt hast. Er konnte nicht umhin, auch Dein diplomatisches Talent zu bewundern; Du bist allerliebst, meine kleine Tänzerin, die einem mit jeder Wendung unvermutet den Kranz zuwirft. Und nun hoffe ich bald Nachricht, wie Du mit der guten Mutter lebst, wie Du ihrer pflegst, und welche schöne vergangne Zeiten zwischen Euch beiden wieder auferstehen.

Der lieben Meline Mützchen ist auch angekommen. Ich darf's nicht laut sagen, es steht aber niemand so gut als ihr. Freund Stollens Attention auf dem blauen Papier hat Dir doch Freude gemacht. Adieu, mein artig Kind! Schreibe bald, daß ich wieder was zu übersetzen habe.


An Goethe.

G., 17. September.

Freundlicher Mann! Du bist zu gut, Du nimmst alles, was ich Dir im heiteren Übermut biete, als wenn es noch so viel Wert habe; aber ich fühl's recht in Deinem freundlichen Herabneigen, daß Du mir gut bist wie dem Kind, das Gras und Kräuter bringt und meint, es habe einen auserlesenen Strauß zusammengesucht; dem lächelt man auch so zu und sagt: »Wie schön ist dein Strauß, wie angenehm duftet er, er soll mir blühen in meinem Garten, hier unter meinem Fenster will ich ihn pflanzen«; und doch sind es nur wurzellose Feldblumen, die bald welken. Ich aber sehe mit Lust, wie du mich in Dich aufnimmst, wie du diese einfachen Blumen, die am Abend schon welken müßten, ins Feuer der Unsterblichkeit hältst und mir zurückgibst. – Nennst Du das auch übersetzen, wenn der göttliche Genius die idealische Natur vom irdischen Menschen scheidet, sie läutert, sie enthüllt, sie sich selbst wieder anvertraut, und so die Aufgabe, selig zu werden, löst? Ja, Goethe, so machst Du die Seufzer, die meine sehnende Liebe aushaucht zu Geistern, die mich auf der Straße der Seligkeit umschweben; ach, und wohl auch meiner Unsterblichkeit weit voraneilen.

Welch heiliges Abenteuer, das unter dem Schutze des Eros sich kühn und stolz aufschwingt, kann ein herrlicher Ziel erreichen, als ich in Dir erreicht habe! Wo Du mir zugibst mit Lust: Gehemmt sei nun zum Vater hin das Streben. – O glaub' es: nimmer trink' ich mich satt an diesen Liebesergießungen, ewig fühl' ich von brausenden Stürmen mich zu Deinen Füßen getragen, und in diesem neuen Leben, in dem meine Glückssterne sich spiegeln, vor Wonne untergehn.

Diese Tränen, die meine Schrift verblassen, die möcht' ich wie Perlen aufreihen, geschmückt vor Dir erscheinen und Dir sagen: vergleiche ihr reines Wasser mit Deinen andern Schätzen, und dann solltest Du mein Herz schlagen hören wie am Abend, wo ich vor Dir kniete.

Geheimnisse umschweben Liebende, sie hüllen sie in ihre Zauberschleier, aus denen sich schöne Träume entfalten. Du sitzest mit mir auf grünem Rasen und trinkst dunklen Wein aus goldnem Becher und gießest die Neige auf meine Stirn. Aus diesem Traum erwachte ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt bist. Ich glaube, daß du teil an solchen Träumen hast; daß Du liebst in solchen Augenblicken; – wem sollte ich sonst dies selige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht gäbst! Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag erwache, dann ist mir alles so gleichgültig, und was mir auch geboten wird – ich entbehre es gern; ja, ich möchte von allem geschieden sein, was man Glück nennt, und nur innerlich das Geheimnis, daß Dein Geist meine Liebe genießt, sowie meine Seele von Deiner Güte sich nährt.

Ich soll Dir von der Mutter schreiben; – nun, es ist wunderlich zwischen uns beschaffen, wir sind nicht mehr so gesprächig wie sonst, aber doch vergeht kein Tag, ohne daß ich die Mutter seh'. Wie ich von der Reise kam, da mußt' ich die Rolle des Erzählens übernehmen, und obschon ich lieber geschwiegen hätte, so war doch ihres Fragens kein Ende und ihre Begierde mir zuzuhören auch nicht. Es reizt mich unwiderstehlich, wenn sie mit großen Kinderaugen mich ansieht, in denen der genügendste Genuß funkelt. So löste sich meine Zunge und nach und nach manches vom Herzen, was man sonst nicht leicht wieder ausspricht.

*

Am 2. Oktober.

Die Mutter ist listig, wie sie mich zum Erzählen bringt, so sagt sie: »Heute ist ein schöner Tag, heut' geht der Wolfgang gewiß nach seinem Gartenhaus, es muß noch recht schön da sein, nicht wahr, es liegt im Tal?« – »Nein, es liegt am Berg, und der Garten geht auch bergauf, hinter dem Haus da sind große Bäume von schönem Wuchs und reich belaubt.« – »So! Und da, bist Du abends mit ihm hingeschlendert aus dem römischen Haus?« – »Ja, ich hab's Ihr ja schon zwanzigmal erzählt«; – »so erzähl's noch einmal. Hattet ihr denn Licht im Haus?« – »Nein, wir saßen vor der Tür auf der Bank, und der Mond schien hell.« – »Nun! Und da ging ein kalter Wind?« – »Nein, es war gar nicht kalt, es war warm, und die Luft ganz still und wir waren auch still. Die reifen Früchte fielen von den Bäumen, er sagte: da fällt schon wieder ein Apfel und rollt den Berg hinab; da überflog mich ein Frostschauer; – der Wolfgang sagte: ›Mäuschen, du frierst‹, und schlug mir seinen Mantel um, den zog ich dicht um mich, seine Hand hielt ich fest und so verging die Zeit; – wir standen beide zugleich auf und gingen Hand in Hand durch den einsamen Wiesengrund; – jeder Schritt klang mir wieder im Herzen, in der lautlosen Stille, – der Mond kam hinter jedem Busch hervor und beleuchtete uns, – da blieb der Wolfgang stehen, lachte mich an im Mondglanz und sagte zu mir: ›Du bist mein süßes Herz‹, so führte er mich bis zu seiner Wohnung und das war alles.« – »Das waren goldne Minuten, die keiner mit Gold aufwiegen kann«, sagte die Mutter, »die sind nur dir beschert, und unter Tausenden wird's keiner begreifen, was dir für ein Glückslos zugefallen ist; ich aber versteh' es und genieße es, als wenn ich zwei schöne Stimmen sich singend Red' und Antwort geben hörte über ihr verschwiegenstes Glück.«

Da holte mir die Mutter Deinen Brief und ließ mich lesen, was Du über mich geschrieben hast, daß es Dir ein großer Genuß sei, meine Mitteilungen über Dich zu hören; die Mutter meint', sie könne es nicht, es läg' in meiner Art, zu erzählen, das Beste.

Da hab' ich Dir nun diesen schönen Abend beschrieben.

Ich weiß ein Geheimnis: wenn zwei miteinander sind und der göttliche Genius waltet zwischen ihnen, das ist das höchste Glück.

Adieu, mein lieber Freund.


An Goethe.

Ach, frage nur nicht, warum ich schon wieder ein neues Blatt vornehme, da ich Dir doch eigentlich nichts zu sagen habe? – Ich weiß freilich noch nicht, womit ich's ausfüllen soll, aber das weiß ich, daß es doch zuletzt in Deine lieben Hände kommt. Drum hauch' ich's an mit allem, was ich Dir aussprechen würde, ständ' ich selbst vor Dir. Ich kann nicht kommen, drum soll der Brief mein ungeteiltes Herz zu Dir hinübertragen, erfüllt mit Genuß vergangner Tage, mit Hoffnung auf neue, mit Sehnsucht und Schmerz um Dich; da weiß ich nun keinen Anfang und kein Ende.

Von heute mag ich Dir nun gar nichts vertrauen, wie soll ich loskommen vom Wünschen, Sinnen und Wähnen; wie soll ich Dir mein treues Herz, das sich von allem zu Dir allein hinüberwendet, aussprechen? – Ich muß schweigen wie damals, als ich vor Dir stand, um Dich anzusehen. Ach, was hätt' ich auch sagen sollen? Ich hatte nichts mehr zu verlangen.

