Biographische Einleitung

In den vier Jahren seines eigentlichen Studiums wurde Scheffel aus einem fast schüchternen, braven Muttersohn ein flotter und forscher Bruder Studio. Über sein Wesen in der ersten »Allemannia« hat Kußmaul berichtet: »Kein Mensch konnte ahnen, daß in Gestalt des blonden, bescheidenen und heiteren, fast mädchenhaft dreinschauenden tud. jur. Joseph Scheffel ein Prinz aus Genieland bei den Allemannen eingekehrt war. Die Gedichte, womit er die Kneipzeitung bedachte, dufteten noch allzustark nach der Karlsruher Schullampe.« Auch die vielstrophigen lyrischen Ergüsse, die uns Kußmaul und Schwanitz aus seiner Feder erhalten haben und die beide das Auseinandergehen der Freunde nach genußreichen Zeiten froher Gemeinschaft beklagen, haben keinen Kunstwert; doch ist es bezeichnend, daß er schon hier das Thema »Zum Schlusse kommt das Voneinandergehn« anschlug. Auf einen gleichen, mehr ans Volkslied anklingenden Ton sind die zärtlichen Gedichte gestimmt, die er an Eggers nach der ersten Trennung richtete. Gleich zu seiner vollen Eigenart entpuppte der Dichter in Scheffel sich aber nach dem in Berlin hinter den Büchern verbrachten Sommersemester 1846 auf einer größeren Ferienreise, die ihn nach der Eisenbahnfahrt bis Stettin meist auf einsamer Fußwanderung mit Ränzel und Stab an die Ostsee, auf die Insel Rügen, in die Wesergegend und den Harz, durch den Thüringer Wald auf die Wartburg brachte, auf der er damals schon ganz heimisch wurde; eine Woche lang blieb er zu Eisenach Gast im Elternhaus seines Schwanitz. Auf dieser langen »Burschenfahrt« begleitete ihn sein Skizzenbuch, wie schon vorher auf ähnlichen Fahrten durch Lechtal und Algäu zum Bodensee, durch Odenwald und Schwarzwald, Rheinpfalz und Rheingau, Hardtwald und Vogesen mit ihren alten Burgen und Klöstern und auf der Reise nach Berlin, als er mit Julius Braun und v. Stetten von Nürnberg aus über Bamberg Oberfranken und das Saaletal bis Jena, ein echter »fahrender Schüler«, durchwandert hatte. Und wie er damals bei Jena die Kunitzburg, bei Kösen die Rudelsburg u. s. w. skizziert hatte, so zeichnete er jetzt Hünengräber und Fischerhütten auf der Insel Rügen, die Reste der Kaiserpfalz auf dem Kyffhäuser u. s. w., und während des Zeichnens und Wanderns auf immer neuen Pfaden, während des behaglichen Rastens bei freundlichen Wirten überkam ihn die Stimmung zum Dichten. Die »Lieder eines fahrenden Schülers«, von denen ein Teil in den Jahrgängen 1847 und 1848 der »Fliegenden Blätter« erschienen ist, freilich ohne seinen Namen und nur zur Hälfte mit J. S. unterzeichnet, sind der poetische Niederschlag jener Wanderfahrt (s. »Nachgelassene Dichtungen«).

Der lyrische Ausdruck der Wanderlust ist gewiß eines der ältesten und beliebtesten Motive der deutschen Volkspoesie, und Eichendorff, Justinus Kerner, Emanuel Geibel haben vor Scheffel ihrem romantischen Reiz hinreißend schönen, kunstvollen Ausdruck verliehen. Aber Scheffel hat es später allerdings in ganz einziger Weise verstanden, der Lust am Wandern in wiederum neuer, ihm aus der Seele kommender Weise klingende Sprache zu geben, wobei er ihr das reizvolle Element anschaulicher Landschaftsschilderung ganz bestimmten Charakters zuführte. Von jenen »Bummelliedern« des Studenten zeigen einige schon den Keim hierzu. So tritt in »Verständigung mit dem Wirt« die durchstreifte Landschaft auf Rügen deutlich hervor, und die Kreidefelsen der Insel liefern das Motiv für einen witzigen Einfall, welcher der Größe des Studentendurstes einen riesenhaften Ausdruck verleiht. Auch der »grüne Hügel Dubberworth« am Meeresstrand, dessen Hünengrab dem fahrenden Schüler zur Lagerstatt wird, bis der Geist des Hünen dem »erklaffenden« Grabe entsteigt, wird anmutend veranschaulicht, ehe das Gespräch zwischen dem Schüler und dem Geist über die Zustände im Vaterland sich entfaltet, das letzteren veranlaßt, sich schleunigst ins Grab zurückzubegeben. Ein besonders frisches Lied stellt der weltflüchtigen Askese die Freude an Gottes schöner Welt gegenüber. Einem »unterm Fenster« liegenden Pfarrherrn ruft der Fahrende zu: »Ich bin kein Heid'« –

