Neuntes Kapitel.

Der Wormser Reichstag.

Betrachten wir die Elemente und Kräfte, welche damals in der kirchlichen Bewegung Deutschlands so mächtig wirkten, so erscheint ein Gedanke daran wohl möglich, daß diese wesentlich durch die Macht des Wortes und ohne die gefürchteten blutigen Kämpfe und politischen Umwälzungen allmählich zum Ziel durchdringen würde, daß also Deutschland nur den geistigen Sturm oder »Tumult und Aufruhr«, den Luther schon damals losgebrochen sah, hätte durchmachen und mit den neu gewonnenen religiösen Ueberzeugungen die Formen und Bande des Römischen Kirchenthumes hätte zersprengen müssen. War doch in der kurzen Zeit, seit Luther den Kampf begonnen und nur allmählich die weiteren Schritte darin gethan hatte, schon ein Erfolg erreicht, den Niemand von jenen Anfängen aus zu ahnen vermocht oder zu hoffen gewagt hätte. Der angesehene Nestor unter den großen Deutschen Reichsfürsten, Friedrich der Weise, war sichtlich von jenen Banden innerlich schon frei geworden, wenn er auch zu einem entschiedenen Auftreten nach Außen sich noch nicht berufen fühlte; sein Verhalten konnte nicht ohne Eindruck auf seine Genossen bleiben. Der Adel und Bürgerstand, unter welchem das reformatorische Wort schon am meisten gezündet hatte, war bei der Regierung Deutschlands auf den Reichstagen kräftig mit vertreten. Unter den geistlichen Herren hatte der vornehmste, der Erzbischof von Magdeburg und Mainz, der durch Luthers Angriff auf den Ablaß sich am meisten verletzt fühlen konnte, bis jetzt eine eigenthümliche, vorsichtige, zuwartende Haltung angenommen, die ihm auch einen künftigen Anschluß an eine nationale Erhebung gegen seinen römischen Oberherrn offen ließ. Jene alten kirchlichen Beschwerden der Reichstage wurden schon bisher ohne Scheu vor dem Zürnen und Schelten des Papstes vorgetragen. Sobald hier die Ueberzeugung durchdrang, daß die Machtansprüche des römischen Stuhles nicht auf ewigem, göttlichem Rechte ruhen, so konnte der Reichstag sofort für sich auch die kirchliche Reformation in die Hand nehmen. Die bischöfliche Verfassung überhaupt hat Luther, wie namentlich seine Schrift an den Adel uns zeigte, keineswegs auflösen wollen, wenn nur irgend die Bischöfe nach Gottes Wort ihre Herden zu weiden sich verstanden. Ein selbständiger Deutscher Episkopat hätte dann auch die nöthigen Verbesserungen im Gottesdienste vornehmen mögen: Luther selbst hat, wie wir sehen werden, auch nachher nur möglichst wenige äußere Aenderungen darin haben wollen.

In den einzelnen deutschen Landen, die nachher protestantisch wurden, ist die Reform wirklich ohne so furchtbare Erschütterungen durch die Fürsten im Einverständniß mit ihren Landständen und in den freien Städten durch die Obrigkeit und Vertretung der Bürgerschaften hergestellt worden, obgleich hier die Widerstrebenden an der Majorität des Reiches und dem Kaiser, die beim römischen Kirchenthum beharrten, einen Rückhalt hatten. Mußte nicht eine evangelische Reformation, zu der die Reichsgewalt selbst im Einklange mit der überwiegenden Stimmung der ganzen Nation sich entschlossen hätte, ebenso und noch leichter durchführbar sein?

Man wies auf die wilden, gräulichen Kämpfe der Hussiten hin. Aber Niemand konnte läugnen, daß der lutherischen Verkündigung eine Klarheit, religiöse Tiefe und Freiheit von Fanatismus eigen war, welche der Hussitenpredigt fehlte. Und die wilden Hussitenkriege, die noch in traurigem Andenken bei den Deutschen fortlebten, waren erst durch die Gewalt, welche die Kirche gegen Böhmen von außen her aufbot, hervorgerufen. Gegen die deutsche Nation fand Rom, wenn sie sich von ihm losriß, keine solche Gewaltmittel.

Man könnte, wenn man dergleichen Gedanken nachgeht, sogar fragen, ob denn Luther damals genug Grund gehabt habe, den Sieg seiner Sache nicht eben schon von dem gegenwärtigen Worte und den gegenwärtig wirkenden Kräften, sondern erst von jenem Tage des Herrn zu erhoffen.