Gestern waren viele witzige Köpfe im Haus Brentano beisammen, da wurden unter andern gymnastischen Geistesübungen auch Rätsel aufgegeben, da waren sehr geschickte Einfälle, und wie die Reihe an mich kam, da wußt' ich nichts. Wie ich in der Verlegenheit mich umsah und kein Gesicht, das mir einen befreundeten, verständlichen Ausdruck hatte, da erfand ich dies Rätsel: »Warum die Menschen keine Geister sehen?« – Keiner konnte es raten, ich sagte: »Weil sie sich vor Gespenster fürchten.« – »Wer? – Die Menschen?« »Nein, die Geister.« – Ja, so grausamlich kamen mir diese Gesichter vor und so fremd und unverständlich, aus denen nichts zu mir sprach wie aus Deinen geliebten Zügen, vor denen sich die Geister gewiß nicht fürchten; nein, es ist Deine Schönheit, daß die Geister mit Deinen Mienen spielen, und dies ist der unwiderstehliche Reiz für den Liebenden, daß der Geist ewig Dein Gesicht umströmt.

Sonntag, ganz allein im einsamen großen Haus, alles ist ausgefahren, geritten und gegangen, Deine Mutter ist vor dem Bockenheimer Tor im Garten, weil heute die Birnen geschüttelt werden von dem Baum, der bei Deiner Geburt gepflanzt wurde.

Bettine.


An Bettine.

Du bist ein feines Kind, ich lese Deine lieben Briefe mit innigem Vergnügen und werde sie gewiß immer wieder lesen mit demselben Genuß. Dein Malen des Erlebten samt aller innern Empfindung von Zärtlichkeit und dem, was Dir Dein witziger Dämon eingibt, sind wahre Originalskizzen, die auch neben den ernsteren Beschäftigungen ihr hohes Interesse nicht verleugnen, nimm es daher als eine herzliche Wahrheit auf, wenn ich Dir danke. Bewahre mir Dein Vertrauen und lasse es womöglich noch zunehmen. Du wirst mir immer sein und bleiben, was Du bist. Mit was kann man Dir auch vergelten als nur, daß man sich willig von allen Deinen guten Gaben bereichern läßt. Wieviel Du meiner Mutter bist, weißt Du selbst, ihre Briefe fließen in Lob und Liebe über. Fährst Du so fort, den flüchtigen Momenten guten Glückes liebliche Denkmale der Erinnerung zu widmen: ich stehe Dir nicht dafür, daß ich mir's anmaßen könnte, solche geniale lebensvolle Entwürfe zur Ausführung zu benützen, wenn sie dann nur auch so warm und wahr ans Herz sprechen.

Die Trauben an meinem Fenster, die schon vor ihrer Blüte und nun ein zweites Mal Zeugen Deiner freundlichen Erscheinung waren, schwellen ihrer vollen Reife entgegen, ich werde sie nicht brechen, ohne Deiner dabei zu gedenken, schreibe mir bald und liebe mich.

G.


An Goethe.

Am 11. November.

Mit nächstem Postwagen wirst Du einen Pack Musik erhalten, beinah' alles vierstimmig, also für Dein Hausorchester eingerichtet. Ich hoffe, daß Du sie nicht schon besitzest; bis jetzt ist es alles, was ich in dieser Art habhaft werden konnte. Gefällt sie Dir, so schick' ich nach, was ich noch auftreiben kann; auf meine Wahl mußt Du Dich nicht dabei verlassen, ich richte mich nur nach dem Ruf dieser Werke und kenne das wenigste. Musik imponiert mir nicht, auch kann ich sie nicht beurteilen; ich verstehe den Eindruck nicht, den sie auf mich macht, ob sie mich rührt, ob sie mich begeistert; nur das weiß ich, daß ich keine Antwort darauf habe, wenn ich gefragt werde, ob sie mir gefalle. Da könnte einer sagen, ich habe keinen Verstand davon, – das muß ich zugeben, allein ich ahne in ihr das Unermeßliche. Wie in den andern Künsten das Geheimnis der Dreifaltigkeit sich offenbart, wo die Natur einen Leib annimmt, den der Geist durchdringt und der mit dem Göttlichen in Verbindung ist; so ist es in der Musik, als wenn die Natur sich hier nicht ins sinnlich Wahrnehmbare herabneige, sondern daß sie die Sinne reizt, daß sie sich mitempfinden ins Überirdische.

Wenn man von einem Satz in der Musik spricht und wie der durchgeführt ist, oder von der Begleitung eines Instruments und von dem Verstand, mit dem es behandelt ist, da meine ich grade das Gegenteil, nämlich, daß der Satz den Musiker durchführt, daß der Satz sich so oft aufstellt, sich entwickelt, sich konzentriert, bis der Geist sich ganz in ihn gefügt hat. Und das tut wohl in der Musik; ja alles, was den Erdenleib verleugnet, das tut wohl. Ich habe einen sehr ausgezeichneten Musiker zum Lehrer, wenn ich den frage, warum? – so hat er nie ein »Weil« zur Antwort, und er muß gestehen, alles in der Musik ist himmlisches Gesetz, und dies überzeugt mich noch mehr, daß in der Berührung zwischen dem Göttlichen und Menschlichen keine Erläuterung stattfinde. Ich habe hier eine freundliche Bekanntschaft mit einer sehr musikalischen Natur; wir sind oft zusammen in der Oper, da macht sie mich aufmerksam auf die einzelnen Teile, auf das Durchführen eines Satzes, auf das Einwirken der Instrumente; da bin ich denn ganz perplex, wenn ich solchen Bemerkungen nachgehe; das Element der Musik, in dem ich mich aufgenommen fühlte, stößt mich aus, und dafür erkenne ich ein gemachtes, dekoriertes, mit Geschmack behandeltes Thema. Ich bin nicht in einer Welt, die mich aus der Finsternis ins Licht geboren werden läßt, wie damals in Offenbach, wo ich in der Großmutter Garten auf grünem Rasen lag und in den sonnigen blauen Himmel sah, während im Nachbarsgarten Onkel Bernhards Kapelle die ganze Luft durchströmte und ich nichts wußte, nichts wollte, als meine Sinne der Musik vertrauen. Damals hatte ich kein Urteil, ich hörte keine Melodien heraus, es war kein Schmachten, kein Begeistern für Musik, ich fühlte mich in ihr, wie der Fisch sich im Wasser fühlt. – Wenn ich gefragt würde, ob ich damals zugehört habe, so könnte ich's eigentlich nicht wissen, es war nicht Zuhören, es war Sein in der Musik; ich war viel zu tief versunken, als daß ich gehört hätte auf das, was ich vernahm.

Ich bin dumm, Freund, ich kann nicht sagen, was ich weiß. Gewiß, Du würdest mir Recht geben, wenn ich mich deutlich aussprechen könnte, und auf andre Weise wirst Du am wenigsten sie verstehen lernen. – Verstehen, wie der Philister verstehet, der seinen Verstand mit Konsequenz anwendet und es so weit bringt, daß man Talent nicht vom Genie unterscheidet. Talent überzeugt, aber Genie überzeugt nicht; dem, dem es sich mitteilt, gibt es die Ahnung vom Ungemessenen, Unendlichen, während Talent eine genaue Grenze absteckt und so, weil es begriffen ist, auch behauptet wird.

Das Unendliche im Endlichen, das Genie in jeder Kunst ist Musik. – In sich selbst aber ist sie die Seele, indem sie zärtlich rührt; indem sie aber sich dieser Rührung bemächtigt, da ist sie Geist, der seine eigne Seele wärmt, nährt, trägt, wiedergebärt; und darum vernehmen wir Musik, sonst würde das sinnliche Ohr sie nicht hören, sondern nur der Geist; und so ist jede Kunst der Leib der Musik, die die Seele jeder Kunst ist; und so ist Musik auch die Seele der Liebe, die auch in ihrem Wirken keine Rechenschaft gibt; denn sie ist das Berühren des Göttlichen mit dem Menschlichen, und auf jeden Fall ist das Göttliche die Leidenschaft, die das Menschliche verzehrt. Liebe spricht nichts für sich aus, als daß sie in Harmonie versunken ist; Liebe ist flüssig, sie verfliegt in ihrem eignen Element; Harmonie ist ihr Element.

*

Am 17. November.