»Jedoch nicht in der Kirch' allein
Erkenn' ich Gottes Haus.
Mir ist's, so weit der Himmelsdom
Seine Wölbung breitet aus;
Allüberall, wo sich das Herz
In freud'ger Regung schwingt,
Allüberall, wo in der Luft
Ein frisches Lied erklingt.«

Was ihm die Hegelsche Philosophie mit ihren schwer verständlichen Abstraktionen nicht hatte bieten können, die ersehnte Harmonie zwischen sich und der äußeren Welt, das fand er im Genuß der landschaftlich schönen Natur. Auch in die politische Stimmungswelt des idealgestimmten Burschenschafters gewähren einige der Lieder Einblick. Zu Pfingsten 1846 war auf dem Kyffhäuser ein deutscher Burschentag abgehalten worden. Auf der Heimreise von der Wartburg hatte Scheffel ferner in Frankfurt a. M. Halt gemacht und im Kaisersaal des Römers die neuen Kaiserbilder besichtigt; die Germanisten, mit Uhland und Jakob Grimm an der Spitze, hatten gerade in Frankfurt getagt und aus Uhlands Mund war hier das prophetische Wort, das ein neues deutsches Reich heraufbeschwor, hinaus in die deutschen Lande geklungen. Unter solchen Einflüssen entstand Scheffels Gedicht »Frommer Wunsch«. Es erzählt von seinem Besuch auf dem Kyffhäuser. Wie sehnlich er dort nach dem schlafenden Kaiser gerufen habe, er sei stumm geblieben. Da wünscht er sich »ein Wunderhorn«, um den Schlafenden und alle die Schläfer im Reich aufzuschrecken.

»Und wären sie versammelt all,
Die Schläfer ringsumher,
Dann wollt' ich, daß ich Flügel hätt'
Und eine Lerche wär'.
Dann flög' mit schmetterndem Gesang
Dem Zuge ich voran
Und kündete dem Vaterland
Des Tags Erwachen an!«

Er war mit solcher Lyrik ein Epigone Uhlands, Rückerts, Heines und – seiner Mutter; was den Liedern des Einundzwanzigjährigen aber Frische gab, war, daß sich in ihnen das persönliche Erleben eines Studenten, der beim Dichten wirklich ein fahrender Schüler war, fröhlich und ungezwungen aussprach. Was seiner Mutter unerfüllbarer Wunsch hatte bleiben müssen, der Genuß ungestörten Wanderns in der freien Natur, wurde jetzt sogleich das Grundelement in ihres Sohnes Jugendpoesie! Als Landschaftsmaler und Dichter zugleich die schöne Welt zu durchziehen, dieses Ideal hatte im Sommer vorher sein Bekanntwerden mit Adalbert Stifters »Studien« wachgerufen. Eine Ferienwanderung durch Schwaben an der Seite des Vaters, mit dem er in Weinsberg Justinus Kerner besuchte, hatte ihm dessen Lied von der »wandernden Welt« (»Wohlauf noch getrunken den funkelnden Wein!«) ganz besonders in die Seele geprägt.

Wir müssen hier aber auch des Einflusses gedenken, den in Berlin auf Scheffel sein schon wiederholt genannter Jugendfreund Julius Braun ausgeübt hat. Der »Lange« überragte damals an poetischem Talent alle, die seinen Umgang bildeten. Er hatte in Heidelberg eifriger Burschenschafter einen politisch-satirischen Märchenzyklus entworfen; im Schoße des Kyffhäusers werden die Märchen dem erwachten Barbarossa von den dort seine Hilfe Suchenden erzählt. Scheffel erlebte nicht nur die Vollendung dieser Dichtung seines Freundes, sondern auch ihren Druck in Lewalds »Europa« und das glänzende »Frühstück«, das »der Lange« den Freunden nach dem Eintreffen des Honorars zum besten gab. Dieser hatte sich inzwischen, durch Goethes Aussprüche über die Mission der »Weltliteratur« angeregt, dem Studium der poetischen Meisterwerke der verschiedenen Kulturvölker nach bestimmtem Plane zugewandt und war dabei auf Hafis geraten, von dessen Poesie eben Friedrich Daumer seine schöne Auswahl in guter Verdeutschung hatte erscheinen lassen. Durch Braun, mit dem Scheffel damals gleichzeitig auch Goethe und Shakespeare las und sich von Heine und Börne vielfach anregen ließ, wurde nun dieser noch in Berlin mit der weltfrohen Poesie des Persers bekannt, über den er im November 1847 aus seiner grünen Stube im Elternhaus an Schwanitz schrieb: »Wenn Du einmal wieder einen recht frischen Ton, wie von Pokalanstoßen und Sang und Klang, in Dir ertönen lassen willst, so nimm die Lieder dieses Biedermannes zur Hand, der schon vor fünfhundert Jahren so vernünftig war, Dogmatik und Askese mit der Weintaberne und dem Kultus des Schönen zu vertauschen.«

