Der Komet

Langsam hatten die Schriften Jean Pauls aus den letzten Jahren sich ihr Publikum erobert. Eine ganz neue Erscheinung stand er vor dem deutschen Volk. Aber auch dieses Volk selbst war anders geworden. Der geistige Schwerpunkt lag nicht mehr in den Adelskreisen. Als hätte der Niederbruch des preußischen Staates bei Jena lastende Hemmungen beiseitegeräumt, so erwachte auf einmal das Bürgertum zu neuem Leben. Die Arbeit der preußischen Reformer setzte sich unmittelbar in lebendige Wirkung um. Neue Schichten stiegen auf, hungernd nach geistiger Nahrung und Teilnahme an den öffentlichen Dingen. Die Kreise, die dem Dichter des »Hesperus« zugejubelt hatten, verstanden den »Titan« nicht mehr. Aber schon die folgenden Werke drangen in die neuen Schichten ein. Nicht mehr unter den offiziellen Repräsentanten des deutschen Lebens fand Jean Paul seine Anhänger, aber er ergriff die jetzt hochkommende Generation von Männern und Jünglingen mit seinen Ideen und Gestalten. Tief in die weitesten Volkskreise drangen die »Vorschule« und die »Levana« ein. In den »Flegeljahren« sahen sich nicht mehr sentimentale Liebespaare gespiegelt, erkannten sich vielmehr die jungen Männer, auf denen die Hauptlast der Zeit lag, in ihrem idealen Streben. Wo sie den Dichter nicht fassen konnten, da ließen sie sich von dem Politiker ergreifen. Jean Paul wurde gerade den Kreisen der aufstrebenden akademischen Jugend, die für deutsches Wesen und deutsche Wiedergeburt entbrannten, der deutsche Mann, der Inbegriff deutschen Geistes. Unverkennbar ist die männlichere Note, die sein Schaffen jetzt auszeichnete, steigend bis zu der herben Kühnheit des »Dr. Katzenberger«. Wieder wie zur Zeit des »Hesperus« las und verschlang man seine Bücher. Wir sahen, wie die »Friedenspredigt« eine neue Epoche seines Schaffens einleitete. Mochte der Dichter selbst das Gefühl haben, ohnmächtig vor einer Entwicklung zu stehen, die andere Bahnen einschlug, als er sie für richtig hielt – die Generation, die bald nach den Befreiungskriegen so schwere Enttäuschungen durchmachen sollte, jubelte ihm zu. Nicht für das offizielle Deutschland, aber für das, das noch einmal die Aufgabe einer deutschen Verwirklichung auf sich nahm, wurde er der Führer und blieb es, als er für sich schon jeder Führung entsagt und sich ganz in das Reich reinen und humoristischen Schaffens zurückgezogen hatte. Dadurch erklärt sich der beispiellose Enthusiasmus, den seine Erscheinung von jetzt ab überall erweckte. Die größten Ehrungen waren dem Dichter des Hesperus gebracht worden, jetzt aber steigerte sich die Begeisterung, mit der die einzelnen deutschen Städte ihn aufnahmen, von Jahr zu Jahr.

Seine eigene Stimmung, die ihn mehr und mehr befiel, stand zu diesen Ehrungen in einem merkwürdigen Kontrast. »Ich habe meine Sache getan und geschrieben,« schreibt er schon 1806, »und da das Beste von mir vollendet ist, so kann mir's gleichgültig sein, was ich noch auf der Erde zu tun haben soll.« Immer mehr nimmt eine melancholische Reizbarkeit von ihm Besitz. Musik kann er nicht mehr hören, ohne zu Tränen erschüttert zu werden. Gerade da er in seinem Schaffen jede Sentimentalität überwunden hat, überwältigt sie ihn im Leben. »Ich könnte keine pathetische Rede halten, weil mir die Tränen die Stimme erstickten«, sagt er einige Jahre später. Er fühlte sich am Ende, und doch sollte er noch einige Jahre lang am Born des Lebens mit vollen Zügen trinken.

Jean Paul stand in diesen Jahren verhängnisvoll zwischen einer absterbenden und einer aufstrebenden Zeit. Tod und Unglück lichteten unter seinen Bekannten und Freunden. Mit Herder war ihm der liebste dahingesunken. Mit altem Enthusiasmus stand Karoline Herder noch zu ihm, und wie Prophetenruf klingt es aus dem letzten Brief, den die auch bereits dem Tode Verfallene ihm zum 56. Geburtstag schrieb: ». . . aber die Menschen werden erwachen und nach der Wirkung des Dichters auf Geist, Herz und Charakter fragen. Jetzt sind Goethe und Schiller an der Tagesordnung des lauten Publikums – Richter und Herder haben die stille Gemeinde – aber desto inniger, liebender, dauernder.« Ein halbes Jahr später lag auch sie unter der Erde, die treue Gefährtin ihres unglücklichen Gatten.

Aber fast noch trauriger war das Schicksal der ehemaligen »Titanide« Charlotte von Kalb. Schon Anfang des Jahrhunderts brach das wahrhaft fürstliche Vermögen dieser Frau zusammen. Jetzt kam sie auf ihren alten Plan zurück, eine Erziehungsanstalt zu errichten, um dadurch ihr Leben zu fristen. Jean Paul konnte sie zu seinem Leidwesen bei diesem Vorhaben nur wenig unterstützen. Die zerrütteten Vermögensverhältnisse trieben ihren Mann zum Selbstmord. Mit selbstgearbeiteten Handarbeiten hielt sich die Freundin und Gönnerin dreier großer Dichter über Wasser. Ihr Augenlicht nahm beängstigend ab. Noch einmal lebte sie auf, als die Befreiungskriege begannen. Ihr einziger Sohn August zog als Leutnant in den Krieg, aus dem er glücklich nach Hause kommen sollte. Aber nur zu einem von düsterer Melancholie verhangenen Leben, dem er zehn Jahre später wie der Vater durch Selbstmord ein Ende machte. Im Mai 1816 weilte sie einige Monate auf ihrem alten Gut Kalbsrieth, das ihr, wenn auch überschuldet, bis dahin geblieben war. Mit Wehmut durchwandelte sie die Auen, wo sie, wie sie an Jean Paul schrieb, vor achtzehn Jahren am Kampanertal, dem »Hesperus« sich erfreute, wo sie seine Briefe mit Sehnsucht erwartet, mit Innigkeit beantwortet hatte.

Eine tiefe Enttäuschung bereitete ihm auch die persönliche Bekanntschaft mit dem alten Freunde und Mitstreiter Friedrich Jacobi, die er endlich 1812 in Nürnberg auf einer Reise machte. Das erste Sehen allerdings ließ sich günstig an. Sie hatten sich in ihren Wohnungen gegenseitig verfehlt. »Um 11 Uhr aber hatte ich ihn an meiner Brust. Ich hielt einen alten Bruder und Bekannten meiner Sehnsucht im Arme. Kein Weltmann – außer im schönsten Sinne – der stille, edle Alte! Mir war, als säh' ich ihn bloß wieder. Überall Zusammenpassen – sogar seine Schwestern gefielen mir.« Aber bald sollte sich eine gegenseitige Fremdheit herausstellen. Vielleicht hatte Jean Paul die Erwartungen zu hoch gespannt. Er hatte gehofft, daß der Verfasser des »Woldemar« ihm ein zweiter Herder sein würde. Aber dem alternden Jacobi fehlte dazu der Sinn für Humor. Er brachte kein Verständnis auf für »das Ding in mir, das wider seinen Wunsch den Katzenberger und Fibel geschrieben«. Jacobi redete, wie Jean Paul klagt, nur von sich, von seinen Arbeiten, seinen Freunden, ohne eine Frage nach Jean Pauls Leben zu tun. So sah sich der Dichter mit seinem Drang, einem Freund sein Inneres zu eröffnen, wieder auf sich selbst zurückgewiesen.

Nicht viel glücklicher verlief eine Zusammenkunft mit E. T. A. Hoffmann in Bamberg, über die wir durch einen Bericht des sehr zweifelhaften Weinhändlers und Verlegers Kunz unterrichtet sind. Danach soll Jean Paul dem ihn seit frühester Jugend verehrenden Hoffmann eine boshafte Karikatur übelgenommen haben, die dieser von Frau von Kalb gemacht. Nach seiner gewöhnlichen Manier mischt hier also Kunz aus allem, was er über das Leben und die persönlichen Beziehungen Jean Pauls in Erfahrung gebracht hatte, ein verlogenes Potpourri zurecht. Wir wissen, was zwischen den beiden Dichtern stand: Hoffmanns Entlobung mit Minna Dörffer, der Freundin der Meyerschen Schwestern. Überdies befand sich Hoffmann damals in den widrigsten Umständen. Als Musiklehrer verdiente er kümmerlich seinen Unterhalt. Als Schriftsteller war er fast noch gar nicht hervorgetreten. Es konnte leicht sein, daß sein skurriles Wesen dem alternden Jean Paul auf die Nerven fiel. Hoffmann hat Zeit seines Lebens mit innigster Verehrung an Jean Paul gedacht. Dieser rückte dann allerdings in der Vorrede zur zweiten Auflage der »Unsichtbaren Loge« 1821 deutlich von Hoffmann und der von diesem vertretenen Richtung ab. Wir werden noch sehen, welchen traurigen Anlaß Jean Paul dazu hatte, sich gegen den wieder emporkommenden Mystizismus zu wenden, mit dem Hoffmann allerdings nicht identisch war. Es war wiederum ein Mißverständnis, das sich zwischen die beiden Dichter stellte, die ihrem Wesen nach zueinander gehören. Als Hoffmann ein Jahr später Jean Paul in Baireuth zusammen mit Kunz besuchte, konnte er in sein Tagebuch schreiben: »Seine Frau kennt mich und denkt nicht an Odiosa.« Aber auch dieses Zusammensein führte jedenfalls nicht zu engeren Beziehungen.

Und doch sollte Jean Paul derjenige werden, der Hoffmann gewissermaßen in die Literatur einführte. Auf Veranlassung des gemeinsamen Freundes Kunz schrieb er eine Vorrede zu Hoffmanns literarischem Erstling, den »Fantasiestücken in Callots Manier«. Schon Hoffmann gefiel diese Vorrede nicht, die er sich »kürzer, genialer« gedacht hatte. Aber etwas macht diese Vorrede merkwürdig: Sie wurde in Baireuth im Jahre 1813, dem Geburtsjahr Richard Wagners, geschrieben, als Hoffmann in Leipzig gerade die Bekanntschaft von Richard Wagners Vater gemacht hatte, und in ihr findet sich der prophetische Satz hinter dem Hinweis auf Hoffmanns Musikernatur: »Desto besser und desto seltner! denn bisher warf immer der Sonnengott die Dichtgabe mit der Rechten und die Tongabe mit der Linken zwei so weit auseinanderstehenden Menschen zu, daß wir noch bis diesen Augenblick auf den Mann harren, der eine echte Oper zugleich dichtet und setzt.« Gerade in dieser Zeit war dieser erharrte Mann also geboren, und zwar am gleichen Tage, als Hoffmann in Leipzig einzog.

Zu den Talenten, die Jean Paul eingeführt und gefördert hatte, gehörte auch Ernst Wagner, dem er seinerzeit beim Herzog von Meiningen die Stelle des Kabinettsekretärs verschafft hatte. Mit Wagner verband ihn eine herzliche Freundschaft. Für Wagners Idee einer deutschen Kunstschule war er noch in der »Levana« mit Begeisterung eingetreten. Aber auch dieser Freund sollte ihn bald verlassen. Nach langer Krankheit starb er im Februar 1812, gerade 43 Jahre alt. Und wie unglücklich wendete es das Verhängnis, daß ihm von jenem andern Schriftsteller, der ihm soviel zu verdanken hatte, von Arnold Kanne, das größte Unglück seines Lebens kommen sollte: der Tod seines Sohnes! Gerade in jenen Jahren veröffentlichte Kanne die Schrift, die den Grund zu seiner Bedeutung legte und die zugleich zu dem Anwachsen des Mystizismus in Deutschland so viel beitrug: »Erste Urkunden der Geschichte oder allgemeine Mythologie.« Auch zu diesem bedeutsamen Werk schrieb Jean Paul eine Vorrede. Er kenne wenige Werke, heißt es darin, welche mit der Kunde ältester und neuester Sprachen wie der Mythen eine solche Überfülle von etymologischem Witz, so viel Sinn und Gabe für Philosophie und Poesie verbinden. Später hat Jean Paul zu Kanne, gerade weil er an seinem eigenen Sohn die verderblichen Wirkungen dieses Mystizismus sah, eine andere Haltung eingenommen. Aber doch machte dieses Werk in gewissem Sinn Epoche. Noch vor Friedrich Schlegel wurde hier zum erstenmal auf die Bedeutung des Sanskrit für die arischen Kulturen hingewiesen.

Durch Kanne war Jean Paul mit einer neuen aufsteigenden Generation verbunden, und wenn es sich hier auch nur um eine Überspitzung des romantischen Geistes handelte. Wichtiger war ihm die Verbindung mit jenen Kräften, die das verschüttete deutsche Volkstum wieder an die Oberfläche bringen wollten. Gerade hier war Jean Paul einer der ersten Anreger und Wegbereiter gewesen. Es war zunächst eine humoristische Schrulle, wenn er im »Dr. Katzenberger« Namen wie Theudobald und Theoda verwandte. Aber er trat auch allen Ernstes für die Verwendung alter deutscher Namen in einem besonderen Aufsatz ein, und er war ja der erste gewesen, der unmittelbar nach der Schlacht bei Jena, als das gesamte Deutschland sich allgemeiner Trostlosigkeit hingab, auf die Unverletzlichkeit deutscher Kultur hingewiesen hatte. Um so mehr mußte er sich freuen, wenn sich jetzt Görres, der Herausgeber der »Deutschen Volksbücher«, aus Heidelberg an ihn wandte. Wenn ihm aus Berlin der damals 27jährige Freiherr von der Hagen seine Übersetzung des Nibelungenliedes schickte. Was bereits Herder vorgeschwebt hatte, wurde jetzt Wirklichkeit. Ausdrücklich schrieb Hagen, daß ihm die Nibelungen mehr bedeuteten als Homer, und mit voller Seele konnte Jean Paul ihm antworten, daß auch er die Nibelungen, »diesen verklärten und verklärenden Germanismus, diesen wahren Antikentempel Deutschlands«, den homerischen Gesängen vorziehe. Und mit besonderer Freude mußte es ihn erfüllen, daß Hagen ihm von seinen Plänen schrieb, in Gemeinschaft mit Büsching eine Sammlung noch ungedruckter altdeutscher Gedichte herauszugeben. Mit heller Freude schrieb Jean Paul auch die Vorrede zu Dobenecks Schrift »Des deutschen Mittelalters Volksglauben und Heroensagen«. Wo er Besinnung auf altdeutsches Wesen antraf, begrüßte er es mit Begeisterung, auch wo es sich nur, wie bei Fouqué, um eine äußerliche und pseudoromantische Wiederbelebung der altdeutschen Welt handelte. In diesem Zurückgehen auf das deutsche Mittelalter stand er mit den Romantikern in einer Front. Aber in erster Linie war es Herders Geist, dem er hier nachstrebte, der ja als erster auf die Bedeutung der deutschen Vergangenheit für die gegenwärtige Kultur hingewiesen hatte und schon die griechische Mythologie durch die nordische hatte ergänzen wollen. Jean Paul war sich des wahren Urhebers dieser romantischen Bestrebungen vollkommen bewußt. Nicht so sehr die Romantiker selbst; oder sie, die von Goethe aus ihren Ursprung nahmen, hielten es für geraten, ihren Ahnherrn zu verschweigen. Hier tritt deutlich das tragische Schicksal Herders hervor. Goethe wurde die Sammlung von »Des Knaben Wunderhorn« gewidmet, während es Herders Geist war, der sich in dieser Sammlung Arnims und Brentanos am schönsten auswirkte. Aber wieder liegt auch eine Gerechtigkeit des Schicksals darin, daß die Anregungen Herders ins Ungemessene weiterwirkten, während Goethe nur als Persönlichkeit und Namen fortlebte.

