Biographische Einleitung

Seit 1891 des Dichters Sohn, Victor v. Scheffel, aus dem literarischen Nachlaß des Vaters den Band »Gedichte von Josephine Scheffel« herausgegeben hat, ist für jedermann klargestellt, daß diese deutsche Frau von Natur eine echte Dichterin war, deren Herzensfrische, deren Heimatsinn, deren Vaterlandsliebe, Freiheitsbegeisterung und Humor in der Poesie ihres Sohnes eine Wiedergeburt im Elemente abgeklärter, aus männlichem Kraftbewußtsein entsprossener Kunst erlebte, während sie selbst eine Dilettantin blieb. Hervorzuheben ist, daß sie sich auch in der Zeit ihres öffentlichen Auftretens als Dichterin darauf beschränkte, die Muse ihres gastlichen Hauses oder einer Gemeinschaft zu sein, zu der sie als Frau ihres Mannes gehörte. Als am 1. Febr. 1839 zu Offenburg das »Erinnerungsfest der Großherzoglich Badischen Landwehrbataillone und freiwilligen Jäger zu Pferde« unter dem Protektorate des Großherzogs Leopold und der persönlichen Teilnahme des Markgrafen Wilhelm gefeiert wurde, befand sich unter den zum Vortrag gelangenden Festliedern eines von Frau Major Scheffel (»Kennt ihr den Strom? Ein Silberstreif dem Blicke, Bewacht er treu dies gottgeliebte Land etc.«), und in der Festschrift des Offenburger Gymnasialdirektors Franz Weißgerber fand sich das Gedicht an erster Stelle abgedruckt, ohne Nennung ihres Namens zwar, aber mit der Bemerkung: »Dieses schöne Dichtwerk verdanken wir, dem Vernehmen nach, der Gemahlin des Majors Sch., eines der tapfersten vormaligen Landwehroffiziere. Ehre den Frauen, die so edle Gefühle für Freiheit und Vaterland in ihrer Brust beherbergen und in so wunderlieblichen Klängen sie kundzugeben durch der Götter Huld berufen sind. Der Ref.« (Vgl. Obser, Denkwürdigkeiten des Markgrafen Wilhelm von Baden, Bd. 1. 1906.) Wie damals trat die Frau Major, auch auf Wunsch ihres Mannes oder seiner Freunde, noch öfter als Festdichterin auf, so bei Eröffnung der Schiffsbrücke, die das Karlsruher Rheinufer mit der pfälzischen Maximiliansau verband, bei der Probefahrt auf der Eisenbahn von Offenburg nach Freiburg, bei der Silbernen Hochzeit des Fürsten Karl Egon von Fürstenberg und seiner Gemahlin Amalie, einer geborenen Prinzessin von Baden, in Donaueschingen. Solche und ähnliche Gelegenheitsgedichte der Frau Major, wie dasjenige »zur Feier der Wiedergenesung S. K. Hoheit des Prinzen und Markgrafen Friedrich von Baden« (des späteren Großherzogs Friedrich) im März 1843, eine Ode an Karl Friedrich zur Denkmalsenthüllung 1844, erschienen als Einzeldrucke. Der Erlös war stets zu wohltätigen Zwecken bestimmt.

Ihre »Veteranengedichte« lassen uns erkennen, wie sie aus ihren ganz persönlichen Verhältnissen dazu gelangte, in die politische Lyrik der Epoche 1840–48 einzustimmen, als Karlsruhe mit seiner Ständekammer ein Hauptherd aller auf »deutsche Freiheit und Einheit« gerichteten politischen Bestrebungen war. Es war die Zeit, da die badischen Volksvertreter v. Rotteck, v. Itzstein, Karl Welcker, Karl Mittermaier, Bassermann, Mathy, die Württemberger Albert Schott, Uhland, Römer, Tafel, Paul Pfizer, die Hessen Heinrich v. Gagern, Jaup u. a. im Einklang mit sächsischen und preußischen Liberalen den Kampf um Preßfreiheit, Versammlungsfreiheit, Wahlfreiheit, Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Justiz in ihren engeren Heimatländern mit der großen Forderung eines deutschen Parlaments am Sitz des Bundestags, in Frankfurt a. M., in Einklang brachten, jene Zeit, da der schwäbische Dichter Georg Herwegh im Königsschloß zu Berlin vor dem neuen König Friedrich Wilhelm IV. Schillers Posaideal zu verwirklichen suchte, in der Beckers Rheinlied an Volkstümlichkeit wetteiferte mit dem 1842 auf Helgoland entstandenen »Deutschland, Deutschland über alles« Hoffmanns von Fallersleben. Frau Josephine Scheffel hatte ja schon 1839 ein »Rheinlied« gesungen; nun wandte sie sich an den Kölner Niclas Becker mit einem andern: ehe vom »freien deutschen« Rhein mit Recht gesungen werden dürfe, müßten die deutschen Fürsten und Völker selber erst frei und deutsch gesinnt sein, war der führende Gedanke darin. Der Schluß aber lautete:

