Achtes Kapitel.

Die Bannbulle und Luthers Entgegnung.

In Rom war die Bulle, welche jetzt erst nach Deutschland kam, schon am 15. Juni erlassen worden. Sie wurde, als man endlich unter den oben bezeichneten Einflüssen ernstlich daran sich machte, recht sorgfältig im päpstlichen Consistorium berathen. Die Juristen meinten hier, man sollte Luther doch noch einmal vorladen, drangen aber hiemit nicht durch. Auf das, was durch den päpstlichen Gesandten Miltitz wegen einer Vernehmung Luthers vor dem Erzbischof von Trier verabredet worden war, wurde gar keine Rücksicht genommen.

Die Bulle beginnt: »Mache Dich auf, Herr, und richte Deine Sache!« Sie ruft weiter den heiligen Petrus auf, den Paulus, die Gemeinde der Heiligen und die ganze Kirche. Denn ein Eber sei in den Weinberg des Herrn eingebrochen, ein wildes Thier wolle ihn abweiden u.s.w. Die Ketzerei, um die es sich handelte, beklagt dann der Papst, wie er versichert, um so mehr, da er gerade die Deutschen, unter denen sie ausgebrochen sei, immer so liebreich auf dem Herzen getragen habe; er führt diesen auch zu Gemüthe, daß sie das Kaiserreich der römischen Kirche zu verdanken hätten. Sodann werden 41 Sätze aus Luthers Schriften, weil sie ketzerisch oder wenigstens anstößig und verführerisch seien, verworfen und verdammt, und über alle Schriften Luthers wird das Urtheil gesprochen, daß sie öffentlich verbrannt werden sollen. Ueber Luther selbst ruft der Papst Gott zum Zeugen an, daß er kein Mittel väterlicher Liebe versäumt habe, ihn zurecht zu bringen. Auch jetzt noch wolle er ihm gegenüber dem Vorbilde der göttlichen Barmherzigkeit folgen, die nicht den Tod des Sünders wolle, sondern daß er sich bekehre und lebe, fordere ihn daher noch einmal zur Umkehr auf und wolle ihn dann wie den verlorenen Sohn gnädig annehmen. Noch 60 Tage Zeit sollen ihm zum Widerruf gegeben sein. So aber er und seine Anhänger sich nicht bekehren, sollen sie als hartnäckige Ketzer und verdorrte Zweige am Weinstock Christus angesehen und dem Rechte gemäß bestraft werden. Zweifellos war damit die Strafe des Feuers gemeint; die Bulle verdammte auch ausdrücklich den Satz Luthers, der gegen das Verbrennen der Ketzer sich erklärte.

Das nannte man in Rom, wie auch neuerdings noch von dieser Seite her gesagt worden ist, »mehr einen Ton väterlicher Betrübniß als strafender Härte«. Der Art, wie die Bulle zu Stande gekommen war, entsprach es auch, daß Eck selbst mit ihrer Verbreitung in Deutschland und speziell ihrer Veröffentlichung in Sachsen beauftragt wurde. Ueberdies erhielt er die unerhörte Vollmacht, bei ihrer Veröffentlichung nach eigenem Gutdünken einige Anhänger Luthers namentlich zu bezeichnen.

So ließ Eck jetzt die Bulle noch im September zu Meißen, Merseburg, Brandenburg öffentlich anschlagen. Er war auch, falls Luther sich nicht unterwürfe, durch ein päpstliches Breve schon beauftragt, die weltliche Gewalt zur Bestrafung des Ketzers aufzubieten. Doch wurde er selbst in Leipzig, wo der Magistrat ihm auf Befehl des Herzogs Georg einen Kelch voll Geldes verehren mußte, durch Andersgesinnte so auf der Straße ins Gedränge gebracht, daß er sich ins Paulinerkloster flüchtete und bald darauf von hier bei Nacht weiterreiste, während Leipziger Stadtknechte in der Umgegend mit der Bulle herumritten; es war dort, wie Miltitz erzählt, auch ein Haufen Wittenberger Studenten erschienen, die »sich unnütz machten auf ihn«.

In Wittenberg, wo die Veröffentlichung der Bulle Sache der Universität war, berichtete diese darüber an den Kurfürsten und erhob verschiedene Bedenken gegen die Publikation, zumal ihr Uebersender Eck sich nicht einmal gehörig legitimirt habe. Luther selbst fühlte sich, wie er an Spalatin schrieb, nun erst recht frei, weil er endlich die Gewißheit habe, daß der päpstliche Stuhl Satans Sitz sei. Es entmuthigte ihn nicht, daß zu gleicher Zeit von Erasmus aus den Niederlanden eine Mittheilung nach Wittenberg kam, wonach von Kaiser Karl nichts zu hoffen war, weil er in den Händen der Bettelmönche sei. Nur wollte er gegen die Bulle zunächst die Haltung annehmen, als ob sie mit ihrem unerhörten Inhalt das Werk eines Fälschers wäre.