Gewiß hängt nun in solchen großen Wendepunkten der Geschichte die Entscheidung nie blos vom Charakter und Verhalten einzelner Persönlichkeiten ab, ob sie auch noch so hoch stehen mögen. Luther sah in jenem päpstlichen Antichristenthum satanische Mächte, durch welche die Herzen geblendet seien und welche das gegenwärtige Gotteswort zwar unter Leiden und Drangsal überwinden werde, welche es aber doch noch nicht entwurzeln und zu nichte machen könne. Und wir Protestanten müssen anerkennen, daß nicht blos eine große Masse des deutschen Volkes unter der Macht des Hergebrachten gebannt blieb, sondern daß auch redlichen und selbständig denkenden Anhängern des Alten wahrhaft religiöse und sittliche Interessen durch die neue Lehre und den Bruch mit der Vergangenheit schwer bedroht erscheinen konnten. Aber nie stand doch wohl bei den Geschicken der deutschen Nation und Kirche die wichtigste Entscheidung so sehr bei Einem Manne, wie damals bei dem neugekrönten Kaiser. Darauf vor allem kam es an, ob er als das Haupt des Reiches das große Werk in die Hand nehmen oder vielmehr seine Macht und Autorität dagegen einsetzen werde.

Als edles junges Blut, welches für das neu erwachte Leben und Streben empfänglich erschien, war Karl in Deutschland begrüßt worden; als der Sohn eines alten deutschen Fürstenhauses, der bei der Kaiserwahl über den fremden König Franz obgesiegt hatte, während der Papst für diesen wirkte. Jetzt hörte man, er sei in den Händen der Bettelmönche: der Franziskanermönch Glapio war sein Beichtvater und einflußreicher Rathgeber. Grade er hatte mit der Verbrennung von Luthers Büchern den Anfang machen lassen.

Er war indessen doch keineswegs so abhängig von seiner Umgebung, noch diese so abhängig von römischen Einflüssen, als man hienach hätte meinen können. Mit selbständiger Politik verfolgten seine Rathgeber die Interessen seiner Herrschaft und er selbst wußte schon in diesen seinen Jugendjahren als selbständiger Monarch und kluger Staatsmann aufzutreten.

Aber ein Deutscher war er nicht trotz seines Großvaters Maximilian; er hatte nicht einmal eine ordentliche Kenntniß der deutschen Sprache. Vor Allem war er König von Spanien und Neapel; in seinem spanischen Reich behielt er, auch als ihm die Kaiserkrone zugefallen war, die festeste Grundlage seiner Macht.

Karl V.
Abb. 25: Karl V. nach einem Kupferstiche B. Behams v. J. 1531.

Seine religiöse Erziehung und Bildung hatte ihn nur mit der streng kirchlichen Lehre und der Verpflichtung gegen die hergebrachten kirchlichen Ordnungen bekannt gemacht. Dadurch fühlte er sich auch in seinem Gewissen gebunden. Nie zeigte er einen Trieb, sich in die entgegenstehenden Anschauungen bei seinen deutschen Unterthanen wenigstens mit selbständig prüfendem Urtheil hineinzuversetzen. Nur die Rücksicht auf seine Herrscherrechte und Aufgaben leitete neben diesem religiösen Standpunkt sein kirchliches Verhalten. In der spanischen Kirche wurde damals eine gewisse Reform durchgeführt auf den streng festgehaltenen Grundlagen der mittelalterlichen Kirchenlehre und hierarchischen Verfassung: es wurde nämlich schärfere Disciplin gegen Geistliche und Mönche geübt, sie wurden angehalten, ihrer Pflichten für die sittlich-religiösen Bedürfnisse des Volkes treuer zu warten, bei diesem wurde hiedurch auch eine lebendigere Religiosität in jenen Formen neu angeregt; die Krone bestand ferner auf gewissen Rechten auch der römischen Curie gegenüber; ein absolutistisches Königthum wußte sich hier mit dem päpstlichen Absolutismus klug zu einigen. Eine Lossagung der deutschen Kirche vom Papstthum aber war schon hiemit unverträglich. Zur Einheit der Reiche Karls gehörte die Einheit der katholischen Kirche, in der sie standen. Dazu kamen für den Kaiser die Rücksichten seiner äußeren Politik: war er durch den Papst gereizt worden, der im Bund mit Frankreich seine Wahl hintertreiben wollte, so war doch für den Krieg, der mit Frankreich drohte, der Friede mit dem Papst und womöglich ein Bündniß mit ihm selbst zu erstreben. Da konnte dann freilich gerade auch diejenige Gefahr, welche jetzt dem Papstthum durch die große deutsche Ketzerei drohte und gegen welche es die Hilfe des weltlichen Arms dringend bedurfte, dazu benützt werden, um auf den Papst einen Druck zu üben. Nie wollte ferner die Politik des Kaisers durch die Rücksicht auf diesen und im Dringen auf die Einheit der Kirche in Maßregeln sich hineinziehen lassen, für welche seine eigene Macht nicht ausreichte, durch welche also sein Ansehen erschüttert, ja gebrochen werden konnte. Und so sehr die monarchische Gewalt in Spanien erstarkt war, so sehr fand er sie in Deutschland durch die Reichsstände und die ganze Gestaltung der Verhältnisse gehemmt und gebunden.

