Seinem Denkmal


An Goethe.

Am 20. Mai.

Schon acht Tage bin ich in der lieblichsten Gegend des Rheins und konnte vor Faulheit, die mir die liebe Sonne einbrennt, keinen Augenblick finden, Deinem freundlichen Brief eine Antwort zu geben. Wie läßt sich da auch schreiben! Die Allmacht Gottes schaut mir zu jedem Fenster herein und neigt sich anmutig vor meinem begeisterten Blick.

Dabei bin ich noch mit einem wunderbaren Hellsehen begabt, was mir die Gedanken einnimmt. Seh' ich einen Wald, so wird mein Geist auch alle Hasen und Hirsche gewahr, die drin herumspringen; und hör' ich die Nachtigall, so weiß ich gleich, was der kalte Mond an ihr verschuldet hat.

Gestern Abend ging ich noch spät an den Rhein; ich wagte mich auf einen schmalen Damm, der mitten in den Fluß führt, an dessen Spitze von Wellen umbrauste Felsklippen hervorragen; ich erreichte mit einigen gewagten Sprüngen den allervordersten, der grade so viel Raum bietet, um trocknen Fußes drauf zu stehen. Die Nebel umtanzten mich; Heere von Raben flogen über mir, sie drehten sich im Kreis, als wollten sie sich aus der Luft herablassen; ich wehrte mich dagegen mit einem Tuch, das ich über meinen Kopf schwenkte, aber ich wagte nicht, über mich zu sehen, aus Furcht, ins Wasser zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war guter Rat teuer; ich konnte kaum begreifen, wie ich hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer vorüber, – dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der Schiffer wollte zu der weißen Gestalt, die er trocknen Fußes mitten auf dem Flusse stehen sah, und die die Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen fassen; endlich lernte er begreifen, wie ich dahin gekommen war, und nahm mich an Bord seines Dreibords. Da lag ich auf schmalem Brett, Himmel und Sterne über mir; wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo seine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem sehen, wie die Leute bei hellem Feuer Teer kochten und ihr Fahrzeug anstrichen.

Wie leidenschaftslos wird man, wenn man so frei und einsam sich befindet wie ich im Kahn; wie ergießt sich Ruh' durch alle Glieder, sie ertränkt einem mit sich selbsten, sie trägt die Seele so still und sanft wie der Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht eine Welle plätschern hörte. Da sehnte ich mich nicht, wie sonst meine Gedanken vor Dir auszusprechen, daß sie gleich den Wellen an der Brandung anschlagen und belebter weiter strömen; ich seufzte nicht nach jenen Regungen im Innern, von denen ich wohl weiß, daß sie Geheimnisse wecken und dem glühenden Jugendgeist Werkstätte und Tempel öffnen. Mein Schiffer mit der roten Mütze, in Hemdärmeln, hatte sein Pfeifchen angezündt; ich sagte: »Herr Schiffskapitän, Ihr seht ja aus, als hätt' die Sonne Euch zum Harnisch ausglühen wollen;« – »Ja«, sagte er, »jetzt sitz' ich im Kühlen; aber ich fahre nun schon vier Jahre alle Reisende bei Bingen über den Rhein, und da ist keiner so weit hergekommen wie ich. Ich war in Indien; da sah ich ganz anders aus, da wuchsen mir die Haare so lang. Und war in Spanien; da ist die Hitze nicht so bequem, ich hab' Strapazen ausgestanden; da fielen mir die Haare aus, und ich kriegte einen schwarzen Krauskopf. – Und hier am Rhein wird's wieder anders: da wird mein Kopf gar weiß; in der Fremde hatt' ich Not und Arbeit, wie es ein Mensch kaum erträgt; und wenn ich Zeit hatte, konnte ich vierundzwanzig Stunden hintereinander schlafen, – da mocht' es regnen und blitzen unter freiem Himmel. Hier schlaf' ich nachts keine Stunde; wer's einmal geschmeckt hat auf offner See, dem kann's nicht gefallen, hier alle Polen und rothaarigen Holländer über die Gosse zu fahren, – und sollt' ich den ganzen Rhein hinunterschwimmen auf meinen dünnen Rippen, so muß ich fort aus einem Ort, wo's nichts zu lachen gibt und nichts zu seufzen.« – »Ei, wo möchtet Ihr denn hin?« – »Da, wo ich am meisten ausgestanden habe, das war in Spanien; – da möcht' ich wieder sein, und wenn's noch einmal so hart herging!« – »Was hat Euch denn da so glücklich gemacht?« – Er lachte und schwieg, – wir landeten; ich bestellte ihn zu mir, daß er sich ein Trinkgeld bei mir hole, weil ich nichts bei mir hatte; er wollte aber nichts nehmen. Im Nachhausegehen überlegte ich, wie mein Glück ganz von Dir ausgeht; wenn Du nicht wärst im langweiligen Deutschland, so möcht' ich wahrhaftig auch auf meinen dünnen Rippen den unendlichen Rhein hinabschwimmen. Unsere Großmutter hat uns oft so erhabene Dinge gesagt von Deutschlands großen Geistern, aber Du warst nicht dabei, sonst hätt' ich mich vor Dir gehütet, und Du wärst meiner Begeisterung verlustig gewesen. Im Einschlafen fühlte ich mich noch immer gewiegt in süßer, gedankloser Zerstreuung, und es war mir, als hab' ich Dir große Dinge mitzuteilen, von denen ich glaubte, ich dürfe nur wollen, so werde sie der Mund meiner Gedanken aussprechen; jetzt aber, nach eingeschlafnem Traumleben, weiß ich nichts, als mich Deinem Andenken, Deiner freundlichen Neigung aufs innigste anzuschmiegen; denn wärst Du mir nicht, ich weiß nicht, was ich dann wär'; aber gewiß: unstät und unruhig würde ich suchen, was ich jetzt nicht mehr suche.

Dein Kind.

 

Wie ist mir, lieber einziger Freund! Wie schwindelt mir, was willst Du mir sagen, – Schatz! köstlicher! Von dem ich alles lerne tief in der Brust, der mir alle Fesseln abnimmt, die mich drücken, der mir winkt in die Lüfte, in die Freiheit.

Das hast Du mir gelehrt, daß alles, was meinem Geist eine Fessel ist, allein nur drückende Unwissenheit ist; wo ich mich fürchte, wo ich meinen Kräften nicht traue, da bin ich nur unwissend.

Wissen ist die Himmelsbahn; das höchste Wissen ist Allmacht, das Element der Seligkeit; solange wir nicht in ihm sind, sind wir noch ungeboren. Selig sein ist frei sein; ein freies, selbständiges Leben haben, dessen Höhe und Göttlichkeit nicht abhängt von seiner Gestaltung; das in sich göttlich ist, weil nur reiner Entfaltungstrieb in ihm ist; ewiges Blühen ans Licht und sonst nichts.

Liebe ist Entfaltungstrieb in die göttliche Freiheit. Dies Herz, das von Dir empfunden sein will, will frei werden; es will entlassen sein aus dem Kerker in Dein Bewußtsein. Du bist das Reich, der Stern, den es seiner Freiheit erobern will. Liebe will allmählich die Ewigkeit erobern, die wie Du weißt, kein Ende nehmen wird.

Dies Sehnen ist jenseits der Atem, der die Brust hebt; und die Liebe ist die Luft, die wir trinken.

Durch Dich werd' ich ins unsterbliche Leben eingehen; der Liebende geht ein durch den Geliebten ins Göttliche, in die Seligkeit. Liebe ist Überströmen in die Seligkeit.

Dir alles sagen, das ist mein ganzes Sein mit Dir; der Gedanke ist die Pforte, die den Geist entläßt; da rauscht er hervor und hebt sich hinüber zur Seele, die er liebt, und läßt sich da nieder und küßt die Geliebte, und das ist Wollustschauer: den Gedanken empfinden, den die Liebe entzündet.

Möge mir dies süße Einverständnis mit Dir bewahrt bleiben, in dem sich unser Geist berührt; dies kühne Heldentum, das sich über den Boden der Bedrängnis und Sorge hinweghebt, auf himmlischen Stufen aufwärtsschreitend, solchen schönen Gedanken entgegen, von denen ich weiß, sie kommen aus Dir.


Goethe an B.

Am 7. Juni.

Nur wenig Augenblicke vor meiner Abreise nach Karlsbad kommt Dein lieber Brief aus dem Rheingau; auf jeder Seite so viel Herrliches und Wichtiges leuchtet mir entgegen, daß ich im voraus Beschlag lege auf jede prophetische Eingebung Deiner Liebe; Deine Briefe wandern mit mir, die ich wie eine buntgewirkte Schnur auftrößle, um den schönen Reichtum, den sie enthalten, zu ordnen. Fahre fort, mit diesem lieblichen Irrlichtertanz mein beschauliches Leben zu ergötzen und beziehende Abenteuer zu lenken; – es ist mir alles aus eigner Jugenderinnerung bekannt wie die heimatliche Ferne, deren man sich deutlich bewußt fühlt, ob man sie schon lange verlassen hat. Forsche doch nach dem Lebenslauf Deines hartgebrannten Schiffers, wenn Du ihm wieder begegnest; es wäre doch wohl interessant zu erfahren, wie der indische Seefahrer endlich auf den Rhein kömmt, um zur gefährdeten Stunde den bösen Raubvögeln mein liebes Kind abzujagen. Adieu! Der Eichwald und die kühlen Bergschluchten, die meiner harren, sind der Stimmung nicht ungünstig, die Du so unwiderstehlich herauszulocken verstehst; auch predige Deine Naturevangelien nur immer in der schönen Zuversicht, daß Du einen frommen Gläubigen an mir hast.