Lieber Goethe, halte meine wunderlichen Gedanken dem wunderlichen Platz zu gut, wo ich mich befinde; ich bin in der Karmeliterkirche, in einem verborgnen Winkel hinter einem großen Pfeiler; da geh' ich alle Tage her in der Mittagsstunde, da scheint die Herbstsonne durchs Kirchenfenster und malt den Schatten der Weinblätter hier auf die Erde und an die weiße Wand, da seh' ich, wie der Wind die bewegt, und wie eins nach dem andern abfällt; hier ist tiefe Einsamkeit, und die Menschen, die ich hier zur ungewöhnlichen Stunde treffe, die sind gewiß da, um an ihre Toten zu denken, die hier begraben sein mögen. Hier am Eingang ist die Gruft, wo Vater und Mutter begraben liegen und sieben Geschwister; da steht ein Sarg über dem andern. Ich weiß nicht, was mich in diese große düstre Kirche lockt; für die Toten beten? – Soll ich sagen: »Lieber Gott im Himmel, heb doch diese Verstorbenen zu dir in den Himmel?« – Die Liebe ist ein flüssig Element, sie löst Seele und Geist in sich auf, und das ist Seligkeit. – Wenn ich hier in die Kirche gehe, an der Gruft vorbei, die meine Eltern und Geschwister deckt, da falte ich die Hände, und das ist mein ganzes Gebet.

Der Vater hat mich zärtlich geliebt, ich hatte eine große Gewalt über ihn; oft schickte mich die Mutter mit einer schriftlichen Bitte an ihn und sagte: »Laß den Vater nicht los, bis er ja sagt«, – da hing ich mich an seinen Hals und umklammerte ihn, da sagte er: »Du bist mein liebstes Kind, ich kann nicht versagen.«

Der Mutter erinnere ich mich auch noch, ihrer großen Schönheit; sie war so fein und doch so erhaben und glich nicht den gewöhnlichen Gesichtern; Du sagtest von ihr, sie sei für die Engel geschaffen, die sollten mit ihr spielen. Deine Mutter hat mir erzählt, wie Du sie zum letztenmal gesehen, daß Du die Hände zusammenschlugst über ihre Schönheit, das war ein Jahr vor ihrem Tod; da lag der General Brentano in unserm Haus an schweren Wunden; die Mutter pflegte ihn, und er hatte sie so lieb, daß sie ihn nicht verlassen durfte. Sie spielte Schach mit ihm, er sagte: »Matt!« Und sank zurück ins Bett; sie ließ mich holen, weil er nach den Kindern verlangt hatte – ich trat mit ihr ans Bett, – da lag er blaß und still; die Mutter rief ihn: »Mein General!« Da öffnete er die Augen, reichte ihr lächelnd die Hand und sagte: »Meine Königin!« – Und so war er gestorben.

Ich seh' die Mutter noch wie im Traum, daß sie vor dem Bett steht, die Hand dieses erblaßten Helden festhält und ihre Tränen leise aus den großen schwarzen Augen über ihr stilles Antlitz rollen. Damals hast Du sie zum letztenmal gesehen, und Du sagtest voraus, daß Du sie nicht wiedersehen würdest. Deine Mutter hat mir's erzählt, wie Du tief bewegt über sie warst. Wie ich Dich zum erstenmal sah, da sagtest Du: »Du gleichst deinem Vater, aber der Mutter gleichst du auch«, und dabei hast Du mich ans Herz gedrückt und warst tief gerührt, das war doch lange Jahre nachher. Adieu.

Bettine.

 

Von den Juden und den neuen Gesetzen ihrer Städtigkeit hat Dir die Mutter schon Meldung getan; alle Juden schreiben seitdem; der Primas hat viel Vergnügen an ihrem Witz. – Alle Christen schreiben über Erziehung; es kommt beinah' alle Wochen ein neuer Plan von einem neuverheirateten Erzieher heraus. Mich interessieren die neuen Schulen nicht so sehr als das Judeninstitut, in das ich oft gehe.


An Bettine.

Weimar, den 2. Januar 1818.

Sie haben, liebe kleine Freundin, die sehr grandiose Manier, uns Ihre Gaben recht in Masse zu senden. So hat mich Ihr letztes Paket gewissermaßen erschreckt, denn wenn ich nicht recht haushälterisch mit dem Inhalt umgehe, so erwürgt meine kleine Hauskapelle eher daran, als daß sie Vorteil davon ziehen sollte. Sie sehen also, meine Beste, wie man sich durch Großmut selbst dem Vorwurf aussetzen könne; lassen Sie sich aber nicht irre machen. Zunächst soll Ihre Gesundheit von der ganzen Gesellschaft recht ernstlich getrunken und darauf das Confirma hoc Deus von Jomelli angestimmt werden, so herzlich und wohlgemeint, als nur jemals ein salvum fac Regem.

Und nun gleich wieder eine Bitte, damit wir nicht aus der Übung kommen. Senden Sie mir die jüdischen Broschüren. Ich möchte doch sehen, wie sich die modernen Israeliten gegen die neue Städtigkeit gebärden, in der man sie freilich als wahre Juden und ehemalige kaiserliche Kammerknechte traktiert. Mögen Sie etwas von den christlichen Erziehungsplänen beilegen, so soll auch das unsern Dank vermehren. Ich sage nicht, wie es bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich ist, daß ich zu allen gefälligen Gegendiensten bereit sei, doch wenn etwas bei uns einmal reif wird, was Sie freuen könnte, so soll es auch zu Ihnen gelangen.

Liebstes Kind, verzeih, daß ich mit fremder Hand schreiben mußte. Über Dein musikalisches Evangelium und über alles, was Du mir Liebes und Schönes schreibst, hätte ich Dir so heute nichts sagen können, aber laß Dich nicht stören in Deinem Eigensinn und in Deinen Launen, es ist mir viel wert, Dich zu haben, wie Du bist, und in meinem Herzen findest Du immer eine warme Aufnahme. Du bist ein wunderliches Kind, und bei Deiner Ansiedlung in Kirchen könntest Du leicht zu einer wunderlichen Heiligen werden, ich gebe Dir's zu bedenken.

Goethe


An Goethe.

Wer draußen auf der Taunusspitze wär' und die Gegend und ganze liebe Natur von Schönheit zu Schönheit steigen und sinken sähe abends und morgens, während sein Herz so mit Dir beschäftigt wär' wie meins, der würde freilich auch besser sagen können, was er zu sagen hat. Ich möchte so gern vertraulich mit Dir sprechen, und Du verlangst ja auch, ich soll Eigensinn und Laune Dir preisgeben.

Du kennst mein Herz, Du weißt, daß alles Sehnsucht ist, Wille, Gedanke und Ahnung; Du wohnst unter Geistern, sie geben Dir göttliche Wahrheit. Du mußt mich ernähren, Du gibst alles zum Voraus, was ich nicht zu fordern verstehe. Mein Geist hat einen kleinen Umfang, meine Liebe einen großen, Du mußt sie ins Gleichgewicht bringen. Die Liebe kann nicht ruhig werden, als wenn der Geist ihr gewachsen ist; Du bist meiner Liebe gewachsen; Du bist mild, freundlich, nachsichtig; lasse mich's fühlen, wenn mein Herz sich nicht im Takt wiegt, ich versteh' Deine leisen Winke.

Ein Blick von Deinen Augen in die meinen, ein Kuß von Dir auf meinen Mund belehrt mich über alles; was könnte dem auch wohl noch erfreulich scheinen zu lernen, der wie ich, hiervon Erfahrung hat. Ich bin entfernt von Dir, die Meinen sind mir fremd geworden, da muß ich immer in Gedanken auf jene Stunde zurückkehren, wo Du mich in den sanften Schlingen Deiner Arme hieltest, da fang' ich an zu weinen; aber die Tränen trocknen mir unversehens wieder: er liebt ja herüber in diese verborgene Stille, denke ich, und sollte ich mit meinem ewigen ungestörten Sehnen nach ihm nicht in die Ferne reichen? Ach, vernimm es doch, was Dir mein Herz zu sagen hat, es fließt über von leisen Seufzern, alle flüstern Dir zu: mein einzig Glück auf Erden sei Dein freundlicher Wille zu mir. O, lieber Freund, gib mir doch ein Zeichen, Du seist meiner gewärtig. Du schreibst, daß Du meine Gesundheit trinken willst, ach, ich gönne sie Dir, lasse keinen Tropfen übrig, möchte ich mich selber doch so in Dich ergießen und Dir wohl bekommen.

Deine Mutter erzählte mir, wie Du kurz, nachdem Du den »Werther« geschrieben, im Schauspiel gesessen und wie Dir da anonym ein Billet sei in die Hand gedrückt worden, darin geschrieben war: »Ils ne te comprendront point, Jean Jacques.« Sie behauptet, ich aber könne immer zu jedem sagen: »Tu ne me comprendras point, Jean Jacques«, denn welcher Hans Jacob wird Dich nicht mißverstehen oder Dich gelten lassen? – Sie sagt aber, Du, Goethe, verstündest mich, und ich gelte alles bei Dir.