Die neuere Goethe-Forschung in bezug auf die Entstehung des »Westöstlichen Diwan« hat nachgewiesen, wie auf Goethe in der Epoche der Freiheitskriege die Bekanntschaft mit Hafis in Hammer-Purgstalls Übersetzung eine befreiende und verjüngende Wirkung ausgeübt hat, die sich nicht nur im »Buch Suleika« und im »Schenkenbuch« des Diwan mit seinem Preis von Liebe und Wein, sondern auch bis in die erst neuerdings bekannt gewordenen Fragmente der Reformationskantate verfolgen läßt, worin es wie des Parsen Wort klingt: »Wenn wir in das Freie schreiten, Auf den Höhen da ist der Gott.« (Vgl. K. Burdach in Band 5 der Cottaschen Jubiläumsausgabe von Goethes Werken und v. d. Hellen in den Anmerkungen zu »Wilhelm Tischbeins Idyllen« im 2. Band dieser Goethe-Ausgabe.) Bei einem Studenten wie Scheffel mußte natürlich die Begeisterung für Hafis am stärksten die in Goethes »Schenkenbuch« klingenden Saiten zum Schwingen bringen. Aber die oben zitierte Strophe aus des fahrenden Schülers Lied »Entschuldigung« spricht in naiver Weise den Gedanken des Gottsuchers aus. Der fahrende Schüler Scheffel dichtete auch ein Lied von einem Einsiedelmann, der auf waldiger Höhe Gott verehrt, dabei aber (ein Vorläufer des Einsiedelmanns im späteren Lied vom Staffelstein) über einen guten Weinkeller verfügt. »Gott will, sprach er, daß jeder sich Des Lebens soll erfreun, Drum ließ er uns den Lenz erstehn, Drum schuf er uns den Wein.« Dem großen Sonnenanbeter des Ostens, in dessen Poesie sich mit leuchtendem Lokalkolorit die Gartenwelt von Schiras spiegelt, direkt nachzuahmen, wie dies etwas später mit großem Glück Friedrich Bodenstedt in den »Liedern des Mirza Schaffy« tat, reizte unsern wanderfrohen Burschenschafter nicht. Es blieb bei ein paar schwachen Versuchen. Dagegen entstand unter der Einwirkung seiner Begeisterung für Hafis das erste der lyrisch-humoristischen Meisterwerke Scheffels, die ihm der Genius Loci Heidelbergs eingab, das Lied vom Zwerg Perkeo »im Heidelberger Schloß, An Wuchse klein und winzig, an Durste riesengroß«. Der fidele Geist, der in der Karlsruher Kandidatenkolonie herrschte, die sich im Sommer 1847 zum Falstaff-Klub kristallisierte, in dem sich Julius Braun, Scheffel, Kamm, Lepique, v. Stetten, Max und Franz Wirth, Heinr. Goll im »Prinz Karl« nach dem Muster der lustigen Tafelrunde des Prinzen Heinz in Shakespeares »Heinrich IV.« in »allen Humoren« ergingen, hat auch seinen Anteil an dem tragikomischen Zecherheldentum des Zwergs Perkeo gehabt, wie es Scheffel noch in diesem Jahre samt dem Worte »feuchtfröhlich« schuf. Heinrich Goll, der »Sir John Falstaff« des Kreises, der später das alemannische Dialektstück »Vrenele« schrieb, war ein fideles Kneipgenie, das sich damals auch in hafisischer Dichtung erging. Scheffel, sein Liebling, hieß wegen seiner Neigung zum Zitieren von Dichterstellen »Fähnrich Pistol« oder kurz »der Fähnrich«.