Die gute Mutter hat mir sehr bedauerlich geschrieben, daß sie diesen Sommer Dich entbehren soll; Deine reiche Liebe wird auch dahin versorgend wirken, und Du wirst einen in dem andern nicht vergessen.

Möchtest Du doch auch gelegentlich meinen Dank, meine Verehrung unserm vortrefflichen Fürsten Primas ausdrücken, daß er meinen Sohn so über alle Erwartung geehrt und der braven Großmutter ein so einziges Fest gegeben. Ich sollte wohl selbst dafür danken, aber ich bin überzeugt, Du wirst das, was ich zu sagen habe, viel artiger und anmutiger, wenn auch nicht herzlicher vortragen.

Deine Briefe werden mir in Karlsbad bei den drei Mohren der willkommenste Besuch sein, von denen ich mir das beste Heil verspreche. Erzähle mir ja recht viel von Deinen Reisen, Landpartien, alten und neuen Besitzungen, und erhalte Dich mir in fortdauerndem, lebendigem Andenken.

G.


An Goethe.

Am 16. Juni.

Hier sind noch tausend herrliche Wege, die alle nach berühmten Gegenden des Rheins führen; jenseits liegt der Johannisberg, auf dessen steilen Rücken wir täglich Prozessionen hinaufklettern sehen, die den Weinbergen Segen erflehen, dort überströmt die scheidende Sonne das reiche Land mit ihrem Purpur, und der Abendwind trägt feierlich die Fahnen der Schutzheiligen in den Lüften und bläht die weitfaltigen weißen Chorhemden der Geistlichkeit auf, die sich in der Dämmerung wie ein rätselhaftes Wolkengebilde den Berg hinabschlängeln. Im Näherrücken entwickelt sich der Gesang; die Kinderstimmen klingen am vernehmlichsten; der Baß stößt nur ruckweise die Melodien in die rechten Fugen, damit sie das kleine Schulgewimmel nicht allzuhoch treibe, und dann pausiert er am Fuß des Berges, wo die Weinlagen aufhören. Nachdem der Herr Kaplan den letzten Rebstock mit dem Wadel aus dem Weihwasserkessel bespritzt hat, fliegt die ganze Prozession wie Spreu auseinander, der Küster nimmt Fahne, Weihkessel und Wadel, Stola und Chorhemd, alles unter den Arm und trägt's eilends davon, als ob die Grenze der Weinberge auch die Grenze der Audienz Gottes wär', so fällt das weltliche Leben ein, Schelmenliedchen bemächtigen sich der Kehlen, und ein heiteres Allegro der Ausgelassenheit verdrängt den Bußgesang, alle Unarten gehen los, die Knaben balgen sich und lassen ihre Drachen am Ufer im Mondschein fliegen, die Mädchen spannen ihre Leinwand aus, die auf der Bleiche liegt, und die Burschen bombardieren sie mit wilden Kastanien; da jagt der Stadthirt die Kuhherde durchs Getümmel, den Ochs voran, damit er sich Platz mache; die hübschen Wirtstöchter stehen unter den Weinlauben vor der Tür und klappen mit dem Deckel der Weinkanne, da sprechen die Chorherren ein, und halten Gericht über Jahrgänge und Weinlagen, der Herr Frühmeßner sagt nach gehaltener Prozession zum Herrn Kaplan: »Nun haben wir's unserm Herrgott vorgetragen, was unserm Wein nottut: noch acht Tage trocken Wetter, dann morgens früh Regen und mittags tüchtigen Sonnenschein, und das so fort Juli und August! Wenn's dann kein gutes Weinjahr gibt, so ist's nicht unsre Schuld.«

Gestern wanderte ich der Prozession vorüber, hinauf nach dem Kloster, wo sie herkam. Oft hatte ich im Aufsteigen Halt gemacht, um den verhallenden Gesang noch zu hören. Da oben auf der Höhe war große Einsamkeit; nachdem auch das Geheul der Hunde, die das Psalmieren obligat begleitet hatten, verklungen war, spürte ich in die Ferne; da hörte ich dumpf das sinkende Treiben des scheidenden Tags; ich blieb in Gedanken sitzen, – da kam aus dem fernen Waldgeheg von Vollratz her etwas Weißes, es war ein Reiter auf einem Schimmel; das Tier leuchtete wie ein Geist, sein weicher Galopp tönte mir weissagend, die schlanke Figur des Reiters schmiegte sich so nachgebend den Bewegungen des Pferdes, das den Hals sanft und gelenk bog; bald in lässigem Schritt kam er heran, ich hatte mich an den Weg gestellt, er mochte mich im Dunkel für einen Knaben halten, im braunen Tuchmantel und schwarzer Mütze sah ich nicht gerade einem Mädchen ähnlich. Er fragte, ob der Weg hier nicht zu steil sei zum Hinabreiten, und ob es noch weit sei bis Rüdesheim. Ich leitete ihn den Berg herab, der Schimmel hauchte mich an, ich klatschte seinen sanften Hals. Des Reiters schwarzes Haar, seine erhabene Stirn und Nase waren bei dem hellen Nachthimmel deutlich zu erkennen. Der Feldwächter ging vorüber und grüßte, ich zog die Mütze ab, mir klopfte das Herz neben meinem zweifelhaften Begleiter, wir gaben einander wechselweise Raum, uns näher zu betrachten; was er von mir zu denken beliebte, schien keinen großen Eindruck auf ihn zu machen, ich aber entdeckte in seinen Zügen, seiner Kleidung und Bewegungen eine reizende Eigenheit nach der andern. Nachlässig, bewußtlos, naturlaunig saß er auf seinem Schimmel, der das Regiment mit ihm teilte. – Dorthin flog er im Nebel schwimmend, der ihn nur allzubald mir verbarg; ich aber blieb bei den letzten Reben wo heute die Prozession in ausgelaßnem Übermut auseinandersprengte, allein zurück: ich fühlte mich sehr gedemütigt, ich ahnete nicht nur, ich war überzeugt, dies rasche Leben, das eben gleichgültig an mir vorübergestreift war, begehre mit allen fünf Sinnen des Köstlichsten und Erhabensten im Dasein sich zu bemächtigen.

Die Einsamkeit gibt dem Geist Selbstgefühl; die duftenden Weinberge schmeichelten mich wieder zufrieden.

Und nun vertraue ich Dir schmucklos meinen Reiter, meine gekränkte Eitelkeit, meine Sehnsucht nach dem lebendigen Geheimnis in der Menschenbrust. Soll ich in Dir lebendig werden, genießen, atmen und ruhen, alles im Gefühl des Gedeihens, so muß ich, Deiner höheren Natur unbeschadet, alles bekennen dürfen was mir fehlt, was ich erlebe und ahne; nimm mich auf, weise mich zurecht und gönne mir die heimliche Lust des tiefsten Einverständnisses.

Die Seele ist zum Gottesdienst geboren, daß ein Geist in dem andern entbrenne, sich in ihm fühle und verstehen lerne, das ist mir Gottesdienst – je inniger: je reiner und lebendiger.

Wo ich mich hinlagere am grünenden Boden, von Sonne und Mond beschienen, da bist Du meine Heiligung.

Bettine.

*

Am 25. Juni.

Du wirst doch auch einmal den Rhein wieder besuchen, den Garten Deines Vaterlands, der dem Ausgewanderten die Heimat ersetzt, wo die Natur so freundlich groß sich zeigt. – Wie hat sie mit sympathetischem Geist die mächtigen Ruinen aufs neue belebt, wie steigt sie auf und ab an den düstern Mauern und begleitet die verödeten Räume mit schmeichelnder Begrasung und erzieht die wilden Rosen auf den alten Warten und die Vogelkirsche, die aus verwitterter Mauerluke herablacht! Ja, komm und durchwandre den mächtigen Bergwald vom Tempel herab zum Felsennest, das über dem schäumenden Bingerloch herabsieht, die Zinnen mit jungen Eichen gekrönt, wo die schlanken Dreiborde wie schlaue Eidechsen durch die reißende Flut am Mäuseturm vorbeischießen. Da stehst Du und siehst, wie der helle Himmel über grünenden Rebhügeln aus dem Wasserspiegel herauflacht und Dich selbst auf Deinem kecken eigensinnigen basaltnen Ehrenfels inmitten abgemalt, in ernste, schaurig umfassende Felshöhen und hartnäckige Vorsprünge eingerahmt; da betrachte Dir die Mündungen der Tale, die mit ihren friedlichen Klöstern zwischen wallenden Saaten aus blauer Ferne hervorgrünen, und die Jagdreviere und hängenden Gärten, die von einer Burg zur andern sich schwingen, und das Geschmeide der Städte und Dörfer, das die Ufer schmückt.