Die Erziehungsplane und Judenbroschüren werd' ich mit nächstem Posttag senden. Obschon Du nicht zu allen gefälligen Gegendiensten bereit bist, aber doch mir schicken willst, was reif ist; so denke doch, daß meine Liebe zu Dir brennende Strahlen zusendet, um jede Regung für mich zu süßer Reife zu bringen.

Bettine.


An Goethe.

Was soll ich Dir denn schreiben, da ich traurig bin und nichts neues Freundliches zu sagen weiß? Lieber möcht' ich Dir gleich das weiße Blatt schicken, statt daß ich's erst mit Buchstaben beschreibe, die doch immer nicht sagen, was ich will, Du fülltest es zu Deinem Zeitvertreib aus, machtest mich überglücklich und schicktest es an mich zurück, wenn ich denn den blauen Umschlag sehe und riss' ihn auf: neugierig eilig, wie die Sehnsucht immer der Seligkeit gewärtig ist, und ich lese nun, was mich aus Deinem Mund einst entzückte: Lieb Kind, mein artig Herz, mein einzig Liebchen, klein Mäuschen, die süßen Worte, mit denen Du mich verwöhntest, so freundlich mich beschwichtigend; – ach! mehr wollt' ich nicht, alles hätt' ich wieder, sogar Dein Lispeln würde ich mitlesen, mit dem Du mir leise das Lieblichste in die Seele ergossen und mich auf ewig vor mir selbst verherrlicht hast. – Da ich noch an Deinem Arm durch die Straßen ging, ach, wie eine geraume Zeit dünkt mir's, da war ich zufrieden, alle Wünsche waren schlafen gegangen, hatten wie die Berge Gestalt und Farbe in Nebel eingehüllt; ich dachte, so ging' es, und weiter, ohne große Mühseligkeit vom Land in die hohe See, kühn und stolz, mit gelösten Flaggen und frischem Wind. – Aber, Goethe, feurige Jugend will die Sitten der heißen Jahreszeit, wenn die Abendschatten sich übers Land ziehen, dann sollen die Nachtigallen nicht schweigen: singen soll alles oder sich freudig aussprechen; die Welt soll ein üppiger Fruchtkranz sein, alles soll sich drängen im Genuß, und aller Genuß soll sich mächtig ausbreiten, er soll sich ergießen wie gärender Most, der brausend arbeitet, bis er zur Ruhe kommt, untergehen sollen wir in ihm wie die Sonne unter die Meereswellen, aber auch wiederkommen wie sie. So ist Dir's geworden, Goethe, keiner weiß, wie Du mit Gott vertraut warst, und was für Reichtum Du von ihm erlangt hast, wenn Du untergegangen wärst im Genuß.

Das seh' ich gerne, wenn die Sonne untergeht, wenn die Erde ihre Glut in sich saugt und ihr die feurigen Flügel leise zusammenfaltet und die Nacht durch gefangen hält, da wird es still auf der Welt, die Sehnsucht steigt so heimlich aus den Finsternissen empor; ihr leuchten die Sterne so unerreichbar überm Haupt, so unerreichbar, Goethe!

Wenn man selig sein soll, da wird man so zaghaft, das Herz scheidet zitternd vom Glück, noch ehe es den Willkommen gewagt; – auch ich fühl's, daß ich meinem Glück nicht gewachsen bin. Welche Allbefähigung, um Dich zu fassen! – Liebe muß eine Meisterschaft erwerben, das Geliebte besitzen wollen; wie es der gemeine Menschenverstand nimmt, ist nicht der ewigen Liebe würdig und scheitert jeden Augenblick am kleinsten Ereignis. – Das ist meine erste Aufgabe, daß ich mich Dir aneigne, nicht aber Dich besitzen wolle, Du Allbegehrlichster!

Ich bin doch noch so jung, daß es sich leicht entschuldigen läßt, wenn ich unwissend bin. Ach, für Wissenschaft hab' ich keinen Boden, ich fühl's, ich kann's nicht lernen, was ich nicht weiß, ich muß es erwarten, wie der Prophet in der Wüste die Raben erwartet, daß sie ihm Speise bringen. Der Vergleich ist so uneben nicht: durch die Lüfte wird meinem Geist Nahrung zugetragen, – oft grade, wenn er im Verschmachten ist.

Seitdem ich Dich liebe, schwebt ein Unerreichbares mir im Geist; ein Geheimnis, das mich nährt. Wie vom Baum die reifen Früchte fallen, so fallen hier mir Gedanken zu, die mich erquicken und reizen. O, Goethe, hätte der Springquell eine Seele, er könnte sich nicht erwartungsvoller ans Licht drängen, um wieder emporzusteigen, als ich mit ahnender Gewißheit mich diesem neuen Leben entgegendränge, das mir durch Dich gegeben ist, und das mir zu erkennen gibt, daß ein höherer Lebenstrieb den Kerker sprengen will, der nicht schont der Ruhe und Gemächlichkeit gewohnter Tage, die er in brausender Begeisterung zertrümmert. Diesem erhabenen Geschick entgeht der liebende Geist nicht, so wenig der Same der Blüte entgeht, wenn er einmal in frischer Erde liegt. So fühl' ich mich in Dir, Du fruchtbarer gesegneter Boden! Ich kann sagen, wie das ist, wenn der Keim die harte Rinde sprengt – es ist schmerzlich; die lächelnden Frühlingskinder sind unter Tränen erzeugt.

O Goethe, was geht mit dem Menschen vor? Was erfährt er, was erlebt er in dem innersten Flammenkelch seines Herzens? – Ich wollte Dir meine Fehler gern bekennen, allein die Liebe macht mich ganz zum idealischen Menschen. Viel hast Du für mich getan, noch eh' Du von mir wußtest, über vieles, was ich begehrte und nicht erlangte, hast Du mich hinweggehoben.

Bettine.


An Goethe.

Am 5. März.

Hier in Frankfurt ist es naß, kalt, verrucht, abscheulich; kein guter Christ bleibt gerne hier; – wenn die Mutter nicht wär', der Winter wär' unerträglich, so ganz ohne Hältnis – nur ewig schmelzender Schnee! – Ich habe jetzt einen Nebenbuhler bei ihr, ein Eichhörnchen, was ein schöner französischer Soldat als Einquartierung hier ließ, von dem läßt sie sich alles gefallen, sie nennt es Hänschen, und Hänschen darf Tische und Stühle zernagen, ja, es hat selbst schon gewagt, sich auf ihre Staatshaube zu setzen und dort die Blumen und Federn anzubeißen. Vor ein paar Tagen ging ich abends noch hin, die Jungfer ließ mich ein mit dem Bedeuten, sie sei noch nicht zu Hause, müsse aber gleich kommen. Im Zimmer war's dunkel, ich setzte mich ans Fenster und sah hinaus auf den Platz. Da war's, als wenn was knisterte – ich lauschte und glaubte atmen zu hören – mir ward unheimlich, ich hörte wieder etwas sich bewegen und fragte, weil ich's gern aufs Eichhörnchen geschoben hätte: »Hänschen, bist du es?« Sehr unerwartet und für meinen Mut sehr niederschlagend antwortete eine sonore Baßstimme aus dem Hintergrund: »Hänschen ist's nicht, es ist Hans«, und dabei räuspert sich der ubique malus Spiritus. Voll Ehrfurcht wag' ich mich nicht aus der Stelle, der Geist läßt sich auch nur noch durch Atmen und einmaliges Niesen vernehmen; – da hör' ich die Mutter, sie schreitet voran, die kaum angebrannte, noch nicht volleuchtende Kerze hintendrein, von Jungfer Lieschen getragen. »Bist du da?«fragte die Mutter, indem sie ihre Haube abnimmt, um sie auf ihren nächtlichen Stammhalter, eine grüne Bouteille, zu hängen. »Ja«, rufen wir beide, und aus dem Dunkel tritt ein besternter Mann hervor und fragt: »Frau Rat, werd' ich heut' abend mit Ihnen einen Specksalat mit Eierkuchen essen?« Daraus schloß ich denn ganz richtig, daß Hans ein Prinz von Mecklenburg sei; denn wer hätte die schöne Geschichte nicht von Deiner Mutter gehört, wie auf der Kaiserkrönung die jetzige Königin von Preußen, damals als junges Prinzessinnenkind und ihr Bruder der Frau Rat zusahen, wie sie ein solches Gericht zu speisen im Begriff war, und daß dies ihren Appetit so reizte, daß sie es beide verzehrten, ohne ein Blatt zu lassen. Auch diesmal wurde die Geschichte mit vielem Genuß vorgetragen und noch manche andre, z. B. wie sie den Prinzessinnen den Genuß verschaffte, sich im Hof am Brunnen recht satt Wasser zu pumpen und die Hofmeisterin durch alle möglichen Argumente abhält, die Prinzessinnen abzurufen, und endlich, da diese nicht darauf Rücksicht nimmt, Gewalt braucht und sie im Zimmer einschließt. »Denn«, sagte die Mutter, »ich hätte mir eher den ärgsten Verdruß über den Hals kommen lassen, als daß man sie in den unschuldigen Vergnügungen gestört hätte, das ihnen nirgendwo gegönnt war als in meinem Hause; auch haben sie mir's beim Abschied gesagt, daß sie nie vergessen würden, wie glücklich und vergnügt sie bei mir waren.« – So könnte ich Dir noch ein Paar Bogen voll schreiben von allen Rückerinnerungen!