Mit »Perkeo« aber spielte Scheffels poetische Eigenart bewußt oder unbewußt einen Trumpf gegen zwei andere junge Dichter aus, die unter seinen Heidelberger Freunden jetzt von sich reden machten. Im Winter 1847/48 studierte sein Münchner Freund Eisenhart in Heidelberg mit andern »Neuathenern«, wie Otto v. Völderndorff, während im nahen Speyer deren Freund Oskar v. Redwitz, der schon Rechtspraktikant, an seiner »Amaranth« dichtete. Die Lieder, die Redwitz in diesen überspannt romantischen Rittersang verschmolz, wie »Es muß ein Wunderbares sein«, kannte der für sie begeisterte Völderndorff alle auswendig; und als Redwitz mit seiner Dichtung fertig war, kam er nach Heidelberg herüber und las den Freunden dieselbe vor. (Vgl. v. Völderndorff, Harmlose Plaudereien eines alten Münchners, 1892.) Bei den »Teutonen« aber, die den »Frankonen« so nahe standen, war um Ostern 1847 Otto Roquette aktiv geworden, ein auch musikalisch hochbegabter junger Poet aus der Brandenburger Mark. Roquette, Abkömmling einer zur Berliner französischen Kolonie zählenden Emigrantenfamilie, hatte sich in Bérangers Liederwelt mit Erfolg eingelebt. An dessen und Geibels Vorbild sich haltend, schuf er schon damals eine Reihe der schwungvollen Wanderlieder, die er ein paar Jahr später mit dem »Rhein-, Wein- und Wandermärchen« »Waldmeisters Brautfahrt« verschmolz. Lieder von ähnlichem Schwung und Klang wie Roquettes »Noch ist die blühende goldene Zeit«, »Ihr Wandervögel in der Luft« hatte Scheffel in seinen viel unreiferen »Liedern eines fahrenden Schülers« nicht aufzuweisen. Aber wo in Roquettes Liedern von Zechlust die Rede war, kam von dem, was die Studenten auf der Kneipe wirklich ergötzt, nichts zum Ausdruck, und seinen Wanderliedern fehlte, wie auch der Wanderpoesie der teilweis im Schwarzwald spielenden Dichtung von Redwitz, die lokale Gegenständlichkeit, mit der jetzt Scheffel den Zwerg Perkeo zum Helden echten Zechhumors zu machen unternahm. Auch zu seinem Freunde Eggers, der nunmehr bei dem Berliner Kunsthistoriker Kugler Anschluß gefunden hatte und auch schon als Kunstkritiker tätig war, fühlte sich Scheffel mit seiner Forderung, daß echte Poesie im Geiste des Hafis oder des Anakreon ebenso im Goetheschen Sinn »erlebt« sein müsse wie echte Liebeslyrik, in einem gewissen Gegensatz. Eggers, der jetzt als Dichter in Anakreon, dem Hafis der alten Griechen, sein Vorbild verehrte, war in die Berliner Dichtergesellschaft »Tunnel über der Spree« aufgenommen worden und hatte dort den Namen »Anakreon« erhalten. Das forderte Scheffels Kritik heraus.

Sein »Perkeo« war aus einem Erlebnis, aus einem Reiseerlebnis, erwachsen. Im September hatte er Alt-Heidelberg, wohin er öfter zum Besuche seiner Frankonen und Eisenharts fuhr, in der Stimmung eines Reisenden wiedergesehen. Er schrieb darüber an Schwanitz etwas später aus Karlsruhe: »Im September benützte ich die Durchreise eines Münchener Hofrats von Schlichtegroll, in dessen Hause ich in München sehr freundlich aufgenommen war, und der nun mit seinen Töchtern eine Rheinreise machte, mich ihm als Mentor für Heidelberg und umliegende Dörfer anzubieten, und brachte ein paar Tage auf dem alten klassischen Boden zu; des Tags über ging ich mit ihnen herum und abends fand ich auf der Frankonenkneipe, die sich unterdessen recht flott gemacht hatte, eine alte Garde von Leuten ... an mancherlei Ulk hat's auch nicht gefehlt ...« Natürlich hat er mit seinen Gästen im Heidelberger Schloß auch den Keller besucht, wo dem leeren Riesenfaß gegenüber das hölzerne Standbild des winzigen Hofnarren des Pfalzgrafen Karl Philipp steht. So war er selber der »Kellergruft« Perkeos des Morgens »als frommer Pilger« genaht und in der folgenden Nacht erging es ihm gleichfalls der Schlußstrophe des Liedes gemäß.

