Ausbruch des Siebjährigen Kriegs

Aus den friedlichen und ruhigen Zuständen, in denen Goethe seine Kindheit verlebt hatte, ward er aufgeschreckt durch den Ausbruch des Siebenjährigen Krieges im Jahr 1756. Er war damals acht Jahre alt. Was er von Friedrich II und seiner Persönlichkeit erzählen gehört, begeisterte ihn. Er schrieb sich die Kriegslieder ab, durch welche Gleim unter der Maske eines preußischen Grenadiers die Heldentaten des großen Königs verherrlichte. Seinen Lieblingshelden verkleinern zu hören, war ihm ein unerträgliches Gefühl. Als sich nach einigen Jahren durch die Teilnahme Frankreichs der Kriegsschauplatz bis in die Nähe Frankfurts zu ziehen drohte, hatte dies für Goethe die Folge, dass er weniger, als bisher, das elterliche Haus verlassen durfte.

Unter mannichfachen Beschäftigungen griff er wieder nach den Figuren des Puppenspiels, das er von seiner Großmutter zum Geschenk erhalten hatte. Mit Hülfe einiger Jugendgespielen ward das frühere Drama, für welches die Puppen hinreichten, mehrmals vorgestellt. Die Garderobe und die Dekorationen nach und nach zu verändern, war eine Lieblingsbeschäftigung des Knaben. Sein Versuch, größere Stücke aufzuführen, scheiterte jedoch an dem beschränkten Schauplatz. Unter diesen Umständen leistete ihm ein Bedienter seines Vaters wesentliche Dienste, indem er ihm Panzer und Rüstungen verfertigen half. Goethe und seine Gespielen ergötzten sich eine Zeitlang an den gegenseitigen Parteiungen und Gefechten, die mitunter in ernsthafte Händel ausarteten, bei denen es ohne derbe Schläge nicht abging.

Durch einen andern Zeitvertreib, durch das Talent, Märchen zu erzählen, die er meist selbst erfunden, empfahl sich Goethe seinen Jugendfreunden. Eins dieser Märchen, "der neue Paris" betitelt, hat sich in Goethes gesammelten Werken erhalten. Er bediente sich dabei des Kunstgriffs, in eigner Person zu sprechen, wodurch die von ihm geschilderten abenteuerlichen Ereignisse den Anschein bekamen, als wären sie ihm selbst begegnet. Durch die Lokalitäten, die er in seine Märchen verwebte, erhöhte er ihre Wirkung auf seine Zuhörer, die unter lautem Beifall sich beeilten, den in dem Märchen "der neue Paris" erwähnten Ort mit den Nussbäumen, der Tafel und dem Brunnen aufzusuchen, in ihren Berichten über das, was sie gefunden, jedoch sehr variierten. Erhalten hat sich noch aus jener Zeit (1757) in einem alten Exercitienheft Goethes ein von ihm verfasstes Gespräch, "Wolfgang und Maximilian" überschrieben. In diesem Dialog, dem ersten dramatischen Versuch des achtjährigen Knaben trat besonders die Naivität hervor, womit Goethe, durch seinen Vornamen Wolfgang bezeichnet, seinem Schulkameraden Maximilian gegenüber, sich als den Soliden und Wohlerzogenen geschildert hatte.

Einen tiefen Eindruck auf Goethes poetisch gestimmtes Gemüt machte um diese Zeit (1757) Klopstocks Messias. Er musste dies berühmte Epos heimlich lesen, denn sein Vater, durch Canitz, Hagedorn, Gellert und andere Dichter an den Reim gewöhnt, äußerte die entschiedenste Abneigung gegen den Hexameter, oder, wie er sich ausdrückte, gegen Verse, die eigentlich gar keine Verse wären. Goethe und seine Schwester Cornelia benutzten jede Freistunde, um in irgend einem Winkel verborgen, die zartesten und ergreifendsten Stellen der Messiade sich einzuprägen, nächst Portias Traum besonders das verzweiflungsvolle Gespräch zwischen Satan und Adramelech im zehnten Gesange der Klopstockschen Dichtung. Als jene geistlichen Verwünschungen, die sie schon oft rezitiert, einst ziemlich laut hinter dem Ofen, wo sie sich verborgen hatten, hervor schollen, ließ der Barbier, der eben Goethes Vater rasierte, vor Schreck das Seifenbecken fallen, wodurch der Alte, über und über beschüttet, doch nicht von seiner Abneigung gegen die Hexameter, denen er jenes Unheil beimaß, geheilt ward.