Adieu, lieber Herr! – Die Frau grüß' ich, Riemers Sonett kracht wie neue Sohlen; er soll meiner Geschäfte gewärtig sein und seinen Diensteifer nicht umsonst gehabt haben.

Gelt, ich mach's grade wie Dein Liebchen, schreibe, kritzele, mach' Tintenkleckse und Orthographiefehler und denk', es schadet nichts, weil er weiß, daß ich ihn liebe, und der Brief, den Du mir geschrieben, war doch so artig und zierlich abgefaßt, das Papier mit goldnem Schnitt! – Aber, Goethe, erst ganz zuletzt denkst Du an mich! Erlaub', daß ich so frei bin, Dir einen Verweis zu geben für diesen Brief, fasse alles kurz ab, was Du verlangst, und schreib's mit eigner Hand, ich weiß nicht, warum Du einen Sekretär anstellst, um das Überflüssige zu melden, ich kann's nicht vertragen, es beleidigt mich, es macht mich krank; im Anfang glaubt' ich, der Brief sei gar nicht an mich, nun trag' ich doch gern solch einen Brief auf dem Herzen, solange bis der neue kommt – wie kann ich aber mit einer solchen fremden Sekretärhand verfahren? Nein, diesmal hab' ich Dich in meinem Zorn verdammt, daß Du gleich mit dem Sekretär in die alte Schublade eingeklemmt wurdest, und der Mutter hab' ich gar nicht gesagt, daß Du geschrieben hattest, ich hätte mich geschämt, wenn ich ihr diesen Perückenstil hätte vortragen müssen. Adieu, schreibe mir das einzige, was Du zu sagen hast, und nicht mehr.

Bettine.


An Goethe.

Am 15. März.

Nun sind's beinahe sechs Wochen, daß ich auch nur ein Wort von Dir gehört habe, weder durch die Frau Mutter, noch durch irgendeine andre Gelegenheit. Ich glaube nicht, daß, wie viele andere sind, Du auch bist und Dir durch Geschäfte und andere Wichtigkeiten den Weg zum Herzen versperrst; aber ich muß fürchten, daß meine Briefe Dir zu häufig kommen, und muß mich zurückhalten, was mich doch selig machen könnte, wenn es nicht so wär' und ich glauben dürfte, daß meine Liebe, die so anspruchslos ist, daß sie selbst Deinen Ruhm vergißt und zu Dir wie zu einem Zwillingsbruder spricht, Dich erfreut. Wie ein Löwe möcht' ich für Dich fechten, möcht' alles verderben und in die Flucht jagen, was nicht wert ist, Dich zu berühren; muß um deinetwillen die ganze Welt verachten, muß ihr um deinetwillen Gnade widerfahren lassen, weil Du sie verherrlichst, und weiß nichts von Dir! Sag' nur, ob Du's zufrieden bist, daß ich Dir schreibe? – Sag' nur: »Ja, du darfst!« Wenn ich nun in etlichen Wochen, denn da haben wir schon Frühling hier, ins Rheingau gehe, dann schreib' ich Dir von jedem Berg aus; bin Dir so immer viel näher, wenn ich außer den Stadtmauern bin, da glaub' ich manchmal, mit jedem Atemzug Dich zu fühlen, wie Du im Herzen regierst, wenn es recht schön ist draußen, wenn die Luft schmeichelt, ja, wenn die Natur gut und freundlich ist wie Du, da fühl' ich Dich so deutlich. – Aber was soll ich mit Dir? – Du selbst hast mir nichts zu sagen; in dem Brief, den Du mir schriebst, den ich zwar so lieb habe wie meinen Augapfel, da nennst Du mich nicht einmal, wie Du gewohnt warst, grad' als ob ich Deiner Vertraulichkeiten nicht wert wäre. Ach, es geht ja von Mund zu Herzen bei mir! Ich würde nichts von Schatz und Herz und Kuß veräußern, und wenn ich auch am Hungertuch nagen müßte. In der Karmeliterkirche hab' ich im Herbst allerlei geschrieben, Erinnerungen aus der Kindheit sie fielen mir immer ein, wenn ich dahin kam, und doch war ich bloß hingekommen, um ungestört an Dich zu denken! Jede Lebenszeit geht mir in Dir auf, ich denke mir die Kinderjahre, als ob ich sie mit Dir verspiele, und wachs' empor und wähne mich geborgen in Deinem Schutz und fühle stolz mich in Deinem Vertrauen, und da regte sich's im Herzen vor heißer Liebe, da such' ich Dich, wie soll ich Ruhe finden? – An Deiner Brust nur, umschränkt von Deinen Armen. – Und wärst Du es nicht, so wär' ich bei Dir; aber so muß ich mich fürchten vor aller Augen, die sind auf Dich gerichtet, ach, und vor dem stechenden Blick, der unter Deinem Kranz hervorleuchtet!

Außer Dir erscheinen mir alle Menschen wie einer und derselbe, ich unterscheide sie nicht, ich begehr' nicht nach dem ungeheuren allseitigen Meer der Ereignisse. Der Lebensstrom trägt Dich, Du mich, in Deinen Armen durchschiff' ich ihn, Du trägst mich bis zum Ende, nicht wahr? – Und wenn es auch noch tausendfache Existenzen gibt, ich kann mich nicht hinüberschwingen, bei Dir bin ich zu Hause, so sei doch auch zu Hause mit mir, oder weißt Du etwas Besseres als mich und Dich im magischen Kreis des Lebens?

Unlängst hatten wir ein kleines Fest im Hause wegen Savignys Geburtstag. Deine Mutter kam mittags um zwölf und blieb bis nachts um ein Uhr, sie befand sich auch den andern Tag ganz wohl darauf. Bei der Tafel war große Musik von Blaseinstrumenten, auch wurden Verse zu Savignys Lob gesungen, wo sie so tapfer einstimmte, daß man sie durch den ganzen Chor durchhörte. Da wir nun auch Deine und ihre Gesundheit tranken, wobei Trompeten und Pauken schmetterten, so ward sie feierlich vergnügt. Nach Tische erzählte sie der Gesellschaft ein Märchen, alles hatte sich in feierlicher Stille um sie versammelt. Im Anfang holte sie weit aus, das große Auditorium mochte ihr doch ein wenig bange machen; bald aber tanzten alle rollefähigen Personen in der grotesken Weise aus ihrem großen Gedächtniskasten auf das phantastischste geschmückt, es wurden noch allerlei kleine Szenen aufgeführt, dann trat eine junge spanische Tänzerin auf, die mit Kastagnetten sehr schön tanzte. Dieses graziöse Kind gibt hier beim Theater Vorstellungen, ich hab' Dir von ihr noch nicht gesagt, daß sie mich seit Wochen in einem stillen Enthusiasmus erhält, und daß ich oft denke, ob denn Gott was anders will, als daß sich die Tugend in die reine Kunst verwandle, daß man nämlich nach den Gesetzen einer himmlischen Harmonie die Glieder des Geistes mit leichtem Enthusiasmus rege und so mit anmutigen Gebärden die Tugend ausdrücke, wie jene den Takt und den Sinn der Musik. Nach dem Souper tanzte man, ich saß etwas schläfrig an der Seite Deiner Mutter, sie hielt mich umhalst und hatte mich lieb wie den Joseph; ich hatte dazu auch einen roten Rock an. Man hat einstimmig beschlossen, es solle nie ein Familienfest gegeben werden ohne die Mutter, so sehr hat man ihren guten Einfluß empfunden; ich hab' mich gewundert, wie schnell sie die Herzen gewinnen kann, bloß weil sie mit Kraft genießt und dadurch die ganze Umgebung auch zur Freude bewegt.