Dieses Wiedersehen mit Julie v. Schlichtegroll in Heidelberg hat aber dem jungen Dichter auch die Klage »Das ist im Leben häßlich eingerichtet, daß bei den Rosen gleich die Dornen stehn« entlockt. v. Völderndorff hat in den oben genannten Memoiren erzählt, Scheffel habe ihm und Eisenhart während des Wintersemesters 1847/48 in Heidelberg schon ein Lied dieses Anfangs vorgetragen. Das stimmt mit der folgenden Beichte, die Scheffel Mitte Oktober seinem intimsten Freund, Eggers, abstattete: »Du wirst Dich erinnern, daß mir in der letzten Zeit in München die schöne kleine Julie Schlichtegroll merklich gefallen hat, und das kleine Engelsköpfchen hat mich in der Erinnerung durch allen Saus und Braus des Studentenlebens begleitet und mehrfach in meinen Herzkammern herumgespukt. In der Brachzeit des Kandidatenlebens, wo man oft Veranlassung hat, über Kompendien und Heften noch an dies und das zu denken, ist mir's auch oft in den Sinn gekommen – ich habe auch meinen Eltern schon davon gesprochen. Wie ich nun am 2. September (NB. In meinem Notizbuch steht unter diesem Datum: ›Heut hab' ich Giulietta, wiedergesehen – Herz krach und brich nicht!‹) gerade über meinem Landrecht sitze, erhalte ich ein paar Zeilen, Hr. v. Schl. mit seinen zwei Töchtern sei hier. Ich gehe gleich hin, war freundlich empfangen und die kleine Julia war unterdeß gar stattlich aufgeblüht, ohne daß sich aber das Zarte, Mignonartige in ihrem Wesen verwischt hatte. Ich zog mit ihnen in der Kunsthalle herum – führte sie alsbald im elterlichen Hause ein und veranlaßte sie, einen Tag länger hier zu bleiben, – während welcher Zeit ich natürlich Aug und Herz nur an einen Fleck gerichtet hatte. Dann gingen sie nach Baden und von da nach Heidelberg. Ich bat um Erlaubnis, sie nach Heidelberg begleiten zu dürfen, um in meiner alten Musenstadt als Mentor zu dienen. Dies ward angenommen, und ich verlebte vier Tage mit ihnen in Heidelberg, die ich nie vergessen werde! Es war wahrhaftig viel Poesie darin, an Juliens Seite an all den prachtvollen Orten auf dem Schloß und in den Bergen, wie an den Neckarufern herumzustreifen – und Zeuge ihrer naiv anmutigen Freude über all das Schöne, das ihr, die noch nie aus München weggekommen war, doppelt schön schien, zu sein. Ich schmeichelte mir, als Staffage in der Heidelberger Landschaft in ihrer Erinnerung auch nicht ganz vergessen zu werden; – aber als schüchterner Bursche war mir's genug, in ihrer Nähe zu sein, und ich sprach über das punctum saliens, was mich mit ihnen nach Heidelberg geführt hatte, kein Wort. Der alte Schlichtegroll schien auch nicht übel mit mir zufrieden, wenigstens umarmte er mich väterlich beim Abschied.

»Nach freundlicher Trennung reisten sie nach Köln, ich zu meinem Landrecht zurück nach Hause. Daß das Engelsköpfchen itzt erst recht in mir zu spuken anfing, kannst Du Dir denken; meinen Eltern, mit denen ich ganz offen darüber sprach, hatte Julia auch sehr gut gefallen, und ich redete schon mit meinem Vater darüber, daß er, wenn ich, sein Sohn, dermaleinst, was man so nennt, eine Existenz, d. h. eine sichere sociale Stellung hätte, er mit Hut und Frack nach München reisen und für mich werben solle. Nun sind kaum vier Wochen seitdem verflossen, da kommt die Nachricht, daß während der Reise der Tochter mit ihrem Vater ein Biedermann, der schon eine solide Stellung hat, ein Rath St..., ein alter Hausfreund ..., bei der Mutter, die in München geblieben war, um die kleine Julie angehalten und sie ihm ihre Hand zugesagt und daß die Geschichte itzt schon im Reinen ist. Das arme 17jährige Kind wird natürlich den Vorstellungen der Alten wenig eigenen Willen entgegensetzen, und da ist eben das End vom Lied eine solide bürgerliche Heirat. Hätte ich in Heidelberg oder hier nur ein Wort gesprochen, so wäre es vielleicht ganz anders! – Ich war wie vom Donner gerührt; es soll itzt das Engelsköpfchen für mich nichts weiter als ein Traum sein – ich kann itzt erst mit Grund sagen ›Herz krach und brich nicht!!‹«

Über diese herbe Herzenserfahrung, die sich mit dem Bewußtsein seines Berufs zum humoristischen Dichter im Geiste des Hafis so tragisch kreuzte, half ihm sein frischer Jugendhumor zunächst leicht genug hinweg. »Übrigens als ein à la Heine Zerrissener wandle ich darum nicht umher«, mit diesem Trutzwort schloß er seinen Bericht an Eggers, und bald entstand zum Gaudium seiner Freunde im Fallstaff-Klub und bei den Frankonen, die von seiner Liebe nichts wußten, die Katerfrühstücks-Parodie auf Heines wehmutsvolles Lied »Ein Jüngling liebt' ein Mädchen«, die von der unglücklichen Liebe eines Härings zu einer Auster handelt. Aber wirklich verwinden konnte er den Schmerz doch keineswegs und viel poetischen Gewinn trug ihm derselbe jetzt nicht ein. Zum Dichter im großen Sinne des Wortes hielt sich Scheffel noch längst nicht berufen.