»So wird's erreicht! Und wenn in künft'gen Tagen
Das stolze Frankreich unsern Rhein begehrt,
Wir werden es mit Lächeln dann ertragen,
Dann ohne Lieder und die Hand am Schwert!«

In dieser Tonart hat die Frau Major u. a. auch den »Geisterruf« aus dem Straßburger Münster gedichtet; nie aber ließ sie sich in ihrer patriotischen Lyrik zu Schmähungen gegen die Franzosen hinreißen. Besaß sie doch in Paris Verwandte; zwei Geschwister. Stolz hatten sich dort mit Franzosen verheiratet, und von der Straßburger Pension her pflegte sie eine innige Freundschaft mit Pauline Piccard, die an den Großindustriellen Goldenberg in Saverne (Zabern) im Elsaß verheiratet war. Aus den Zeiten der Grenzregulierung bestand auch dauernde Freundschaft zwischen Scheffels und den damaligen Kommissären Graf von Guilleminot und Immelin. Letzterer Offizier gehörte zu Josephs Paten.

Unter den deutschen Freiheitsdichtern jener denkwürdigen Epoche war seiner Mutter nächst Uhland der Österreicher Anastasius Grün, Graf Anton Auersperg, ganz besonders sympathisch, wohl auch deshalb, weil sein Freisinn sich mit Pietät gegen das historisch Gewordene in Glaubenssachen vertrug. In ihren eignen religiösen Gedichten findet sich diese Pietät mit der Erkenntnis vereinigt, daß die Poesie des früheren Klosterwesens dem Geist der Neuzeit habe erliegen müssen. Die Tragik des Zölibats hat sie verschiedentlich behandelt. Ihre Romanze »Der Kapuziner von Salzburg« läßt einen Jüngling, dem »in Nacht die Liebe sank« und der darum Mönch ward, durch den Zauber der schönen Natur von dem ihn beherrschenden Trübsinn geheilt werden und in einer regen Wirksamkeit für Darbende und Leidende Trost finden. Sie selbst war auf dem Gebiete sozialer Hilfstätigkeit eine Bahnbrecherin; in dem Kanzleirat Bingner, dessen Frau ihr unverwandt war, besaß sie in dieser Richtung einen treuen Freund und Berater. Die Gründung des Elisabethenvereins in Karlsruhe im Jahre 1848 ging von ihr aus.

Reise- und Wanderlust war eine weitere hervorragende Eigenschaft der Dichtermutter. In Zürich lebte ihr in Frau Karoline Meyer-Ott eine Jugendfreundin, die sie öfters mit den Kindern besuchte; der Komponist Ignaz Heim, Dirigent des Züricher Sängervereins »Harmonie« gehörte zur Verwandtschaft; der lockende Anblick der leuchtenden Alpenfirnen ist schon dem Knaben Joseph Scheffel auch aus der Nähe zuteil geworden. Als er neun Jahre alt war, wurde er von den Eltern rheinab von Leopoldshafen bis Bonn mitgenommen, und in einer humoristischen Beschreibung dieser Fahrt, welche die Mutter zum Vorlesen im Freundeskreis niederschrieb, spielt der kleine Schmetterlingsjäger, der stets der erste auf den zu erklimmenden Burgen war, eine muntere Rolle. Ein kleines Gedicht von ihr bekennt, daß sie die Männer um nichts mehr beneide als um das Recht, sich ohne Begleitung in der freien Natur zu ergehen.