Noch war ja aber jenes Versprechen, das er vor einigen Wochen auf Miltitz' Andringen seinen Ordensbrüdern gegeben hatte, unerledigt. Und auch jetzt noch wollte Miltitz den Faden, den er dort angesponnen hatte, nicht fallen lassen. Eben jetzt war noch mit Zustimmung und Wunsch des Kurfürsten zwischen ihm und Luther eine Zusammenkunft auf Schloß Lichtenberg (jetzt Lichtenburg im Kreise Torgau) in der Behausung der dortigen Antonianermönche verabredet worden. Wie Miltitz gemeint hatte, durch einen Brief Luthers an den Papst die Bulle noch abwenden zu können, so machte er sich jetzt gegen den Kurfürsten anheischig, durch ein solches Schreiben den Papst auch nachträglich noch umzustimmen. Nur sollte es auf jene Zeit vor der Veröffentlichung der Bulle, wo Luther schon die Zusage dazu gegeben habe, zurückdatirt werden. Der Inhalt sollte der früheren Verabredung gemäß sein: Luther sollte darin, wie Miltitz es ausdrückte, »den Papst für seine Person tröstlich loben« und zugleich eine geschichtliche Darstellung seines bisherigen Vorgehens demselben vortragen. Luther verstand sich dazu, ein solches Schreiben unter dem Datum des 6. Septembers in lateinischer und deutscher Sprache zu veröffentlichen, und führte jetzt seine Zusage sogleich aus.

Es ist schwer begreiflich, wie Miltitz noch immer eine solche Hoffnung hegen konnte. Weder sein Wunsch, für sich Dank und Lohn bei Kurfürst Friedrich zu verdienen und die Pläne des auch ihm verhaßten Eck zu durchkreuzen, noch seine Eitelkeit und sein leichtes Blut erklären es uns genügend. Er muß in seinem vorangegangenen persönlichen Verkehr mit dem Papst und dem päpstlichen Hof Erfahrungen gemacht haben, wonach Leo selbst die kirchlichen Fragen und Kämpfe nicht so ernst und schwer nahm, um nicht unter ihnen immer noch verschiedenartigen Einflüssen und Rücksichten offen zu bleiben, und wonach in der Umgebung des Papstes auch sonst Parteien und einflußreiche Persönlichkeiten sich gegenseitig den Rang abzulaufen suchten. Den damaligen Stand der Dinge in Rom muß er freilich schlecht gekannt haben. In Luthers Sache fand doch kein Schwanken mehr dort statt.

In welchem Sinne Luther selbst dem an ihn gestellten Verlangen nachkommen wollte, zeigt der Inhalt seines Schreibens. Es drückt sich nichts weniger darin aus, als die Absicht, etwa durch kluge Künste und Verhüllungen den zürnenden Papst noch zu beschwichtigen. Die Versicherung, die er davon geben sollte, daß er den Papst nicht persönlich habe angreifen wollen, nimmt er ganz buchstäblich, vom ganzen amtlichen Charakter und Treiben Leo's absehend; gegen den persönlichen Charakter und Wandel desselben hatte er ja auch in der That niemals sich geäußert. Zugleich aber nimmt er gerade auch jetzt Anlaß, ihm einfach, wie der Christ dem Christen es thun müsse, gegenüber zu treten, die schärfsten Vorwürfe, die er bisher dem römischen Stuhl gemacht, ihm ins Angesicht zu wiederholen, Leo's eigenes Verhalten auf diesem Stuhl nur damit zu entschuldigen, daß er ihn wie ein Opfer der dort herrschenden ungeheuren Verderbniß ansieht, und davor noch einmal ihn brüderlich zu warnen. Ins Angesicht sagt er ihm: er selbst, der heilige Vater, müsse bekennen, daß jener Stuhl ärger und schändlicher sei, denn je ein Sodom, Gomorra oder Babylon; Gottes Zorn habe ihn überfallen ohne Aufhören; Rom sei vor Zeiten eine Pforte des Himmels gewesen, jetzt sei es ein aufgesperrter Rachen der Hölle. Besonders warnt er Leo vor den Schmeichlern dort, den »Ohrensingern«, die ihn zu einem Gottmenschen machen. Er versichert den Papst, daß er ihm alles Gute gönne und wünsche: und so wünscht er ihm denn, daß er von jenem Höllenrachen nicht möchte verschlungen werden, vielmehr los werden von jener unseligen Ehre und in einen Stand versetzt, wo er etwa von einer Pfründe oder von seinem väterlichen Erbe leben könnte. Der von Miltitz gewünschte geschichtliche Rückblick, den Luther in Kürze diesem Schreiben einfügte, läuft, so weit er etwas für ihn selbst Entschuldigendes sagen will, darauf hinaus, daß nicht durch seine eigene Schuld, sondern durch die Schuld der Gegner, die ihn immer weiter trieben, »nicht ein klein Theil des römischen unchristlichen Wesens an den Tag gekommen sei«.

Dem Schreiben aber fügte Luther ein Büchlein bei mit dem Titel »Von der Freiheit eines Christenmenschen.« Es ist keine Streitschrift für den großen Kampf der Kirchenmänner und Theologen, sondern ein Tractat, der den »Einfältigen« dienen will. Für sie wollte Luther darin die ganze »Summa eines christlichen Lebens« zusammenfassen: gründlich möchte er für sie davon handeln, »was ein Christenmensch sei und wie es gethan sei um die Freiheit, die ihm Christus erworben und gegeben hat.«


Abb. 23: Titelblatt des Urdrucks der Schrift »Von der Freiheit &c.« (in der Einfassung oben die sächsischen Schwerter, unten Wappen Wittenbergs).