O Weimar, o Karlsbad, entlaßt mir den Freund! Schließ Dein Schreibpult zu und komm hier her, lieber als nach Karlsbad; das ist ja ein Kleines, daß Du dem Postillon sagst: links statt rechts; ich weiß, was Du bedarfst, ich mache Dir Dein Zimmer zurecht neben meinem, das Eckzimmer, mit dem einen Fenster den Rhein hinunter und dem andern hinüber; ein Tisch, ein Sessel, ein Bett und ein dunkler Vorhang, daß die Sonne Dir nicht zu früh hereinscheint. Muß es denn immer auf dem Weg zum Tempel des Ruhms fortgeleiert sein, wo man so oft marode wird?

Eben entdeckte ich den Briefträger, ich sprang ihm entgegen, er zeigte mir auch von weitem Deinen Brief, er freute sich mit mir und hatte auch Ursache dazu, er sagte: »Gewiß ist der Brief von dem Herrn Liebsten!« »Ja«, sagte ich, »für die Ewigkeit!« Das hielt er für ein melancholisches Ausrufungszeichen.

Die Mutter hat mir auch heute geschrieben, sie sagt mir's herzlich, daß sie mir wohl will, von Deinem Sohn erhalte ich zuweilen Nachricht durch andre, er selbst aber läßt nichts von sich hören.

Und nun leb' wohl, Dein Aufenthalt in Karlsbad sei Dir gedeihlich, ich segne Deine Gesundheit; wenn Du krank wärst und Schmerzen littest, würde ich sehr mitleiden; ich hab' so manches nachfühlen müssen, was Du wohl längst verschmerzt hattest, noch eh' ich dich kannte.

Die drei Mohren sollen Deine Wächter sein, daß sich kein fremder Gast bei Dir einschleiche und Du Dir kein geschnitzeltes Bild machst, dasselbe anzubeten. Laß Dir's bei den drei Mohren gesagt sein, daß ich um den Ernst Deiner Treue bitte, erhalte sie mir unter den zierlichen, müßigen Badenymphen, die Dich umtanzen, die Nadel mit dem Gordischen Knoten trag an Deiner Brust, denk' daran, daß Du aus der Fülle meiner Liebe keine Wüste des Jammers machen sollst und sollst den Knoten nicht entzweihauen.

Dem Primas hab' ich geschrieben in Deinem Auftrag, er ist in Aschaffenburg, er hat mich eingeladen, dorthin zu kommen; ich werd' auch wahrscheinlich mit der ganzen Familie ihn besuchen, da kann ich ihm alles noch einmal mitteilen. Ich werde Dir Nachricht darüber geben.

Nun küsse ich Dir zum letztenmal Hand und Mund, um morgen einen neuen Brief zu beginnen.

Bettine.


An Goethe.

Am 5. Juli.

Wenn ich Dir alle Ausflüge beschreiben sollte, liebster Herr, die wir von unserm Rheinaufenthalt aus machen, so blieb' mir keine Minute übrig zum Schmachten und Seufzen. Das wär' mir sehr lieb, denn wenn mein Herz voll ist, so möcht' ich's gerne vor Dir überströmen lassen; aber so geht's nicht: hat man den ganzen Tag im heißen Sonnenbrand einen Berg um den andern erstiegen, alle Herrlichkeiten der Natur mit Hast in sich getrunken wie den kühlen Wein in der Hitze, so möchte man am Abend den Freund lieber ans Herz drücken und ihm sagen, wie lieb man ihn hat, als noch viele Beschreibungen von Weg und Steg machen. Was vermag ich auch vor Dir, als nur Dich innigst anzusehen! Was soll ich Dir vorplaudern? – Was können Dir meine einfältigen Reden sein?

Wer sich nach der schönen Natur sehnt, der wird sie am besten beschreiben, der wird nichts vergessen, keinen Sonnenstrahl, der sich durch die Felsritze stiehlt, keinen Windvogel, der die Wellen streift, kein Kraut, kein Mückchen, keine Blume am einsamen Ort. Wer aber mitten drinnen ist und mit glühendem Gesicht oben ankommt, der schläft, wie ich, gern auf dem grünen Rasen ein und denkt weiter nicht viel, manchmal gibt's einen Stoß ans Herz, da seh' ich mich um und suche, wem ich's vertrauen soll.

Was sollen mir all die Berge bis zur blauen Ferne, die blähenden Segel auf dem Rhein, die brausenden Wasserstrudel! – Es drückt einem doch nur und – keine Antwort, niemals, wenn man auch noch so begehrend fragt. –

*

Am 7. Juli

So lauten die Stoßseufzer am Abend, am Morgen klingt's anders, da regt sich's schon vor Sonnenaufgang und treibt mich hinaus, wie einer längst ersehnten Botschaft entgegen. Den Nachen kann ich schon allein regieren, es ist mein liebstes Morgengebet, ihn listig und verstohlen von der Kette zu lösen und mich hinüber ans Ufer zu studieren. Allemal muß ich's wieder von neuem lernen, es ist ein Wagstück, mit Mutwill' begonnen, aber sehr andächtig beschlossen; denn ich danke Gott, wenn ich glücklich gelandet bin. Ohne Wahl belaufe ich dann einen der vielen Strahlenwege, die sich hier nach allen Seiten auftun. Jedesmal lauscht die Erwartung im Herzen, jedesmal wird sie gelöst, bald durch die allumfassende Weite auf der Höh', durch die Sonne, die so plötzlich alles aus dem Schlaf weckt; ich klimme herab an Felswänden, reinliches Moos, zierliches Flechtwerk begleiten den Stein, kleine Höhlen zum Lager wie gegossen, in denen verschnauf' ich, dort zwischen dunklen Felsen leuchtet ein helleres Grün: kräftig, blühend, untadelig, mitten in der Wüste find' ich die Blume auf reinlichem Herd, einfache Haushaltung Gottes; inmitten von Blütenwänden die Opferstätte feierlich umstellt von schwanken priesterlichen Nymphen, die Libationen aus ihren Kelchkrüglein ergießen und Weihrauch streuen und wie die indischen Mädchen goldnen Staub in die Lüfte werfen. – Dann seh' ich's blitzen im Sand; ich muß hinab und wieder hinauf, ob's vielleicht ein Diamant ist, den der Zufall ans Licht gebracht hat. Wenn's einer wär', ich schenkte ihn Dir, und denk' mir Deine Verwunderung über das Kleinod unserer rheinischen Felsen. Da lieg' ich am unbeschatteten Ort mit brennenden Wangen und sammle Mut, wieder hinüberzuklettern zur duftenden Linde. Am Kreuzweg, beim Opferstock des heiligen Petrus, der mit großem Himmelsschlüssel ins vergitterte Kapellchen eingesperrt ist, ruh' ich aus auf weichem Gras und such' vergebens, o Himmel, an deinem gewölbten Blau das Loch, in das der Schlüssel passen könnte, da ich heraus möchte aus dem Gefängnis der Unwissenheit und Unbewußtheit; wo ist die Tür, die dem Licht und der Freiheit sich öffnet? – Da ruschelt's, da zwitschert's im Laub, dicht neben mir unter niederem Ast sitzt das Finkenweibchen im Nest und sieht mich kläglich an.

Das sind die kleinen allerliebsten Abenteuer und Mühseligkeiten des heutigen Tags. Heimwärts machte ich die Bekanntschaft der kleinen Gänsehirtin, sie strahlte mich von weitem an mit ihren zollangen schwarzen Augenwimpern, die andern Kinder lachten es aus und sagten, alle Menschen hielten sich drüber auf, daß es so lange Wimpern habe. Es stand beschämt da und fing endlich an zu weinen. Ich tröstete es und sagte: »Weil dich Gott zur Hüterin über die schönen weißen Gänse bestellt hat und du immer auf freier Wiese gehest, wo die Sonne so sehr blendet, so hat er dir diese langen Augenschatten wachsen lassen.« Die Gänse drängten sich an ihre weinende Hüterin und zischten mich und die lachenden Kinder an, könnt' ich malen, – das gäb' ein Bild!

Gut ist's, daß ich nicht viel von dem weiß, was in der Welt vorgeht, von Künsten und Wissenschaften nichts versteh', ich könnte leicht in Versuchung geraten, Dir darüber zu sprechen, und meine Phantasie würde alles besser wissen wollen, jetzt nährt sich mein Geist von Inspirationen. – Manches hör' ich nennen, anwenden, vergleichen, was ich nicht begreife, was hindert mich danach zu fragen? – Was macht mich so gleichgültig dagegen? Oder warum weiche ich wohl gar aus, etwas Neues zu erfahren? –

 

Am frühen Morgen.