Allmählich wurde das Scheffelsche Haus zum Mittelpunkt des geselligen Verkehrs unter den Künstlern Karlsruhes, zu denen zeitweilig die in München ansässigen Maler Moritz v. Schwind, Jean Baptist Kirner und Feodor Dietz gehörten. Es war die Zeit, in der Oberbaurat Hübsch das Neue Akademiegebäude vollendete und jene Maler ihre Aufträge für die »Kunsthalle« ausführten. Von den nächsten Freunden des Hauses seien hier noch der Generalstäbler Klose, dessen Söhne Karl und Wilhelm Josephs früheste Gespielen waren, und der auch als Kupferstecher hervorragende Landschaftsmaler und Galeriedirektor Karl Frommel genannt. Seine Kupferstiche mit Land- und Stadtansichten aus Italien und Süddeutschland genossen damals weite Verbreitung. Von hervorragenden Mitgliedern des Hoftheaters wurde die Heroine Wilhelmine Thöne, als Frau v. Cornberg, eine intime Freundin des Hauses, Frommel und andere Maler brachten gern ihre Mappen mit Skizzen und Studien mit und erzählten von ihren Reisen. Die Kinder Joseph und Marie durften, als sie größer waren, an dieser Geselligkeit teilnehmen. Eine stille Welt für sich hatte der jüngere Bruder Josephs, Karl, der infolge eines Hirndefekts dauernd gelähmt war und im Parterre, unter der besonderen Hut der Großmutter, gewartet vom »treuen Anton«, umhegt von der Liebe seiner Eltern und Geschwister, ein Gartenzimmer bewohnte.

Hoch in Ehren stand im Scheffelschen Hause bei alt und jung der Dichter des badischen Oberlandes, Johann Peter Hebel, der als Direktor des Karlsruher »Lyzeums« im gleichen Jahre starb, in dem Joseph Scheffel zur Welt kam. Major Scheffel las gerne selbst aus den so gemütvollen »Alemannischen Gedichten« vor. Hebels Einfluß verrieten auch die für die Kinder verfaßten humoristischlehrhaften Märchen der Mutter, wie »Strikkrikkel« (vgl. »In der Geißblattlaube«, herausgegeben von A. v. Freydorf) und die kleinen schalkhaften Schwankgedichte in alemannischer oder schwäbischer Mundart, die sie, wie »Die Zopfmilizenbraut«, für die heranwachsende Tochter zum Deklamieren bei festlichen Gelegenheiten verfaßte. Auch dramatische Szenen dichtete sie für die Kinder und ihre Gespielen. 1835 fand die feierliche Enthüllung des Hebel-Denkmals im Karlsruher Schloßgarten statt; das war Josephs bedeutsamstes Erlebnis in seiner ersten Schulzeit.

Der Hebelkultus im Elternhaus, der Künstlerverkehr in demselben, mußten in die Vorliebe Josephs für die ländliche Ahnenheimat früh ein künstlerisches Element bringen. Hebel war aber auch in rein geistiger Beziehung von bedeutsamem Einfluß auf den reichbegabten Knaben, der im Lyzeum, wie das Karlsruher Gymnasium noch genannt ward, »von der untersten bis zur obersten Klasse entweder der Erste oder der Zweite, unbestritten aber immer der Erste war, was seine Fähigkeiten anbelangt.« Als auf Grund der 1818 dem Großherzogtum Baden vom Großherzog Karl Ludwig auf Anraten v. Marschalls verliehenen Verfassung ein Ausgleich der konfessionellen Gegensätze in dem starkvergrößerten Lande erstrebt ward, geschah dies im Geiste der Aufklärung und Parität, und die leitenden Männer dabei waren Heinrich v. Wessenberg, der Verweser des Bistums Konstanz, »die verkörperte Toleranz im römischen Bischofsornat«, und der protestantische »Prälat« Hebel. Die wiedererstarkende kirchliche Reaktion beseitigte leider bald das milde Kirchenregiment Wessenbergs, der den deutschen Kirchengesang und teilweise die deutsche Rede in den Gottesdienst der Katholiken seines Bistums eingeführt hatte, aber der Geist, der von Wessenbergs Beispiel ausging, wirkte noch lange nach in den badischen Landen.