Die Deinen grüße ich herzlich, ich habe nicht vergessen, was ich für Deine Frau versprach; nächstens wird alles fertig sein, nur die Frau von Sch. mußte ich schändlicherweise vergessen mit dem Tuch! Nun, was ist zu tun? Mein Minister, denk' ich, bekommt hier eine schöne Negotiation. Gelt, ich mißbrauch' Deine Geduld? – Guter! Bester! Dem mein Herz ewig dient.

Dein Sohn wird sein Bündel bald schnüren; – nur nicht zu fest! Denn ich will ihm bei der Durchreise noch einen Pack guter Lehren mitgeben, die er auch noch mit einschnüren muß. Mein Bruder George hat ein kleines Landhaus in Rödelheim gekauft, Du mußt es kennen, da Du selbst den Plan dazu gemacht und mit Basset, der jetzt in Amerika wohnt, den Bau besorgtest. Ich freu' mich gar sehr über seine schönen Verhältnisse, ich meine, Dein Charakter, Deine Gestalt und Deine Bewegungen spiegeln sich in ihnen. Wir fahren beinah' alle Tage hinaus, gestern stieg ich aufs Dach; die Sonne schien so warm, es war so hell, man konnte so recht die Berge im Schoß der Täler liegen sehen. O Jammer, daß ich nicht fliegen kann! Was nützt es all, daß ich Dich so lieb hab'? – Jung, kräftig und stolz bin ich in Dir; – Ich mag's nicht auslegen, die Welt schiebt doch alles Gefühl in ihr einmal gemachtes Register, Du bist über alles gut, daß Du meine Liebe duldest, in der ich überglücklich bin. Wie das Weltmeer ohne Ufer ist mein Gemüt, seine Wellen tragen, was schwimmen kann; Dich aber hab' ich mit Gewalt ins tiefste Geheimnis meines Lebens gezogen und walle freudebrausend dahin über der Gewißheit Deines Besitzes.

Wenn ich mich sonst im Spiegel betrachtete und meine Augen sich selbst so feurig anschauten und ich fühlte, daß sie in diesem Augenblick hätten durchdringen müssen, und ich hatte niemand, dem ich einen Blick gegönnt hätte, da war mir's leid daß alle Jugend verloren ging, jetzt aber denk' ich an Dich.

Bettine.


An Goethe.

Am 30. März.

Kleine unvorgesehene Reisen in die nächsten Gegenden, um den Winter vor seinem Scheiden noch einmal in seiner Pracht zu bewundern, haben mich abgehalten, sogleich meines einzigen und liebsten Freundes in der ganzen Welt Wunsch zu befriedigen. Hierbei sende ich alles, was bis jetzt erschienen, außer ein Journal, welches die Juden unter dem Namen Sulamith herausgeben. Es ist sehr weitläufig; begehrst Du es, so send' ich's, da die Juden es mir als ihrem Protektor und kleinen Nothelfer verehren. Es enthält die verschiedensten Dinge, kreuz und quer; besonders zeichnen sich die Oden, die sie dem Fürstprimas widmen, darin aus; ein großes Gedicht, was sie ihm am Neujahrstag brachten, schickte er mir und schrieb: »Ich verstehe kein Hebräisch, sonst würde ich eine Danksagung schreiben, aber da für die kleine Freundin der Hebräer nichts zu verkehrt und undeutsch ist, so trage ich ihr auf, in meinem Namen ein Gegengedicht zu machen.« – Der boshafte Primas! – Ich hab' ihn aber gestraft! Und gestern im Konzert sagte er mir: »Es ist gut, daß die Juden nicht ebensoviel Heldengeist als Handelsgeist haben, ich wär' am End' nicht sicher, daß sie mich in meinem taxischen Haus blockierten.« –

Währenddem bin ich im Odenwald gewesen und bin auf des Götz altem Schloß herumgeklettert, ganz oben auf den Mauern, wo beinah' kein menschlicher Fuß mehr sich stützen kann; über Mauerspalten, die mich doch zuweilen schwindeln machten, als immer im Gedanken an Dich, an Deine Jugend, an Dein Leben bis jetzt, das wie ein lebendig Wasser fortbraust. Weißt Du? – Es tut so wohl, wenn einem das Herz so ganz ergriffen ist. Wie ich mich drehe und wende, so spiegelt sich mir im Gemüt, was ich im Hinterhalt habe, und was mir wie ein seliger Traum nachgeht, und das bist Du!

Dort war es wunderschön! Ein ungeheurer Turm, worauf ehemals die Wächter saßen, um die Frankenschiffe in dem kleinen Mildeberg zu verkünden mit Trompetenstoß. Tannen und Fichten wachsen oben, die beinah' halb über seine Höhe hervorragen.

Zum Teil waren die Weinberge noch mit Schnee bedeckt; ich saß auf einem abgebrochenen Fensterbalken und fror, und doch durchdrang mich heiße Liebe zu Dir, ich zitterte vor Angst hinunterzustürzen und kletterte doch noch höher, weil mir's einfiel, Dir zu lieb' wollt' ich's wagen. So machst Du mich oft kühn; es ist ein Glück, daß die wilden Wölfe aus dem Odenwalde nicht herbeikamen, ich hätte mich mit ihnen balgen müssen, hätte ich Deiner Ehre dabei gedacht; es scheint Unsinn, aber so ist's. – Die Mitternacht, die böse Stunde der Geister weckt mich; ich leg' mich im kalten Winterwind ans Fenster; ganz Frankfurt ist tot, der Docht in den Straßenlaternen ist im Verglimmen, die alten rostigen Wetterfahnen greinen mir was vor, und da denk' ich: ist das die ewige Leier? – Und da fühl' ich, daß dies Leben ein Gefängnis ist, wo ein jeder nur eine kümmerliche Aussicht hat in die Freiheit: das ist die eigne Seele. – Siehst Du, da rast es in mir; ich möchte hinauf über die alten spitzen Giebeldächer, die mir den Himmel abschneiden; ich verlasse das Zimmer, eile über die weiten Gänge unseres Hauses, suche mir einen Weg über die alten Böden, und hinter dem Sparrwerk ahne ich Gespenster, aber ich achte ihrer nicht; da suche ich die Treppe zum kleinen Türmchen, wenn ich endlich oben bin, da seh' ich aus der Turmluke den weiten Himmel und friere gar nicht; da ist mir's, als müsse ich die gesammelten Tränen abladen, und dann bin ich am andern Tag so heiter und so neugeboren, ich suche mit List nach einem Scherz, den ich ausführen möchte; und kannst Du mir glauben? Das alles bist Du.

Bettine.

 

Die Mutter kommt oft zu uns, wir machen ihr Maskeraden und alle mögliche Ergötzlichkeit; sie hat unsere ganze Familie in ihren Schutz genommen, ist frisch und gesund.


An Bettine.

Die Dokumente philanthropischer Christen- und Judenschaft sind glücklich angekommen, und Dir soll dafür, liebe kleine Freundin, der beste Dank werden. Es ist recht wunderlich, daß man eben zur Zeit, da so viele Menschen totgeschlagen werden, die übrigen aufs beste und zierlichste auszuputzen sucht. Fahre fort, mir von diesen heilsamen Anstalten, als Beschützerin derselben, von Zeit zu Zeit Nachricht zu geben. Dem braunschweigischen Judenheiland ziemt es wohl, sein Volk anzusehen, wie es sein und werden sollte; dem Fürsten Primas ist aber auch nicht zu verdenken, daß er dies Geschlecht behandelt wie es ist, und wie es noch eine Weile bleiben wird. Mache mir doch eine Schilderung von Herrn Molitor. Wenn der Mann so vernünftig wirkt, als er schreibt, so muß er viel Gutes erschaffen. Deinem eignen philanthropischen Erziehungswesen aber wird Überbringer dieses, der schwarzäugige und braunlockige Jüngling, empfohlen. Lasse seine väterliche Stadt auch ihm zur Vaterstadt werden, so daß er glaube, sich mitten und den Seinen zu befinden. Stelle ihn Deinen lieben Geschwistern und Verwandten vor und gedenke mein, wenn Du ihn freundlich aufnimmst. Deine Berg-, Burg-, Kletter- und Schaurelationen versetzen mich in eine schöne heitere Gegend, und ich stehe nicht davor, daß Du nicht gelegentlich davon eine phantastische Abspiegelung in einer Fata Morgana zu sehen kriegst.

Da nun von August Abschied genommen ist, so richte ich mich ein, von Haus und der hiesigen Gegend gleichfalls Abschied zu nehmen und baldmöglichst nach dem Karlsbader Gebirge zu wandeln.