Von Jean Pauls Beziehungen zu der gegenwärtigen und der kommenden Generation können nur diese wenigen aufgeführt werden. Von allen Seiten wandte man sich an ihn. Was auch Neues an Ideen und Strömungen auftauchte, er wurde als Schirmherr angerufen. Als einer der ersten hatte er die Saat ausgestreut. Jetzt kam die Ernte ein und in einer Fülle, daß er sie kaum zu bergen wußte. Unmöglich für ihn, alle diese auf ihn einstürmenden Eindrücke noch im Werk zu formen. In Vorreden und Buchbesprechungen suchte er zu bergen, was er konnte. Ihm selbst aber brachte diese Fülle keine neuen Antriebe mehr.

Es war eine Ironie des Schicksals, und auch wiederum bezeichnend für das Auseinanderfallen des lebendigen und des offiziellen Deutschland, daß der Sturz Napoleons Jean Paul in persönliche pekuniäre Bedrängnis brachte. Man entsinnt sich, daß es Dalberg, der Großherzog von Frankfurt von Gnaden Napoleons, war, der dem Dichter eine Pension von 1000 Gulden ausgesetzt hatte. Mit Napoleon stürzte auch Dalberg. Er verzichtete auf alle Würden und Besitztümer und zog sich auf den Erzbischofsitz von Regensburg zurück. Damit hatte Jean Paul seine Pension, die er nötig brauchte, eingebüßt. Man muß bedenken, daß die Arbeitskraft des Dichters sehr nachgelassen hatte. Großen Konzeptionen fühlte er sich nicht mehr gewachsen, ja er mochte vielleicht eine Zeit voraussehen, in der er überhaupt nicht mehr würde arbeiten können. Fast zwei Jahre lang blieb seine Pensionsangelegenheit unerledigt. Er wandte sich an die verschiedensten Personen, die auf dem Wiener Kongreß Einfluß hatten. Metternich, Stein, Stägemann, Montgelas wurden von ihm angegangen. Eine besonders eindrucksvolle Bittschrift richtete er an den Zaren Alexander. Auch an den König und die Königin von Bayern wandte er sich. Der Königin widmete er behufs dieses Zweckes sogar die zweite Auflage seiner »Levana«. Endlich erhielt er die Nachricht, daß Maximilian von Bayern, dem das Fürstentum Aschaffenburg zugeschlagen wurde, wo Jean Pauls Pension eingetragen war, die Zahlung übernommen habe. Aber Jean Paul war lange Zeit hindurch in Sorge gewesen. Dalberg hatte ihm um seines deutschen Patriotismus willen die Pension aus eigenem Antriebe ausgesetzt. Die Sieger, um deren Sache sich Jean Paul bemüht hatte, beeilten sich nicht allzusehr bei dieser Angelegenheit. An Dalberg dachte Jean Paul daher mit besonderer Dankbarkeit. Ihm hatte er bereits die unter dem Titel »Museum« zusammengestellten philosophischen Aufsätze, die er für die Frankfurter Gelehrtengesellschaft geschrieben hatte, gewidmet, aber es war ihm ein inneres Bedürfnis, diesem hochherzigen Gönner nunmehr auch persönlich seinen Dank auszusprechen, um so mehr, da Dalberg seit seinem Sturz in äußerster Zurückgezogenheit in Regensburg lebte. Auch Ludwig von Oerthel, der ihn einst als Freund seines nun inzwischen in Geistesnacht verfallenden Bruders Friedrich in Weimar aufgenommen hatte, zog ihn in die Donaustadt. Im August 1816 konnte Jean Paul endlich seinen Plan ausführen, und er wurde durch Dalbergs Freundschaft reich belohnt. Einzig die Stunden mit dem unvergeßlichen Herder hatten ihm solchen Genuß gewährt, wie es nun der Verkehr mit dem ehrwürdigen Dalberg tat. »Im Reden wie in Allem mehr Gelehrter als Fürst«, schrieb Jean Paul über den Primas. Jeden Abend um sechs Uhr holte ihn der Wagen nach dem erzbischöflichen Palais, wo über Religion, Philosophie und Naturwissenschaften gesprochen wurde. Bei einer Weinflasche saßen die beiden oft bis zum Dunkelwerden beisammen. Mit besonderer Liebe sprach Dalberg von den Familienfreuden des Dichters, um die der Einsame ihn beneidete, und er ließ des öfteren durchblicken, daß er Frau und Kinder Jean Pauls in seinem Testament bedenken werde. Leider kam es nicht dazu. Schon ein Jahr darauf starb Dalberg ganz plötzlich. Ein Testament wurde nicht vorgefunden.

In Regensburg hatte auch der Vater des Dichters einige Jahre in seiner Jugend verbracht, als er als Alumnus das dortige Gymnasium poeticum besuchte. In der Kapelle des Fürsten von Thurn und Taxis hatte er die Göttin seiner Jugend, die Musik, angebetet. Jetzt dachte der Sohn oft an »die kleinen Wege und engen Pässe seiner Jugendtage«. Natürlich besuchte er auch seine alte Gönnerin, die Fürstin von Thurn und Taxis, die eine jener »vier schönen und guten Schwestern auf dem Thron«, denen der »Titan« gewidmet war. Voll von den schönsten Eindrücken, kehrte er nach etwa drei Wochen nach Baireuth zurück. Die Reise des nächsten Jahres nach Heidelberg sollte ihm dann das letzte tiefe Erlebnis seines Lebens mit einer Frau bringen.

Gewissermaßen ein Vorspiel zu dieser letzten Liebesepisode bildet das Erlebnis mit Maria Lux, der Tochter jenes Mainzer Republikaners, der einst als Freiheitskämpfer nach Paris gegangen war und dort kurz nach Charlotte Corday den Tod gefunden hatte. Man entsinnt sich, daß Jean Paul dieses Helden in seiner Schrift »Über Charlotte Corday« rühmend gedacht hatte. Es war nur natürlich, daß das Andenken an Jean Paul in der Familie Lux heiliggehalten wurde. Die kleine Marie hatte bereits in ihrem zehnten Jahr alle Bücher des Dichters gelesen und sich aus ihnen ein Idealbild gemacht, vor dem sie in ihren jugendlichen Träumen auf Knien lag. Sie schrieb mehrmals an ihn. Jean Paul antwortete väterlich begütigend. Sie wollte als Magd zu ihm kommen, um an seiner Seite zu sterben. In einer andern Welt werde er sie gewiß lieben. Jean Paul ließ einige ihrer Briefe, da sie ihn in Ratlosigkeit setzten, unbeantwortet. Kurze Zeit darauf machte Marie den ersten Selbstmordversuch, der durch das Dazwischentreten der Schwester gerade noch verhindert wurde. Aber in dem Augenblick, da sie bereits mit ihren Gedanken im Jenseits geweilt hatte, war ihr klar geworden, daß sie ihn nicht nur als verehrende Tochter liebe. Sie wünschte zu sterben. Jean Paul beging die Unvorsichtigkeit, ihr auf ihre dringenden Bitten eine Locke zu schicken. Nun steigerte sich ihre Leidenschaft bis zur überirdischen Verklärung. Wachend träumt sie von ihm, küßt in der Einbildung seine geliebten Hände, und schließlich stürzt sie sich in den Rhein. Ohnmächtig wird sie herausgezogen, aber sie kämpft mit Riesenenergie gegen das Leben, widersteht allen Bemühungen, das verschluckte Wasser aus ihr herauszubringen, schildert mit letzter Kraft ihren Angehörigen die himmlische Musik und die Lichter der Ewigkeit, die sie im Wasser umwogten, und gibt schließlich ihren Geist auf. In tiefer Erschütterung ging Jean Paul aus der Berührung mit diesem Ereignis hervor. Er, der sich seit Jahren von den »Titaniden« ganz zurückgezogen hatte, wurde schmerzlich an die Zeiten des »Hesperus« und der stürmischen Herzen erinnert, die um ihn rangen. Irgendwie lockerte dieses Erlebnis den Boden für die Liebe, die er nun noch einmal in Heidelberg finden sollte. Diese Heidelberger Reise ist der Höhepunkt dieser Periode seines Lebens und vielleicht seines Lebens überhaupt, so kräftig umspülte ihn hier der Strom der Zeit und die abgöttische Verehrung der Menschen. Und noch einmal sollte ihm eine Freundschaft, die mit Heinrich Voß, wie er sie seit Jahren ersehnt hatte, hier erblühen.

Die Heidelberger Universität war kurz nach Jena zum geistigen und kampfumtobten Mittelpunkt Deutschlands geworden. Nirgends wie hier schnitten sich die Linien der Entwicklung, nirgends wie hier patzten die Ideen aufeinander. Im Jahre 1805 war das letzte Haupt der Aufklärung, der alte Johann Heinrich Voß, nach Heidelberg gezogen und sagte von hier aus allen romantischen Bestrebungen die heftigste Fehde an. Kurze Zeit darauf folgte ihm sein Sohn Heinrich als Professor der Philologie an die Heidelberger Universität. Er wie der liberale Professor der Theologie Paulus vertraten einen gemäßigten Protestantismus mit liberalen Einschlägen, während neben ihnen Görres und Creuzer die Vertreter eines romantischen Mystizismus waren. Beide Parteien hatten sich Jahre hindurch heftig befehdet. Creuzer war durch das Schicksal der unglücklichen Günderode, die sich seinetwegen das Leben nahm, für kurze Zeit in den Mittelpunkt der romantischen Schule gerissen worden. In seinen Arbeiten verfolgte er etwa die gleichen Ziele wie Arnold Kanne, das heißt er suchte durch Zurückgehen auf die urmythologischen Bestandteile aller Religionen die allen Kirchen und Religiositäten zugrunde liegende Urreligion herauszuarbeiten. Politisch schlug bei ihm bereits die Romantik in einen strengen Konservativismus um, zu dem Voß und Paulus in entschiedenem Gegensatz standen. Im Jahre 1817, als Jean Paul Heidelberg besuchte, waren die Gegensätze bereits ein wenig ausgeglichen, nicht zum geringsten Teil durch Hegel, der seit einem Jahr die Professur für Philosophie inne hatte.

Jean Paul hatte die mannigfachsten Verbindungen mit Heidelberg, die engsten aber mit Heinrich Voß, der ihm bereits im Jahre vorher seine Übersetzung von Shakespeares »Lustigen Weibern« gesandt hatte. Der daran anknüpfende Briefwechsel legte den Grund zu der Freundschaft der beiden Männer. Voß forderte dringend zum Besuch Heidelbergs auf. Im Frühling ließ sich Jean Paul für vier Wochen eine Studentenwohnung in der Stadt reservieren mit, wie er wünschte, einem schlechten Kanapee zum Lesen und Schreiben, wenigen Möbeln und Abendsonne. Im »Goldnen Hecht« wurde diese Wohnung mit Aussicht auf den Neckar und die Schloßruine gefunden. Am 2. Juli trat Jean Paul die Reise an. »Heidelberg ist göttlich in Umgebung und schön im Innern«, schreibt er noch am gleichen Abend an seine Frau. Die Abende der ersten Woche verbringt er teils bei Voß, dessen Eltern verreist sind, teils bei der Familie Paulus, die ihn jetzt schon anzieht. Eine alte Freundin von ihm ist die Baronin von Ende, bei der er ebenfalls oft verweilt und die ihm einen Tee in »dem göttlichen Schloßgarten« gibt. Am Abend dieses Tages wird ihm von der Studentenschaft ein Fackelzug gebracht. Vor Jean Pauls Wohnung singen sie ein für ihn gedichtetes Lied nach der Melodie von »Heil dir im Siegerkranz«. Jean Paul kommt zu ihnen hinunter. »Wo sind Hände?« ruft er aus. »Kinder, gebt die Hände her, daß ich sie drücken kann. Jede Hand ist ein Herz!« Oft sechs Hände zu gleicher Zeit muß er umfassen. »Wenn Sie mir dieses Lebewohl bringen, weil ich ein Deutscher bin, wohl, so nehme ich es freudigst an; aber wenn Sie es dem Dichter bringen, dann sei es ferne von mir, mich dessen würdig zu erachten.« Er begleitet die Studenten, die mit geschmückten Hüten paarweise Arm in Arm gehen, bis auf die Neckarbrücke. Da es regnet, reicht man ihm eine bunte Mütze, weil er barhäuptig gekommen ist.

Über diesen Fackelzug wird berichtet, daß er erst mühsam gegen die Landsmannschaften durchgesetzt werden mußte. Schon hier wird also die Spaltung deutlich, der die deutsche Jugend bald erliegen sollte.

Am folgenden Tag werden die Ehrungen fortgesetzt. Es ist Sonntag, der 13. Juli. Eine Bootfahrt wird nach dem oberhalb Heidelbergs gelegenen Ausflugsort Hirschhorn veranstaltet. Etwa achtzig Personen beteiligen sich an dieser Fahrt, Professoren, Studenten, der Kronprinz von Schweden, eine Menge Mädchen und Frauen. »Mir war, als würden meine Romane lebendig und nähmen mich mit, als das lange halbgedeckte Schiff bekränzt mit Eichenlaub bis an die bunten Bänder-Wimpel, begleitet von einem Beischiffchen voller Musiker, vor den Burgen und Bergen dahinfuhr.« Von den Neckarsteiner Ruinen wehen Fahnen und grüßen Taschentücher. Ein Nachen nach dem andern schließt sich mit Musik an. Nach dem Essen werden Spiele auf einer Wiese gespielt, auf einer Burgruine wird getanzt. »Wäre Jean Paul«, so berichtet Creuzer, »länger dageblieben, so hätte weder er noch sein Spitz eine Locke behalten; ja von letzterem wurden, zumal viele ihn für den Spitzius Hofmann des »Hesperus« hielten, einige Haare nach Mannheim geschickt.« Jean Paul dankt zum großen Teil durch Küsse. »Ich habe«, schreibt er an Karoline, »seit zehn Jahren nicht so viel und so viele und so jugendlich empfindend geküßt als bisher.« Aber der Schwerpunkt liegt für ihn diesmal doch nicht in den Ovationen der schönen Frauen, sondern der Männer. Fast die größte Freude seines Lebens ist es ihm, als die philosophische Fakultät, deren Dekan gerade Voß ist, ihn zum Ehrendoktor promoviert. Am 18. Juli wird ihm das pergamentne Diplom feierlich durch Creuzer und Hegel überreicht. Mit einem Bruderkuß fällt er Voß um den Hals. Von da ab herrscht das trauliche Du zwischen ihnen. Auch Boisserée, den Besitzer der berühmten Sammlung mittelalterlicher und holländischer Gemälde, lernt er kennen, und den Berliner Buchhändler Georg Reimer, der einige Jahre nach seinem Tode seine gesammelten Werke verlegen sollte. Thibaut, der berühmte Rechtslehrer, im Nebenberuf ausübender Musikschwärmer, veranstaltet ihm zu Ehren eine musikalische Akademie in seinem Haus, bei der Palestrina, Leo, Durante, Pergolese, die alten Italiener, von deutschen Meistern Graun, Haydn, Mozart und Händel aufgeführt werden. Auch im Hause des Kirchenrats Schwarz verbringt er unvergeßliche Stunden. Frau Schwarz war übrigens eine Tochter Jung-Stillings. Für die zweite Hälfte seines Aufenthalts siedelt er ganz zu Schwarzens über.

Aber alle diese Ereignisse sind nur der Hintergrund seines Erlebnisses mit Sophie Paulus, der Tochter des Professors. Auch Karoline Paulus, die Mutter, schwärmt für ihn. Sie selbst ist Dichterin und Verfasserin mehrerer Bücher, die bekannt geworden sind. Hier im Hause tritt sie ihm als schlichte Hausfrau entgegen. Doch was vermag sie neben ihrer Tochter! »Die schlanke volle Gestalt,« schildert sie Reichlin-Meldegg, »das große dunkelblaue geistreiche Augenpaar, die schön gewölbte Stirn, die üppige Fülle der braunen Locken, der fein geschnittene Mund, die ausdrucksvollen zarten Gesichtszüge, der Schnee ihrer Haut mit der zarten Rosenblüte ihrer Wangen machten sie zu einem der schönsten Mädchen der Musenstadt . . . Mit einem männlichen Charakter verband sie ein tiefes, reiches Gemüt und einen seltenen Kunstsinn und Kunstgeschmack. Sie las Shakespeare im Original und spielte ebenso kunstfertig das Klavier, als sie besonders in ihrem Lieblingsgegenstande, der Pferdezeichnung, stark war.« Mehr und mehr schließen sich die beiden aneinander. Sie liest nur die Bibel und Jean Paul, schreibt der Dichter an seine Frau.