War Hebel der Lieblingsdichter der Eltern Scheffels – im Geiste Wessenbergs hingen sie ihrem Bekenntnis an. Der Religionsunterricht, den Joseph im Lyzeum, das Hebel neu organisiert hatte, erhielt, atmete Wessenbergs Geist. Der Unterricht in den klassischen Sprachen war ein vortrefflicher, und Josephs hervorragendes Sprachtalent fand hier die günstigste Ausbildung. Als er eintrat, stand an der Spitze der Schule Direktor Zandt, doch wurde sehr bald Professor Kaercher sein Nachfolger, der bei der Lektüre der griechischen und lateinischen Klassiker gern auf die Sprachentwicklung hinwies. Im Deutschen war Scheffels Hauptlehrer Hofrat Gockel, ein Mann von frischem heiteren Geiste und aufmunternder Methode. Privater Lerneifer legte den Grund zu Josephs späterem umfassenden literarhistorischen Wissen. Schon als halbwüchsiger Bub zeigte er eine leidenschaftliche Vorliebe für jene alten Volksbücher, die auch auf den jungen Goethe und Heinrich v. Kleist so tief eingewirkt haben. Sein Taschengeld verwendete er oft für den Einkauf solcher Bücher. Als könne die Mutter an dem einen Sohn wettmachen, was die Natur an dem zweiten versäumt hatte, ging sie mit freudigem Anteil auf alle Neigungen ihres Ältesten ein. Nach der Konfirmation bekam er im oberen Stock ein eigenes Zimmer, dessen Fenster nach dem Garten und dem Hardtwald hinausgingen. Unter den Büchern, mit denen die Mutterhand seine kleine Bibliothek ausstattete, werden neben Goethe die großen schwäbischen Dichter Schiller und Uhland mit Hebel den Ehrenplatz geteilt haben. Neben Gustav Schwab und Justinus Kerner fehlte gewiß nicht Mörike. Anast. Grüns »Der letzte Ritter« und »Wiener Spaziergänge«, die Sänger der Wald- und Wanderromantik, Eichendorff, Brentano, Wilhelm Müller schlossen sich gewiß ihnen an. Der »Taugenichts« des ersteren, Brentanos »Lied von eines Studenten Ankunft in Heidelberg«, W. Müllers »Lieder eines reisenden Waldhornisten« erscheinen uns heute wie Vorläufer von Scheffels »Trompeter«. Auch Heines »Buch der Lieder«, Herweghs, Freiligraths und Geibels Jugendlyrik machten früh auf Josephs Gemüt ihren Einfluß geltend und »Des Knaben Wunderhorn« erschloß ihm zugleich den »Jungbrunnen« des deutschen Volkslieds. Neben den Romanen Walter Scotts, die damals in Deutschland so recht in Mode kamen, dürfen wir mit Sicherheit unter den Lieblingsbüchern des Knaben den »Lichtenstein« Wilhelm Hauffs vermuten, des 1827 im blühenden Jünglingsalter jählings dahingeschiedenen Stuttgarter Dichters. Berthold Auerbach, gebürtig aus der Nähe von Oberndorf, gab den 1. Band seiner »Schwarzwälder Dorfgeschichten« 1843 heraus. Als Primaner hat Joseph mit einigen seiner Freunde unter Leitung der Mutter eine Aufführung von Goethes »Götz von Berlichingen« ins Werk gesetzt. Die alte humpenfreudige Ritterromantik gab gleich den ersten Kneipabenden des Freundeskreises eine humoristische Form und Stimmung. König Artus Tafelrunde wurde nachgeahmt. Scheffel, der mit seinem über den Kopf zurückgekämmten langen Blondhaar nach Erscheinung und Wesen damals etwas Mädchenhaftes hatte, war als Königin Ginevra mit Schleier und Stirnband kostümiert. Schon als Primaner fand er übrigens an den Sonntagsausflügen mit Freunden in die Umgebung Karlsruhes mehr Gefallen als an der Geselligkeit im Salon seiner Mutter.

Bei einem so oft prämiierten Schüler, der als Primus omnium vom Gymnasium abging, war es nur natürlich, daß der Vater die Zukunft desselben in einer wissenschaftlichen Laufbahn suchte, und, da er selbst zufrieden war mit dem, was er im badischen Staatsdienst erreicht hatte, schmeichelte es seinem Ehrgeiz, sich eine glänzende Beamtenlaufbahn als Zukunft des Sohnes auszumalen. Joseph aber wollte Maler werden. Der Sinn für die bildende Kunst war vom Vater, der selbst gut zeichnete, auf den Sohn und die Tochter übergegangen – Marie, geboren am 27. Juni 1829, war drei Jahre jünger als Joseph. Beide erhielten im Zeichnen Privatunterricht durch den Tiermaler Rudolf Kuntz, den Sohn des berühmten Karl Kuntz. Das unter Großherzog Leopold damals zu erster Entfaltung gelangende Karlsruher Kunstleben, das einen so lebhaften Widerhall im Elternhaus fand, hatte der Jugend dieses Kreises Anregungen die Fülle gebracht. Auch der zweite der »Klosesbuben«, Wilhelm Klose, wurde Maler und bei Frommels schlug nicht nur der Sohn Otto, sondern auch der Adoptivsohn Karl Lindemann-Frommel dem Vater nach.