Es bestärkten ihn viele Einflüsse in seiner Zurückhaltung. Als die »Fliegenden Blätter« jetzt seinen Barbarossa-Anruf herausbrachten, war er bereits zu einem überzeugten Gegner »aller Romantik in der Politik« geworden. In seinem letzten Heidelberger Semester hatte er bei Gervinus, der jetzt mit Bassermann und Mathy an die Gründung der »Deutschen Zeitung« ging, die damals von mehr als sechshundert Zuhörern besuchten Vorlesungen über Politik gehört. Gervinus warnte darin vor der modischen Vermischung von Politik und Poesie. Die Zeit brauche ernste politische Arbeit. Die Poesie habe im politischen Leben der Nation ihre Mission erfüllt. Und in der Tat hatte die politische Lyrik über Freiligraths gewitterschwangeres »Glaubensbekenntnis« hinaus vor 1848 nichts mehr zu sagen. Auf Scheffel machten Gervinus' Lehren tiefen Eindruck. Noch als er den »Trompeter« geschaffen hatte, blieb er von dem Gefühle bedrückt, ein »Epigone« zu sein, für den es sich, mit den großen Dichtern der literarischen Blütezeit zu wetteifern, eigentlich nicht lohne. In dem schönen Brief, den er damals an Uhland schrieb, hat er es direkt ausgesprochen. Auch von der Scheu, als Nachahmer in die Fußtapfen seiner Mutter zu treten, war er nicht frei. Es blieb für lange bei der einen, klassisch schönen Ballade, die den Geist des Rodensteiners mit patriotischer Tendenz vorführt, »Es regt sich was im Odenwald«, mit der er ernstlich einen Wettkampf mit seiner Mutter aufnahm, die dasselbe Thema (»Horch auf! Was klirrt an Riegel und Gruft?«) auf ihre Weise behandelt hat. Die Einwände Th. Lorentzens (»Die Sage vom Rodensteiner«, 1903) konnten meine Ansicht nicht entkräften, daß Scheffel diese Ballade ein Jahr nach seinem ersten Besuche der Geisterburg Rodenstein bei Reichelsheim im Odenwald gedichtet hat, den er mit Kamm, Rahn und zwei Frankonenfüchsen im Februar 1847 bei stürmischem Winterwetter ausführte, um auf eine natürliche Erklärung der Sage von der wilden Jagd des Rodensteiners zu kommen. Einen aktuellen Anlaß für die Ballade bot im Februar 1848 die von dem revolutionären Frankreich drohende, in Baden stark empfundene Kriegsgefahr. Damals stimmte Scheffel das kurze Zeit später in den »Fliegenden Blättern« erschienene »Reiterlied« an: »Viel lieber zu sein ein Reitersmann Und jung zu sterben im Gefecht, Als achtzig Jahr und ewig sodann Ein buckliger Schreibersknecht.« Auf die Kriegsgefahr aus Frankreich deutet in der Rodenstein-Ballade der Vers: »Vom Rhein her streicht ein scharfer Luft, Der treibt den Alten aus der Gruft.« Der Schluß mit der Beschwörung eines »Manns«, der den Flammberg des Rodensteiners schwingen könne, ist der Höhepunkt von Scheffels patriotischer Jugendpoesie der ernsten Art, wie dies »Die Teutoburger Schlacht« in der von humoristischer Stimmung ist. Der kräftig-derbe Hinweis auf die Niederlage der »frech« gewordenen Römer im Teutoburger Wald hat auch 1870 als poetische Aktualität tausendfach zündende Wirkung getan!