Mit der Familie Paulus macht er einen Ausflug nach dem Rhein. Sein Verehrer, der Baron von Ungern-Sternberg, hat ihn eingeladen. In Mannheim sieht er zum erstenmal den deutschen Strom. Er genießt ihn mit Sophie zusammen, und hier ist es wohl, wo die Neigung in ihn hineinfährt. Sophie ist nach Heidelberg zurückgekehrt. Er schreibt ihr sofort. »Sie und der Rhein gehören nun in meinem Herzen zusammen, und wo ich ihm auch begegne, wird Ihr Bild mir wie das eines Gestirns auf ihm schwimmen, wird ihn verschatten oder überglänzen überall, wo er auch noch schöner ströme.« Am 10. August reist er allein nach Mainz weiter, einige Tage später durch den Rheingau bis Bingen. Wiesbaden und Worms werden besucht. Am 18. ist er wieder in Heidelberg.

Hier kommt er zum erstenmal bei dem Botaniker und Naturphilosophen Professor Schelver mit dem tierischen Magnetismus in Berührung, für den er sich seit langem interessiert hatte. Bei Schelver trifft er seine alte Freundin, die Baronin von Krüdner, die sich Schelver zu einer magnetischen Kur anvertraut hat. Er selbst versucht sich als magnetisch Heilender und glaubt, Heilkraft in sich zu entdecken. Von da ab sucht er Schmerzen durch Handauflegen zu heilen. Wirklich soll eine lindernde Wirkung von seiner Handberührung ausgegangen sein.

Am 23. August verläßt er die Stadt, von Voß eine Strecke im Wagen begleitet. Aber vorher hat er schmerzlich schöne Stunden mit Sophie Paulus verlebt. In heißen Küssen sind sie einige Stunden zusammen gewesen. In jenen Tagen entsteht die kleine, nur wenige Seiten starke, aber unverwelkliche kleine Dichtung »Über das Immergrün unserer Gefühle« und die Vorrede zu dem Ergänzungsblatt der »Levana«. Noch einmal ist heiße Herzensflamme in sein Schaffen getrieben.

Karoline Paulus schreibt ihm unmittelbar nach seiner Abreise: »Sie haben mir und noch jemand, den ich mehr liebe als mich selbst, das Höchste, nämlich etwas Unvergängliches, ewig beglückend und beseligend Fortwirkendes gegeben. Sie waren schon seit Jahren Ihr und mein einziger Lehrer. Sie nur einmal zu sehen, war Jahre lang unser heißer Wunsch; nun ist uns mehr geworden, als wir je zu wünschen gewagt hätten . . . Sophie erzählt mir noch viel von Ihnen. Gestern hat sie den ersten Sonntags-Sonnenuntergang im Andenken an Sie gefeiert.« Sophie fügt einige Zeilen hinzu, verspricht, wie er ihr befohlen, Herder und den Woldemar zu lesen, »so wie ich überhaupt nichts mehr denken, lassen, tun und empfinden kann ohne Beziehung auf Sie«. Sie sucht die Mannheimer Rheinbrücke auf, über die er mit ihr gewandelt. »Was aber dort mein Gemüt bewegte, kann meine ungeübte Feder nicht ausdrücken.« Immer wieder sieht sie aus dem oberen Stübchen nach dem Gartenplatz hin, wo er gearbeitet hat, wo das »Immergrün« und die »Vorrede« entstand.

Zu Hause muß er der Frau nicht nur die Küsse beichten, sondern auch, daß er die Sehnsucht nach körperlicher Verschmelzung gefühlt hat. Karoline ist tief unglücklich. Jetzt erst und das nächste Jahr hindurch tut man Einblicke in die Tragik dieses Frauenlebens, die erschüttert. Auch sie war ja einst, was Sophie jetzt ist: ein allen Eindrücken empfängliches junges Mädchen, das ihm enthusiastisch zu Füßen lag und seine Hände küßte. Seit drei Jahren sei sie hart von ihm behandelt worden, so hart, daß sie an seiner Liebe zweifeln müsse, schreibt sie ihm einmal. Nur Gewohnheit und Notwendigkeit halte ihn ab, ein Band zu lösen, das ihn drücken müsse. Tief schauen wir in ihr gequältes Herz hinein, wenn sie sich selbst anklagt, vor neunzehn Jahren seine Hand genommen zu haben. Nur die Liebe, die unendliche, die niemand weiter so empfinden kann, gab ihr Ansprüche, die auszuüben sie sich schließlich doch nicht wert fühlen darf.

Jean Paul ist nach zwei Seiten hingerissen. Alle seine Gedanken gehören dem nächsten Frühling, der ihn wieder in Heidelberg finden soll. Schon im November schreibt er dem Freunde Voß von seinen Plänen. Im nächsten Jahr, am 26. Mai 1818, ist er in Bamberg, von dort geht es nach Frankfurt. Dort findet er den alten Koburger Freund Wangenheim, den Feind des Ministers Kretschmann, als württembergischen Gesandten beim Frankfurter Bundestag vor. Alle Nachmittage ist er bei ihm. Einmal findet er Friedrich Schlegel dort. Merkwürdigerweise hält er ihn für dessen Bruder August Wilhelm. Erst in Heidelberg wird er seinen Irrtum gewahr. Eine malerische Bootfahrt mit anschließendem Ständchen, das ihm zu Ehren vor seiner Wohnung gegeben wird, ruft ihm die Erinnerung an Heidelberg wach. Am 10. Juni wird ihm vom Gelehrtenverein ein Bankett veranstaltet. Aber er ist dieser Feiern müde, es zieht ihn zu den Freunden nach der Neckarstadt. Gleich nach seiner Ankunft hat er an Sophie geschrieben, daß er jetzt nur noch einen Schritt von sechs Meilen zu seiner Frühlingsfreude habe. Am Mittag des 16. Juni trifft er in Heidelberg ein. Voß ist ihm zwei Stunden entgegengefahren. Mit August Wilhelm Schlegel, der ebenfalls auf der Reise ist, wohnt er im »Karlsberg« zusammen. Die Ehrungen muß er diesmal mit seinem alten Gegner teilen. Aber das ist nicht der Grund, weshalb sich die Hochstimmung des vergangenen Jahres nicht wieder einstellen will. Schon in seinem ersten Briefe an seine Frau klagt er, daß er nicht halb so froh sei als früher, und bald heißt es: »Die poetische Blumenliebe des vorigen Jahrs ist leider ganz und gar verflogen, eben, weil sie ihrer Natur nach keine Dauer und Wiederholung kennt.« Das Entscheidende aber ist sein Verhältnis zu Sophie. Schon damals muß sich die Katastrophe dieses jungen Mädchens angesponnen haben, und es ist kaum anders zu denken, als daß sie den verhängnisvollen Schritt, der ihr Leben zerstören sollte, unternahm, nachdem sie die Hoffnungslosigkeit ihrer Liebe zu Jean Paul eingesehen hatte. Hals über Kopf verlobte sie sich mit August Wilhelm Schlegel. Zwei Monate nach Jean Pauls Abreise sind die beiden bereits vermählt. Unmittelbar nach der Hochzeit reiste der ältliche Ehemann Hals über Kopf ohne seine Frau von dannen. »Heidelberg hört so erbärmlich für mich auf wie ein Feuerwerk: mit Gestank«, schreibt Jean Paul in sein Tagebuch. Als er die plötzliche Abreise Schlegels erfahren, schreibt er: »Schlegel hat seiner Eitelkeit die diesmal nur sophistische Sophie aufgeopfert, die nun weder Jungfrau, noch Ehefrau, noch Witwe, noch Liebende, nicht einmal Geliebte ist, und die nichts Neues in ihrer Ehe erlebt hat als – Masern, das Sinnbild des Mannes selber.«

Im nächsten Jahre trifft Jean Paul Frau Paulus und ihre unglückliche Tochter in Stuttgart. »Unser Wiederumarmen war das warme, alte«, schreibt er an Voß. Aber er lehnt es ab, Sophie zu besuchen, denn diese habe das Recht verloren, die alte wieder zu sein. Später stellte sich eine laue und nichtssagende Verbindung wieder her. »Der Mörder Ihres Frühlings werde nie unter uns genannt«, schreibt er ihr einmal. »Im Unglücklichmachen war er zum erstenmal ein kühner Dichter. Immer, meine liebe Sophie, werd' ich mich erinnern, wie vertrauend und liebend Sie gegen mich gewesen.« Das war das Ende. Sophies Leben blieb durch diese Katastrophe zerbrochen. Sie starb etwa dreißig Jahre später, drei Jahre hinter ihrer Mutter. Ihr vereinsamter, fast neunzigjähriger Vater leitete sie zu Grabe.

Die einzelnen Mitspieler bei dieser Tragödie zu beurteilen, ist schwierig. Schon in den ersten Tagen des Wiedersehens hatte Sophie Jean Paul mißfallen. Er fand »gar zu wenig Liebe und Nachsicht für andre Menschen bei ihr«. Offenbar hat er also das ihn liebende Mädchen infolge einer Meinungsverschiedenheit und wahrscheinlich mit Rücksicht auf seine eifersüchtige Frau von sich gewiesen. Sophie hat die Weltberühmtheit des älteren Schlegel offenbar bei ihrem übereilten Entschluß in Rechnung gestellt. Es schmeichelte gewiß ihrer Eitelkeit, daß sich ein Mann wie August Wilhelm Schlegel um sie bewarb. Wenn aber auch eine gewisse Eitelkeit mitsprechen sollte, so hat sie doch allzu hart dafür gebüßt. Der wahrhaft Schuldige bei dieser Angelegenheit scheint Jean Paul zu sein, der das schwärmende Mädchen mit Leidenschaft an sich heranzog, um sie plötzlich fallen zu lassen. Aber auch ihn wird man nicht hart beurteilen dürfen. Sophie war das Opfer, das er seiner Frau brachte, die ein Jahr hindurch bei dem bloßen Gedanken an die Nebenbuhlerin Qualen ausgestanden hatte. Mit Sophies Untergang wurde der Frieden dieser Ehe für die letzten Jahre erkauft.

Wie stark Jean Paul trotz seiner Versicherungen an Sophie immer noch hing, zeigt Karolines Angst, als er ein Jahr nach der Katastrophe nach Stuttgart fuhr, wo sich gerade Sophie mit ihrer Mutter aufhielt. Auch wenn der Dichter keine nähere Verbindung mit seiner Altersliebe mehr aufnehmen wollte, so hatte er doch offenbar stark den Wunsch, sie wiederzusehen. Im übrigen brachte ihm Stuttgart keine Überraschungen, als er den Juni 1819 dort verlebte. Mit Cotta, dem Verleger der »Flegeljahre«, mit Haug, dem Herausgeber von Cottas »Morgenblatt«, verbrachte er angenehme Tage und Stunden. Er traf dort mit dem Bildhauer Dannecker zusammen, begegnete in Gesellschaft auch Uhland und Schelling, auch der Gattin Wilhelm v. Humboldts und Henriette Herz, die gerade aus Italien kamen. In nähere Beziehungen trat er zu der Herzogin Wilhelm, mit der er in Briefwechsel blieb. Alles in allem war aber Stuttgart für ihn »kein halbes erstes Heidelberg«, wie er an Voß schrieb. Den Gedanken einer Weiterreise in die Schweiz, die erst beabsichtigt war, gab er bald auf. Am 12. Juli war er wieder in Baireuth.

Mit einem wichtigeren Kreise traf er bei der Herzogin von Kurland in Löbichau zusammen, als er im September desselben Jahres drei Wochen an diesem eigenartigen Musenhof zubrachte. Nach der Thronentsagung ihres Mannes hatte sich die Herzogin, eine geborene v. Medem, mit ihrer bekannten Stiefschwester Elise v. d. Recke auf dem zwischen Gera und Altenburg gelegenen Schloß und Rittergut Löbichau niedergelassen. Das Schloß wurde bald zu einem Mittelpunkt vornehmer und geistiger Geselligkeit. Drei im benachbarten Schloß Tannenfeld wohnende Töchter der Herzogin trugen nicht wenig dazu bei, den Aufenthalt in Löbichau anziehend zu machen. Außer von Elise v. d. Recke kam die besondere Weihe des Kreises von dem berühmten Kriminalisten Anselm v. Feuerbach, der mit seinem später als Philosoph berühmt gewordenen Sohn Ludwig regelmäßig dort weilte. Unzertrennlich von der Recke war Tiedge, der Sänger der »Urania«, damals eine Modegröße, heute vergessen. Eine Reihe mehr oder minder geistvoller oder berühmter Männer und schöner Frauen war ständig auf Löbichau oder in Tannenfeld zu Gast. Eine ganz eigentümliche Stimmung lag über dem Schloß, die Jean Paul bald gefangennahm.

Er konnte die vollkommene Freiheit, deren sich jeder dort erfreute, nicht genug rühmen. »Jeder Gast frühstückt mit sich selber und sieht bloß aus seinen Fenstern über den Altan, wenn er so wohnt wie ich, einzelne Damen durch die Park- und Morgenkühle wandeln oder Kammerjungfern, die noch nicht in heißem Feuer und Handgemenge mit dem ungeplätteten und ungefalteten Weißzeug stehen.« Arbeiten oder Promenaden und Besuche wechseln den Vormittag über, bis um 12 Uhr zum »Generalfrühstück« geläutet wird, das sich oft über mehrere Stunden ausdehnte. »Alle nötigen Sekten sind hier vereinigt, jeder kann die Meinung, welche er will, ergreifen oder angreifen – gegen oder für Magnetiseurs – gegen oder für Juden – gegen oder für Ultras und Liberale –, niemand wird etwas dagegen sagen – als höchstens seine Gründe; oft erscheint dabei die immer ruhige und heitere Dorothea auf dem Kampfplatz, um die brennend zusammengehenden Strahlen verschiedener Parteien sanft auseinanderzubrechen.« Um 7 Uhr begann das Souper. Ihm folgten Konzertvorträge, Spiele und Tänze. Selbst Jean Paul, der seinem Tanztalent bisher nicht sehr getraut hat, entdeckt es und schwingt sich mit Schönen im Tanze, die dem ausgelassenen Dichter vielleicht nicht weniger dabei nachzusehen haben als Wina dem tanzbegeisterten Walt. Am Abend des 9. September wird er durch eine ihm zu Ehren veranstaltete Illumination des Parkes und einer kleinen Insel überrascht. »Als auf dem Rückwege die ganze Gesellschaft Arm in Arm durch die ätherischen Freudenfeuer auf beiden Seiten mit dem gemeinschaftlichen Absingen eines deutschen Liedes zog, da hatte ich endlich jene Nacht des Himmels, nach der ich mich durch meine leere Jugend hindurch so oft gesehnt; eine Nacht, in der ich in der Jugendzeit mein unbewohntes Herz dahingegeben hätte.«

Mit besonderem Interesse unterhielt sich Jean Paul in diesen Tagen mit dem jungen Ludwig v. Feuerbach, der damals in einen trüben Mystizismus gesunken war. Jean Paul ahnte noch nicht, daß sein eigener Sohn Max bald von dieser Zeitströmung ergriffen werden würde. Ludwig Feuerbach überwand diese Krise, Max sollte ihr erliegen. Damals erhielt Jean Paul durch die Gespräche mit dem jungen Feuerbach wohl den ersten Begriff von diesem lebenaussaugenden Mystizismus Kannescher und Creuzerscher Herkunft, diesen letzten Ausläufern der Romantik, deren erste Töne Novalis angeschlagen hatte. Die Gestalt Lianes mußte vor ihm aufsteigen.

Am 19. September war er wieder in Baireuth. Auf der Durchreise hatte er noch einige Tage in Altenburg verbracht.