Da spricht er zuerst aus: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und Niemand unterthan. Den neuen inneren geistlichen Menschen nämlich betrachtet er hier zuerst und fragt, was dazu gehöre, daß derselbe ein frommer freier Christenmensch sei. Kein äußerlich Ding, sagt er, kann ihn fromm oder frei machen. Es hilft der Seele nichts, wenn der Leib heilige Kleider anlegt, oder fastet, oder mit dem Munde betet. Für sie giebt es kein ander Ding im Himmel und auf Erden, darin sie lebe, fromm und frei sei, als allein das heilige Evangelium, d. h. das tröstliche Wort Gottes von seinem lieben Sohn Jesus Christus, durch welchen uns die Sünden vergeben werden. In diesem Wort hat sie volle Genüge, Freude, Friede, Licht und alles Gute überschwenglich. Und dazu gehört nur, daß sie, wie es das Evangelium will, in diesen Jesus mit festem Glauben sich ergebe und frisch auf ihn vertraue. Erst muß wohl Gottes Gebot dem Menschen Angst machen, sintemal es erfüllt werden, oder der Mensch verdammt werden muß; ist er aber dadurch zu nichte geworden in seinen eigenen Augen, so kommt Gottes Zusage und Evangelium und spricht: glaube an Christum, in welchem ich dir zusage alle Gnade; glaubst du, so hast du. Ein rechter Glaube einigt dann die Seele mit Gottes Wort so, daß seine Tugenden auch ihr eigen werden, wie das Eisen gluthroth wird aus der Vereinigung mit dem Feuer. Und die Seele wird so vereinigt auch mit Christo selbst, als eine Braut mit ihrem Bräutigam; ihr Brautring ist der Glaube. Was der reiche edle Bräutigam Christus hat, macht er ihr zu eigen, was sie hat, eignet er sich an: er nimmt ihre Sünden auf sich, daß sie verschlungen werden in ihm und seiner unüberwindlichen Gerechtigkeit. So wird der Christ über alle Dinge erhaben und ein Herr; denn es kann ihm kein Ding schaden zur Seligkeit, es muß ihm Alles unterthan sein und zur Seligkeit helfen; es ist ein geistliches Königthum. Und so sind die Christen Priester, sie dürfen durch Christus vor Gott treten und für Andere bitten. »Wer mag ausdenken die Ehre und Höhe eines Christenmenschen? durch sein Königreich ist er aller Dinge mächtig, durch sein Priesterthum ist er Gottes mächtig, denn Gott thut, was er bittet und will.«

Der Christ aber, so führt Luther für's Zweite aus, ist nicht allein dieser neue innere Mensch. Er hat noch einen anderen Willen in seinem Fleisch, der ihn mit Sünden gefangen nehmen will. Da darf er nicht müßig sein, sondern muß an sich arbeiten, daß er die bösen Lüste austreibe und seinen Leib zwinge. Er lebt ferner unter andern Menschen auf Erden und muß mit ihnen sich zu schaffen machen. Und wie nun Christus, da er für sich voll göttlichen Reichthums war, sich um unsertwillen entäußert und wie ein Knecht geberdet hat, so sollen wir Christen, denen Gott durch Christus den Reichthum aller Frömmigkeit und Seligkeit und damit volle Genüge gegeben hat, diesem himmlischen Vater nun auch frei und fröhlich thun, was ihm wohlgefällt, und gegen unsere Nächsten werden, wie Christus für uns geworden ist. Insonderheit dürfen wir die Schwäche und den schwachen Glauben des Nächsten nicht verachten, dürfen ihm mit dem Gebrauch unserer Freiheit kein Aergerniß geben, müssen ihm vielmehr mit Allem dienen zu seiner Besserung. Also wird der Christ, der ein freier Herr ist, ein dienstbarer Knecht aller Dinge und Jedermann unterthan. Er thut aber diese Werke nie, damit er durch sie vor Gott fromm und selig werde, sondern er ist schon satt und selig durch seinen Glauben und thut nun das Alles frei und umsonst. Zum Schluß faßt Luther zusammen: »Ein Christenmensch lebt nicht ihm selbst, sondern in Christo und seinem Nächsten: in Christo durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe; durch den Glauben fähret er über sich in Gott, aus Gott fähret er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe.«

Zu dem merkwürdigen Schreiben Luthers an den Papst war dieses Büchlein eine merkwürdige Beilage. Er selbst schrieb davon dem Papst: Seine Heiligkeit möge daraus schmecken, mit welcherlei Geschäften er lieber umginge und fruchtbarlicher umgehen könnte, wenn nur die gottlosen päpstlichen Schmeichler ihn nicht daran hinderten. In der That konnte der Papst daraus ersehen, wie er mit seinem Innern in diesen tiefsten und zugleich einfachsten Ideen christlicher Heilswahrheit lebte und webte und wie es ihm ein innerer Drang und eine Lust war, sie in edler Einfalt so vorzutragen. Die kleine Schrift zeigte ferner in ihrer ganzen ruhigen, innigen, zarten Ausführung, welchen tiefen Frieden die Seele dieses heftigen Kämpfers doch in sich hegte und welche Seligkeit der vom Bannstrahl des Papstes getroffene Mann eben jetzt in seinem Gotte genoß. – Bedeutsam sehen wir sie so neben den unmittelbar vorangegangenen Schriften an den Adel und von der babylonischen Gefangenschaft als eine der reformatorischen Hauptschriften Luthers stehen.