Scheffel war 1847 mit seinen Interessen tief in die Politik hineingeraten. Das Ausarbeiten einer dicken Abhandlung über das Surrogat nach französischem und römischen Recht, mit der er die Zulassung zum Staatsexamen zu bewirken hatte, hinderte ihn nicht am fleißigen Besuch der Karlsruher Landtagskammer. Seine Freunde Max und Franz Wirth brachten ihn in Beziehung zu ihrem Vater, dem alten Freiheitskämpen aus der Zeit des »Hambacher Festes«. Hochbewegt schrieb Scheffel am 26. Februar 1848 an Schwanitz: »Seitdem gestern die Nachrichten von Paris eintrafen, ist man hier in einer so gewaltigen Spannung und Aufregung, daß der Sinn für alles andere aufhört.« Er glaubt an die Möglichkeit, daß die Franzosen »sich auf den Pariser Schrecken hin einen Krieg mit Deutschland als Aderlaß verordnen«, und auf diesen Krieg freut er sich. »Dann tritt an die Stelle von unserm schauderhaft papiernem Leben, Akten- und Zeitungsschmierereien, die frische Tat ... Und wenn das Volk aufsteht mit der Garantie und dem Bewußtsein, daß es für Zustände kämpft, deren Erringung und Sicherung ein paar Tropfen Herzblut wert ist, dann gibt's einen heiligen Krieg, an dessen Erfolg kein Zweifel sein kann.«

Aber der Pariser Februarrevolution folgte die deutsche Märzerhebung! Und kaum war im Karlsruher Ständehaus von der Regierung die geforderte Volksbewaffnung bewilligt, da trat Scheffel mit seinen Freunden in die Reihen der Bürgerwehr. Baden war der Herd der großen deutschen Volkserhebung, die damals mit verhältnismäßig geringen Opfern die Herrschaft Metternichs in Österreich und am Bundestag stürzte und in allen deutschen Staaten wirklich ein Verfassungsleben durchsetzte. Am 5. März tagten die einundfünfzig »Vertrauensmänner des deutschen Volkes« in Heidelberg unter dem Vorsitz von Itzstein und Welcker. Die Einberufung des »Vorparlaments« nach Frankfurt a. M. wurde beschlossen, und kaum hatte dieses getagt, entzündete die revolutionäre Ungeduld von Hecker und Struve den bewaffneten Aufstand im badischen Oberland, den Scheffel mit seinen Freunden nur mißbilligen konnte, denn die aussichtslose kleine Sonderrevolution mußte die Verwirklichung der Märzerrungenschaften in ganz Deutschland nur gefährden. Das Auftreten seiner alten Gegner vom »Neckarbund«, wie Karl Blind, als Agitatoren der Revolution gleich in den ersten Märztagen hatte ihn in dieser Gegnerschaft befestigt. Mit rückhaltloser Hoffnung begrüßte er aber das Zusammentreten der Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche.

Auch seine Eltern waren überzeugt, daß diese, die namhaftesten Patrioten umfassende Versammlung die ihr gestellte Aufgabe, eine deutsche Reichsverfassung festzustellen, glücklich lösen werde. Sie ließen den Sohn nach der alten Kaiserkrönungsstadt ziehen, damit er die dort zu beratenden deutschen Grundrechte gleich an der Quelle studiere. In Frankfurt hatte der junge Rechtskandidat das Glück, von Welcker, dem jetzt triumphierenden Organisator der »deutschen Bewegung«, der mit Dahlmann, Uhland u. a. den Bundestag zeitgemäß umgestalten sollte und Abgeordneter der Freien Stadt Frankfurt in der Paulskirche ward, als Sekretär angenommen zu werden. Zu Pfingsten nahm er dann als »Frankone« auf der Wartburg am Deutschen Burschentag teil, wo er mit vielen alten Freunden, auch mit Schwanitz und Eggers, zusammentraf.

Ende Juni fuhr Welcker als Bevollmächtigter der Frankfurter Zentralgewalt in das Herzogtum Lauenburg, um die dortigen Landstände für den Befreiungskampf der Schleswig-Holsteiner umzustimmen, und Scheffel ging als »Legationssekretär« mit und empfing in Ratzeburg, Lauenburg, Rendsburg buntbewegte und erhebende Eindrücke. Schon winkten ihm nach der genußreichen Rückfahrt über Hamburg, Bonn, Köln ähnliche Aufgaben, da erhielt er Ende Juli plötzlich die Aufforderung, sich in Karlsruhe zum Staatsexamen zu stellen. Er hatte auch im Sinn gehabt, als Freiwilliger mit dem badischen Kontingent gleich andern seiner Freunde nach Schleswig zu ziehen. Nach gut bestandenem Staatsexamen ging er zunächst wieder nach Frankfurt, doch der große Krach im Parlament infolge des Friedens zu Malmö trieb ihn nach Heidelberg, wo er sein Doktorexamen am 11. Januar 1849 summa cum laude bestand. Um diese Zeit schrieb er an Schwanitz, mit dem er zu Pfingsten auf der Wartburg die vermeintlich schon errungene deutsche Einheit mit Reden und Liedern schwungvoll gefeiert hatte: »Seit ich am 16. September zu Frankfurt den Waffenstillstand von Malmö verwerfen hörte und am 18. oben auf dem Dom zu Frankfurt stand und die Barrikaden aus der Erde wachsen und den Sturm und Kampf um dieselben herum gesehen habe, da habe ich den Glauben an das Volk auf beiden Seiten und die Poesie der Revolution verloren, und was im Oktober zu Wien und im November zu Berlin vorging, hat mir ihn nicht wiedergegeben ... Ich habe freilich die Gewißheit, daß unser Reichsadler dereinst noch mit Ehren über Altdeutschland flattern kann, aber erst, wenn wir Jungen auf den Schlachtfeldern mit unserm Herzblut das Vaterland gerettet haben.« Wie schwer es dem jugendlichen Idealisten geworden ist, sich in all die bitteren Enttäuschungen der Zeit zu finden, wie er im Mai 1849 vor dem Ausbruch der zweiten badischen Revolution für das Zustandekommen einer großen Aktion der achtundzwanzig verfassungstreuen deutschen Regierungen gegen die Wiederherstellung des Absolutismus als Redner und Journalist gewirkt hat, davon geben die gleichzeitigen Freundschaftsbriefe an Schwanitz und Eisenhart ergreifende Kunde.