Die Reise des nächsten Jahres (1820) ging nach München, und zwar war es sein dort studierender Sohn, der ihn vornehmlich dorthin zog. Auf der Durchreise feierte er in Regensburg mit dem Grafen Westerholt, einem Freunde seines Primas Dalberg, »die hohe Stunde einer Todesfeier des Geliebten«. Am 30. Mai traf er in München ein, stieg zunächst im Gasthaus »Zum Adler« ab, vertauschte aber schon am nächsten Tag diese Wohnung mit einer von Max besorgten Privatwohnung vor der Stadt im Rochusgäßchen. Den alten Freund Schlichtegroll traf er in München als Generalsekretär der Akademie der Wissenschaften wieder. Mit Schlichtegrolls verlebte er die schönsten Stunden. Auch zu dem großen Philologen Thiersch knüpften sich herzliche Beziehungen an. Noch eine alte Freundschaft konnte er hier auffrischen: seine Jugendfreundin Renata lebte hier mit ihrem Manne, Christoph Otto. Leider traf er die Freunde in keinen besonders glücklichen Umständen an. Otto war bei der Mauth angestellt, erhielt aber ein so unzureichendes Gehalt, daß er mit seiner Frau und fünf Kindern nur kümmerlich davon leben konnte. Leider vermochte Jean Paul ihnen auch durch seine ausgebreiteten Beziehungen nicht zu helfen.

Durch die ihm vom König Maximilian gewährte Pension stand er auch zum Hof in Beziehungen. Bekanntlich hatte er der Königin die zweite Auflage seiner »Levana« gewidmet. Am 9. Juni erhielt er eine Audienz beim König. »Einen solchen weit offenen, gutmütigen, unbegehrlichen, anspruchslosen, hausväterlichen König hab' ich mir nie gedacht.« Unmittelbar nach der Audienz wurde er bei der Königin durch die ihm von Hildburghausen her bekannte Gräfin Taxis eingeführt. Sie sprachen über Weimar und Herder. Auch seiner Verlobung mit Karoline von Feuchtersleben wurde gedacht, und hierbei ereignete sich das Merkwürdige, daß Jean Paul sich im Augenblick nicht des Namens seiner ehemaligen Braut entsinnen konnte. Erst das Gedächtnis der Gräfin Taxis brachte ihm den Namen in Erinnerung. Von der weiteren Umgebung Münchens besuchte er nur den Starnberger See. Auf einer Insel wurde zu Mittag gespeist und gegen Abend das Schloß Berg besucht.

Am wichtigsten aber war ihm das Zusammensein mit seinem Sohne Max. Hier ergaben sich bereits die ersten Meinungsverschiedenheiten. Max nannte Schelling den größten Mann, wogegen Jean Paul sich wehrte. Schelling habe doch wohl noch einen ziemlich weiten Weg bis zum größten Mann. Gerade durch seinen Vater kam Max Richter damals mit jenem Mann in die verhängnisvolle Verbindung, der wohl als das eigentliche Haupt jener von Schelling ausgehenden mystischen Richtung anzusehen ist, mit Franz Baader. Baader war von dem anmutigen Jüngling so entzückt, daß er sich erbot, ihn in Daubs Schriften einzuführen. Wir werden noch sehen, wie verhängnisvoll gerade dieser Unterricht für Max werden sollte. Auch sonst fand der Vater manchen Grund zur Besorgnis. Als er von dem »Jammerleben« erfuhr, das Max zu Zeiten führte, hatte er eine schlaflose Nacht. Einerseits war es wohl das Beispiel der Leipziger Hungerjahre des geliebten Vaters, die Max in seiner Lebensführung nachahmen wollte, aber in erster Linie wollte er seinen Körper allem Lebendigen abtöten und sich im Sinne jener mystischen Richtung vergeistigen. Er genoß morgens und abends nichts, oft auch mittags nur wenig. Das Brennholz sei ihm gestohlen worden, das kleine Eisenöfchen, das das Dachzimmer erwärmen sollte, heize nicht mehr, die Fenster seien zerbrochen. In dieser erbärmlichen einsamen Stube habe Max bis in die Nacht hinein aus Sehnsucht nach dem Elternhause geweint und gearbeitet. Zur Zeit war diese Melancholie von Max gewichen, leider sollte sie später gesteigert wiederkommen, als er in dem jungen Feuerbach und dessen Freunde Kapp Genossen seines Strebens fand. Damals aber reiste der Vater noch ohne besondere Besorgnis aus München ab. Mitte Juli war er wieder in Baireuth. »Diesmal ist mir die Heimat das schöne Fremdland,« schreibt er an den Sohn, »seit Jahren war ich nicht so häuslich selig, und alles, was meine gute Karoline getan und tut, entschädigt mich für Münchens Wolkentage.« Die Mutter fügt hinzu: »Daß der Vater mit allen meinen Einrichtungen so vollkommen zufrieden war, ist herrlich. Wir leben wie im Himmel, und ich kann mir beinahe nicht die Möglichkeit einer Verstimmung denken; so sicher und schön ist mein Gefühl von der Zukunft. Der liebe Vater ist recht kindlich glücklich – Gott erhalte ihn uns nur noch lange.«

Die inneren Stürme hatten ausgetobt. Durch Sophies Schicksal war der wolkenlose Ehehimmel erkauft worden. Was nun auch noch kam, es konnte nur noch von außen kommen.

 

Wie im Triumphzug war der Dichter durch die deutschen Lande gefahren. Wo er auch hinkam, überall begegnete ihm die Liebe der Besten des Volkes. Seine Werke hatten ihm den Weg zu den Herzen gebahnt. Wie in den Tagen des »Hesperus« umloderte ihn der Enthusiasmus einer gläubig zu ihm emporschauenden Jugend. Die Tage des ersten Heidelberger Aufenthalts wurden ihm zum Höhepunkt seines Lebens. Noch einmal brannte sein Herz auf. Als aber auch von diesem letzten Erlebnis nur die ausgebrannte Asche übrigblieb, da mußte die alte Melancholie, die ihn seit Jahren umfing, wiederkehren. Schon die nächsten Reisen, allenfalls mit Ausnahme der drei Wochen in Löbichau, befriedigten ihn nicht mehr. Der Skeptizismus dem eigenen Werk gegenüber nahm wieder die Oberhand. Wir haben bei seinen letzten Idyllen und Humoresken gesehen, wie zweifelnd er sich diesem Werk gegenüber hielt. Fast sah er es unter dem Gesichtspunkt einer Don Quixoterie an. Durch die Triumphe, die er allenthalben erlebte, konnte dieser Eindruck nur verstärkt werden. In einer andern als der von ihm mit Aufbietung aller seelischen und geistigen Kräfte angestrebten Richtung entwickelte sich die Zeit fort. Sein »Titan« war vergeblich geschrieben worden. Einerseits baute die Entwicklung auf Goethe, Schiller und Kant fort, andererseits übersteigerte sich die Romantik zu einer Mystik, die er noch in der »Vorschule der Ästhetik« als Nihilismus empfunden und abgetan hatte. Der Widerspruch, der zwischen seinen Triumphen und dieser ihm feindlichen Entwicklung lag, konnte ihm nicht verborgen bleiben. Wenn ihm überall die Herzen sich auftaten, geschah das nicht gewissermaßen unter dem Eindruck eines Talismans, der nur phantomhaft war und keinen eigentlichen, nur einen eingebildeten Wert hatte? Als trüge er ein Zaubermittel in der Hand, dessen Wertlosigkeit sich jeden Augenblick herausstellen mußte? Dieser Eindruck ist das Hauptergebnis der Reisen, die ihn durch Deutschland führten. Mehr und mehr mußte er sein eigenes Leben unter diesem Gesichtswinkel ansehen lernen. Es entspringt deshalb tieferen Gründen, wenn er seine Selbstbiographie mit dem Roman jenes Don Quixotehaften Apothekers Marggraf verbinden wollte, der die Kunst, aus Kohle Diamanten zu machen, sich zu eigen gemacht und nun wie ein Fürst und sich selbst für einen Fürsten haltend im Lande umherzieht. Schon 1806 ging dem Dichter dieser Plan auf, seine Selbstbiographie mit der Geschichte des Apothekers zu verschmelzen. Wir wissen, wie die geschichtlichen Ereignisse sein Schaffen dann in eine andere Richtung drängten. Aber gerade jetzt erst konnte das innere Ethos dieses Planes ihm Erlebnis werden. Bisher war es ein barocker Einfall gewesen. Dem Dichter des »Fibel« aber mußte sich dieser Einfall vertiefen. Eigenartig war es, wie »Das Leben Fibels« von diesem Plan einer Selbstbiographie her Nahrung empfing und wie der »Fibel« andererseits auf diesen Plan zurückwirkte. 1810 erbat er sich von dem alten Freunde, dem Superintendenten Vogel in Wunsiedel, Nachrichten über seinen Vater aus den Kirchenbüchern. Zwei Jahre darauf erscheint dann zum erstenmal die Notiz: »Für den Plan Happels gearbeitet.« »Happel« nannte er dieses Werk, das die Selbstbiographie und die Geschichte des Apothekers umfassen sollte. Mehrmals im Lauf der nächsten Jahre begann er mit der Ausarbeitung, das Kometenjahr 1811 gab dem Roman sogar den Namen, aber erst im Juli 1818 sehen wir ihn die Selbstbiographie, nunmehr als selbständiges Werk, beginnen. Es war unmittelbar nach dem Wiedersehen mit Sophie, das so katastrophale Folgen nach sich zog. Mit einer wahren Wut wird er sich damals in die Arbeit gestürzt haben, lag doch jetzt erst sein Leben gewissermaßen hinter ihm.

Doch er sollte nicht weit in dieser Arbeit vordringen. Schon im August schrieb er an Emanuel, er sei durch die Romane so sehr ans Lügen gewöhnt, daß er zehnmal lieber jedes andere Leben beschriebe, und ähnlich äußerte er sich im November an Voß. Im Januar 1819 gab er die Selbstbiographie ganz auf. Er hatte sie nur bis zu seiner Einsegnung gefördert. Wir kennen dieses Bruchstück aus dem ersten Kapitel, wo es uns zum Leitfaden für die Darstellung seiner Kindheit und ersten Jugend diente. Es ist anzunehmen, daß Jean Pauls Darstellung einigermaßen der Wirklichkeit entspricht, daß er nur hier und da verschönerte und besonders die Gestalt des Vaters ins günstigste Licht setzte. Als Dichtung ist diese seine Jugendgeschichte eine der zartesten Idyllen, die wir aus seiner Feder haben. Unzählige Male hatte er seine Jugend in den Helden seiner Romane dargestellt, kaum verdichteter und vertiefter, als sie uns jetzt in ihrer Wirklichkeit entgegentritt. Hinter den Gestalten seiner Romane richtet er hier gewissermaßen das Urbild auf. Aber er mochte bald selbst das Gefühl haben, daß er im Grunde nur wiederholte. Nicht die kärglichen Tatsachen seines Lebens konnten ihm von Bedeutung sein. Er mußte sie gegen ein geistiges Inneres projizieren, damit sich ihr Sinn erschlösse. Was er jetzt noch aus seinem Dasein herauszuholen hatte, das mußte unter der Don Quixote-Gestalt seines Apothekers Nikolaus Marggraf geschehen. Hier war das tiefste Geheimnis seines Daseins verborgen, wie er es jetzt in Stunden der Unmut oder der erbarmenslosen Kritik ansah. Und so wendete er sich denn sofort, nachdem er den Plan der Selbstbiographie aufgegeben hatte, zu dem Roman »Der Komet«, der sein letzter sein sollte.

Wie ein ungeheures Gewoge hatte der Stoff vor ihm gelegen. Wir haben beim »Titan« durch zehn Jahre hindurch verfolgt, was Jean Paul alles in diesem Werk ausdrücken wollte, ehe es die Form des Romans annahm. Nicht viel weniger Zeit hatte der Stoff des »Komet« in Anspruch genommen, ehe er sich als die Geschichte des Apothekers formierte. Zum letztenmal wollte er seine Phantasie im Vollen ausschweifen lassen, die kühnsten Einfälle sollten sich jagen. Nicht eine Geschichte, sondern ein ganzer »Papierdrache« sollte das Werk werden, ein Konglomerat von allen möglichen burlesken und komischen Einfällen. Man sieht, die ersten Anfänge des Buches reichen in die Zeit zurück, als Jean Paul, müde seiner weltanschaulichen Sendung, ganz zur reinen humoristischen Dichtung sich hinneigte. Schon die Titel der ersten Entwürfe verraten das tolle Durcheinander, das hier angestrebt wurde. »Tausendundeine Narrheit« oder »Das Leben auf der Erde in allen Wechseln« oder »Reise durch alle neun Kreise Deutschlands« wollte er zuerst das Buch nennen. Die seltsamsten Einfälle sind in den Studienbüchern aufgezeichnet. Zum Beispiel: »Ein Engel suche Narren für einen andern Planeten und wähle unsre Weisen.« Oder: »Eine wirkliche Regierung habe den Abschaum der Tollheit auf eine Insel gesandt, und da komme die Reisegesellschaft an.« Oder: »Einer strebe nach Menschenkenntnis, um einen großen Roman zu schreiben, will alle Stände kennen, ist reich aber ruhmsüchtig, will den Fielding übertreffen im Deutschen, will Charaktere studieren und sie in seinen Garten zurückbringen und da mischen und alles beobachten und sie alle heilen, wenn er sie abgeschrieben hat; es begegne ihm aber ein andrer, der ähnlichen Charakterzweck hat, und beide kopieren einander.« Oder: »Eine gelehrte Reisegesellschaft; jeder sei ein besondrer Narr und doch ein besondrer Wissensjäger; – hinterher ziehen alle ihre Bräute, um zu wissen, was sie lernen, da sie dazu ausgeschickt.« Oder: »Goethe gewinnt im Alter das große Los, will die Hoflangeweile an sich und andern vertreiben und gibt das Geld dazu her.« Auch als die Geschichte des Apothekers allmählich sich als Hauptstamm des Buches formiert hatte, wollte der Dichter alle diese Einfälle wenigstens als satirische und humoristische Beigaben beifügen, wie dem »Titan« ein satirischer Anhang beigefügt war. Dieses ganze Konglomerat sollte eben der »Papierdrache« werden, von dem in der Vorrede zum »Komet« die Rede ist. Ein ungeheurer Plan, überhaupt nicht in den Rahmen eines einzigen Werkes sich fügend. Nur ein ganzes Lebenswerk konnte einen solchen Zug von Gestalten und Einfällen bergen. Noch in der Vorrede verspricht Jean Paul, in fünf Jahren das Werk zu liefern. Er tat es in dem höheren Sinne, daß nach fünf Jahren sein Leben endete und sein ganzes Werk von den ersten Satiren an bis zu diesem »Kometen« in der Tat ein solcher »Papierdrache« genannt werden kann.

Ungeheures sollte einst der »Titan« enthalten, und als er schließlich fertig war, enthielt er in der Tat Ungeheures, aber in das überschaubare Schicksal von wenigen Menschen gepreßt. Genau so war es hier. Bändeweise war der Stoff, waren Ideen und Pläne aufgespeichert, und als der »Komet« erschien, waren zwar die meisten Einfälle liegengeblieben, aber dennoch war eine ganze komische Weltschau in dem Buch eingefangen. In gewissem Sinne war hier die Grundstimmung des »Katzenberger« aufgenommen worden. Auch der »Katzenberger« war eine Umkehrung alles dessen, was bisher in Jean Pauls Werk Geltung gehabt hatte, und genau so wurde jetzt im »Komet« die Welt Jean Pauls noch einmal herumgedreht. Bisher hatte er seine Helden vom Gustav in der »Unsichtbaren Loge« bis zu Albano im »Titan« zu den höchsten menschlichen Aufgaben hinanführen wollen. Die Kraft ihrer Phantasie drang gegen eine feindliche Außenwelt an und verwandelte sie. Umgekehrt im »Komet«. Hier glaubt der Held, eben der Apotheker Nikolaus Marggraf, bereits Fürst durch seine Abstammung zu sein. Es kommt nach seiner Meinung nur noch darauf an, seinen fürstlichen Vater zu finden, um sogleich den Thron zu besteigen. Das Thema der großen Romane ist hier ins Komische umgewandelt. Einen Helden zur höchsten Aufgabe, zum Herrschen, hinanzuführen, ist Aufgabe des Entwicklungsromans. Aber ein Held, der ein Fürst zu sein glaubt und, von niemandem anerkannt, mit fürstlicher Pracht durch die Lande zieht, ist Objekt rein humoristischer Darstellung. Der Ausgangspunkt einer solchen Gestalt ist falsch oder doch zum mindesten höchst zweifelhaft, und von diesem falschen Ausgangspunkt aus muß ein komischer Kontrast zwischen der eingebildeten Welt des Helden und der Welt üblicher Wertung entstehen. Das Zusammenprallen der idealen Welt eines Helden mit der harten Wirklichkeit ist tragisch, das Auseinanderfallen aber einer eingebildeten und der wirklichen Welt ist komisch. Albano–Marggraf, diese beiden bezeichnen den Gegensatz des Helden und der komischen Figur.