Ein Heer von Wolken macht mir heute meine frühe Wanderung zu Wasser, dort drüben die Ufer sind heute wie Schatten der Unterwelt schwankend und schwindend; die Turmspitzen der nebelbegrabenen Städte und Ortschaften dringen kaum durch, die schöne grüne Au ist verschwunden. – Es ist noch ganz früh, – ich merk's! Kaum kann es vier Uhr sein, da schlagen die Hähne an, von Ort zu Ort in die Runde bis Mittelheim, von Nachbar zu Nachbar; keiner verkümmert dem andern die Ehre des langen Nachhalls, und so geht's in die Ferne wie weit! Die Morgenstille dazwischen wie die Wächter der Moscheen, die das Morgengebet ausrufen.

Morgenstund' hat Gold im Mund, schon seh' ich's glänzen und flimmern auf dem Wasser, die Strahlen brechen durch und säen Sterne in den eilenden Strom, der seit zwei Tagen, wo es unaufhörlich gießt, angeschwollen ist.

Da hat der Himmel seine Schleier zerrissen! – Nun ist's gewiß, daß wir heute schön Wetter haben, ich bleibe zu Hause und will alle Segel zählen, die vorüberziehen, und allen Betrachtungen Raum geben, die mir die ferne, allmählich erhellende Aussicht zuführt. Du kennst den Fluß des Lebens wohl genau und weißt, wo die Sandbänke und Klippen sind, und die Strudel, die uns in die Tiefe ziehen, und wie weit der jauchzende Schiffer mit gespanntem Segel, mit frischem Wind wohl kommen wird, und was ihn am Ufer erwartet.

Wenn Dir's gefällt, einen Augenblick nachzudenken über den Eigensinn meiner Neigung und über die Erregbarkeit meines Geistes, so mag Dir's wohl anschaulich sein, was mir unmündig Schiffenden noch begegnen wird. O, sag' mir's, daß ich nichts erwarten soll von jenen Luftschlössern, die die Wolken eben im Saffran- und Purpurfeld der aufgehenden Sonne auftürmen, sag' mir: dies Lieben und Aufflammen, und dies trotzige Schweigen zwischen mir und der Welt sei nichtig und nichts!

Ach, der Regenbogen, der eben auf der Ingelheimer Au seinen diamantnen Fuß aufsetzt und sich übers Haus hinüberschwingt auf den Johannisberg, der ist wohl grad' wie der selige Wahn, den ich habe von Dir und mir. Der Rhein, der sein Netz ausspannt, um das Bild seiner paradiesischen Ufer darin aufzufangen, der ist wie diese Lebensflamme, die von Spiegelungen des Unerreichbaren sich nährt. Mag sie denn der Wirklichkeit auch nicht mehr abgewinnen als den Wahn; – es wird mir eben auch den eigentümlichen Geist geben und den Charakter, der mein Selbst ausspricht wie dem Fluß das Bild, das sich in ihm spiegelt.

 

Am Abend. Heute morgen schiffte ich noch mit dem launigen Rheinbegeisterten Niklas Vogt nach der Ingelheimer Au, seine enthusiastischen Erzählungen waren ganz von dem O und Ach vergangner schöner Zeiten durchwebt. Er holte weit aus und fing von da an, ob Adam hier nicht im Paradiese gelebt habe, und dann erzählte er vom Ursprung des Rheins und seinen Windungen durch wilde Schluchten und einengende Felstale, und wie er da nach Norden sich wende und wieder zurückgewiesen werde, links nach Westen, wo er den Bodensee bilde und dann so kräftig sich über die entgegenstellenden Felsen stürze; ja, sagte der gute Vogt ganz listig und lustig, man kann den Fluß ganz und gar mit Goethe vergleichen. Jetzt geben Sie acht: die drei Bächlein, die von der Höhe des ungeheuren Urfelsen, der so mannigfaltige abwechselnde Bestandteile hat, niederfließen und den Rhein bilden, der als Jünglingskind erst sprudelt, das sind seine Musen, nämlich Wissenschaft, Kunst und Poesie, und wie da noch mehr herrliche Flüsse sind: der Tessin, der Adda und Inn, worunter der Rhein der schönste und berühmteste, so ist Goethe auch der berühmteste und schönste vor Herder, Schiller und Wieland; und da, wo der Rhein den Bodensee bildet, das ist die liebenswürdige Allgemeinheit Goethes, wo sein Geist von den drei Quellen noch gleichmäßig durchdrungen ist, da, wo er sich über die entgegenstauenden Felsen stürzt: das ist sein trotzig Überwinden der Vorurteile, sein heidnisch Wesen, das braust tüchtig auf und ist tumultarisch begeistert; da kommen seine Xenien und Epigramme, seine Naturansichten, die den alten Philistern ins Gesicht schlagen, und seine philosophischen und religiösen Richtungen, die sprudeln und toben zwischen dem engen Felsverhack des Widerspruchs und der Vorurteile so fort, und mildern sich dann allmählich; nun aber kommt noch der beste Vergleich: die Flüsse, die er aufnimmt: die Limmat, die Thur, die Reuß, die Ill, die Lauter, die Queich, lauter weibliche Flüsse, das sind die Liebschaften, so geht's immer fort bis zur letzten Station. Die Selz, die Nah', die Saar, die Mosel, die Nette, die Ahr; – nun kommen sie ihm vom Schwarzwald zugelaufen und von der rauhen Alp, – lauter Flußjungfern: die Elz, die Treisam, die Kinzig, die Murg, die Kraich, dann die Reus, die Jaxt; aus dem Odenwald und Melibokus herab haben sich ein paar allerliebste Flüßchen auf die Beine gemacht: die Wesnitz und die Schwarzbach; die sind so eilig: was giltst du, was hast du? – Dann führt ihm der Main ganz verschwiegen die Nid und die Krüftel zu; das verdaut er alles ganz ruhig und bleibt doch immer er selber; und so macht's unser großer deutscher Dichter auch, wie unser großer deutscher Fluß; wo er geht und steht, wo er gewesen ist und wo er hinkommt, da ist immer was Liebes, was den Strom seiner Begeistrung anschwelle.

Ich war überrascht von der großen Gesellschaft; Vogt meinte, das wären noch lange nicht alle; der Vergleiche waren noch kein Ende: Geschichte und Fabel, Feuer und Wasser, was über und unter der Erde gedeiht, wußte er passend anzuwenden; ein Rhinozerosgerippe und versteinerte Palmen, die man am Rhein gefunden, nahm er als Deine interessantesten Studien bezeichnend. So belehrte er mich und prophezeite, daß Du auch bis ans Ende, wie der Rhein, aushalten werdest, und nachdem Du wie er, alle gesättigt und genossen, sanft und gemachsam dem Meer der Ewigkeit zuwallen werdest; er schrieb mir das Verzeichnis aller Flüsse auf und verglich mich mit der Nidda; ach wie leid tut mir's, daß nach dieser noch die Lahn, die Sayn, die Sieg, die Roer, die Lippe und die Ruhr kommen sollen!

Adieu! Ich nenne diesen Brief die Epistel der Spaziergänge; wenn sie Dir nicht gefallen, so denke, daß die Nidda keine Goldkörner in ihrem Bett führt wie der Rhein, nur ein bißchen Quecksilber.

Sei mir gegrüßt bei den drei Mohren.

Bettine.


An Bettine.

Am 15. Juli.

Zwei Briefe von Dir, liebe Bettine, so reich an Erlebtem, sind mir kurz nacheinander zugekommen; der erste, indem ich im Begriff war, das Freie zu suchen. Wir nahmen ihn mit und bemächtigten uns seines Inhalts auf einem wohlgeeigneten bequemen Ruhepunkt, wo Natur und Stimmung, im Einklang mit Deinen sinnig heiteren Erzählungen und Bemerkungen, einen höchst erfreulichen Eindruck nicht verfehlten, der sich fortan durch den gordischen Knoten signalisieren soll. Mögen die Götter diesen magischen Verschlingungen geneigt sein und kein tückischer Dämon daran zerren! An mir soll's nicht fehlen, Deine Schutz- und Trutzgerechtsame zu bewahren gegen Nymphen und Waldteufel.

Deine Beschreibung der Rheinprozession und der flüchtigen Reitergestalt haben mir viel Vergnügen gemacht, sie bezeichnen wie Du empfindest und empfunden sein willst; lasse Dir dergleichen Visionen nicht entgehen und versäume ja nicht, solche vorüberstreifende Aufregungen bei den drei Haaren zu erfassen, dann bleibt es in Deiner Gewalt, das Verschwundene in idealischer Form wieder herbeizuzaubern. Auch für Deine Naturbegeisterungen, in die Du mein Bild so anmutig verstrickst, sei Dir Dank, solchen allerliebsten Schmeicheleien ist nicht zu wehren.

Heute morgen ist denn abermals Deine zweite Epistel zu mir gelangt, die mir das schöne Wetter ersetzte. Ich habe sie mit Muße durchlesen und dabei den Zug der Wolken studiert. Ich bekenne Dir gern, daß mir Deine reichen Blätter die größte Freude machen; Deinen launigen Freund, der mir schon rühmlichst bekannt ist, grüße in meinem Namen und danke ihm für den großmütigen Vergleich; obschon ich hierdurch mit ausgezeichneten Prärogativen belehnt bin, so werd' ich diese doch nicht zum Nachteil Deiner guten Gesinnung mißbrauchen; liebe mich so fort, ich will gern die Lahn und die Sayn ihrer Wege schicken.