Nur dem bestimmten Wunsche des Vaters folgend, wählte der nach so verschiedenen Richtungen begabte Abiturient das Studium der Rechte. Seiner Neigung zur Kunst kam entgegen, daß er der Kunststadt München unter den Universitäten den Vorzug geben durfte. Dorthin zog Joseph im Herbst 1843, und auch im zweiten Semester hat er in Isarathen studiert. Dieses erste Studienjahr in München, in welchem er nicht allein juristische Fachkollegien (bei Arndts, Phillips, v. Moy) besuchte, sondern auch bei dem berühmten Hellenisten Friedrich Thiersch Ästhetik und Kunstgeschichte, bei Prantl Geschichte der griechischen und römischen Philosophie hörte, hat er viel Anregungen erhalten, die ihn in seiner Vorliebe für die bildenden Künste und besonders auch für den romantischen Reiz des Künstlerlebens bestärkten. Noch war in »Isarathen« vieles im Werden, was wir heute als Schöpfung Ludwigs I. bewundern. Peter v. Cornelius war freilich schon dem Rufe Friedrich Wilhelms IV. nach Berlin gefolgt, aber seine Wandgemälde in der Glyptothek, der alten Pinakothek und der Ludwigskirche prangten, wetteifernd mit Schwanthalers Statuen und Reliefwerken, in aller Frische. Noch baute Klenze an der neuen Pinakothek und am Siegestor. Die Beziehungen der Eltern und ihrer Freunde zu den Münchner Malern Schwind, Dietz, Kirner verschafften dem jungen kunstbegeisterten Studenten Zutritt in manch berühmte Künstlerwertstatt. Gerade damals entstand Schwinds Allegorie des Rheins und der Zyklus humoristischer Radierungen zur Verherrlichung der Tabakspfeife und des Bechers. 1844 erhielt er auch den Auftrag, für das Städelsche Kunstinstitut in Frankfurt a. M. den Sängerkrieg auf der Wartburg zu malen.

Ganz der Richtung, die Scheffels Bildungstrieb gleich im ersten Münchener Semester einschlug, entsprach es, daß derjenige Kommilitone, an den er sich hier am innigsten anschloß, kein Studiosus der Rechte, sondern der um mehrere Jahre ältere Mecklenburger Friedrich Eggers aus Rostock war, der sich für die akademische Laufbahn eines Kunsthistorikers vorbereitete; er ward später Professor an der Berliner Kunstakademie und Biograph des großen norddeutschen Bildhauers Rauch, Sie hörten beide bei Thiersch und waren gleich begeistert für das überall sich regende Werden einer neuen deutschen Kunst, der sie jedoch nicht ohne Kritik gegenüberstanden. Die Nachahmung der Antike hatte in der Malerei zum Kultus der »schönen Linie« auf Kosten der Farbe geführt; die Romantik hatte mit ihrer Lust an Symbolik und Allegorie, mit ihrer einseitigen Überschätzung von altdeutscher Kunst und Art die Poesie vielfach der Wirklichkeit entfremdet. »Stilvolle Wiedergabe der natürlichen Erscheinung« hat Eggers später von der modernen Bildhauerkunst gefordert, und schon jetzt fühlte sich Scheffel, eine so starke Vorliebe für die echten Poeten unter den Romantikern und für die alte deutsche Märchen- und Sagenwelt er auch hegte, lebhaft angezogen von dem wieder sich emporringenden künstlerischen Realismus. Schwinds realistisch empfindender und die Märchenwelt als Wirklichkeit darstellender, anmutig stilisierender Humor war ihm besonders sympathisch. Als er nach dem Abschluß des 2. Semesters vor der Heimkehr ins Elternhaus eine Reise ins obere Lechtal machte, nach Füssen, Hohenschwangau, begegneten ihm in dem herrlichen Bergschloß, das der damalige Kronprinz Maximilian hatte neu aufbauen lassen, unter den Fresken aus der deutschen Sage und Geschichte auch solche von Schwind. Das ganze Schloß über den zwei Seen, auf dem historischen Boden, der einst den jungen Konradin von Schwaben von seiner Mutter Abschied nehmen sah vor seiner Fahrt nach Neapel, mit dem herrlichen Blick aufs Gebirge, machte einen tiefen Eindruck auf ihn. »Man möchte wirklich fragen«, schrieb er an Eggers, »ob der Natur oder der Kunst der Preis gebührt, das Meiste zu des Schlosses Schmuck beigetragen zu haben.« Mit Eggers hatte er manche Fahrt ins Gebirg, bis nach Innsbruck hinein, unternommen. An der derbkräftigen Manier, mit der Künstlerhände in den eben in München gegründeten »Fliegenden Blättern« den Holzschnitt benutzten, um in Ernst und Scherz deutsches Volksleben kernig und ungeschminkt wiederzugeben, den romantischen Kultus mit dem mittelalterlichen Rittertum aber in Form der Balladenparodie zu verspotten, hatten beide ihre helle Freude. Das vertrug sich bei ihnen ganz gut, wie ihre Vorliebe für Volkspoesie jeder Art, mit ihrer Begeisterung für die antike Kunst und der Bewunderung für die formale Schönheit der Poesie Platens. In München hatte Graf Platen seine Dichterjugend verbracht, und in der Familie eines seiner Jugendfreunde, des Historikers v., Schlichtegroll, der über Platens Jugend ein Buch geschrieben hat, verkehrten die beiden Studenten. Schlichtegrolls Tochter Julia wurde Joseph Scheffels »Schwarm«, und noch in Heidelberg und Berlin sah er öfter ihr Bild über den Büchern vor sich auftauchen mit schelmischem Lächeln »wie so ein Engelein auf Guido Renis herrlicher Himmelfahrt Mariens«; so schrieb er aus Heidelberg an Eggers.