Zwischen die beiden Examina fielen die ersten Versuche Scheffels, sich in die Sphäre der Amtsstube, in die regelmäßige Bureauarbeit eines richterlichen Beamten einzuarbeiten. Am 2. November 1848 zum Rechtspraktikanten ernannt, trat er sofort den Dienst in Heidelberg auf dem Kriminalbureau des Oberamts an; sein Vorgesetzter, den er gegen Schwanitz als sehr fidel und freundlich rühmte, war der Rechtspraktikant Friedrich v. Preen, der damals die Funktionen eines Untersuchungsrichters in Heidelberg ausübte. Scheffel wohnte diesmal jenseits der Neckarbrücke, wo Welcker und Gervinus ihre Häuser hatten, und teilte die Wohnung mit dem »langen Braun«, der als Privatdozent an seinen ersten frischen Vorlesungen über die griechische Poesie arbeitete, die er mit Scheffel durchsprach. »Wenn ich aufstehe, sehe ich das Schloß in seiner alten Pracht vor mir liegen, das ist auch etwas wert,« schrieb er nach Eisenach. »Außerdem ist Heidelberg doch nicht außer der Welt; das Museum ist ein literarischer, politischer und geselliger Mittelpunkt.«

Hier im Museum hatten bis zur Volkserhebung im März 1848 Welcker und die Männer der »Deutschen Zeitung« ihren Stammtisch gehabt; hier trafen sich unter dem Vorsitz eines derselben, des Historikers Professor Ludwig Häusser, jeden Mittwoch abend die Mitglieder einer fröhlichen Kneipgesellschaft, die sich »Der engere Ausschuß« oder kurz »Der Engere« nannte, und in dieser erschien in jenen Wintermonaten mit Braun und v. Preen, zunächst als Gast, herzlichst von allen begrüßt, der Sänger des »Perkeo«. Das Gedicht »Hesiod« und die Übung im »Neugriechischen« im »Gaudeamus« – Braun bereitete sich für seine große Reise nach Griechenland, Ägypten und Kleinasien vor, aus der sich dann sein Hauptwerk »Geschichte der Kunst in ihrem Entwicklungsgang durch alle Völker der alten Welt« ergab – sind Früchte dieses Verkehrs. Im »Engeren« war es Häusser, der ihn zunächst am mächtigsten anzog. Vieles vereinigte sich in diesem geistreichen Historiker, der acht Jahre älter als unser Dichter und von Herkunft ein Pfälzer war, was den Verkehr mit diesem äußerst anziehend machte. Als Historiker hatte er gerade diejenigen Stoffgebiete mit gründlichem Eifer erforscht, die den jungen Juristen mehr interessierten als sein gesamtes Fachwissen, die ältere Geschichte Deutschlands und im besondern die der badischen und rheinpfälzischen Heimat. Dazu kam Häussers außerordentliche Begabung für die gesprächsweise Entfaltung der reichen Schätze seines geschichtlichen Wissens unter Bezugnahme auf lustige Anekdoten und Reminiszenzen, eine Kunst, für welche Scheffel auch seinerseits ein ganz besonderes Talent mitbrachte. Schließlich war aber auch Häusser ein leidenschaftlicher Freund jener burschikos übermütigen Geselligkeit, wie sie in der ganzen Welt nur auf deutschen Hochschulen heimisch ist und an welcher auch Scheffel eine unverwüstliche Freude behalten sollte.

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