Der Mutter schreibe, und lasse Dir von ihr schreiben; liebet Euch untereinander, man gewinnt gar viel, wenn man sich durch Liebe einer des andern bemächtigt; und wenn du wieder schreibst, so könntest Du mir nebenher einen Gefallen tun, wenn Du mir immer am Schluß ein offnes, unverhohlnes Bekenntnis des Datums machen möchtest; außer manchen Vorteilen, die sich erst durch die Zeit bewähren, ist es auch noch besonders erfreulich, gleich zu wissen, in wie kurzer Zeit dies alles von Herzen zu Herzen gelangt. Das Gefühl der Frische hat eine wohltuende, raumverkürzende Wirkung, von welcher wir beide ja auch Vorteil ziehen können.

G.


An Goethe.

Am 18. Juli.

Warst Du schon auf dem Rochusberg? – Er hat in der Ferne was sehr Anlockendes, wie soll ich es Dir beschreiben? – So, als wenn man ihn gern befühlen, streicheln möchte, so glatt und samtartig. Wenn die Kapelle auf der Höhe von der Abendsonne beleuchtet ist und man sieht in die reichen grünen, runden Täler, die sich wieder so fest aneinander schließen, so scheint er sehnsüchtig an das Ufer des Rheins gelagert mit seinem sanften Anschmiegen an die Gegend und mit den geglätteten Furchen die ganze Natur zur Lust erwecken zu wollen. Er ist mir der liebste Platz im Rheingau; er liegt eine Stunde von unserer Wohnung; ich habe ihn schon morgens und abends, im Nebel, Regen und Sonnenschein besucht. Die Kapelle ist erst seit ein paar Jahren zerstört, das halbe Dach ist herunter, nur die Rippen eines Schiffgewölbes stehen noch, in welches Weihen ein großes Nest gebaut haben, die mit ihren Jungen ewig aus und ein fliegen, ein wildes Geschrei halten, das sehr an die Wassergegend gemahnt. Der Hauptaltar steht noch zur Hälfte, auf demselben ein hohes Kreuz, an welches unten der heruntergestürzte Christusleib festgebunden ist. Ich kletterte an dem Altar hinauf; um den Trümmern noch eine letzte Ehre anzutun, wollte ich einen großen Blumenstrauß, den ich unterwegs gesammelt hatte, zwischen eine Spalte des Kopfes stecken; zu meinem größten Schrecken fiel mir der Kopf vor die Füße, die Weihen und Spatzen und alles was da genistet hatte, flog durch das Gepolter auf, und die stille Einsamkeit des Orts war Minuten lang gestört. Durch die Öffnungen der Türen schauen die entferntesten Gebirge: auf der einen Seite der Altkönig, auf der andern der ganze Hunsrück bis Kreuznach, vom Donnersberg begrenzt; rückwärts kannst Du so viel Land übersehen als Du Lust hast. Wie ein breites Feiergewand zieht es den Rhein schleppend hinter sich her, den Du vor der Kapelle mit allen grünen Inseln wie mit Smaragden geschmückt liegen siehst; der Rüdesheimer Berg, der Scharlach- und Johannisberg, und wie all das edle Gefels heißt, wo der beste Wein wächst, liegen von verschiedenen Seiten und fangen die heißen Sonnenstrahlen wie blitzende Juwelen auf; man kann da alle Wirkung der Natur in die Kraft des Weines deutlich erkennen, wie sich die Nebel zu Ballen wälzen und sich an den Bergwänden herabsenken, wie das Erdreich sie gierig schluckt, und wie die heißen Winde drüber herstreifen. Es ist nichts schöner, als wenn das Abendrot über einen solchen benebelten Weinberg fällt; da ist's, als ob der Herr selbst die alte Schöpfung wieder angefrischt habe, ja, als ob der Weinberg vom eignen Geist benebelt sei. Und wenn dann endlich die helle Nacht heraufsteigt und allem Ruh' gibt, – und mir auch, die vorher wohl die Arme ausstreckte und nichts erreichen konnte; die an Dich gedacht hat; – Deinen Namen wohl hundertmal auf den Lippen hatte, ohne ihn auszusprechen – müßten nicht Schmerzen in mir erregt werden, wenn ich es einmal wagte? – Und keine Antwort? Alles still? – Ja Natur! wer so innig mit ihr vertraut wär', daß er an ihrer Seligkeit genug hätte! – Aber ich nicht! Lieber, lieber Freund, erlaub's doch, daß ich Dir jetzt beide Hände küsse; zieh sie nicht zurück, wie Du sonst getan hast.

Wo war ich heut' nacht? Wenn sie's wüßten, daß ich die ganze Nacht nicht zu Hause geschlafen habe und doch so sanft geruht habe! – Dir will ich's sagen; Du bist weit entfernt, wenn Du auch schmälst, – bis hierher verhallt der Donner Deiner Worte.

Gestern abend ging ich noch allein auf den Rochusberg und schrieb Dir bis hierher, dann träumte ich ein wenig und wie ich mich wieder besann und glaubte, die Sonne wolle untergehen, da war's der aufgehende Mond; ich war überrascht, ich hätte mich gefürchtet, – die Sterne litten's nicht; diese Hunderttausende und ich beisammen in dieser Nacht! – Ja, wer bin ich, daß ich mich fürchten sollte, zähl' ich denn mit? – Hinunter traute ich mich nicht, ich hätte keinen Nachen gefunden zum Überfahren; die Nacht ist auch gar nicht lang jetzt, da legt' ich mich auf die andere Seite und sagte den Sternen gute Nacht; bald war ich eingeschlafen – dann und wann weckten mich irrende Lüftchen, dann dacht' ich an Dich; so oft ich erwachte, rief ich Dich zu mir, ich sagte immer im Herzen: Goethe sei bei mir, damit ich mich nicht fürchte; dann träumte ich, daß ich längs den schilfigen Ufern des Rheins schiffe, und da, wo es am tiefsten war, zwischen schwarzen Felsspalten, da entfiel mir Dein Ring; ich sah ihn sinken, tiefer und tiefer bis auf den Grund! Ich wollte nach Hilfe rufen, – da erwachte ich im Morgenrot, neubeglückt, daß der Ring noch am Finger war. Ach, Prophet! – deute mir diesen Traum; komm dem Schicksal zuvor, laß unserer Liebe nicht zu nahe geschehen, nach dieser schönen Nacht, wo ich zwischen Furcht und Freude im Rat der Sterne Deiner Zukunft gedachte. Ich hatte schon längst Sehnsucht nach diesem süßen Abenteuer; nun hat es mich so leise beschlichen, und alles steht noch auf dem alten Fleck. Keiner weiß, wo ich war, und wenn sie's auch wüßten – könnten sie ahnen, warum? – Dort kamst Du her, durch den flüsternden Wald, von milder Dämmerung umflossen, und wie Du ganz nahe warst, das konnten die müden Sinne nicht ertragen, der Thymian duftete so stark; – da schlief ich ein, es war so schön, alles Blüte und Wohlgeruch. Und das weite, grenzenlose Heer der Sterne, und das flatternde Mondsilber, das von Ferne zu Ferne auf dem Fluß tanzte, die ungeheure Stille der Natur, in der man alles hört, was sich regt; ach, hier fühle ich meine Seele eingepflanzt in diese Nachtschauer; hier keimen zukünftige Gedanken; diese kalten Tauperlen, die Gras und Kräuter beschweren, von denen wächst der Geist; er eilt, er will Dir blühen; Goethe, er will seine bunten Farben vor Dir ausbreiten; Liebe zu Dir ist es, daß ich denken will, daß ich ringe nach noch Unausgesprochenem, Du siehst mich an im Geist, und Dein Blick zieht Gedanken aus mir; da muß ich oft sagen, was ich nicht verstehe, was ich nur sehe.

Der Geist hat auch Sinne; so wie wir manches nur hören, oder nur sehen, oder nur fühlen: so gibt's Gedanken, die der Geist auch nur mit einem dieser Sinne wahrnimmt; oft seh' ich nur, was ich denke, oft fühle ich's; und wenn ich's höre, da erschüttert mich's. Ich weiß nicht, wie ich zu diesen Erfahrungen komme, die sich nicht aus eigner Überlegung erzeugen; – ich sehe mich um nach dem Herrn dieser Stimme; – und dann meine ich, daß sich alles aus dem Feuer der Liebe erzeuge. Es ist Wärme im Geist, wir fühlen es; die Wangen glühen vom Denken, und Frostschauer überlaufen uns, die die Begeistrung zu neuer Glut anfachen. Ja, lieber Freund, heute morgen, da ich erwachte, war mir's, als hätte ich Großes erlebt, als hätten die Gelübde meines Herzens Flügel und schwängen sich über Berg und Tal ins reine, heitre, lichterfüllte Blau. – Keinen Schwur, keine Bedingungen, alles nur angemessene Bewegung, reines Streben nach dem Himmlischen. Das ist mein Gelübde: Freiheit von allen Banden, und daß ich nur dem Geist glauben will, der Schönes offenbart, der Seligkeit prophezeit.