Dem Studium der Rechtswissenschaft blieb er übrigens nicht dauernd abgeneigt. Wohl hat er später seinen Werner Kirchhof im »Trompeter von Säckingen« mit grimmigem Humor gegen das »römische Recht« eifern lassen, aber er fand auf dem Gebiete seines »öden« Brotstudiums auch Oasen; studierte er doch in einer Zeit, wo die von Jakob Grimm u. a. enthüllten deutschen Rechtsaltertümer in der juristischen Welt allgemeines Interesse erregten. Der ultramontan-romantische Geist, in welchem der greise Görres, einst ein Heerrufer der Vaterlandsliebe vor dem Ausbruch der Freiheitskriege, »Universalgeschichte« und Phillips »Deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte« vortrugen, vermochte ihn freilich dauernd nicht zu fesseln; eine freiere Auffassung bekundete aber Höfler, bei dem er »Geschichte des Mittelalters« hörte. Im Hause des Professors v. Moy, an den er empfohlen war, trat er einem seiner juristischen Mitstudenten, dem Münchener August v. Eisenhart, näher, mit dem er an einer sehr feudalen Tanzstunde im Salon der Ministerswitwe v. Wirschinger teilnahm und im Sommer auf gemeinsamen Ausflügen ins bayrische Oberland sich, wie mit Eggers, innigst für die Dauer seines Lebens befreundete. Das ganze Studium machte ihm im Grunde wenig Mühe; Fleiß lag ihm im Blute. Seine Hauptlehrer in Heidelberg, wo er das dritte und vierte Semester und dann das siebente studierte, waren Vangerow, Roßhirt, Mittermaier und Zöpfl, und in Berlin, wo er sein drittes Studienjahr verbrachte, Puchta, Stahl, Heffter, Homeier und Gneist. In Heidelberg und Berlin trieb er neben dem Jus gleichfalls kunst- und literarhistorische Studien. So hörte er in letzterer Stadt mit seinen Freunden Eggers und Julius Braun neuere Kunstgeschichte bei Waagen und bei dem Shakespeare-Forscher Werder dessen Hauptkolleg, in Heidelberg bei Ruths über Dante und bei Gervinus ein Colleg über die literarischen und sozialen Zustände Deutschlands im 18. Jahrhundert. Privatim trieb er italienisch und las neben Dante auch Tasso und Ariost.