Daß Luther, als er so nach Miltitz' Wunsch an den Papst schrieb, nicht daran dachte, mit dem Papstthum Frieden zu machen oder auch nur für einen Augenblick dem Kampf gegen dasselbe Einhalt zu thun, gab schon der Inhalt des Schreibens klar zu erkennen.

Gegen die Bulle trat er zuerst so auf, wie er gleich anfangs dem Spalatin angekündigt hatte: er erließ gegen sie ein Schriftchen: »Von den neuen Eckischen Bullen und Lügen«; als ein Machwerk Ecks behandelte er sie. Weiter aber ging er gleich darauf in einer deutschen und lateinischen Schrift »wider die Bulle des Antichrists«. Der römischen Frevler Blindheit und Bosheit will er in ihr aufdecken. Er sah in ihr theils seine wirkliche Lehre entstellt, theils in seiner Lehre die christliche, biblische Wahrheit verketzert und verdammt. Er erklärte: wenn der Papst diese Bulle nicht widerrufe und verdamme, so solle Niemand daran zweifeln, daß derselbe Gottes Feind und der Christenheit Verstörer sei. Zugleich wiederholte er feierlich am 17. November die Appellation, die er vor zwei Jahren an ein Conzil gerichtet hatte. Aber wie hat seither seine Haltung sich verändert! Er, der Angeklagte und Verdammte, kündigt jetzt vielmehr selbst der feindlichen widerchristlichen Macht, welche die Welt beherrschen will, Verdammniß und Verderben an. Und nicht erst bei einem künftigen Conzil und einem Conzil nach Art der bisherigen kirchlichen Versammlungen hofft und begehrt er Schutz für sich und die christliche Wahrheit, sondern fort und fort ruft er die christlichen Laien auf, sich für diese zu erheben. So hat er jetzt in der Appellation, die er veröffentlichte, den Kaiser Karl, die Kurfürsten und Fürsten des Reiches, die Grafen, Barone und Adelige, die städtischen Räthe und was da von christlicher Obrigkeit in ganz Deutschland sei, ihm und seiner Appellation anzuhangen, damit der wahre christliche Glaube und die Freiheit eines Conzils gerettet werde. Aehnlich hat er in seiner lateinischen Schrift wider die Bulle den Kaiser Karl, die christlichen Könige und Fürsten und alle Bekenner Christi neben den christlichen Bischöfen und Doctoren gegen die päpstlichen Gräuel aufgerufen. In der deutschen Schrift verwahrt er sich gegen den Vorwurf, daß er die Laien auf den Papst und die Pfaffen hetze; er fragt aber, ob denn damit, daß man die Wahrheit zu verbrennen gebiete, die Laien versöhnt werden und der Papst entschuldigt. Der Papst selbst, sagt er, und seine Bischöfe, Pfaffen und Mönche ringen durch die lästerliche Bulle nach ihrem eigenen Unfall und wollen sich die Laien auf den Hals laden: »was wäre es nun Wunder, ob Fürsten, Adel und Laien sie über die Köpfe schlügen und zum Land ausjagten.«

Stürmisch trieb neben ihm Hutten zu einer allgemeinen Erhebung Deutschlands gegen die römische Tyrannei, deren Knechte und Sendlinge wirklich auch mit äußerer Gewalt hinausgejagt werden sollten. Ja als damals zwei päpstliche Legaten, Aleander und Caraccioli, am Rhein erschienen, um die Bulle zu vollziehen und persönlich auf den Kaiser einzuwirken, wollte er sogar auf eigene Faust einen Anschlag auf sie machen, so wenig sich auch bei ruhiger Ueberlegung absehen ließ, was damit eigentlich erreicht werden sollte. Und Luther konnte sich nicht enthalten, darüber in einem Brief an Spalatin zu bemerken: »Hätte er sie doch abgefangen!«

Immer indessen wiederholte Luther sich und seinen Freunden die Mahnung, »sich nicht zu verlassen auf Fürsten, auf Menschenkinder, die ja nicht helfen können« (Ps. 146, 3). Ja als ihm der mit dem Kurfürsten zum Kaiser gereiste Spalatin bestätigte, wie wenig da zu hoffen sei, sprach er ihm seine Freude darüber aus, daß derselbe jenes nun auch lernen müsse; denn Gott hätte mit dem Evangelium, wenn es durch weltliche Potentaten ausgebreitet werden sollte, nicht Fischer beauftragt. Der jüngste Tag ist es vielmehr, von dem er sicher den Sturz des Antichrists erwartet. Mit der Idee, daß dieser längst in Rom gegenwärtig, verbindet sich ihm jetzt die andere, daß jener bereits vor der Thüre sei. Er sei, schreibt er an Spalatin, durch viele starke Gründe hievon fest überzeugt.