Heute um die elfte Stunde wird »confirma hoc Deus« gesungen, welches schon sehr gut geht und großen Beifall erhält.

Weimar, den 3. April 1808.G.

 


An Goethe.

Wir haben einen naßkalten April, ich merk's an Deinem Brief – der ist wie ein allgemeiner Landregen; der ganze Himmel überzogen von Anfang bis ans Ende; Du besitzest zwar die Kunst, in kleinen Formenzügen und Linien Dein Gefühl ahnen zu lassen, und in dem, was Du unausgesprochen läßt, stiehlt sich die Versicherung ins Herz, daß man Dir nicht gleichgültig ist; ja, ich glaub's, daß ich Dir lieb bin, trotz Deinem kalten Brief; aber wenn Deine schöne Mäßigung plötzlich zum Teufel ging' und Du bliebst ohne Kunst und ohne feines Taktgefühl, so ganz wie Dich Gott geschaffen hat in Deinem Herzen, ich würde mich nicht vor Dir fürchten, wie jetzt, wenn ein so kühler Brief ankommt, wo ich mich besinnen muß, was ich denn getan habe.

Heute schreibe ich aber doch mit Zuversicht, weil ich Dir erzählen kann, wie Dein einziger Sohn sich hier wohl und lustig befindet; er gibt mir alle Abend im Theater ein Rendezvous in unserer Loge; frühmorgens spaziert er schon auf den Stadttürmen herum, um die Gegend seiner väterlichen Stadt recht zu beschauen; ein paarmal hab' ich ihn hinausgefahren, um ihm die Gemüsgärtnerei zu zeigen, da grade jetzt die ersten und wunderbarlichen Vorbereitungen dazu geschehen, wo jeder Staude ihr Standort mit der Richtschnur abgemessen wird, und wo diese fleißigen Gärtner mit so großer Sorgfalt jedem Pflänzchen seinen Lebensunterhalt anweisen; auch ans Stallburgsbrünnchen hab' ich ihn geführt, auf die Pfingstwiese, auf den Schneidewall; dann hinter die schlimme Mauer, wo in der Jugend Dein Spielplatz war; dann zum Mainzer Törchen hinaus; auch in Offenbach war er mit mir und der Mutter und sind gegen Abend bei Mondschein zu Wasser wieder in die Stadt gefahren; da hat unterwegs die Mutter recht losgelegt von all Deinen Geschichten und Lustpartien; und da legte ich mich am Abend zu Bett mit trunkner Einbildung, was mir einen Traum eintrug, von dem die Erinnerung mir eine Zeitlang Nahrung sein wird. Es war, als lief' ich in Weimar durch den Park, in dem ein starker Regen fiel; es war grade alles im ersten Grün, die Sonne schien durch den Regen. Als ich an Deine Tür kam, hört' ich Dich schon von weitem sprechen; ich rief – du hörtest nicht – da sah ich Dich auf derselben Bank sitzen, hinter welcher im vorigen Jahr die schöne breite Malve noch spät gewachsen war – gegenüber lag auch die Katze wie damals, und als ich zu Dir kam, sagtest Du auch wieder: »Setze Dich nur dort üben zur Katze, wegen Deinen Augen, die mag ich nicht so nah.« – Hier wachte ich auf, aber weil mir der Traum so lieb war, konnt' ich ihn nicht aufgeben; ich träumte fort, trieb allerlei Spiel mit Dir und bedachte dabei Deine Güte, die solche Zutraulichkeit erlaubt. – Du! der einen Kreis des Lebendigen umfasset, in dem wir alle Dein Vertrauen in so mächtigen Zügen schon eingezogen haben. Ich fürchte mich manchmal, die Liebe, die rasch in meinem Herzen aufsteigt, wenn auch nur in Gedanken vor Dir auszusprechen; aber so ein Traum stürzt wie ein angeschwollner Strom über den Damm. Es mag sich einer schwer entschließen, eine Reise nach der Sonne zu tun, weil ihn die Erfahrung, daß man da nicht ankommt, davon abhält; – mir gilt in solchen Augenblicken die Erfahrung nichts, und so scheint mir denn, Dein Herz zu erreichen in seinem vollen Glanze, nichts Unmögliches.

Molitor war gestern bei mir; ich las ihm die Worte über ihn aus Deinem Briefe vor, sie haben ihn sehr ergötzt; dieser Edle ist der Meinung, daß, da er einen Leib für die Juden zu opfern habe und einen Geist ihnen zu widmen, beide auch recht nützlich anzuwenden; es geht ihm übrigens nicht sehr wohl, außer in seinem Vertrauen auf Gott, bei welchem er jedoch fest glaubt, daß die Welt nur durch Schwarzkunst wieder ins Gleichgewicht zu bringen ist. Er hat groß Vertrauen auf mich und glaubt, daß ich mit der Divinationskraft begabt bin; brav ist er und will ernstlich das Gute; bekümmert sich deswegen nicht um die Welt und um sein eigen Fortkommen; ist mit einem Stuhl, einem Bett und mit fünf Büchern, die er im Vermögen hat, sehr wohl zufrieden.

Adieu, ich eile Toilette zu machen, um mit Deiner Mutter und Deinem Sohn zum Primas zu fahren, der heute ihnen zu Ehren ein großes Fest gibt; – da werd' ich denn wieder recht mit dem Schlaf zu kämpfen haben; diese vielen Lichter, die geputzten Leute, die geschminkten Wangen, das summende Geschwätz, haben eine narkotische unwiderstehliche Wirkung auf mich.

Bettine.


An Frau von Goethe.

Am 7. April.

Erinnern Sie sich noch des Abends, den wir bei Frau von Schopenhauer zubrachten und man eine Wettung machte, ich könne keine Nähnadel führen? – Ein Beweis, daß ich damals nicht gelogen habe, ist beikommendes Röcklein; ich hab' es so schön gemacht, daß mein Talent für weibliche Handarbeit ohne Ungerechtigkeit doch nicht mehr im Zweifel gezogen werden kann. Betrachten Sie es indessen mit Nachsicht; denn im stillen muß ich Ihnen bekennen, daß ich meinem Genie beinahe zuviel zugetraut habe. Wenn Sie nur immer darin erkennen, daß ich Ihnen gern so viel Freude machen möchte, als in meiner Gewalt steht.

August scheint sich hier zu gefallen; das Fest, welches der Fürstprimas der Großmutter und dem Enkel gab, beweist recht, wie er den Sohn ehrt. Ich will indessen der Frau Rat nicht vorgreifen, die es Ihnen mit den schönsten Farben ausmalen wird. August schwärmt in der ganzen Umgegend umher; überall sind Jugendfreunde seines Vaters, die von den Höhen da und dort hindeuten und erzählen, welche glückliche Stunden sie mit ihm an so schönen Orten verlebten; und so geht es im Triumph von der Stadt aufs Land und von da wieder in die Stadt. – In Offenbach, dem zierlichsten und reinsten Städtchen von der Welt, das mit himmelblauseidenem Himmel unterlegt ist, mit silbernen Wellen garniert und mit blühenden Feldern von Hyazinthen und Tausendschönchen gestickt; da war des Erzählens der Erinnerungen an jene glücklichen Zeiten kein Ende.

Beiliegende Granaten hab' ich aus Salzburg erhalten; tragen Sie dieselben zu meinem Andenken.

Bettine.

 

Einliegende Bücher für den Geheimen Rat.


An Bettine.

Weimar, den 20. April 1808.

Auch gestern wieder, liebes Herz, hat sich aus Deinem Füllhorn eine reichliche Gabe zu uns ergossen, grade zur rechten Zeit und Stunde, denn die Frauenzimmer waren in großer Überlegung, was zu einem angesagten Fest angezogen werden sollte. Nichts wollte recht passen, als eben das schöne Kleid ankam, das denn sogleich nicht geschont wurde.