Wie aber der Held das Komische streifen kann, so kann die komische Figur durch die Verstiegenheit ihrer verkehrten Weltschau bis dicht an die Tragik herangeführt werden. Schon Don Quixote streift das Tragische, denn um seinen Irrtum aufrechtzuerhalten, muß er Eigenschaften des wahren Ritters und Helden an den Tag legen, und dieser Irrtum selbst fließt aus einem heroischen Herzen. Ja noch mehr, wie sehr ist dieser Blickwinkel zur Welt der Selbstkontrolle entzogen! Steht nicht jede Größe unter dem Zweifel, irgendwie Don Quixote zu sein? Kann nicht selbst der offenbare Erfolg lügen, da auch er dem Schein der Täuschung zu unterliegen vermag? Es gab gewiß Augenblicke, in denen sich Jean Paul selbst mit »Fibel«, diesem Don Quixote der Literatur, identisch fühlte. Gerade die Beschäftigung mit seiner Jugend konnte ihm solche Zweifel aufkommen lassen. Mit Don Quixotehafter Hartnäckigkeit hatte er ein Hungerjahrzehnt hindurch sein Künstlertum hochgehalten, als niemand daran glaubte. Zehn Jahre lang hatte er durch seine Satiren die Welt zu bezwingen geglaubt und war doch bloß ein armer Narr gewesen, über den die Leute sich lustig machten. Und im tiefsten Grunde mit Recht, obwohl ein tiefdurchdachtes System der Poetik dieser Satirendichtung zugrunde lag. Er war der Welt gegenüber im Unrecht gewesen, nur weil er an ein Weltbild anknüpfte, das gerade vorübergegangen war. Kein Zweifel, er selber war zehn Jahre seines Lebens hindurch ein solcher Don Quixote gewesen. Und war es vielleicht noch immer. Hatte er nicht vergeblich gehofft, die Welt durch sein Schreiben in eine andere Richtung zu stoßen? War es nicht längst offenbar geworden, daß ihm sein ganzes Streben mißglückt war, daß er fern jeder tieferen Einwirkung auf die Zeit nur ein eigenbrötlerischer Sonderling war, dessen Streben wohl Achtung, selbst Ehrfurcht erwecken konnte, das aber doch letzten Endes bedeutungslos genannt werden mußte? Gerade der Dichter unterliegt solchen Stimmungen, weil sein Werk abgetan hinter ihm liegt und sich so schwer in seiner ganzen Fülle vergegenwärtigen läßt. Wie fern lagen ihm die gewaltigen Leistungen seiner Romane, als diese Stimmungen in ihm überhandnehmen! Im Grunde wußte er natürlich, daß er kein Don Quixote war. Aber es war eben genügend davon in seinem Wesen vorhanden, daß er eine solche Figur aus sich heraus stellen konnte. Im »Dr. Katzenberger« hatte er seiner Gefühlswelt die Kehrseite vorgehalten, im »Leben Fibels« hatte er sein Leben ins Don Quixotehafte gewendet. Jetzt wollte er noch einmal in einer großen Konzeption dieses Thema ausschwingen lassen, eine rein komische Gestalt auf die Beine stellen, in der aber gleichzeitig die ungeheure und doch so verständliche Verstiegenheit eines so komisch und so tragisch Besessenen eingefangen war.

Der »Don Quixote« war das klassische Urbild eines komischen Romans, in dem ein ganzes Volkstum sich spiegelte. Mit dem »Komet« hatte Jean Paul Ungeheures im Auge. Sollte es ihm gelingen, in seinem Apotheker eine solche Gestalt für das deutsche Volk zu schaffen, wie sie »Don Quixote« für das spanische war? In seiner Vorrede hat er diesen Gedanken abgewiesen, und doch hat er ihm vorgeschwebt. Wenn sein letzter Roman sein ganzes Lebenswerk krönen, wenn sein gewaltiges Können in ihm den Gipfelpunkt erreichen sollte, dann mußte er ein solches Gipfelwerk der Menschheit ins Auge fassen. Hier war das Größte anzustreben. Eine heroische Verstiegenheit war zu ihrem äußersten Gipfel zu treiben und dabei das tragisch Überspannte eines ganzen Volkes mit hochzureißen. Ob dem Dichter dieses höchste Ziel erreichbar war, wissen wir nicht. Das Werk blieb Fragment, nicht aus inneren Gründen, wie sie ihn die Arbeit an der »Unsichtbaren Loge« oder an den »Flegeljahren« rechtzeitig abbrechen ließen, sondern aus den äußeren des Alters und der zunehmenden Erkrankung. Aber daß wir in den drei erschienenen Bänden des »Komet« die erste Hälfte eines solchen Nonplusultra-Werkes vor uns haben, ist unleugbar.

Schon der Anfang der Selbstbiographie hatte Jean Paul in die Bezirke seiner Kindheit und ersten Jugend zurückgeführt. In der Geschichte des Apothekers Nikolaus Marggraf rollt er noch einmal sein Leben vor uns auf, wie er es früher in seinen großen Romanen getan hatte. Es gab, wie gezeigt, in seiner Jugend Momente, in denen eine überspannte Einbildungskraft sein Verhältnis zur Wirklichkeit willkürlich zu verändern drohte. Die Gefahr dieser verfälschenden Phantasie wurde in seinem letzten Roman, dem »Komet«, zum Ausgangspunkt des Ganzen gemacht, die Momente, in denen diese, aus den Wurzeln alles Künstlertums genährte Einbildungskraft die Wirklichkeit zu überwuchern droht, wurden herausgehoben, um jene gigantische Verstiegenheit langsam vor uns erstehen zu lassen.

Ursprünglich sollte der Roman im Mannesalter des Helden beginnen. Die Vorgeschichte, die den Grund zu dem Wahnsinn Marggrafs legt, sollte nur nebenbei, eben als Vorgeschichte, herangezogen werden. Das hätte den Vorteil gehabt, daß dieser Wahnsinn sich mehr aus sich selber heraus entwickelt, während wir ihn jetzt bereits in den Eltern begründet wissen. Aber der Dichter konnte nicht darauf verzichten, seinen Helden von der Geburt an dem Leser nahezubringen. Die Kindheitsgeschichte des Helden war ihm in allen seinen Romanen so sehr ein allerwichtigster Teil der Dichtung gewesen, daß er auch jetzt diese Kindheit uns vor Augen führt. Im Mannesalter, in dem dann der eigentliche Roman einsetzt, wird für den Wahnsinn des Apothekers ein neuer Ausgangspunkt geschaffen, ohne den jener Hauptwahnsinn nur als eine unschuldige Marotte fortgelebt hätte.

Jean Paul läßt seinen Helden in dem Landstädtchen Rom der Markgrafschaft Hohengeis geboren werden. Schon in dem Namen der Geburtsstadt wird gewissermaßen das Hauptthema der Geschichte angegeben. Immerhin heißt dieser Ort Rom, wenn er auch nicht das welthistorische Rom am Tiber ist. Und der Familienname des Helden heißt immerhin Marggraf, auch wenn dieser Name mit dem Markgrafenamt des Landesherrn nichts zu tun hat. Aber diese Namen, der Geburtsstadt und des Geschlechts, deuten doch immerhin, wenn auch nur äußerlich, auf Höheres hin und unterstützen den Wahn des Apothekers, unter dem Gebot höherer Sendung zu stehen. In diesem Landstädtchen Rom also lebt der Apotheker Henoch Elias Marggraf. Auf einer Badereise lernt er seine spätere Frau kennen, die italienische Sängerin Mara oder Margarethe, die gerade in dem Bad Margarethahausen durch häufiges Auftreten vor den anwesenden Fürstlichkeiten ihren artigen Vorrat an Schmucksachen und Diamanten aufs angenehmste vervollständigt. Als der schmutzig-geizige und habsüchtige Apotheker um sie wirbt, nimmt sie zum Erstaunen aller die Werbung an, stellt aber zur Bedingung, daß sie die Saison des Badeortes noch voll ausschöpfe, womit der auf Reichtum bedachte Werber durchaus einverstanden ist. Schließlich drängt die angeschwärmte Schöne selbst mit überraschender Eile zur Hochzeit, die denn auch ohne Säumnis gefeiert wird. In neun außerordentlich knapp bemessenen Monaten beschenkt Mara ihren Gatten mit einem gesunden Knäblein, dessen Ähnlichkeit mit dem glücklichen Vater nicht überall einleuchten will. Auf seiner edelgeformten Nase, die sich nachdrücklich von der kurzen des Vaters unterscheidet, bilden zwölf Pockennarben ein eigenartiges Erkennungszeichen, und bald stellt sich noch eine andere Eigentümlichkeit heraus: der Knabe ist elektrisch, sein Haupthaar leuchtet, besonders bei starken Erregungen, wie ein Heiligenschein auf.

Aber nicht das ist es, was den Vater enttäuscht. Viel tiefer trifft es ihn, daß die Schmucksachen der Sängerin unecht waren außer den goldenen Fassungen, und daß der Knabe schon früh einen unwiderstehlichen Hang zu Mildtätigkeit und Gutmütigkeit offenbart, der im Verein mit den getäuschten Hoffnungen des Vaters das Schlimmste befürchten läßt. Indessen soll die Ehe nicht allzulange dauern. Mara legt sich eines Tages aufs Krankenbett, von dem sie nicht wieder erstehen soll. Einem durchreisenden Franziskaner, in dem protestantischen Städtchen eine seltene Erscheinung, beichtet sie kurz vor dem Tode. Der Vater muß sich von dieser Beichte mancherlei versprochen haben. Er versteckt sich in einem alten engen Wandschrank hinter einer Tapetentür dicht an dem Bette der Frau und wird so Zeuge ihrer Beichte. Mara aber beichtet dem Mönch, daß der wirkliche Vater ihres Sohnes Nikolaus ein katholischer weltlicher Fürst sei, dessen Namen sie nie zu nennen geschworen habe. Von dem Vater habe er die Nasennarben und den Heiligenschein geerbt. Die richtigen Juwelen ihres Schmuckes, die sie kurz vor der Hochzeit herausbrechen und durch falsche ersetzen ließ, befänden sich hinter dem Bilde des heiligen Nikolaus. Mit diesen Steinen hätte sie einst für eine katholische und fürstliche Erziehung ihres Sohnes sorgen zu können gehofft. Hier stürzt der glückliche Vater aus seinem Versteck hervor, beteuert der Sterbenden seine Verzeihung und läßt den Mönch alles eben Gehörte zu Protokoll geben, um für spätere Ansprüche ein Unterpfand zu haben. Denn nichts scheint ihm leichter, als den fürstlichen Vater an seiner Nase und dem Heiligenschein herauszufinden. Dem Sohn aber gibt er in der Tat mit Hilfe der Steine eine fürstliche Erziehung, wie er sie sich vorstellt, und setzt Nikolaus hierin und auch sonst seinen drei Schwestern erheblich voraus.

Die ganze Eindrucksfähigkeit der eigenen Kindheit hat Jean Paul in der nun folgenden Kindheit seines Helden dargestellt, immer die Gefahr im Auge behaltend, daß diese starke Empfänglichkeit für alles von außenher Kommende und für die Stimmen der eigenen Brust die Fäden zur Außenwelt einmal verwirren kann. Noch nichts von dem Wahnsinn der späteren Jahre ist in dieser Kindheit zu merken, und doch wird er langsam vorbereitet, aber, und das ist das allmählich Beklemmende daran, durch Einwirkungen, wie sie in keinem Leben ganz fehlen. Abweichungen von dem Gewöhnlichen, wie die fremdartige Religion der Mutter oder das elektrisch geladene Haar, beginnen sich in dem Knaben als Zeichen besonderer Sendung auszuwirken. Zunächst nur in einem Grade, wie man ihn bei fast allen phantasiebegabten Kindern finden wird. Wo wäre auch ein Vorbild, das ein solcher Knabe nicht zu erreichen und schließlich zu übertreffen glaubte! Nach den verschiedensten Richtungen hin wird der Knabe gezogen. Ein großer Seeheld, ein großer Prediger, ein Heiliger, ein Schauspieler, dies alles will Nikolaus werden. Er benutzt seine seltsame Gabe des leuchtenden Haares, sich zum Führer seiner Gefährten aufzuschwingen. Er scheitert an dem Schalk des Freundes Peter Worble, der sich als Vorbedingung seiner Freundschaft auswirkt, Nikolaus von Zeit zu Zeit zum Narren halten zu dürfen. Worble hat von diesem Vorrecht rechtmäßigen und ausgiebigen Gebrauch gemacht.

Es fehlt nicht an schmerzhaften Zusammenstößen des weichen Herzens mit der Welt. Auch hier malt Jean Paul das eigene Wesen ab, das immer helfen und fördern will und oft das Falsche trifft. Kaum ein Zug, der vom Dichter nicht der eigenen Kindheit entnommen wäre, und fast unmerklich ist alles der Richtung des kommenden Wahnes zugebogen. Auch hierin steckt Abrechnung mit sich selbst: ein wenig anders, und du selbst wärest statt eines großen Dichters ein Narr geworden. Die fürstliche Abstammung des Sohnes hält den Vater übrigens nicht ab, empfindlich zu strafen. Dennoch hat der Alte die künftige Stellung des Sohnes fast immer im Auge. Wo sich eine Gelegenheit bietet, von Höfen und Fürsten zu erfahren und höfisches Wesen kennenzulernen, nutzt der Apotheker sie aus. Ein venerischer Jesuitenpater kommt durch Rom. Der Apotheker heilt ihn aus, läßt dem Knaben dafür von dem Windbeutel Unterricht in höfischem Betragen geben. Nicht anders macht er es mit dem reisenden Armgeiger de Fautle, dessen krause Reden ihm eine neue Bestätigung von der hohen Geburt des Sohnes sind. Alle Auslagen, zu denen er Eigenes und die Diamanten der Mutter verwendet, schreibt er sorglich in dem »Kronbüchlein« auf, das er einst dem Fürsten als Rechnung überreichen wird, wenn er ihm den fertigen Regenten übergibt.

Naturgemäß liegt auf jugendlichen Liebschaften der Schwerpunkt dieser hingeträumten Jugend. Es gibt kein Mädchen, in das sich der kleine Nikolaus nicht verliebte. Wie er alle Helden und alle großen Männer werden will, so liebt er auch alle Frauen, ob er von ihnen liest oder ob er sie irgendwo zu Gesicht bekommt. Das tiefste Erlebnis aber kommt ihm von der Prinzessin Amanda. Ein ganzer Wagen voller junger Prinzessinnen ist in den Ort gekommen, und der schönsten von ihnen, einem wahren Engelsbild, eben der Prinzessin Amanda, darf Nikolaus sogar nahekommen. Sie ist mit ihren Gefährtinnen oder Schwestern auf einem Spaziergang. Bis zum Drehkreuz eines Feldweges ist der Knabe ihnen gefolgt. Als Amanda durch das Kreuz zurückwill, hält er es in seiner Befangenheit, anstatt es zu öffnen, vor ihr fest und hat sie so in der Gabel des Kreuzes gefangen. Es dauert allerdings nur einen Augenblick, aber er genügt, um ihr Antlitz ihm unauslöschlich einzuprägen, zumal er in einem blühenden Orangenzweig eine unendlich wertvolle Trophäe davonträgt. Der Gedanke an die Prinzessin verläßt ihn nicht mehr. In einem Gartenhaus findet er die Wachsbüsten der sämtlichen Prinzessinnen, die überhaupt nur nach Rom gekommen waren, um sich in Wachs bossieren zu lassen. Nachts schleicht sich der kühne Liebhaber an das Gartenhaus und trägt die Wachsbüste der angebeteten Amanda in einem Marktkorbe mit sich. Ein richtiger Prinzessinnenraub. Sorgfältig versteckt er das Bild unter Gerümpel auf dem Boden in einer alten Standuhr, vor der er heimliche Andachten feiert.