Unersprießliche Mühe bereitete ihm dagegen der Versuch, in der Hegelschen Philosophie Ersatz für den erschütterten Kirchenglauben zu finden, den er schon vergeblich in Ludwig Feuerbachs geistvoller Kritik des Christentums gesucht hatte. Von großer Wirkung auf seine pietätvolle Auffassung des Christentums wie auf sein deutsches Sprach- und Stilgefühl wurde es, daß er in diesen Nöten die Bibel in Martin Luthers Verdeutschung las. Die »deutschkatholische« Bewegung, die um die Mitte der vierziger Jahre in Heidelberg einen Hauptsitz hatte, erregte natürlich sein Interesse; doch konnte er sich ihr ebenso wenig anschließen wie denen, die den im Sommer 1846 gewählten neuen Papst, Pio Nono, als Messias einer freiheitlichen Umgestaltung der katholischen Kirche begrüßten. In Berlin bildeten mit Eggers zwei ihm vom Karlsruher Lyzeum her sehr nahestehende Freunde seinen nächsten Umgang, von denen der eine, Julius Braun, Protestant, der andre, Rudolf Braun, Katholik war. Er durchlebte mit ihnen die Gewissenskämpfe, die bei dem einen mit der Absage an die Theologie zugunsten der Archäologie, bei dem andern schließlich mit dem Eintritt in den Jesuitenorden endeten. Er selbst suchte sein Heil in der persönlichen Freiheit von jedem bindenden Verhältnis in Glaubensfragen. Dem in Heidelberg als dritten Herzensfreund fürs Leben gewonnenen Mitjuristen Karl Schwanitz aus Eisenach, einem Protestanten, schrieb er im Frühling 1846 ein Bekenntnis ins Album, in dem es heißt: »Wie nach dem Verlust des religiösen Glaubens das Sittengesetz noch unveräußerlich fest fortbesteht und auch ohne Glockenklang und Gebet und Kultus aller Art festgehalten werden kann: so auch das, was den Kern jedes studentischen Strebens bilden muh, der Zug nach Wahrheit – nach wahrer Tüchtigkeit in allen Gestalten des Wirkens ... Auf die Übereinstimmung mit der äußeren Welt kommt nichts an, aber in der Übereinstimmung mit uns selbst liegt die Wahrheit unsres Daseins.« (Vgl. »Scheffels Briefe an Schwanitz«, 1906.) Einen festen Halt im Ringen nach einer befriedigenden Weltanschauung boten ihm das ruhige Urteil und harmonische Wesen seines »Mentors« Eggers, der mit ihm wie in München auch in Berlin die Wohnung teilte. Im Verkehr mit diesem setzte er sich auch mit den reaktionären Tendenzen der Romantik in Poesie, Kunst und Staat wie mit den radikalen Tendenzen der Junghegelianer und »Jungdeutschen« im Sinne des organischen Fortschritts auseinander.

Vor dieser Periode innerer Klärung aber ging ihm in Heidelberg, der von Reben- und Waldbergen traut umhegten, von der schönsten Schloßruine der Welt gekrönten, vom Neckar frisch durchrauschten Musenstadt, deren berufenster Verherrlicher er werden sollte, das Burschenleben in seiner ganzen Pracht auf. Im Herbst 1844 war das studentische Leben daselbst von der deutschen Freiheitsbewegung schon mächtig ergriffen. Der letzte siegreiche Vorstoß der Metternichschen Bundestagspolitik gegen das Verfassungsleben in Baden hatte den Hauptführer der nationalen Richtung Karl Welcker um seine Professur in Freiburg i. B. gebracht und er war nach Heidelberg, und damit in die Nähe von Mannheim, übergesiedelt, wo die anderen badischen Führer der Bewegung lebten. Fast das ganze junge Geschlecht, das damals auf deutschen Hochschulen studierte, erwartete von der nächsten Zukunft einen Wandel der deutschen Verhältnisse zur Herstellung eines national geeinten Verfassungslebens in allen deutschen Staaten. Dieser Geist hatte in Heidelberg auch die Korps ergriffen. Die übrige Studentenschaft, voran die burschenschaftlichen Verbindungen, strebte nach Einigung. Es ist erstaunlich, wie viele von den Männern, die seit 1871 am Ausbau der neuen Reichsverfassung mitwirkten, in jenen Jahren vor 1848 als Heidelberger Studenten an jenen Bestrebungen beteiligt waren; Ägidi, Bamberger, Bennigsen, Miquel, der »rote« Becker, der Hamburger Versmann sind Beispiele. Ich verweise auf Kußmauls »Jugenderinnerungen« (1898) und Ed. Dietz' »Die Deutsche Burschenschaft in Heidelberg« (1895).