In der That war Kaiser Karl durch Alexander, noch ehe er die Niederlande verlassen hatte, um zu seiner Krönung nach Aachen zu reisen, zu einem ersten Schritt gegen Luther bestimmt worden: er hatte zugestimmt, daß das Urtheil der Bulle an Luthers Büchern vollzogen werde, und für seine Erblande, die Niederlande, selbst den Befehl zu ihrer Verbrennung gegeben. Sie wurden in Löwen, Köln und Mainz öffentlich verbrannt. In Köln geschah es, während er dort anwesend war. In eben dieser Stadt traten jene beiden Legaten an den Kurfürsten Friedrich mit der Forderung heran, den gleichen Act in seinen Landen vollziehen zu lassen und am Ketzer selbst die Strafe zu vollstrecken oder wenigstens ihn gefangen zu halten oder gleich dem Papste auszuliefern; sie wurden von Friedrich abgewiesen, weil Luther erst vor unparteiischen Richtern vernommen werden müßte. Hiefür sprach sich dort auch Erasmus in einem kurzen Gutachten aus, um das Friedrich ihn durch Spalatin angegangen hatte; mündlich äußerte er damals gegen den Fürsten: Luther habe in zwei Stücken gesündigt, er habe den Papst an seine Krone und den Mönchen an ihre Bäuche gegriffen. Dem Mainzer Erzbischof, Cardinal Albrecht, wurde vom Papst ein entschiedeneres, energischeres Verhalten namentlich auch gegen Hutten anbefohlen. Die Verbrennung der Bücher ging auch in Mainz ungehindert vor sich, wenngleich Hutten an Luther melden konnte, daß nach einem Berichte von Freunden Aleander dort fast gesteinigt worden wäre und daß die Menge nur um so mehr für Luthers Sache entbrannt werde. Triumphirend gingen die Legaten ihren Aufträgen weiter nach.

Luther aber ließ auch dieser Vollstreckung der Bulle sofort seine Entgegnung folgen.

Am 10. December kündigte er durch einen öffentlichen Anschlag an, daß Morgens um neun Uhr die antichristlichen Decretalen, d. h. die päpstlichen Rechtsbücher, verbrannt werden sollten, und lud hiezu die ganze akademische Jugend Wittenbergs ein. Er wählte dazu einen Ort vor dem Elsterthor, im Osten der Stadt, nahe dem Augustinerkloster. Ein großer Zug strömte dort hinaus. Mit Luther erschien eine Menge anderer Doctoren und Magister, namentlich auch Melanchthon und Carlstadt. Nachdem einer der Magister einen Scheiterhaufen errichtet hatte, legte Luther darauf die Decretalen und Jener zündete an. Dann warf Luther auch die päpstliche Bannbulle in die Flammen mit den Worten: »Weil Du den Heiligen des Herrn[1] betrübt hast, verzehre Dich das ewige Feuer.« – Während Luther hierauf mit jenen andern Lehrern in die Stadt zurückkehrte, blieben noch einige hundert Studenten auf dem Schauplatz und stimmten ein Tedeum an und Leichengesänge für die Decretalen. Nach dem Frühmahl, das um zehn Uhr gehalten zu werden pflegte, hielten junge, scherzhaft verkleidete Akademiker einen Umzug durch die Stadt auf einem großen Wagen mit einer Fahne, an welcher eine vier Ellen lange Bulle hing, unter dem Schall einer thönernen Trompete und mit andern Possen. Sie luden eine Menge scholastischer und papistischer, namentlich auch Eckischer Schriften auf, die von allen Seiten herbeigebracht wurden. Diese Ladung brachten sie mit der Bulle auf den Scheiterhaufen, den Andere inzwischen unterhalten hatten. Da wurde wieder Tedeum gesungen, Requiem, das Lied »O du armer Judas« u.s.w.

Mit großem Ernst und innerer Bewegung erklärte sich Luther am andern Tag vor den Zuhörern seiner Vorlesung über das, was er gethan: Der päpstliche Stuhl selbst werde noch verbrannt werden müssen; wenn sie nicht von ganzem Herzen dem Reich des Papstes absagen, so können sie die Seligkeit nicht erlangen.

Dann gab er Kunde und Rechenschaft von seiner That in einer kurzen Schrift: »Warum des Papsts und seiner Jünger Bücher von Dr. Martino Luther verbrannt seien.« »Ich,« sagt er, »Martinus Luther, genannt Doctor der heiligen Schrift, Augustiner zu Wittenberg, füg männiglich zu wissen, daß durch meinen Willen, Rath und Zuthat auf Montag nach St. Nicolai im 1520. Jahr verbrennet seien die Bücher des Papstes von Rom und etlich seiner Jünger; so jemand sich deß verwundern, wie ich mich wohl versehe, und fragen wird, aus was Ursach und Befehl ich das than habe, der laß ihm hiemit geantwort sein.« Luther weiß sich hiezu verpflichtet als getaufter Christ, geschworener Doctor der heiligen Schrift und täglicher Prediger, dem seines Amts halber gebühre, unchristliche Lehre zu vertilgen. Das Exempel Anderer, die in gleicher Pflicht seien und solches doch nicht thun wollen, dürfe ihn nicht abhalten: »ich,« sagt er, »wäre dennoch nicht mit entschuldigt, so mein Gewissen genugsam verständigt und mein Geist muthig genug von Gottes Gnaden erweckt.« Dreißig Irrlehren zur Verherrlichung des Papstthums hebt er dann aus jenen Rechtsbüchern aus, die darum billig zu verbrennen seien. Und Summa Summarum sei der Inhalt dieses Rechtes dies: »Der Papst ist ein Gott auf Erden, über alle himmlische, irdisch, geistlich und weltlich, und ist Alles sein eigen; denn Niemand darf sagen: Was thust Du?« Das sei der Gräuel der Verwüstung Matth. 24, 15, das der Widerchrist nach 2. Thess. 2, 4.