Noch ehe Nikolaus mit einem standesgemäßen Hofmeister die Leipziger Universität bezieht, stirbt der Vater. In der Sterbestunde eröffnet der Apotheker dem Sohne die fürstliche Abstammung und übergibt ihm, ihn nunmehr mit Hoheit anredend, den letzten Diamanten, der für das Studium bestimmt ist. Peter Worble, der den Alten mit seinem vorgespiegelten Ernst zum Narren gehalten, wird von ihm zum Hofmeister bestimmt. Mit bizarrer Laune geht Worble auf die Komödie der fürstlichen Abstammung des Schulfreundes ein. Beruhigt schließt der Apotheker die Augen. Er weiß, im schlimmsten Falle wird Nikolaus Chemie und Botanik studieren und die Apotheke übernehmen, wenn der Diamant verzehrt ist, und seine drei Schwestern als Apotheker ernähren, bis der fürstliche Vater gefunden ist.

Diese Kindheitsgeschichte hat Jean Paul, wie erwähnt, erst zuletzt dem Roman beigefügt. Der zweite Band zeigt uns Nikolaus als Besitzer der väterlichen Apotheke in seiner Vaterstadt Rom. Niemand mehr scheint an seine hohe Abstammung zu denken, und die Gegenwart verrät auch nur wenig fürstlichen Glanz. Nikolaus ist mit fernen drei Schwestern blutarm, und Worble hat noch weniger, nämlich Hunger. Dieser Hofmeister hat mancherlei Schicksale hinter sich. Zuletzt war er Quintus und Organist in Rom. Aber beide Stellen verlor er durch sein anstößiges Wesen. Als Organist liebte er es, Kirchenlieder, die schon an sich in die Höhe gehen, einige Töne zu hoch auf der Orgel anzustimmen, so daß ein entsetzliches Gequieke den heiligen Raum erfüllt. Lieder, die in die Tiefe steigen, aber fängt er zu tief an, so daß schließlich nur noch einige vereinzelte Bässe dröhnen. Schlimmer aber treibt er es noch als Schulmeister. In seiner Wohnung hielt er sich, der Sitte zuwider, einen männlichen Koch. Leider kam dieser eines Tages mit einem munteren Knäblein nieder und offenbarte sich auf diese Weise als Köchin, die der arme Schelm dann schließlich noch heiraten mußte. Jetzt fristet er sein Leben als Lehrer und Direktor einer Privatmädchenschule, einer »Winkelschule«, in der Jean Pauls Schwarzenbacher Schule travestiert ist. Er ist und bleibt guter Dinge wie zuvor, aber seine Frau macht ihm die Hölle heiß. Eine Variierung des Siebenkäs-Lenette-Themas.

Dieser Teil des Romans beginnt mit einer Klubsitzung der Freunde in der kleinen Stadt Rom. Sämtliche Klubisten der Stadt nehmen an dieser denkwürdigen Sitzung teil, und nicht nur das, sondern auch sämtliche gesellschaftliche Vereinigungen der Stadt sind hier vertreten: Klub, Harmonie, Ressource und Kasino. Allerdings hat jede Gesellschaft nur ein Mitglied, und nur, weil es diesem Mitglied zu langweilig war, die Abende allein zu verbringen, haben sich alle Klubisten zusammen getan. So treten wir in die stattliche Gesellschaft von drei Mann ein. Peter Worble ist der eine, der Zuchthausprediger Frühauf Süptitz der zweite, der Hofstallmaler Renovanz der dritte. Als vierter fehlt noch der Apotheker. Endlich kommt auch er und ladet zu einem Punsch ein, die Freunde überraschend. In der Tat glaubt er besonderen Anlaß zu einer solchen fürstlichen Einladung zu haben. Zunächst hat er einen Sack alter Rezepte vom Boden an die Juden verkauft, die diese wichtigen Dokumente ärztlicher Kunst weiter an die Quacksalber auf dem Lande verhökern. So fehlt es also nicht an Mitteln für das Getränk. Sodann aber ist er der Verwirklichung seiner alten Pläne ganz nahegekommen. In einigen Tagen wird es ihm, hofft er, gelungen sein, aus Kohle Diamanten zu machen. Ansonsten ist er über und über verschuldet. Der Jude Hoseas hat ihm noch einmal einen Wechsel bis zum nächsten Markttag prolongiert. Wenn Marggraf dann den Diamanten im Ofen hat, hat er Geld in Hülle und Fülle.

Die Kohlen im Ofen lassen sich zunächst ganz gut an, besonders das kleinste Stück. Sonst aber ist das Leben wie verhext. An allen Enden fehlt es an Geld, die Schwestern jammern. Zum Unglück hat der Apotheker die Vermessenheit gehabt, zu dem Tage, da er den Diamant fertig glaubt, eine Reihe seiner hungrigen Verwandten zum Festschmaus einzuladen. Die Schwestern sind verzweifelt. Und in diesem Augenblick betritt noch der visitierende Arzt die Apotheke und findet Unordnung über Unordnung. Nur der eintretende Worble rettet die Situation, indem er das Doktordiplom des Apothekers vorzeigt, das allein diesen rettet. Mit diesem Diplom hat es allerdings eine besondere Bewandtnis. Mit einer alten Arbeit hat Worble den Doktorhut erworben. Um aber freier vor den Professoren zu sprechen, hatten die Freunde vor der Stadt ihre Pässe getauscht, so daß nach dem Paß nicht Worble, sondern Nikolaus den Titel erwarb. Mit diesem Diplom wird der Arzt aus der Apotheke vertrieben. Damit ist aber noch nichts gerettet. Das Hauptkohlestück ist kein Diamant geworden. Der Jude Hoseas, der höflich einen Tag vor dem Verfall des Wechsels kommt, um nachzufragen, wird zwar hinausgewiesen, aber man weiß nicht, wie es werden wird, wenn er morgen rechtmäßig erscheint. Man sieht die ausgehungerten Verwandten sich schon dem Hause nähern, in dem es an allem fehlt. Selbst die erfinderische Schwester Libette kann nicht helfen. Worble schlägt vor, als Grund des Festessens das Doktordiplom anzugeben, da es mit den Diamanten nichts geworden ist. Der Grund wäre nun da, aber der Braten fehlt nach wie vor. Schon zieht sich Nikolaus in Erwartung einer furchtbaren Katastrophe zu dem Essen an. Er weiß nicht, wie das alles werden soll. Der Fehlschlag mit dem Diamanten hat ihn fast niedergeworfen. Wiederum zeichnet Jean Paul hier eine Situation, wie er sie im verarmten Hause der Mutter wohl oft erlebt hat, wenn wieder einer seiner Pläne zu Wasser geworden war, und die verunglückten Kohlen im Ofen stehen hier an Stelle seiner ersten Manuskripte, die immer wieder nicht den ersehnten Reichtum ins Haus brachten. Hier ist die Don Quixote-Figur des Apothekers schon vollkommen ausgewachsen, ist die Brücke zu den Tatsächlichkeiten des Daseins schon eingesunken. Der Stößer Stoß, des Apothekers rechte Hand, stellt sich als echte Sancho-Pansa-Figur neben seinen Herrn. Er glaubt mit Unbedingtheit an dessen Größe und ist das durch Dummheit und Gläubigkeit rührende Widerspiel des Besessenen. Hilflos und gleich seinem Herrn niedergeschmettert stochert er im Ofen herum, aber auf einmal entdeckt er, daß das kleinste Kohlenstück wirklich den Glanz eines echten Diamanten annimmt. Und in der Tat, als sie näher zusehen, fördern sie einen echten, pfundschweren Diamanten ans Licht. Kein Zweifel mehr, alle Proben erweisen untrüglich, daß man einen echten Stein vor sich hat. Im Sturmlauf wird Hoseas geholt, der über viertausend Taler zahlt. Libette holt fertige Braten über die Straße und kauft Wein ein. Ein Trinken und Schmausen sondergleichen hebt an, und dunkel versetzt es den Gastgeber in Angst, wie seine Gäste ihn ohne den Diamanten ratzekahl gefressen hätten.

Eine ungeheure Summe ist ins Haus geströmt, die Freude des Apothekers grenzenlos. So mag Jean Paul sich gefreut haben, als auf das Manuskript der »Unsichtbaren Loge« die Briefe von Karl Philipp Moritz einliefen und Matzdorff das erste Honorar schickte. Es war ja nicht nur die Freude über diese eine Summe allein, sondern die Möglichkeit, jetzt unaufhörlich Geld zu verdienen, die sich in dem Tun des Apothekers widerspiegelt. Bei Tisch hält er eine große Rede, in der er sich nach Gebühr herausstreicht. Aber so sehr die Gäste, insbesondere der Vetter Goldarbeiter, auch aufpassen, so verrät er doch das Geheimnis nicht. Nach Tisch stürzt er hinaus, um einem alten Widersacher, dem Unteraufschläger Schleifenheimer in der Vorstadt, eine Stange Geld zu bringen. Es ist schon spät, das Haus Schleifenheimers geschlossen, aber neben dem Fenster lehnt eine Bauleiter, die er kühn besteigt, um die Rolle durch die offene Fensterscheibe hineinzuwerfen. Das Unglück will, daß der Nachtwächter kommt und ihn für einen Einbrecher hält. Der Unteraufschläger selbst glaubt, daß der Apotheker ihm einen Schabernack spielen wolle. In der Freudennacht entwickelt sich die Schlacht von Rom, in der die halbe Stadtbevölkerung herbeiströmt und es unmäßige Prügel gibt. Wieder, wie so oft in seiner Jugend, fühlt der verhinderte Wohltäter sich von seiner Vaterstadt gekränkt, ein Grund mehr, ihr nunmehr den Rücken zu kehren und auf Reisen zu gehen.

Der Diamant hat alle alten Fürstenträume wieder in den Vordergrund geschoben. Jetzt soll es mit diesen Träumen ernst werden. Zu ihrer Verwirklichung schließt sich Nikolaus einige Tage ein und läßt niemand vor sich. Noch ein zweiter Diamant wird hergestellt, für den die gesamte Judenschaft alles verfügbare Geld hergeben und außerdem noch hohe Wechsel ausstellen muß. Und endlich tritt Nikolaus in Erscheinung in Gestalt von huldvollen Handschreiben an Worble, den Zuchthausprediger Süptitz und den Hofstallmaler Renovanz. Er eröffnet sich den Freunden als Fürstensohn und tut ihnen kund, daß er jetzt, da die Mittel zu fürstlicher Hofhaltung vorhanden sind, die Würden seines Standes in Anspruch zu nehmen gedenke. Er lasse sich fortan, wenn auch nicht in der Öffentlichkeit, so doch im intimen Kreise Hoheit nennen. Gleichzeitig ernenne er Worble zum Reisemarschall, Süptitz zum Hofprediger, Renovanz zum Hofmaler mit stattlichen Gehältern und fordere sie auf, ihn zu begleiten, da er zu seinem fürstlichen Vater reisen wolle. Gehalt und Reiseaussichten sind so verlockend, daß die Freunde, von denen bisher allein Worble etwas von der sagenhaften Abstammung wußte, sich dem Apotheker anschließen, Besorgnis um seinen Zustand in den Vordergrund schiebend. Sie nennen ihn, um sich nichts zu vergeben, »Herr Marggraf«, da er fürstliche Anrede wünscht. Nur Worble schmettert das »Hoheit« fröhlich heraus.

In Eile wird der fürstliche Zug zusammengestellt, und so geht es nach wenigen Tagen zum Stadttor hinaus. Voran reitet Worble als Reisemarschall. In seinem Leib- und Staatswagen folgt der Fürst selber. Er sitzt getreu dem Wachsbilde seiner angebeteten Amanda gegenüber, die er endlich aus dem Uhrgehäuse befreit hat. Zu beiden Seiten des Wagens reitet das Regiment Marggraf, aus zwölf Invaliden bestehend. Dicht dahinter folgt der Wagen des Stößers Stoß mit dem chemischen Ofen und der voltaischen Säule. Dann folgt der Hofmaler Renovanz, gegenüber seinem Bruder, dem halbwahnsinnigen Träumer Raphael, sitzend. In einer Hofkalesche der Hofprediger Süptitz, dahinter in einem besonderen Wagen als Hofbankier der Jude Hoseas, der sich gleichfalls dem Zug angeschlossen hat, um die zu erwartenden Diamanten in Geld zu verwandeln. Es folgt ein leerer Hofwagen für künftiges Frauenzimmer, ein Küchen- und Kellerwagen und eine Fuhre mit den Weibern des Regiments Marggraf. Süptitz hat seine Frau zu Hause gelassen, um aus Sehnsucht nach ihr abzumagern. Worble die seinige, um sich durch Versuchungen über den Grad seiner ehelichen Treue zu vergewissern. Renovanz hat seinen Bruder Raphael mitnehmen müssen, da er seinem Vater versprochen hat, niemals ohne den armen Kranken zu reisen. Der wahnsinnige Raphael aber, ein herrlich schöner Jüngling, hat folgende Krankheit: er bildet sich ein, der größte Maler zu sein. In seinen Träumen sieht er die herrlichsten Gemälde, die er alle selbst gemalt zu haben glaubt, während ihm die schönsten wirklichen Malereien nur wie schlechte Kopien der eigenen Bilder vorkommen.