Da unter allen Seligkeiten, deren sich meine Frau vielleicht rühmen möchte, die Schreibseligkeit die allergeringste ist: so verzeihe Du, wenn sie nicht selbst die Freude ausdrückt, die Du ihr gemacht hast. Wie leer es bei uns aussieht, fällt mir erst recht auf, wenn ich umherblicke und Dir doch auch einmal etwas Freundliches zuschicken möchte. Darüber will ich mir nun also weiter kein Gewissen machen und auch für die gedruckten Hefte danken, wie für manches, wovon ich noch jetzt nicht weiß, wie ich mich seiner würdig machen soll. Das wollen wir denn mit bescheidenem Schweigen übergehen und uns lieber abermals zu den Juden wenden, die jetzt in einem entscheidenden Moment zwischen Tür und Angel stecken und die Flügel schon sperren, noch ehe ihnen das Tor der Freiheit weit genug geöffnet ist. –

Es war mir sehr angenehm, zu sehen, daß man den finanzgeheimrätlichen, jakobinischen Israelssohn so tüchtig nach Hause geleuchtet hat. Kannst du mir den Verfasser der kleinen Schrift wohl nennen? Es sind treffliche einzelne Stellen drin, die in einem Plädoyer von Beaumarchais wohl hätten Platz finden können. Leider ist das Ganze nicht rasch, kühn und lustig genug geschrieben, wie es hätte sein müssen, um jenen Humanitätssalbader vor der ganzen Welt ein für allemal lächerlich zu machen. Nun bitte ich aber noch um die Judenstädtigkeit selbst, damit ich ja nicht zu bitten und zu verlangen aufhöre.

Was Du mir von Molitor zu sagen gedenkst, wird mir Freude machen; auch durch das letzte, was Du von ihm schickst, wird er mir merkwürdig, besonders durch das, was er von der Pestalozzischen Methode sagt.

Lebe recht wohl! Hab' tausend Dank für die gute Aufnahme des Sohns und bleibe dem Vater günstig.

G.


An Goethe.

Die Städtigkeits- und Schutzordnung der Judenschaft wird hierbei von einer edlen Erscheinung begleitet; nicht allein, um Dir eine Freude zu machen, sondern weil dies Bild mir lieb ist, hab' ich's von der Wand an meinem Bett genommen, an dem es seit drei Tagen hing und seine Schönheit dem Postwagen anvertraut; Du sollst nur sehen, was mich reizen kann. Häng' dies Bild vor Dich – schau' ihm in diese schönen Augen – in denen der Wahnsinn seiner Jugend schon überwunden liegt, dann fällt es Dir gewiß auf, was Sehnsucht erregt. – Dies Unwiederbringliche, was nicht lang das Tagslicht verträgt und schnell entschwindet, weil es zu herrlich ist für den Mißbrauch. – Diesem aber ist es nicht entschwunden, es ist ihm nur tiefer in die Seele gesunken; denn zwischen seinen Lippen haucht sich schon wieder aus, was sich im erhellten Aug' nicht mehr darf sehen lassen. – Wenn man das ganze Gesicht anblickt: – man hat's so lieb – man möcht' mit ihm gewesen sein, um alle Pein mit ihm zu dulden, um ihm alles zu vergüten durch tausendfache Liebe – und wenn man den breiten vollen Lorbeer erblickt, scheinen alle Wünsche für ihn erfüllt. Sein ganzes Wesen – das Buch, was er an sich hält, macht ihn so lieb; hätt' ich damals gelebt, ich hätt' ihn nicht verlassen.

August ist weg; ich sang ihm vor: »Sind's nicht diese, sind's doch andre, die da weinen, wenn ich wandre, holder Schatz, gedenk' an mich.« Und so wanderte er zu den Pforten unseres republikanischen Hauses hinaus; hab' ihn auch von Herzen umarmt, zur Erinnerung für mich an Dich; weil Du mich aber vergessen zu haben scheinst und mir nur immer von dem Volk schreibst, welches verflucht ist, und es Dir lieb ist, wenn Jacobson heimgeschickt wird, aber nicht, wenn ich heimlich mit Dir bin, so schreib' ich's zur Erinnerung für Dich an mich, die Dich trotz Deiner Kälte doch immer liebhaben muß – halt, weil sie muß.

Dem Primas hüte ich mich wohl, Deine Ansichten über die Juden mitzuteilen, denn einmal geb' ich Dir nicht recht und hab' auch meine Gründe; ich leugne auch nicht, die Juden sind ein heißhungriges, unbescheidenes Volk; wenn man ihnen den Finger reicht, so reißen sie einem bei der Hand an sich, daß man um und um purzeln möchte; das kommt eben daher, daß sie so lang in der Not gesteckt haben; ihre Gattung ist doch Menschenart, und diese soll doch einmal der Freiheit teilhaftig sein, zu Christen will man sie absolut machen, aber aus ihrem engen Fegfeuer der überfüllten Judengasse will man sie nicht herauslassen; das hat nicht wenig Überwindung der Vorurteile gekostet, bis die Christen sich entschlossen hatten, ihre Kinder mit den armen Judenkindern in eine Schule zu schicken, es war aber ein höchst genialer und glücklicher Gedanke von meinem Molitor, fürs erste Christen- und Judenkinder in eine Schule zu bringen; die können's denn miteinander versuchen und den Alten mit gutem Beispiel vorgehen. Die Juden sind wirklich voll Untugend, das läßt sich nicht leugnen; aber ich sehe gar nicht ein, was an den Christen zu verderben ist; und wenn denn doch alle Menschen Christen werden sollen, so lasse man sie ins himmlische Paradies, – da werden sie sich schon bekehren, wenn's ihnen gefällig ist.

Siehst Du, die Liebe macht mich nicht blind, es wär' auch ein zu großer Nachteil für mich, denn mit sehenden Augen bin ich alles Schönen inne geworden.

Adieu, kalter Mann, der immer über mich hinaus nach den Judenbroschüren reicht; ich bitte Dich, steck' das Bild an die Wand mit vier Nadeln, aber in Dein Zimmer, wo ich das einzige Mal drin war und hernach nicht mehr.

Bettine.


An Bettine.

Du zürnst auf mich, da muß ich denn gleich zu Kreuz kriechen und Dir recht geben, daß Du mir den Prozeß machst über meine kurzen kalten Briefe, da doch Deine lieben Briefe, Dein lieb Wesen, kurz alles, was von Dir ausgeht, mit der schönsten Anerkenntnis müßte belohnt werden. Ich bin Dir immer nah, das glaube fest, und daß es mir wohler tut, je länger ich Deiner Liebe gewiß werde. Gestern schickte ich meiner Mutter ein kleines Blättchen für Dich; nimm's als ein bares Äquivalent für das, was ich anders auszusprechen in mir kein Talent fühle, sehe zu, wie Du Dir's aneignen kannst. Leb' wohl, schreib mir bald, alles was Du willst.

Goethe.

 

Der durchreisende Passagier wird Dir hoffentlich wert geblieben sein bis ans Ende. Nehme meinen Dank für das Freundliche und Gute, was Du ihm erzeigt hast. – Wenn ich in Karlsbad zur Ruh' bin, so sollst Du von mir hören. Deine Briefe wandern mit mir; schreib mir ja recht viel von Deinen Reisen, Landpartien, alten und neuen Besitzungen; das lese ich nun so gern.

Weimar, den 4. Mai 1808.


Sonett, im Brief an Goethes Mutter eingelegt.

    Als kleines art'ges Kind nach Feld und Auen
Sprangst du mit mir, so manchen Frühlingsmorgen.
»Für solch ein Töchterchen, mit holden Sorgen,
Möcht' ich als Vater segnend Häuser bauen!«

Und als du anfingst in die Welt zu schauen,
War deine Freude häusliches Besorgen.
»Solch eine Schwester! und ich wär' geborgen:
Wie könnt' ich ihr, ach! wie sie mir vertrauen!«

Nun kann den schönen Wachstum nichts beschränken;
Ich fühl' im Herzen heißes Liebestoben,
Umfass' ich sie, die Schmerzen zu beschwichtgen?

Doch ach! Nun muß ich dich als Fürstin denken:
Du stehst so schroff vor mir emporgehoben;
Ich beuge mich vor deinem Blick, dem flüchtgen.


An Goethe.

Ist es Dir eine Freude, mich in tiefer Verwirrung beschämt zu Deinen Füßen zu sehen, so sehe jetzt auf mich herab; so geht's der armen Schäfermaid, der der König die Krone aufsetzt, wenn ihr Herz auch stolz ist, ihn zu lieben, so ist die Krone doch zu schwer; ihr Köpfchen schwankt unter der Last, und noch obendrein ist sie trunken von der Ehre, von den Huldigungen, die der Geliebte ihr schenkt.

Ach, ich werde mich hüten, ferner zu klagen oder um schön Wetter zu beten, kann ich doch den blendenden Sonnenstrahl nicht vertragen. Nein, lieber im Dunkel seufzen, still verschwiegen, als von Deiner Muse ans helle Tageslicht geführt, beschämt, bekränzt; das sprengt mir das Herz. Ach, betrachte mich nicht so lange, nimm mir die Krone ab, verschränke Deine Arme um mich an Deinem Herzen und lehre mich vergessen über Dir selber, daß Du mich verklärt mir wiederschenkst.

Bettine.

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