Zugleich gab er in einer längeren, eingehenden Schrift »Grund und Ursach« aller seiner eigenen von der Bulle verdammten Artikel. Auf das Gotteswort der heiligen Schrift stützt er sich hier gegen die Satzungen des irdischen Gottes, auf die Gottesoffenbarung, welche Jeden, der sich hingebend in sie vertiefe, auch innerlich erleuchten und ihren Inhalt und Sinn ihm klar machen wolle. Sei er selbst, wie man ihm vorhalte, nur ein einzelner und niedriger Mensch, so sei er doch gewiß, daß Gottes Wort bei ihm sei.

An Staupitz, der sich der Bulle gegenüber schwach und verzagt fühlte, schrieb er: Er habe, als er sie verbrannte, zuerst gebebt und gebetet; nun aber sei er so froh, wie über keine andere That seines ganzen Lebens. Jetzt warf er endlich auch vollends jenen Zwang der Klosterregeln von sich, mit dem er, wie wir oben bemerkten, noch immer neben seinen höheren Berufspflichten sich gequält hatte. Er sei, schreibt er an Freund Lange, von des Ordens und Papstes Gesetzen durch die Autorität der Bulle los geworden und excommunicirt; dessen freue er sich, er bleibe nur noch in der Mönchs-Kleidung und Behausung; der wirklichen Pflichten habe er übergenug mit den täglichen Vorlesungen und Predigten, mit steter lehrhafter, erbaulicher und kämpfender Schriftstellerei, mit Briefen, Unterredungen, Dienstleistungen gegen Brüder u.s.w.

Seinem vollendeten Bruch mit dem päpstlichen Kirchenthum, das seit Jahrhunderten die Christenheit beherrscht und mit dem Christenthum selbst sich identificirt hatte, hat Luther durch jene That den stärksten Ausdruck gegeben. Die Kunde von ihr mußte auch vollends das Feuer entfachen, das sein Wort über ganz Deutschland hin angezündet hatte. Er sah jetzt, wie er an Staupitz schrieb, einen Sturm toben, den erst der jüngste Tag werde stillen können; so sehr seien auf beiden Seiten die Geister erregt.

Wirklich war damals Deutschland in einer Bewegung und Spannung, wie in keinem andern Zeitpunkt seiner Geschichte. Mit Luther erschien jetzt vor Allem Hutten im Kampfe gegen Rom verbunden. Die Bannbulle gab er mit scharfen Anmerkungen heraus. Gegen die Verbrennung der frommen Schriften Luthers eiferte er in lateinischen und deutschen Gedichten. Zwei auserwählte Gottesboten nannte die Beiden Eberlin von Günzburg, der kurz darauf seine Wirksamkeit als volksthümlicher reformatorischer Schriftsteller begann. Für Martin Luther, die unerschütterliche Säule des christlichen Glaubens, und für den tapferen deutschen Ritter Ulrich Hutten, Martin Luthers Pylades, rief eine Litanei der Deutschen, die im Frühjahr 1521 erschien, die Gnade und Hilfe Gottes an. Auch Hutten schrieb jetzt für's deutsche Volk deutsch, in Prosa und Versen. Seinem Freunde Sickingen, bei dem er den Winter auf der Ebernburg zubrachte, las er die Schriften Luthers vor, die diesen mächtigen Kriegsmann zu inniger Theilnahme an der reformatorischen Lehre fortrissen, und bewegte Pläne in seinem Kopf, was dieser mit seinem starken Arme für die gute Sache unternehmen könnte.

Anonyme und pseudonyme Flugblätter verbreiteten sich in zunehmender Zahl unter dem Volke. Sie nahmen besonders gern die Form von Gesprächen an, in welchen Laien mit einfachem christlichem Sinn und natürlichem Verstand über die Nothstände der Christenheit klagen, fragen und belehrt werden. Die äußeren Schäden werden dem Volk vor Augen geführt, die Aergernisse in Geistlichkeit und Klöstern, das Treiben der römischen Curtisanen, d. h. der Subjecte am päpstlichen Hofe, welche den hohen Herren dort für die niedrigsten Dienstleistungen sich zur Verfügung stellen, um dann mit deutschen Pfründen gespeist zu werden, die Geldauflagen, Erpressungen u.s.w. Das einfache Wort Gottes mit seinen höchsten evangelischen Wahrheiten soll von dem menschlichen Truge, mit dem es dort umhüllt sei, frei und Jedem zugänglich gemacht werden. Als erster Vorkämpfer desselben und wahrer Volksmann wird Luther hingestellt, dessen Zeugniß so kräftig in's Herz eingehe. Sein Bild, von Cranach gezeichnet, wurde mit seinen kleinen Schriften verbreitet. Auf Nachdrucken derselben erscheint der heil. Geist in Gestalt der Taube über seinem Haupte schwebend: Gegner haben ihn verleumdet, daß er selbst sich so habe darstellen lassen.