Als der seltsame Zug noch nicht weit von der Stadt entfernt ist, jagen die gesamten Bettler von Rom in einem eigens gemieteten Ochsenwagen dem fürstlichen Wohltäter nach, der sie alle reich beschenkt entläßt. Fürstliche Gnade läßt er auch über dem Zollwächter walten, bei dessen Häuschen das erste Frühstück eingenommen wird. Bei dem Grenzwirtshause erhält die Reisegesellschaft unerwarteten Zuzug: der Kandidat Richter taucht auf. Er hat gerade seine »Teufelspapiere« veröffentlicht und läuft als dürrer Jüngling mit offener Brust und fliegendem Haar und mit einer Schreibtafel in der Hand singend im Trabe durch die Gegend. Mit Worble gerät er in ein Gespräch über das Wetter, und er verrät hierbei solche Kenntnisse, daß der Reisemarschall den Kandidaten, dessen Buch er mit Entzücken gelesen, als Hofwetterpropheten verpflichtet. Enthusiastisch schließt der Kandidat sich dem Fürsten an, an dessen hoher Geburt ihm nicht der mindeste Zweifel kommt. Mit wahrer Wollust malt hier Jean Paul seine eigene Jugendgestalt mit ihrem traurigen Schicksal. »Der arme Kandidat Richter,« schreibt er, »der auf einmal, nachdem er so viele Jahre in Hof unter Kaufleuten und Juristen mit seinem aufgedeckten Halse und langen Flatterhaare bestaubt und unscheinbar hingeschlichen . . .«

Mit dem Auftreten Jean Pauls ist der zweite Band des Romans beendet. Der dritte bringt die Fortsetzung der Reise, Abenteuer auf den einzelnen Stationen, bis der Zug sich in dem Dörfchen Liebenau wiederum vervollständigen kann. Hier begegnet der fürstlichen Karawane eine Judenschar, die eine ganze zusammenlegbare Stadt mit sich führt. Nikolaus hat nichts Eiligeres zu tun, als diese Stadt zu kaufen, der er den Namen Nikopolis gibt. Gleich in Liebenau wird Nikopolis ausgepackt und zusammengesetzt, und aus seiner eigenen Residenz schreibt der Fürst nunmehr den ersten Brief an Prinzessin Amanda, die immer noch heißgeliebte, deren Wachsbild ihn immerdar begleitet. Zwar weiß er noch nicht, wie sein Schreiben die Prinzessin erreichen soll, aber er setzt seine Hoffnung auf die nahe Residenzstadt Lukasstadt, der man sich nähert und wo er mit einem richtigen Hof in Berührung zu kommen hofft. Noch bevor man die Residenz erreicht, kann der Hofstaat wiederum vervollständigt werden. In einer mondhellen Mondnacht hört der Fürst ein Waldhorn erklingen. Freudig geht er den Tönen nach, aber es ist schließlich kein richtiges Waldhorn, das ihn in romantische Stimmung versetzt hat, sondern ein Schornsteinfeger, der mit dem Munde die Klänge eines Waldhorns täuschend nachmachen kann. Dieser Schornsteinfeger ist durch gutes Essen so dick geworden, daß er in keinem Kamin mehr Platz hat und infolgedessen in Gefahr gerät, zu verhungern. Gern schließt er sich dem Zuge an, der nun endlich am nächsten Tag vor Lukasstadt ankommt. Nikopolis wird ausgepackt und in ganzer Pracht aufgestellt. Bevor man aber in die Residenz hineingeht, bedarf es langer Beratungen, in welchem Inkognito Nikolaus sich darstellen soll. Denn es ist klar, daß es ein Inkognito sein soll, um in Beziehung auf den Lukasstädter Hof lästigen Förmlichkeiten aus dem Wege zu gehen. Endlich entschließt sich der Fürst, den Namen eines Grafen von Hazenkoppen anzunehmen. Der Reisemarschall hat die schwierige Paßfrage bereits in Rom gelöst. Mit Libette war er dort zu dem Paßbureau gegangen und hatte angegeben, daß er den geisteskranken Apotheker auf Reisen geleite, der den Wahn habe, ein Fürst zu sein, und sich als Graf von Hazenkoppen ausgeben werde. Es ist also ein Narrenpaß, der dem Apotheker nun auch die Tore von Lukasstadt öffnet. Nikolaus selbst will nicht lange in Nikopolis wohnen bleiben, sondern mietet das ganze Gasthaus »Römischer Hof«. In Nikopolis sollen nur die unteren Chargen wohnen. Der eigentliche Hofstaat bezieht das vornehme und teure Hotel. Beim Einzug tritt ein furchtbarer Nebel auf, so daß die einzelnen Mitglieder des Hofes sich aus den Augen verlieren. Worble benützt die Gelegenheit, alle ihm begegnenden schönen Mädchen abzuküssen und in den Nebel unterzutauchen, wenn sie um Hilfe rufen. Der Zufall will es, daß gerade während des Einzugs im fürstlichen Palast ein Prinz geboren ist. Die Stadt jubelt und flaggt. Leider geht alles im Nebel unter, aber der Graf Hazenkoppen muß die Ovationen, die man dem neugeborenen Prinzen darbringt, auf sich beziehen. Immerhin findet er es taktvoll, daß der Hof von Lukasstadt diesen Ausweg findet, ihn einerseits standesgemäß zu begrüßen, andererseits sein Inkognito zu wahren.

In dem Nebel aber ist auch eine sonderbare Gestalt aufgetaucht, die allen noch viel zu schaffen machen soll. Ein ganz in Leder gekleideter Mann mit dem Zeichen Kains, der roten Schlange, auf der Stirn. Die Kopfhaare sträuben sich ihm zu Hörnern. Mehrmals taucht er aus dem Nebel auf und stellt sich dem Apotheker gegenüber. Ein vorüberschießender Mann ruft aus: »Es lebe der Prinz!« Der Ledermann aber sagt langsam: »Es lebe kein Prinz; Menschen sollen nicht regieren, sondern der Fürst der Welt.« Ein paar Mädchen gehen vorüber und sprechen: »Wie schön ist der neue Prinz!« Ihnen ruft der Ledermann mit sanfter Stimme nach: »Sprecht nicht so, nur ihr seid schön.« Dann verschlingt ihn der Nebel.

Diese seltsame Erscheinung ist in der ganzen Stadt bekannt. Man nennt sie den ewigen Juden. In Wahrheit handelt es sich um einen Wahnsinnigen, der in dem Teufel den Herrn der Welt sieht und seine Macht verkündet. Niemand hat den Ledermann essen und trinken sehen. Nachts dringt er durch Dach und Schornstein in die Häuser ein und nährt sich aus fremden Küchen. Besonders hat er es auf Fürsten abgesehen. Heilig sind ihm nur die Frauen, denen er nichts tut und zu denen er mit liebreicher Stimme spricht. Nikolaus erfährt dieses durch den Wirt des »Römischen Hauses«, Pabst genannt.

Lukasstadt ist, wie schon der Name sagt, eine Malerstadt. Sämtliche Schulen sind hier vertreten. Da aber der Künstler die Menge sind und der Käufer nur wenig, herrscht in dem Künstlervölkchen Not und Neid. Nikolaus läßt sich von allen Lukasstädter Malern malen, und zwar sitzt er, um keine Zeit zu verlieren, immer der ganzen Schule, sei es der italienischen oder der niederländischen. Auf der bevorstehenden Kunstausstellung wird sein Porträt deshalb von allen Wänden strahlen. Um so eher hofft er, auf diese Weise endlich der angebeteten Prinzessin Amanda aufzufallen und sie zu treffen. Inzwischen umstreicht der unheimliche Ledermann das Gasthaus. Nikolaus muß zu seinem Schutz eine berittene Schildwache vor den Eingang stellen und den Kamin durch den Waldhorn-Nachtwächter bewachen lassen, kann aber nicht verhindern, daß der Unheimliche auf den Dächern von Nikopolis vor dem Stadttor umherschleicht und sogar durch die Schornsteine in die Häuser dringt. Einmal trifft er hier mit dem Hofprediger Süptitz zusammen, dem er sich als der wahre Kain und als Satanist zu erkennen gibt.

Inzwischen hat Nikolaus an einem Fenster des Schlosses eine Prinzessin gesehen, in der er mit Bestimmtheit eine der Begleiterinnen seiner Amanda vermutet. Sein Gefolge kann ihn nur schwer abhalten, geradeswegs in den Palast zu gehen, da die Prinzessin ihn noch erkennen müsse, wie er meint. Schließlich läßt er sich überreden, seine Bekanntschaft mit dem Hof bis zur Eröffnung der nahe bevorstehenden Kunstausstellung zu verschieben. Worble trifft alle möglichen Vorkehrungen, um ein Zusammentreffen mit dem Lukasstädter Hof zu verhindern. Dem Apotheker wird vorgespiegelt, daß man ihn benachrichtigen werde, sobald der Hof den Saal betreten habe. In Wirklichkeit aber soll er erst geholt werden, wenn der Hof die Ausstellung bereits wieder verlassen habe. Aber der Zufall läßt dennoch den Apotheker mit dem Hof zusammentreffen. Nikolaus erfährt durch den Wirt, daß der Hof die Ausstellung betreten habe, und nun hilft kein Mittel, ihn zurückzuhalten. Selbst dem tapferen Worble ist nicht ganz geheuer, wenn er an diese jetzt unausweichliche Begegnung denkt.

Als der Apotheker mit seinen Begleitern den Saal betritt, bietet sich ein höchst seltsamer Anblick. Auch der Bruder des Malers Renovanz, der blasse, schöne, still träumende Raphael, hat sich in den Saal eingeschlichen und sucht unter den Bildern nach Kopien seiner phantastischen Gedankengemälde. Vor einem herrlichen Veronese bleibt er halten, schüttelt heftig mit dem Kopf und deutet mit dem Finger auf die Augen der heiligen Katharina. »O meine Amanda, wie bist du kopiert, entfärbt, entstellt!« ruft der Wahnsinnige unaufhörlich. »Deine Augen ausgelöscht, deine Lippen verblutet!« Um den schönen Träumer aber stehen die Kunstkenner und einige Prinzessinnen des Hofes und lauschen seinen Worten. Kaum aber hat der Apotheker den Saal betreten, so fliegt Raphael auf ihn zu und redet ihn an, so daß jetzt aller Augen auf den Grafen Hazenkoppen gerichtet sind, der schon lange das Gerede der Lukasstädter beschäftigt hat. »O Marggraf, Marggraf!« ruft Raphael ihn an, »blicket dort die beraubte Amanda an! Steht sie nicht lieblicher in dem Bilde von Wachs vor Euch?« Der ganze Saal gerät in Erregung. Raphael führt den Grafen vor das Bild und fragt ihn noch einmal: »Ist dies Eurer himmlischen Amanda ähnlich, Marggraf?« Die Prinzessin, die mit einem Hofherrn vor dem Bilde steht, ist betroffen. Der Graf glaubt in ihr eine der damaligen Begleiterinnen seiner Dulzinea zu erkennen und redet sie an. Die Prinzessin weiß nicht, wie sie sich verhalten soll. Beide stammeln mißverständliche und mißverstandene Redensarten, bis Worble hinzutritt und dem Grafen ins Ohr flüstert, daß im Gasthaus eine Nachricht des Fürsten auf ihn warte. In dem Augenblick aber betritt noch eine neue Person den Saal: ein junger Tiroler, der den Lukasstädter Fürsten mit Narrenfreiheit anredet. Wir wissen, daß es Libette, die Schwester des Apothekers, ist, die als Hofnarr ihn begleiten und in der Gestalt eines Tirolers erst später zu dem Zuge stoßen soll, damit man sie nicht erkenne. Der Hof verläßt die Ausstellung, während Libette den Bruder von gefährlichen Taten abhält. Hochbefriedigt kehrt Nikolaus in das Gasthaus zurück. Hier aber erwartet alle eine neue Überraschung. Der Ledermann hat vor dem »Römischen Hof« Aufstellung genommen und dringt mit dem Gefolge des Apothekers in den Gasthof ein. Selbst die berittene Schutzwache vermag ihm nicht zu wehren. Übrigens stellt sich heraus, daß Libette sich mit dem Wahnsinnigen bereits bekannt gemacht hat in der Hoffnung, durch ihn den Wahnsinn ihres Bruders vertreiben zu können. Im Zimmer Marggrafs ist nun die ganze Gesellschaft versammelt.

Libettens Scherze ruhig anhörend, geht Kain im Zimmer auf und ab. Endlich beginnt er seine große Rede. Schon vorher hatte er in Nikopolis dem Hofprediger seinen Satanismus auseinandergesetzt. Danach sehne er sich, in die Hölle zu kommen, weil dort die ihm verwandten Seelen, die Tierseelen, wohnen. Die Tierwelt sei die höhere und werde durch junge Teufelchen bewohnt. Ihr eignen die größeren und höheren Kenntnisse zu, die Instinkte, der größere Zorn, die größere Unbezähmbarkeit. Der Mensch aber sei nichts als ein schwächlicher, ausgearteter, unvollendeter Affe. An diese Gedankengänge knüpft der Ledermensch jetzt an, die Tierheit erhöhend und alles Menschliche herunterziehend. Von dem erbärmlichen Sterben der Menschen spricht er. »Rechnet einmal eure Nächte in Einem Jahr zusammen und seht in der 365sten nach, was euch von den langen Traumaffären auf dem Kopfkissen, von den Schlachten, den Lustbarkeiten, den Menschengesellschaften und Gesprächen und den langen, bangen Geschichten zurückgeblieben? Kein Federchen und kein Lüftchen; – und nun rechnet noch euere 365 Tage dazu: so habt ihr ebensoviel, und der Teufel lacht und herrscht in euern Nächten und in euern Tagen; aber ihr wißt es nicht.« »Was seid ihr denn für Wesen und für Leute? Euere Mutter gebiert euere Religion und macht euch entweder zu Juden oder zu Christen oder zu Türken oder zu Heiden.« Mit phantastischen und doch in den Kern treffenden Gründen baut der Wahnsinnige seine Teufelswelt vor den Verdutzten auf. Inzwischen hat sich Worble hinter ihn geschlichen und versucht, ihn durch magnetische Striche einzuschläfern. Es gelingt. Dem Kain fallen die Augen zu, er spürt eine unwiderstehliche Müdigkeit in seinen Gliedern. »Es ist närrisch auf der Erde« sagt er, »soeben entschlaf' ich.« Mit letzter Kraft wendet sich Kain zum Kamin und klettert dort in die Höhe, wo er müde verweilt. Zum Staunen aller dringt plötzlich seine Stimme sanft und milde heraus, eine fremde, liebliche, herzliche Stimme. Sie bittet um Vergebung. daß sie den Anblick der guten Menschen nicht ertragen könne. dankt Libette für ihre Güte, mit der sie ihm den schwarzen Äther blau und licht gemacht habe. Er klagt sich seiner tausend Sünden in der Einsamkeit an. In seiner Studierstube wäre er alles Böse durch Denken gewesen: Mordbrenner, Giftmischer, Gottleugner, vertretender Herrscher über alle Länder und alle Geister, innerer Schauspieler von Satansrollen. Für diese Sünden werde er jetzt bestraft. »Ach, ihr Glücklichen um mich her, ihr könnt den Unendlichen lieben, aber ich muß ihn lästern, wenn ich erwache; und um drei Uhr, mit dem ersten Anschlage des Kindtaufglöckchens, werd' ich wieder wach und teuflisch; dann hütet euch vor dem Unglücklichen . . . O Gott der Liebe, lasse dich fortlieben von mir, wenn ich erwache.« Da schlägt es drei Uhr, das Kindtaufglöckchen ertönt, und der Unglückliche stürzt erwachend herab. Gesicht und Hände sind geschwärzt, die Haarbüschel sträuben sich zornig empor, auf der geschwollenen Stirnhaut ringelt sich die rote Schlange wie zum Sprunge, und er ruft freudig: »Vater Beelzebub, ich bin wieder bei dir; warum hattest du mich verlassen?« Alle treten weit von ihm hinweg, »nicht aus Furcht, sondern vor Entsetzen.«

Mit diesen Worten schließt der Roman. Über die geplante Fortsetzung sind wir aus einer Aufzeichnung des Dichters unterrichtet. Danach sollte jetzt, nachdem der Apotheker von dem Lukasstädter Hof fortgewiesen, eine neue Person auftauchen, die seinen Wahnsinn auf die Spitze treibt. Ein fortgejagter Oberhofmarschall sollte den Helden mit seinen Verbindungen und Kenntnissen des wirklichen Hoflebens bei einem richtigen Hof einführen. Worble sollte er anfangs als Libertin, den Hofprediger als Katholik, Renovanz als Kunstkenner gewinnen, um sie alle zu stürzen. »Den Jean Paul aber«, heißt es in dem Entwurf, »stach er dadurch aus, weil dieser zu revolutionär, nie demütig genug war.« Schließlich sollte er das Urbild des Wachsbildes, die Prinzessin Amanda, finden, nachdem durch Libette ein Versuch, ihm eine falsche Amanda unterzuschieben, mißglückt ist. Hinter diesem Oberhofmarschall aber sollten noch andere Mächte stehen, nämlich die katholische Kirche, die sich die Beute eines so reichen Mannes nicht entgehen lassen will. Die Heilung des Apothekers von seinem Wahn soll schließlich so erfolgen, daß er entweder selbst unter dem Einfluß der gefundenen Amanda auf die Herstellung von Diamanten verzichtet oder seine Fähigkeit, die vielleicht mit seiner Elektrizität zusammenhängt, durch eine Erkrankung verliert. Man sieht, daß kaum die Hälfte des vorliegenden Stoffes unter Dach gebracht war, als Jean Paul mit der Arbeit am Roman aufhörte.