Der Nachttau hat mich gewaschen; der scharfe Morgenwind trocknete mich wieder; ich fühlte ein leises Frösteln, aber ich erwärmte mich beim Herabsteigen von meinem lieben samtnen Rochus; die Schmetterlinge flogen schon um die Blumen; ich trieb sie alle vor mir her, und wo ich unterwegs einen sah, da jagte ich ihn zu meiner Herde; unten hatte ich wohl an dreißig beisammen, – ich hätte sie gar zu gerne mit über den Rhein getrieben, aber da haspelten sie alle auseinander.

Eben kommt eine Ladung Frankfurter Gäste; Christian Schlosser bringt mir einen Brief von der Mutter und Dir, ich schließe um zu lesen.

Dein Kind.

 

Lieber Goethe! Du bist zufrieden mit mir und freust dich über alles, was ich schreibe, und willst meine goldne Halsnadel tragen; – ja, tu es, und lasse sie ein Talisman sein für diese glückerfüllte Zeit. Heute haben wir den 21.


An Goethe.

Caub.

Ich schreibe Dir in der kristallnen Mitternacht; schwarze Basaltgegend, ins Mondlicht eingetaucht! Die Stadt macht einen rechten Katzenbuckel mit ihren geduckten Häusern, und ganz bepelzt mit himmelsträubenden Felszacken und Burgtrümmern; und da gegenüber schauert's und flimmert's im Dunkel, wie wenn man der Katze das Fell streicht.

Ich lag schon im Bett unter einer wunderlichen Damastdecke, die mit Wappen und verschlungenen Namenszügen und verblichnen Rosen und Jasminranken ganz starr gestickt ist; ich hatte mich aber drunter in das Dir bekannte Fell des Silberbären eingehüllt. Ich lag recht bequem und angenehm und überlegte mir, was der Christian Schlosser mir unterwegs hierher alles vorgefaselt hat; er sagt, Du verstehst nichts von Musik und hörst nicht gern vom Tod reden. Ich fragte, woher er das wisse; – er meint, er habe sich Mühe gegeben, Dich über Musik zu belehren; es sei ihm nicht gelungen; – vom Tod aber habe er gar nicht angefangen, aus Furcht, Dir zu mißfallen. Und wie ich eben in dem alleinigen, mit großen Federbüschen verzierten Ehebett darüber nachdenke, hör' ich draußen ein Liedchen singen in fremder Sprache; so viel Gesang – so viel Pause! – Ich springe im Silberbär ans Fenster und gucke hinaus, – da sitzt mein spanischer Schiffsmann in der frischen Mondnacht und singt. Ich erkannte ihn gleich an der goldnen Quaste auf seiner Mütze; ich sagte: »Guten Abend, Herr Kapitän, ich dachte, Ihr wärt schon vor acht Tagen den Rhein hinab ins Meer geschwommen.« Er erkannte mich gleich und meinte, er habe drauf gewartet, ob ich nicht mit wolle. Ich ließ mir das Lied noch einmal singen; es klang sehr feierlich, – in den Pausen hörte man den Widerhall an der kleinen scharfkantigen Pfalz, die inmitten umdrängender schwarzer Felsgruppen mit ihren elfenbeinernen Festen und silbernen Zinnen ganz ins Mondlicht eingeschmolzen war. –

Lieber Goethe, ich weiß nicht, was Dir der Schlosser über Musik demonstriert hat mit seiner verpelzten Stimme – aber hättest Du heute nacht mit mir dem fremden Schiffer zugehört, wie da die Töne unter sich einen feierlichen Reigen tanzten; wie sie hinüberwallten an die Ufer, die Felsen anhauchten und der leise Widerhall in tiefer Nacht so süß geweckt, träumerisch nachtönte; der Schiffer, wie er aus verschmachteter Pause wehmütig aufseufzt, in hohen Tönen klagt und aufgeregt, in Verzweiflung hallend, ruft nach Unerreichbarem und dann mit erneuter Leidenschaft der Erinnerung seinen Gesang weiht, in Perlenreihen weicher Töne den ganzen Schatz seines Glückes hinrollt; – O und Ach! haucht – lauscht – schmetternd ruft; – wieder lauscht und ohne Antwort endlich die Herde sammelt, in Vergessenheit die kleinen Lämmer zählt: eins, zwei, drei, und wegzieht vom verödeten Strand seines Lebens, der arme Schäfer. – Ach, wunderbare Vermittlung des Unaussprechlichen, was die Brust bedrängt, ach Musik!

Ja, hättest Du's mit angehört, mit eingestimmt hättest Du in die Geschicke; mitgeseufzt – mitgeweint – und Begeistrung hätte Dich durchzückt und mich, lieber Goethe – die ich auch dabei war – tiefbewegt – mich hätte der Trost in Deinen Armen ereilt.

Mir sagte der Schiffer gute Nacht, ich sprang in mein großes Bett unter die damastene Decke, sie knarrte mir so vor den Ohren; – ich konnte nicht schlafen, – ich wollte stilliegen; – da hörte ich in den gewundenen Säulen der Bettstelle die Totenwürmchen picken; eins nach dem andern legte los wie geschäftige Gesellen in einer Waffenschmiede. –

Ich muß mich schämen vor Dir; – ich fürchte mich zuweilen, wenn ich so allein bin in der Nacht und ins Dunkel sehe; es ist nichts, aber ich kann mich nicht dagegen wehren; dann möcht' ich nicht allein sein, und bloß darum denke ich manchmal, ich müsse heiraten, damit ich einen Beschützer habe gegen diese verwirrte angstvolle Gespensterwelt. Ach Goethe! – nimmst Du mir das übel? Ja, wenn der Tag anbricht, dann bin ich selbst ganz unzufrieden über solche alberne Verzagtheit. – Ich kann in der Nacht gehen im Freien und im Wald, wo jeder Busch, jeder Ast ein ander Gesicht schneidet; mein wunderlicher der Gefahr trotzender Mutwille bezwingt die Angst. – Draußen ist es auch was ganz andres, – da sind sie nicht so zudringlich; man fühlt das Leben der Natur als ewiges göttliches Wirken, das alles und einem selbst durchströmt; – wer kann sich da fürchten? – Vorgestern auf dem Rochus in tiefer Nacht allein, da hörte ich den Wind ganz von weitem herankommen; – er nahm zu in rascher Eile je näher er kam, und dann grade zu meinen Füßen senkte er die Flügel sanft, ohne nur den Mantel zu berühren, kaum, daß er mich anhauchte, mußte ich da nicht glauben, er sei bloß gesendet, um mich zu grüßen? – Du weißt es doch, Goethe, Seufzer sind Boten; Du säßest allein am offnen Fenster, am späten Abend, und dächtest und fühltest die letzte Begeisterung für die letzte Geliebte in Deinem Blut wallen; – dann unwillkürlich stößt Du den Seufzer aus – der macht sich augenblicklich auf den Weg und jagt – Du kannst ihn nicht zurückrufen.

Irrende Seufzer nennt man, die aus unruhiger Brust, aus verwirrtem Denken und Wünschen entspringen; aber ein solcher Seufzer aus mächtiger Brust, wo die Gedanken, in schöner Wendung sich verschränkend, auf hohen Kothurnen die taugebadeten Füße in heiligem Takte bewegen, von schwebender Muße geleitet; – ein solcher Seufzer, der Deinen Liedern die Brust entriegelt, – der schwingt sich als Herold vor ihnen her, und meine Seufzer, lieber Freund! – zu Tausenden umdrängen sie ihn.

Heute nacht nun hab' ich mich grausam gefürchtet, – ich sah nach dem Fenster, wo es hell war – ich wär' so gern dort gewesen! Ich war auf meine fatales Erblager aus dem vorigen Jahrhundert, in dem Ritter und Prälaten schon mögen ihren Geist ausgehaucht haben und ein Dutzend kleiner Meister vom Hammer, alle emsig, pochten und pickten, fest gebannt. Ach, wie sehnt' ich mich nach der kühlen Nachtluft. – Kann man so närrisch sein? – Plötzlich hatte ich's überwunden, ich stand mitten in der Stube. Auf den Füßen, da bin ich gleich ein Held, es soll mir einer nah kommen – ach, wie pochten mir Herz und Schläfe; die vierzehn Nothelfer, die ich aus alter Gewohnheit vom Kloster her noch herbeirief, sind auch keine Gesellschaft zum Lachen, da der eine seinen eignen Kopf, der andre sein Eingeweide im Arm trägt und so weiter. Ich entließ sie alle zum Fenster hinaus. Und du, magischer Spiegel, in dem alles so zauberisch widerscheint, was ich erlebe, was war's denn, was mich beseligte? – Nichts! – Tiefes Bewußtsein, Friede atmen, – so stand ich am Fenster und erwartete den anbrechenden Tag. –

Bettine.

*

Am 24. Juli.