Diejenige Verbindung, die sich im besondern aus Scheffels Badner Landsleuten rekrutierte, das Korps der Schwaben, befand sich auch in einem Zersetzungsprozeß. Eine Reihe älterer Mitglieder, darunter der später als Professor der Medizin berühmt gewordene Adolf Kußmaul, traten aus und gründeten mit Leuten aus der »Albingia« die »Allemania«, eine Reformverbindung mit burschenschaftlichen Grundsätzen, der sich Scheffel anschloß. Die Kneipe war im »Horn« bei der Neckarbrücke; man paukte in der Hirschgasse; größere Kommerse wurden im Gasthaus zum Weinberg, dem alten »Hirschen«, abgehalten. Als Farben trug man Goldblaugold, Die Hauptmitarbeiter der Kneipzeitung waren neben Scheffel und Kußmaul drei Karlsruher Füchse, Moritz Ellstätter, der spätere badische Finanzminister, Karl Blind, der schon jetzt ein eifriger Anhänger der vom Hofgerichtsadvokaten Gustav v. Struve in Mannheim geschürten revolutionären Richtung in der deutschen Bewegung war, und Ludwig Eichrodt, später als Oberamtsrichter in Lahr Mitarbeiter am Schauenburgschen Kommersbuch, ein jovialer genußfroher Gesell, dessen mit schnell wachsender Meisterschaft geübte Neigung für parodistische Scherzgedichte auf Scheffel überging. Bereits Ende Januar 1845 trat in der »Allemania« eine Spaltung ein. Mehrere der radikalen Richtung angehörende Mitglieder, darunter Blind und Eichrodt, traten aus und bildeten den »Neckarbund«. Ein andrer Teil der ursprünglichen »Allemania«, mit ihm der Tübinger »Germane« Adolf Bonz (der spätere Verleger der Werke Scheffels), nannte sich den »Schloßbund«. Scheffel und der obengenannte Schwanitz arbeiteten die Statuten für eine neue »Allemannia« aus, die aber bald durch Verschmelzung mit der »Palatia« in die »Teutonia« überging, der Scheffel weiter angehörte, als er mit Julius Braun und v. Stetten nach Berlin zog. Alle Heidelberger Reformverbindungen, die radikalen wie die gemäßigten, fanden sich in der »allgemeinen Studentenschaft« zusammen, in dessen Ausschuß Ägidi den Vorsitz führte. Das Streben der Radikalen, unter denen Blind und Miquel hervorragten, ging auf Beseitigung aller Verbindungen, Aufgehen der Studentenschaft in das Bürgertum zum gemeinsamen Kampf gegen die Gewalthaber. Scheffel fand ein Genüge, für die Wiederherstellung der alten langverpönten schwarzrotgoldenen Burschenschaft zu kämpfen, und sein Ideal war neben dem patriotischen Ziel ein rein studentisches Verbindungsleben mit wissenschaftlichen Kränzchen, Pflege der Wehrhaftigkeit der Mitglieder durch Turnen, Turnfahrten, Fechten, Schwimmen, und zum Genuß jenes freien »Burschenlebens«, das Wilhelm Hauff, der Tübinger »Germane«, in seinen »Phantasien aus dem Bremer Ratskeller« so schwungvoll gepriesen hat. Auch in der Berliner »Germania« drang er auf Durchführung dieser Prinzipien, und als er bei der Rückkehr nach Heidelberg die »Teutonen« ihnen abgeneigt fand, bildete er mit seinen Anhängern und einigen »alten Häusern« auswärtiger Burschenschaften die »Franconia«, für die er am Schluß seines siebenten Semesters den bekannten »Schwanengesang« anstimmte, ehe er nach Karlsruhe zog, um sich dort fürs Examen vorzubereiten. Die »Frankonen« trugen braune Mützen mit Goldstreifen, über der Brust aber schon heimlich das noch immer verpönte schwarzrotgoldene Band. Sie kneipten in der »Stadt Düsseldorf«. Treue Gesinnungsgenossen als Burschenschafter hatte Scheffel in Schwanitz, der bei den »Teutonen« in Jena Sprecher ward, in seinen engeren Landsleuten Leo v. Stetten, E. Kamm und Lepique, dem Schlesier Rahn, dem Hamburger Eberstein, dem Sachsen Elsner.

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