Goethes Interesse an Kunst

Goethes Kunstsinn ward geweckt und genährt, als der französische Königslieutenant Graf Thorane, ein enthusiastischer Freund und Kenner von Gemälden, bald nach der Besitznahme Frankfurts durch die französischen Truppen, in Goethes elterlichem Hause einquartiert ward. Das Mansardenzimmer, welches Goethe bisher bewohnt hatte, war dem Grafen zu einem Atelier eingeräumt worden, in welchem er mehrere Frankfurter Künstler für sich arbeiten ließ. Für Goethe, der ihn dort oft besuchte, ging daraus noch der Vorteil hervor, dass er in der französischen Sprache, die er bisher sehr vernachlässigt, sich immer mehr vervollkommnete. Mangelhaft blieb jedoch seine Kenntnis des Französischen, da er sie nicht auf dem Wege eines grammatikalischen Unterrichts erlangt hatte.

Dies ward ihm besonders fühlbar, als ein Freibillet ihm den Eintritt in das französische Theater verschaffte, das damals in Frankfurt errichtet worden war. Da er, besonders im Lustspiel, wo sehr schnell gesprochen ward, nur wenig von den Reden der Schauspieler verstand, richtete er seine Aufmerksamkeit vorzugsweise auf die Bewegung der auftretenden Personen und auf ihre Mimik. Er gelangte dadurch zu einer, wenn auch nur oberflächlichen Kenntnis des französischen Lust- und Trauerspiels, und ward einigermaßen vertraut mit den dramatischen Regeln der französischen Bühne. Der abgemessene Schritt, in dem sich die Tragödie bewegte, der gleichmäßige Takt der Alexandriner machte auf ihn einen wunderbaren Eindruck. Aus Racines Trauerspielen, die er in seines Vaters Bibliothek fand, rezitierte er mehrere auswendig gelernte Stellen nach Art und Weise der französischen Schauspieler, deren Ton und Akzent sich seinem Ohr scharf eingeprägt hatte. Fast noch mehr als die Tragödie, behagten ihm die damals sehr beliebten Lustspiele von Destouches, Marivaux, la Chaussée und andern französischen Dichtern. Auch mehrere Opern und Schäferspiele sagten seinem damaligen Geschmacke zu, und noch lange nachher erinnerte er sich mit Vergnügen einzelner Szenen und der darin auftretenden Personen.

Seinem Wunsch, auch mit der inneren Einrichtung des Theaters bekannt zu werden, kam ein französischer Knabe, Derones mit Namen, zuvor, der ihn auf die Bühne und in die Garderobe führte. Der Übermut und die Prahlerei seines jungen Freundes ward ihm jedoch bald so lästig, dass zwischen beiden ein sehr gespanntes Verhältnis eintrat, welches sogar eine Herausforderung und ein Duell in echt theatralischer Weise, dann aber wieder eine aufrichtige Versöhnung zur Folge hatte. Erleichtert ward ihm dadurch sein häufiger Theaterbesuch, den aber sein Vater sehr lebhaft missbilligte. Die Bühne, meinte er, habe durchaus keinen Nutzen. Goethe bot seinen ganzen Scharfsinn auf, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Lessings Trauerspiel, Miß Sara Sampson, der Kaufmann von London und ähnliche Stücke lieferten ihm die Beweise, wie das Laster im Glück, die Tugend im Unglück durch die poetische Gerechtigkeit wieder ausgeglichen werde. Dieser Behauptung, gegen die er nichts einzuwenden vermochte, stellte Goethes Vater den Einwurf entgegen, dass die in die theatralischen Vorstellungen oft verwebten Schelmenstreiche und Betrügereien auf das unverdorbene Gemüt der Jugend nicht anders als nachteilig wirken könnten. Wenn ihn irgend etwas mit der Bühne versöhnen konnte, so war es die Bemerkung, dass sein Sohn dadurch seine französischen Sprachkenntnisse vermehrte.

Diese Kenntnisse benutzte Goethe zum Entwurf eines dramatischen Produkts, in welchem meistens allegorische Personen, wie Jupiter, Merkur und andere Götter mit ihren bekannten Attributen auftraten. Das Stück bestand größtenteils in Reminiszenzen aus Ovids Metamorphosen. Seine Autoreitelkeit fühlte sich jedoch gekränkt, als der unlängst erwähnte französische Knabe, welchem er sein Produkt mitgeteilt und ihn um sein Urteil gebeten, sich erlaubte, mehrere Stellen, ja ganze Szenen zu streichen. Für Goethe hatte dies Verfahren den Nutzen, dass er mit der französischen Dramaturgie, gegen deren Regeln er gefehlt haben sollte, sich näher bekannt machte. Zu diesem Zweck las er Corneilles Abhandlung über die Aristotelische dreifache Einheit, und studierte Racines Werke, die ihm zum Teil schon bekannt waren, da er einige Jahre früher auf einem Kindertheater in dem Trauerspiel Brittannicus den Nero gespielt hatte. Bei seiner immer noch sehr mangelhaften Kenntnis des Französischen förderten ihn jedoch diese Studien äußerst wenig, und er gab sie wieder auf, als er nicht ohne Mühe die Vorreden gelesen hatte, in denen Corneille und Racine sich gegen die Kritiker und das Publikum verteidigten.

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