Über Musik lasse ich Dich nicht los. Du sollst mir bekennen, ob Du mich liebst, Du sollst sagen, daß Du Dich von ihr durchdrungen fühlst. Der Schlosser hat Generalbaß studiert, um ihn Dir beizubringen, und Du hast Dich gewehrt, wie er sagt, gegen die kleine Sept, und hast gesagt: »Bleibt mir mit eurer Sept vom Leibe, wenn ihr sie nicht in Reih und Glied könnt aufstellen, wenn sie nicht einklingt in die so bündig abgeschlossenen Gesetze der Harmonie, wenn sie nicht ihren sinnlich natürlichen Ursprung hat so gut wie die andern Töne« – und Du hast den verdutzten Missionar zu Deinem heidnischen Tempel hinausgejagt und bleibst einstweilen bei Deiner Indischen Tonart, die keine Sept hat. – Aber Du mußt ein Christ werden, Heide! – Die Sept klingt freilich nicht ein, und ohne sinnliche Basis; sie ist der göttliche Führer, Vermittler der sinnlichen Natur mit der himmlischen; sie ist übersinnlich, sie führt in die Geisterwelt, sie hat Fleisch und Bein angenommen, um den Geist vom Fleisch zu befreien, sie ist zum Ton geworden, um den Tönen den Geist zu geben, und wenn sie nicht wär', so würden alle Töne in der Vorhölle sitzenbleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die Grundakkorde was Gescheuteres wären als die Erzväter vor der Erlösung, vor der Himmelfahrt. Er kam und führte sie mit sich gen Himmel, und jetzt, wo sie erlöst sind, können sie selber erlösen – sie können die harrende Sehnsucht befriedigen. So ist es mit den Christen, so ist es mit den Tönen: ein jeder Christ fühlt den Erlöser in sich, ein jeder Ton kann sich selbst zum Vermittler, zur Sept erhöhen und da das ewige Werk der Erlösung aus dem Sinnlichen ins Himmlische vollbringen, und nur durch Christum gehen wir in das Reich des Geistes ein, und nur durch die Sept wird das erstarrte Reich der Töne erlöst und wird Musik, ewig bewegter Geist, was eigentlich der Himmel ist; sowie sie sich berühren, erzeugen sich neue Geister, neue Begriffe; ihr Tanz, ihre Stellungen werden göttliche Offenbarungen; Musik ist das Medium des Geistes, wodurch das Sinnliche geistig wird – und wie die Erlösung über alle sich verbreitet, die von dem lebendigen Geist der Gottheit ergriffen, nach ewigem Leben sich sehnen: so leitet die Sept durch ihre Auflösung alle Töne, die zu ihr um Erlösung bitten, auf tausend verschiednen Wegen zu ihrem Ursprung, zum göttlichen Geist. Und wir armen Menschen sollten uns genügen lassen, daß wir fühlen: unser ganzes Dasein ist ein Zubereiten, Seligkeit zu fassen, und sollten nicht warten auf einen wohlgepolsterten, aufgeputzten Himmel, wie Deine Mutter, die da glaubt, daß dort alles, was uns auf Erden Freude gemacht hat, in erhöhtem Glanz sich wieder finde; ja sogar behauptet, ihr verblichnes Hochzeitskleid von blaßgrüner Seide mit Gold- und Silberblättern durchwirkt und scharlachrotem Samtüberwurf werde dort ihr himmlisches Gewand sein und der juwelene Strauß, den ein grausamer Dieb ihr entwendet, sauge schon jetzt einstweilen das Licht der Sterne ein, um auf ihrem Haupt als Diadem unter den himmlischen Kronen zu glänzen. Sie sagt: »Für was wär' dies Gesicht das meinige, und warum spräche der Geist aus meinen Augen diesen oder jenen an, wenn er nicht vom Himmel wär' und die Anwartschaft auf ihn hätte? Alles was tot ist, macht keinen Eindruck; was aber Eindruck macht, das ist ewig lebendig.« Wenn ich ihr etwas erzähle, erfinde, so meint sie, das sind alles Dinge, die im Himmel aufgestellt werden. Oft erzähle ich ihr von Kunstwerken meiner Einbildung. Sie sagt: »Das sind Tapeten der Phantasie, mit denen die Wände der himmlischen Wohnungen verziert sind.« Letzt war sie im Konzert und freute sich sehr über ein Violoncell; da nahm ich die Gelegenheit wahr und sagte: »Geb' Sie acht, Frau Rat, daß Ihr die Engel nicht so lang mit dem Fidelbogen um den Kopf schlagen, bis Sie einsieht, der Himmel ist Musik.« Sie war ganz frappiert, und nach langer Pause sagte sie: »Mädchen, du kannst recht haben.«

*

Am 25.

Was mache ich denn, Goethe, meine halben Nächte verschreib' ich an Dich; gestern früh im Nachen, da schlief ich, wir fuhren bis St. Goar, und träumte über Musik, und was ich Dir gestern abend halb ermüdet und halb besessen niedergeschrieben habe, ist kaum eine Spur von dem, was sich in mir aussprach, aber Wahrheit liegt drinnen; es ist eben ein großer Unterschied zwischen dem, was einem schlafend der Geist eingibt, und dem, was man wachend davon behaupten kann. Ich sage Dir, ich hoffe in Zukunft mehr bei Sinnen zu sein, wenn ich Dir schreibe; ich werde mich mäßigen und alle kleinen Züge sammeln, unbekümmert ob sie aus einer Anschauung hervorgehen, ob sie ein System begründen. Ich möchte selbst gerne wissen, was Musik ist, ich suche sie, wie der Mensch die ewige Weisheit sucht. Glaube nicht, daß, was ich geschrieben habe, nicht mein wahrer Ernst sei, ich glaube dran, gerad' weil ich's gedacht habe, obschon es der himmlischen Genialität entbehrt und man ordentlich erkennt, wie ich froh war, mich vor meinem zürnenden Dämon, daß ich ihn so schlecht verstand, hinter den goldnen Reifrock Deiner Mutter verbergen zu können. – Adieu! Gestern abend ging ich noch spät in der schönen blühenden Lindenallee im Mondschein am Ufer des Rheins, da hörte ich's klappen und sanft singen. Da saß vor ihrer Hütte unter dem blühenden Lindenbaum die Mutter von Zwillingen, eins hatte sie an der Brust, und das andre wiegte ihr Fuß im Takt, während sie ihr Lied sang; also im Keim, wo kaum die erste Lebensspur sich regt, da ist Musik schon die Pflegerin des Geistes, es summt ins Ohr, und dann schläft das Kind, die Töne sind die Gesellen seiner Träume, sie sind seine Mitwelt; es hat ja nichts –, das Kind, ob es die Mutter auch wiege, es ist allein im Geist; aber die Töne dringen in es ein und fesseln es an sich, wie die Erde das Leben der Pflanze an sich fesselt, und wenn Musik das Leben nicht hielt', so würde es erkalten, und so brütet Musik fort, von da an, wo der Geist sich regt, bis er reif, flügge und ungeduldig hinausstrebt nach jenseits, und da werden wir's wohl auch erfahren, daß Musik die Mutterwärme war, um den Geist unter der Erdenhülle auszubrüten. Amen.

*

Am 26.