Auch satirischer Bilder bediente man sich im Kampf auf beiden Seiten. Cranach stellte den demüthigen, leidenden Christus und den hoffärtigen römischen Antichrist in den sechsundzwanzig Holzschnitten seines »Passional Christi und Antichrist« einander gegenüber; Luther gab dazu kurze Textworte.


Abb. 24: Titelblatt.

Deutsch und für's Volk fingen jetzt auch die Gegner Luthers zu schreiben an. Der Begabteste unter ihnen war, was derbes, volksthümliches Deutsch und grobe Satire anbelangt, der Franziskaner Thomas Murner, seine Theologie aber erschien Luther so schwach, daß er ihn nur nebenbei einmal einer kurzen Erwähnung würdigte. In ein längeres Gefecht mit Streitschriften gerieth er jetzt mit jenem Dresdener Theologen Emser, der schon nach der Leipziger Disputation ihn zum Kampf gereizt hatte und jetzt ein Buch »Wider das unchristliche Buch M. Luthers an den deutschen Adel« herausgab. Da schrieb nun nach einander Luther: »An den Bock zu Leipzig«; Emser: »An den Stier zu Wittenberg«; jener: »Auf des Bocks zu Leipzig Antwort«; dieser: »Auf des Stieres zu Wittenberg wüthende Replica.« Luther, der schon auf die ersten Bogen jenes Emserschen Buches hin sein Schreiben an »den Bock u.s.w.« gerichtet hatte, entgegnete dann dem Buch, als es ganz herausgekommen war, mit einer »Antwort auf das überchristlich, übergeistlich und überkünstlich Buch Bock Emsers.« Darauf ließ Emser eine »Quadruplica« folgen und Luther noch ein Schriftchen: »Ein Widerspruch Doctor Luthers seines Irrthums erzwungen durch den allerhochgelehrtesten Priester Gottes Herrn H. Emser.« Als nachher, während seines Wartburgaufenthaltes, Emser mit einer Erwiderung fortfuhr, ließ er ihm hierin das letzte Wort. Neues trug dieser Schriftwechsel für den großen Kampf nicht bei. Das wirksamste, was Emser und die anderen Verfechter des alten Kirchenthums vorbrachten, war immer der Vorhalt, daß der Eine Luther der ganzen bisherigen Christenheit zu widersprechen sich erdreiste und durch Umsturz aller kirchlichen Fundamente und Autoritäten Unglauben, Zerrüttung und Aufruhr über Kirche und Staat bringe. So sagt Emser einmal in deutschen Versen: Luther verachte »der Kirchen und der Väter Lehr', als ob sonst niemand wär' denn er.« Hinsichtlich der drohenden Folgen hielt er immer die Böhmen als Schreckbild vor.

In der deutschen Nation war, wie Emser klagt, schon jetzt »ein solch Gezänk, Rumor und Aufruhr, daß kein Land, keine Stadt, kein Dorf oder Haus ist, darin man nicht parteiisch und je Eins wider das Andere wäre.« Aleander berichtete nach Rom, daß überall Erbitterung und Aufregung sei und der päpstliche Bann verlacht werde. Unter den Anhängern des Alten hörte man wunderliche schreckhafte Gerüchte: ein kurz nach der Verbrennung der Bulle geschriebener Brief wollte wissen, daß Luther auf fünfunddreißigtausend Böhmen und ebensoviele Sachsen und andere Norddeutsche rechne, die, wie einst die Gothen und Vandalen, nach Italien und Rom zu ziehen bereit seien. Aber schon jetzt konnte man auch beobachten, daß vom Grollen und grollenden Reden zu energischer und opferwilliger That immer noch ein großer Schritt ist. Man wagte jetzt auch in Mitteldeutschland die Bulle an Luthers Büchern zu vollstrecken, ohne daß Unruhen ausbrachen: so namentlich in den nahe bei Wittenberg gelegenen Bisthümern Meißen und Merseburg. Der angesehene Pirkheimer und der wackere Spengler in Nürnberg, deren Namen Eck in die Bannbulle mit aufgenommen hatte, beugten sich jetzt vor der päpstlichen Autorität, welche durch diesen ihren persönlichen Feind repräsentirt war.

Hutten, der seine Hoffnungen bei dem Bruder des Kaisers völlig getäuscht sah und sich auch persönlich in seiner Freiheit und seinem Leben durch päpstliche Erlasse bedroht glaubte, glühte in ungeduldigem Drang loszuschlagen. Er wünschte auch zu erfahren, ob ein gewaltsames Unternehmen nach seinem Sinn irgend welchen Rückhalt bei Kurfürst Friedrich finden könnte. Er wagte sogar, wenn er von Sickingens hohen Aufgaben sprach, auf den Vorgang des gewaltigen hussitischen Heerführers Ziska hinzuweisen, der einst den Deutschen ein Schrecken und Abscheu gewesen war. Auch die Städte wünschte er, der Ritter, jetzt zum Bunde, zum Kampf gegen Rom und für die Freiheit zu gewinnen. Aber so leidenschaftlich seine Worte klangen, so unklar ließen sie fortwährend darüber, was eigentlich mit dem Losschlagen beim gegenwärtigen Stand der Dinge gemeint sein sollte. Sickingen, der die Verhältnisse praktisch aufzufassen verstand, hieß ihn die Ungeduld dämpfen und suchte seinerseits in gutem Vernehmen mit dem Kaiser zu bleiben, worauf dann auch Hutten wieder Hoffnungen setzte; den Einfluß, den Sickingen auf den Kaiser üben könnte, haben beide überschätzt.