Der »Komet« ist seiner ganzen Anlage nach nicht von vornherein ein Torso. Es waren äußere Gründe, die die Fortsetzung verhinderten. So können wir das uns überkommene Fragment nicht als ein Ganzes ansprechen und beurteilen, sondern müssen uns daran halten, daß wir gerade erst den Vorhof dieser eigentümlichen Schöpfung durchquert haben. Wahrscheinlich sollte das Werk in steiler Kurve aufwärts steigen. Es beginnt im ersten Buch der Kindheitsgeschichte mit dem häuslichen Leben des Apothekers, entrollt im zweiten das Leben der kleinen Stadt Rom, führt uns im dritten Band bis vor den Eingang des Lukasstädter Palastes, hier bereits in dem Ledermann die Grenzen mystischen Wahns erreichend. Von hier aus sollte wohl die ganze Zeit vor unserm Blick aufgerollt werden. Wir sollten einen Einblick in das Getriebe der Höfe, aber auch des Katholizismus gewinnen, natürlich alles in phantastische Formen gegossen. Zu einem umfassenden Zeitepos sollte der »Komet« sich erweitern. Mannigfache Anzeichen dafür sind gegeben. Die Arbeit an dem Roman fiel gerade in die Zeit der Karlsbader Beschlüsse, der Mainzer Untersuchungskommission und aller jener Maßregeln, durch die die Reaktion den Geist der Befreiungskriege niederzuwerfen suchte. Schon in der Vorrede zum ersten Band wurde der Knebelung durch die Zensur auf Grund der Karlsbader Beschlüsse gedacht. Deutlicher drückte sich der Dichter in der Vorrede zum zweiten Band aus. Kurz zuvor war in Berlin E. T. A. Hoffmann durch seinen »Meister Floh« mit diesen reaktionären Mächten in Konflikt geraten, da er das Unwesen der Demagogenriecherei geißelte. Gegen die Demagogenriecherei wandte sich Jean Paul nun auch in seiner Vorrede, indem er die angebliche Denunziation eines Traumgeberordens darin ausführte, der den Leuten durch willkürlich eingegebene Träume nächtlich die gefährlichsten politischen Freiheitsideen eingibt. Wenn wir in Hoffmanns »Knarrpanti« den Berliner Ministerialdirektor Kamptz vor uns haben, so lebte auch wohl zu Jean Pauls »Polizeidirektor Saalpeter«, der sich in der Vorrede über fünf aufgegriffene Traumstudenten verbreitet, das Vorbild in Berlin. Um nicht einen Augenblick länger als nötig mit seiner Meinung über das reaktionäre Treiben hinter dem Zaune zu halten, veröffentlichte der Dichter noch vor Erscheinen des zweiten Bandes diese Vorrede in Cottas »Morgenblatt«. Sie gibt uns einen ungefähren Anhalt dafür, in welcher Weise das Leben der Zeit in den ungeschriebenen Bänden des »Komet« dargestellt werden sollte. Jean Paul, der alte Freiheitskämpfer, hätte auch in dem jetzt entbrannten Streite um die innere Freiheit des Volkes nicht gefehlt. Von hier aus erst fällt auch Licht auf die Rolle, die der Katholizismus in dem Roman spielen sollte. Es war also im großen der Geist der Heiligen Allianz, der hier vor Augen geführt werden sollte. Ein unersetzlicher Verlust für die Entwicklung, daß der einzige Dichter, der, noch in den Freiheitsideen des 18. Jahrhunderts wurzelnd, fähig gewesen wäre, der Zeit den Spiegel der Menschheitsidee vorzuhalten, dazu nicht mehr die Kraft hatte. Wir sehen aber deutlich, welches Werk Jean Paul bei seinem »Komet« im Auge hatte: die Verstiegenheit der Zeit in politischer und religionspolitischer Hinsicht wollte er geißeln. Hier handelte es sich nicht mehr um den Weg zu wahrem Herrschertum wie noch im »Titan«, sondern um Herrscheranspruch bei großer Fragwürdigkeit der rechtlichen Begründung. Nicht das wahre Wesen des Herrschers galt es hier aufzuzeigen, sondern das hohle Streben nach der Herrscherstellung. Die Zeit der Heiligen Allianz hätte in dem vollendeten Roman ihre unsterbliche Satire erhalten.

Aber der Einwirkung auf die Entwicklung hatte Jean Paul längst entsagt. Er wollte nicht mehr strafend bessern, er wollte nur noch lachen, ein rein humoristisches Werk schreiben, alle Gegenstände und Personen in reinen Humor tauchen. Nicht mehr der politisch Wollende kommt im »Komet« zum Ausdruck, sondern der frei über den Dingen Schwebende, der schon den »Fibel« und den »Dr. Katzenberger« geschaffen hatte. Noch im »Titan« waren die einzelnen Personen in gewissem Sinne Typen gewesen, stellten die besondere Art einer Weltanschauung dar. Alle Strömungen der Zeit hatten wir in ihnen erkennen können. Schon im »Dr. Katzenberger« war ein tieferer Vorstoß in das individuelle Leben hinein erfolgt. Diese Menschen, von dem zynischen Arzt selbst an bis zu Theoda und Theudobach, hatten sich um einen Grad weiter von allem Typischen entfernt und sich der Wirklichkeit genähert. Der humoristische Held muß in viel höherem Grade Eigendasein haben als der Held ernster Dichtung. Albano war der Inbegriff des deutschen Jünglings, Marggraf aber ist in erster Linie er selbst, ein eigenartiges Naturspiel, eine sonst nicht wieder vorkommende Mischung. Ernste Helden haben recht oder unrecht, beim humoristischen Helden interessiert etwas anderes als ihr Recht. Die Voraussetzungen seines Seins lassen ihn uns verstehen, aber er selbst lebt mit allem Recht und Unrecht gerade so, wie er ist, und aus sich selbst heraus. Hätte er nicht dieses eigene und besondere Dasein, würde die Dichtung zur Allegorie ausarten. So ist sie humoristische Laune in willkürlicher Mischung. Wohl drückt die Dichtung als Ganzes schließlich eine besondere Seite der Zeit aus, aber in der Art, wie sie sie ausdrückt, ist sie vollkommen freies Spiel willkürlichen waltenden Geistes.

So wird in den Personen allem Typischen aus dem Wege gegangen. Eine ganz neue Art der Menschendarstellung ist hier angewandt. Eine Gestalt wie Schoppe ist zum Beispiel durch ihre Stellung im Gesamtbau des Werkes im allgemeinen bestimmt nach Charakter und Handeln. Er repräsentiert eine ganz genau bestimmte Seite der Menschheit, von der er sich jetzt nicht mehr zu entfernen vermag. Anders Peter Worble. In ihm ist Jean Pauls Menschendarstellung viel näher an die Wirklichkeit, an das individuelle Leben herangetragen. Statt einer festen Achse wie Schoppe hat er deren mehrere, wie die meisten Menschen um mehrere Achsen rotieren. Auch er hat ein stark ausgeprägtes Freiheitsgefühl, aber leibliche Genüsse stehen ihm höher. Er hat eine gewisse Anhänglichkeit an Marggraf, aber dennoch unterstützt er dessen fixe Idee, weil sie ihn belustigt und bereichert. Nie wird er eine Gelegenheit außer acht lassen, die ihm Vorteil verschafft, wenn es ihn keine Mühe kostet. Er ist gutmütig, aber nur soweit es ihm bequem ist. Eines guten Scherzes halber aber scheut er wiederum keine Mühe. Ein Schoppe ohne Rigorismus, ein Flitte, aber ohne dessen Beschränktheit. Man kann ihn nicht auf eine Formel bringen, immer wieder überrascht er. Schon an diesem Charakter wird ersichtlich, wieviel schwieriger die Technik des »Komet« ist als etwa die des »Titan«. Dort ist eine einmal konzipierte Welt auseinanderzurollen, hier muß die Handlung, müssen die einzelnen Charaktere immer wieder Neues zeugen. Es gibt für diese Welt keine typischen Schicksale, wie etwa im »Titan« die Berührung mit der Antike in Rom ein typisches Schicksal war. Hier ist alles auf den jedesmaligen Einfall gestellt.

Dementsprechend sind auch alle andern Charaktere rein individuell gehalten. Weder der Zuchthausprediger Süptitz noch der Hofstallmaler Renovanz sind irgendwie Typen. Auch Libette, die sympathische Schwester, ist auf keine Formel zu bringen. (Sie sollte sich wohl erst im weiteren Verlauf der Handlung entwickeln. Erst gegen Ende des dritten Bandes tritt sie zum erstenmal in den Vordergrund.) Ein ungeheurer Fortschritt in die Wirklichkeit hinein ist also festzustellen. In den humoristischen Dichtungen Jean Pauls ging die Entwicklung der Personendarstellung von Anfang an auf Eroberung neuen Stoffgebietes aus. Wir brauchen uns nur der Personen einer Nebenarbeit wie etwa der »Kirchweih zu Obersees« zu erinnern, um innezuwerden, welche Fülle ganz neuer Gestalten bei Jean Paul zum erstenmal in die Dichtung eintritt. Diese Art, Menschen zu schildern – überhaupt in der humoristischen Dichtung begründet –, hat im »Komet« ihren Höhepunkt erreicht. Wir wissen, daß von jetzt ab das Erfassen von Menschen überhaupt keine Grenzen mehr hat. Es gibt erst von jetzt ab keinen noch so unbedeutenden Charakter, der nicht als interessanter Stoff in die Darstellung eingehen könnte. Erst vom »Dr. Katzenberger« und dem »Komet« ab beginnt das neue Jahrhundert der erwachenden Völker und Volksschichten. Das Tor ist aufgerissen, jetzt erst können alle hineinströmen. In der Renaissance begann das Erwachen des Individuums. Aber wieviel Typisches hing diesem Individuum noch an! Erst jetzt hat es seinen vollen Ausdruck gefunden. Von hier geht die direkte Linie zu Wilhelm Raabe, Fritz Reuter, aber auch zu Gerhart Hauptmann. In Jean Paul hat das ausgestreute Leben in seinen letzten Individualitäten und Spielarten sich zum erstenmal selbst begriffen.

Kein Weltgebäude sollte im »Komet« errichtet werden, in freiem Spiel der Willkür sollte eine Satire der Zeit erstehen. Nicht auf das tiefe, sondern auf das farbige und vielseitige Erfassen des Lebens kam es dem Dichter an. In letzter Freiheit sollten Gestalten durcheinanderwirbeln, keiner gedanklichen Konstruktion untertan. Immer wieder müssen wir den »Titan« gegen den letzten Roman halten. Im »Titan« wurde die Zeit im tiefsten begriffen und an der Wurzel gepackt, im »Komet« sollte nur freier Humor herrschen. Und doch, wie wird auf einmal der letzte Schleier auch hier von den Dingen gezogen! Denken wir an den Schluß des dritten Bandes. Marggraf trifft mit dem Lukasstädter Hof unter den komischsten Voraussetzungen in dem Bildersaal zusammen. Eine Reihe von komischen Mißverständnissen ergibt sich. Aber auf einmal ist die Szene dennoch voller Bedeutsamkeit. Welche Versammlung irrsinniger Vorstellungen platzt hier aufeinander! Der seltsame Raphael, der das Gemälde des Veronese als Kopie seiner Traumbilder empfindet und in wahnsinniger Intuition urplötzlich an Marggrafs heimliches Idealbild, die fast nur geträumte Prinzessin Amanda, rührt. Dieser seltsame Jüngling mit dem zarten Angesicht und dem lodernden Auge, umringt von den Gestalten des Hofs. Dazu der Fürst, der in phantastischer Verblendung nur die Hofetikette verletzt wähnt und auf standesgemäße Haltung drängt. Das irrsinnige Wechselgespräch zwischen Marggraf und der Prinzessin. Dazwischen der aufgeregte Worble. Und dann, als sie hinaustreten, die Begegnung mit dem Urbild phantastischer Verstiegenheit: dem seltsamen Ledermenschen, der alles Menschliche in Konflikt stellt mit der teuflischen Tiernatur der Schöpfung. Ursprünglich sollte diese Kainsgestalt nur die entfesselte Phantasiekraft auf ihrem Gipfelpunkt darstellen. Aber auf einmal wird in ihr an die Grenzen der Schöpfung überhaupt gerührt. Eine ganz fremde und neue Welt bricht ein. Was auch bis dahin an Verstiegenheiten dargeboten wurde, alles vollzog sich doch noch immer unter der Anerkennung des Menschlichen, wenn auch sonst alle Grenzen ins Schwanken geraten sein mochten. Nun aber auf einmal tritt einer auf, der mit höhnischer, schmerzhafter Grimasse das Teuflische als Urgrund aller Dinge in die Diskussion stellt. Wir fühlen: was auch noch kommen mag, und wenn auch dieser Wahnsinnige untergehen oder geheilt werden sollte – diese furchtbare Perspektive wird von jetzt ab immer hinter der menschlichen Komödie stehen, die hier aufgerollt ist. Hier ist ein Blick in die letzten Abgründe geworfen. Erst jetzt ist dieses Leben mit allen seinen Formen und Einfällen gegen das Grenzenlose selbst abgegrenzt.

Konnte es gegen diese Szene noch ein Darüberhinaus geben? Wir wissen, daß es in erster Linie der Tod des Sohnes war, der Jean Pauls Schaffenskraft derart zerrüttete, daß er die Weiterarbeit an dem »Komet« aufgab. Aber als Max Richter starb, hatte Jean Paul den dritten Band bereits begonnen und führte ihn dem einmal gefaßten Plan entsprechend zu Ende. Als er diesen Schluß mit der grausigen Szene vor dem Kamin des »Römischen Hofes« schrieb, war es ihm bereits klar, daß er den Roman nicht weiter fortführen würde. Daher mag er die Darstellung zur höchsten erreichbaren Höhe emporgerissen haben, um sie mit diesem starken fragenden Ton abzuschließen. Wie er einst dem Schluß der »Unsichtbaren Loge« die nicht mehr auflösbare Katastrophe anhängte. Vielleicht fragen wir vergebens nach dem Endzweck dieser magischen Unterredung mit Kain. Wahrscheinlich preßte Jean Paul in diesen Schluß alles zusammen, was er überhaupt noch geben wollte, wissend, daß die Darstellung hier ein für allemal abriß und zu Ende war, und daß er nichts mehr darüber hinaus geben konnte noch wollte.

Wir wiesen darauf hin, daß der »Komet« nur ein Teil dessen ist, was Jean Paul als sein letztes komisches Werk herausstellen wollte. Nachdem er den Plan des »Papierdrachen« aufgegeben hatte, nahm er sich vor, wenigstens den Roman nach Art des »Titan« mit allem möglichen humoristischen Beiwerk zu behängen. Einige »Ernste Ausschweife« hatte er dem ersten Bändchen angehängt, die zwanzig Kapitel der folgenden beiden Bände sollten jedes seine »Enklave« erhalten. Aber auch hierzu kam es nicht mehr. »Aber Verschieben und Verdicken des Buches zugleich – und manches Traurige sonst – verhindern mehr als drei zu geben«, heißt es in der »Entschuldigung« des Anhangs. Aber es gab eigentlich auch nur zwei Enklaven. Beide knüpfen noch einmal an eine lange zurückliegende Schaffensperiode Jean Pauls an. Die erste gibt einige Ausführungen über die Person des Zuchthauspredigers Süptitz, der hier ähnlich wie der selige Rektor Freudel in seinem »Klaglibell« mit der Tücke des Objekts ringt. Die zweite Enklave ist »Des Kandidaten Richter Leichenrede auf die Jubelmagd Regina Tanzberger in Lukasstadt«. Mit dieser Leichenrede nimmt Jean Paul von seiner Menschendarstellung Abschied. Noch einmal wird er hier zum Anwalt der Armen, begreift wie in der Leichenrede beim Begräbnis des armen, erfrorenen Invaliden und Bettlers Saus in der »Kirchweih zu Obersees« das Leben einer armen und unscheinbaren Person und legt um ihr Haupt den Kranz des Leidens und der Hoffnungslosigkeit. So schließt sich der Ring. Der »Armenadvokat«, als der Jean Paul in die Dichtung eintrat, behält das letzte Wort. Unter allen Großtaten, die er verrichtete, rann unaufhörlich der Strom der Liebe zu den Armen und Vertriebenen. Mochte er alle Welten des Geistes durchwandert haben, bis zum Schluß blieb sein Herz den Erschütterungen des bloßen Daseins und dem Schrei der Kreatur offen. Wie ein heiliges Wahrzeichen steht die Leichenrede für die Magd Regina Tanzberger am Ende dieses gewaltigen Torsos »Der Komet«.

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