Dies heimliche Ergötzen, an Deiner Brust zu schlafen: – denn dies Schreiben an Dich nach durchlaufener Tagsgeschichte ist ein wahres Träumen an Deinem Herzen, von Deinen Armen umschlungen, ich freu' mich immer, wenn wir in die Herberge einziehen und es heißt: »Wir wollen früh zu Bett, denn wir müssen auch früh wieder heraus«; der Franz jagt mich immer zuerst ins Bett, und ich bin auch so müde, daß ich's kaum erwarten kann; ich werfe in Hast die Kleider ab und sinke vor Müdigkeit in einen tiefen Brunnen, da umfängt mich das Waldrevier, durch das wir am Tag geschritten waren, das Licht der Träume blitzt durch die dunklen Wölbungen des Schlafs. – »Träume sind Schäume«, sagt man, ich hab' eine andre Bemerkung gemacht, ob die wahr ist? – Allemal die Gegend, die Umgebung, in der ich mich im Traum fühle, die deutet auf die Stimmung, auf das Passive meines Gemüts. So träum' ich mich jetzt immer in Verborgenes, Heimliches; es sind Höhlen von weichem Moos bei kühlen Wassern, verschränkt von blühenden Zweigen; es sind dunkle Waldschluchten, wo uns gewiß kein Mensch findet und sucht. Da wart' ich auf Dich im Traum, ich harre und sehe mich um nach Dir; ich gehe auf engen, verwachsenen Wegen hin und her und eile zurück, weil ich glaub', jetzt bist Du da; dann bricht plötzlich der Wille durch, ich ringe in mir, Dich zu haben, und das ist mein Erwachen. Dann färbt sich's schon im Osten, ich rücke mir den Tisch ans Fenster, die Dämmerung verschleiert noch die ersten Zeilen; bis ich aber das Blatt zu Ende geschrieben habe, scheint schon die Sonne. Ach, was schreib' ich Dir denn? – Ich hab' selbst kein Urteil drüber, aber ich bin allemal neugierig, was kommen wird. Laß andre ihre Schicksale bereichern durch schöne Wallfahrten in's gelobte Land, laß sie ihr Journal schreiben von gelehrten und andern Dingen, wenn sie Dir auch einen Elefantenfuß oder eine versteinerte Schneck' mitbringen, – darüber will ich schon Herr werden, wenn sie sich nur nicht in ihren Träumen in Dich versenken wie ich. Laß mir die stille Nacht, nimm keine Sorgen mit zu Bett, ruh' aus in dem schönen Frieden, den ich Dir bereite, ich bin ja auch so glücklich in Dir! Es ist freilich schön, wie Du sagst, sich in dem Labyrinth geistiger Schätze mit dem Freund zu ergehen; aber darf ich nicht bitten für das Kind, das stumm vor Liebe ist? Denn eigentlich ist dieses geschriebene Geplauder nur eine Nothilfe, – die tiefste Liebe in mir ist stumm: es ist, wie ein Mückchen summt um Deine Ohren im Schlaf, und wenn Du nicht wach werden willst und meiner bewußt sein, dann wird Dich's stechen. – Sag', ist dies Leidenschaft, was ich Dir hier vorbete? – O sag's doch; – wenn's wahr wäre, wenn ich geboren wär', in Leidenschaft zu verflammen, wenn ich die hohe Zeder wär' auf dem die Welt überragenden Libanon, angezündet zum Opfer Deinem Genius, und verduften könnte in Wohlgerüchen, daß jeder Deinen Geist einsöge durch mich; wenn's so wär', mein Freund, daß Leidenschaft den Geist des Geliebten entbindet, wie das Feuer den Duft? – und so ist es auch! Dein Geist wohnt in mir und entzündet mich, und ich verzehre mich in Flammen und verduften und was die aussprühenden Funken erreichen, das verbrennt mit; – so knackert und flackert jetzt die Musik in mir, – die muß auch herhalten zum lustigen Opferfeuer; sie will nur nicht recht zünden und setzt viel Rauch. Ich gedenke hier Deiner und Schillers; die Welt sieht Euch an wie zwei Brüder auf einem Thron, er hat so viel Anhänger wie Du; – sie wissen's nicht, daß sie durch den einen vom andern berührt werden; ich aber bin dessen gewiß. – Ich war auch einmal ungerecht gegen Schiller und glaubte, weil ich Dich liebe, ich dürfe seiner nicht achten; aber nachdem ich Dich gesehen hatte, und nachdem seine Asche als letztes Heiligtum seinen Freunden als Vermächtnis hinterblieb, da bin ich in mich gegangen; ich fühlte wohl, das Geschrei der Raben über diesem heiligen Leichnam sei gleich dem ungerechten Urteil. Weißt Du, was Du mir gesagt hast, wie wir uns zum erstenmal sahen? – Ich will Dir's hier zum Denkstein hinsetzen Deines innersten Gewissens, Du sagtest: »Ich denke jetzt an Schiller«, indem sahst Du mich an und seufztest tief, da sprach ich drein und wollte Dir sagen, wie ich ihm nicht anhinge, Du sagtest abermals: »Ich wollte, er wär' jetzt hier. – Sie würden anders fühlen, kein Mensch konnte seiner Güte widerstehen, wenn man ihn nicht so reich achtet und so ergiebig, so war's, weil sein Geist einströmte in alles Leben seiner Zeit, und weil jeder durch ihn genährt und gepflegt war und seine Mängel ergänzt. So war er andern, so war er mir des meisten, und sein Verlust wird sich nicht ersetzen.« Damals schrieb ich Deine Worte auf, nicht um sie als merkwürdiges Urteil von Dir andern mitzuteilen; – nein, sondern weil ich mich beschämt fühlte. Diese Worte haben mir wohlgetan, sie haben mich belehrt, und oft, wenn ich im Begriff war, über einen den Stab zu brechen, so fiel mir's ein, wie Du damals in Deiner milden Gerechtigkeit den Stab über meinen Aberwitz gebrochen. Ich mußte in aufgeregter Eifersucht doch anerkennen, ich sei nichts. »Man berührt nichts umsonst«, sagtest Du, »diese langjährige Verbindung, dieser ernste tiefe Verkehr, der ist ein Teil meiner selbst geworden; und wenn ich jetzt ins Theater komme und seh' nach seinem Platz, und muß es glauben, daß er in dieser Welt nicht mehr da ist, daß diese Augen mich nicht mehr suchen, dann verdrießt mich das Leben, und ich möchte auch lieber nicht mehr da sein.«

Lieber Goethe, Du hast mich sehr hochgestellt, daß Du damals so köstliche Gefühle und Gesinnungen vor mir aussprachst. Es war zum erstenmal, daß jemand sein innerstes Herz vor mir aussprach, und Du warst es! – Ja, Du nahmst keinen Anstoß und ergabst Dich diesen Nachwehen in meiner Gegenwart; und freilich hat Schiller auf mich gewirkt, denn er hat Dich zärtlich und weich gestimmt, daß Du lange an mir gelehnt bliebst und mich endlich fest an Dich drücktest!

Ich bin müde, ich habe geschrieben von halb drei bis jetzt gegen fünf Uhr; heute wird's gar nicht hell werden – es hängen dicke Regenwolken am Himmel, da werden wir wohl warten bis Mittag, eh' wir weiterfahren. Du solltest nur das Getümmel von Nebel sehen auf dem Rhein, und was an den einzelnen Felszacken hängt! Wenn wir hier bleiben, dann schreib' ich Dir mehr heute nachmittag, denn ich wollte Dir von Musik sagen, von Schiller und Dir, wie Ihr mit der zusammenhängt – das bohrt mir schon lange im Kopf.

Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß schlafen.

 

Am Abend.

Ich bin sehr müde, lieber Freund, und würde Dir nicht schreiben, aber ich seh', daß diese Blätter auf dieser wunderlichen Kreuz- und Querreise sich zu etwas Ganzem bilden, und da will ich doch nicht versäumen, wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages festzuhalten: lauter Sturm und Wetter, abwechselnd ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in St. Goarshausen geblieben, und haben den Rheinfels erstiegen; meine Hände sind von Dornen geritzt, und meine Kniee zittern noch von der Anstrengung, denn ich war voran und wählte den kürzesten und steilsten Weg. Hier oben sieht es so feierlich und düster aus: eine Reihe nackter Felsen schieben sich gedrängt hintereinander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten Burgtrümmern gekrönt; und so treten sie keck ins Flußbett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen stillen See um den verzauberten Lurelei sich herumschwingt, über Felsschichten hinrauschend, schäumt, bullert, schwillt, gegen den Riff anschießt und den überbrausenden Zorn der schäumenden Flut wie ein echter Zecher in sich hineintrinkt.

Da oben sah ich bequem unter der schützenden Mauer des Rheinfels die Nachkommenden mit roten und grünen Parapluies mühsam den schlüpfrigen Pfad hinaufklettern, und da eben der Sonne letzter Hoffnungsstrahl verschwand und ein tüchtiger Guß dem Gebet um schön Wetter ein End' machte, kehrte die naturliebende Gesellschaft beinah' am Ziel verzagt wieder um, und ich blieb allein unter den gekrönten Häuptern. Wie beschreib' ich Dir diese erlebte Stunde mit kurzem Wort treffend? Kaum konnte ich Atem holen, – so streng und gewaltig. Ach, ich bin glücklich! Die ganze Welt ist schön, und ich erleb' alles für Dich.

Ich sah still und einsam in die tobende Flut, die Riesengesichter der Felsen schüchterten mich ein; ich getraute kaum den Blick zu heben; – manche machen's zu arg, wie sie sich überhängen und mit dem düstern Gesträuch, das sich aus geborstener Wand hervordrängt; die nackten Wurzeln, kaum vom Stein gehalten, die hängenden Zweige schwankend im reißenden Strom; – es wurde so finster, – ich glaubte, heute könne nicht mehr Tag werden. Eben überlegte ich, ob mich die Wölfe heute nacht fressen würden, – da trat die Sonne hervor und umzog, mit Wolken kämpfend, die Höhen mit einem Feuerring. Die Waldkronen flammten, die Höhlen und Schluchten hauchten ein schauerliches Dunkelblau aus über den Fluß hin; da spielen mannigfaltige Widerscheine auf den versteinerten Gaugrafen, und eine Schattenwelt umtanzt sie in flüchtigem Wechsel auf der bewegten Flut; alles wankte, – ich mußte die Augen abwenden. Ich riß den Efeu von der Mauer herab und machte Kränze und schwang sie mit meinem Hakenstock, mit dem ich hinaufgeklettert war, weit in die Flut. Ach, ich sah sie kaum, – weg waren sie! Gute Nacht! –

 

Am 27.

Goethe, guten Morgen! Ich war früh um vier Uhr bei den Salmenfischern und habe helfen lauern, denn sie meinen auch: »Im Trüben ist gut fischen«, aber es half nichts, es wurde keiner gefangen. Einen Karpfen hab' ich losgekauft und Gott und Dir zu Ehren wieder in die Flut entlassen.

Das Wetter will sich nicht aufklären; eben schiffen wir über, um auf dem linken Ufer zu Wagen wieder nach Hause zu fahren, ich hätte gar zu gern noch ein paar Tage hier herumgekreuzt.

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