In dieser Lage kam dagegen Luther nur immer nachdrücklicher darauf zurück, daß man ohne menschliche Anschläge das Weitere in Gottes Rath und Hand stellen müsse. Hutten selbst hat in einem Brief an ihn (während des Wormser Reichstags) geäußert: »Ich will mit Dir tapfer für Christus kämpfen; darin aber unterscheiden sich unser beider Rathschläge, daß die meinigen menschlich sind, Du, der Vollkommenere, ganz nur an den göttlichen hängst.« Und als Hutten wirklich zu seinen Waffen greifen zu wollen schien, erklärte jetzt Luther ihm und anderen mit aller Entschiedenheit: »Ich möchte nicht, daß man mit Gewalt und Mord für das Evangelium stritte; durchs Wort ist die Welt überwunden, durchs Wort die Kirche erhalten worden, durchs Wort wird sie auch wieder hergestellt werden; ja auch der Antichrist wird, wie er ohne Faust angefangen hat, so auch ohne Faust zermalmt werden durchs Wort.« Auch gegen die Römlinge im deutschen Klerus wollte er keine Gewaltthaten, dergleichen in Böhmen verübt worden seien; er habe beim deutschen Adel nicht darauf hingearbeitet, daß durchs Schwert, sondern daß durch Rath und Befehl ihnen Einhalt gethan werde; er fürchte freilich, daß ihre eigene Wuth sich das nicht gefallen lasse und selbst das Unheil über sie bringe.

Ueber jene wohl begründete Erwartung eines nahen Endes, wovon wir ihn in einem Brief an Spalatin (vom 16. Januar 1521) reden hörten, hat er sich damals ausführlich in einem Buche erklärt, in welchem er auf eine wider ihn gerichtete Schrift des römischen Theologen Ambrosius Catharinus entgegnete. Er hat sich seine Gedanken darüber auf Grund alt- und neutestamentlicher Prophetenworte gebildet, an welchen auch schon bisher einzelne Christen und christliche Gemeinschaften unter schweren Kämpfen mit den gegenwärtigen Mächten der Finsterniß immer wieder in der sichern Hoffnung des nahen von Gott kommenden Sieges sich aufzurichten pflegten. Die Herrschaft und höchste Steigerung des gottwidrigen Wesens im Antichrist soll eben der letzten göttlichen Entscheidung und Vollendung unmittelbar vorangehen. Auf ihn bezieht Luther namentlich das Wort bei Daniel (Kap. 8), daß nach den vier großen Weltreichen, unter deren letztem man das römische verstand, aufkommen werde ein frecher und tückischer Herrscher, dem durch seine Klugheit der Betrug gerathe und der wider den Fürsten aller Fürsten sich auflehne, der dann aber ohne Hand werde zerbrochen werden. Er sieht es erfüllt im Papstthum: so müsse auch dieses zerstört werden ohne Hand oder äußere Gewalt. Dasselbe sagt ihm Paulus an der Stelle, die er längst auf den römischen Antichrist gedeutet, nämlich 2. Thess. 2: Jenen Boshaftigen, der sich als ein Gott in Gottes Tempel setzt, wird »der Herr umbringen mit dem Geist seines Mundes und wird seiner ein Ende machen durch die Erscheinung seiner Zukunft.« So, sagt Luther, wird der Papst und sein Reich nicht von den Laien zerstört, sondern zu schwererer Strafe bis auf Christi Wiederkunft aufbehalten werden; er muß ebenso untergehen, wie er sich erhoben hat nicht mit der Hand, sondern mit dem Geiste des Satans; der Geist muß den Geist tödten, die Wahrheit den Trug aufdecken.«

Luther hat, wie wir sehen werden, Zeitlebens diese Erwartung eines nahen Endes festgehalten. Wie seinem glühenden Eifer schon in der Gegenwart die höchsten Gegensätze sich darstellten, so stand ihm auch dieser sichere Sieg schon unmittelbar vor Augen. Dieses Endes gewiß ist er seinen Weg vorangegangen, ohne die nächsten Schritte voraus berechnen und voraus bestimmen zu wollen. In seiner Hoffnung auf den nahen Abschluß der irdischen Geschichte der Christenheit und Menschheit ist er das Werkzeug geworden, einen großen neuen Abschnitt derselben heraufzuführen. –

Die Urkunde des Widerrufs, zu welchem die Bannbulle Luther noch einmal ermahnte, hätte binnen 120 Tagen in Rom einlaufen sollen. Luther hatte geantwortet. Der Papst erklärte die Frist für verstrichen: am 3. Januar sprach Leo in einer neuen Bulle endgiltig den Bann über Luther und seine Anhänger aus und belegte die Orte, wo sie sich aufhalten würden, mit dem Interdicte.

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Anmerkungen:
  1. Selbstverständlich ist hiemit der gemeint, welchen die heilige Schrift (Mark. 1, 24. Apostelgesch. 2, 27) den Heiligen Gottes heißt, nämlich Christus, nicht, wie Unverstand oder Bosheit es gedeutet haben, Luther selbst.
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