Das sind die Gesichtspunkte, welche für das Verhalten Karls V. gegen Luther und seine Sache maßgebend wurden. Dieser war so, wenigstens leidend, in das Spiel der großen kirchlichen und weltlichen Politik mit hineingezogen und hatte auch unter ihm seinen eigenen Weg zu verfolgen.

Schnell genug wurde der kaiserliche Hof mit den Stimmungen in Deutschland bekannt. Er zeigte sich jetzt vorsichtig und noch verschiedenen Erwägungen zugänglich, so wenig er je in seinen Kundgebungen den Freunden Luthers ein Recht gab, positiv Günstiges zu hoffen.

Als Karl weiter rheinaufwärts zog, um nach Neujahr einen Reichstag in Worms zu halten, ging Friedrich der Weise seine Räthe darum an, daß Luther wenigstens noch vernommen werden möchte, ehe der Kaiser gegen ihn einschreite. Von diesem erhielt er die Antwort, daß er denselben zu diesem Zwecke nach Worms mitbringen möge; Unrecht sollte ihm nicht widerfahren. Dem Kurfürsten erschien das doch bedenklich; er mochte an die Gefahr denken, der einst ein Hus in Constanz preisgegeben war. Luther aber, welchem er durch Spalatin das Ansinnen des Kaisers mittheilte, erwiderte sogleich: »Wenn ich gerufen werde, werde ich, soviel an mir ist, kommen, ob ich mich auch krank müßte hinführen lassen; denn man darf nicht zweifeln, daß ich vom Herrn gerufen werde, wenn der Kaiser mich ruft.« Man werde, sagt er, wohl Gewalt gegen ihn brauchen, aber noch lebe der Gott, der die drei Jünglinge im Feuerofen zu Babel erhalten habe, und wenn dieser ihn nicht erhalten wolle, so sei an seinem Kopfe wenig gelegen. Nur darum habe man Gott zu bitten, daß Kaiser Karl nicht mit Vergießen unschuldigen Bluts zum Schutz der Gottlosigkeit sein Regiment eröffne; viel lieber wolle er blos durch die Hände der Römer umkommen. Früher hatte er wohl an einen Ort gedacht, wohin er fliehen könnte, wenn in Wittenberg seines Bleibens nicht mehr wäre; nach Böhmen konnte er immer noch. Er aber erklärte jetzt kurzweg: »Fliehen will ich nicht, widerrufen noch viel weniger.«

Inzwischen erhoben sich auch beim Kaiser Bedenken dagegen, daß Luther, der schon unter Bann und Interdict stehe, an den Ort der Reichsversammlung selbst zugelassen werden sollte. Ueber das Verfahren gegen ihn entspannen sich dann in Worms, wo die Reichsstände im Januar zusammenkamen und am 28. die ordentliche Eröffnung des Reichstags statthatte, längere, schwankende und spannungsreiche Verhandlungen zwischen dem Kaiser, den Ständen und dem Legaten Aleander.

Ein Schreiben des Papstes forderte den Kaiser auf, der Bulle, durch welche Luther jetzt definitiv verurtheilt war, durch ein Edict Kraft zu geben. Sein Legat übte eine schlaue und unermüdliche Thätigkeit, offen und noch mehr insgeheim, mit Worten und Argumenten und nebenbei mit Geld und andern Bestechungsmitteln, womit er sich von Rom aus auf's Reichlichste versehen ließ. Unter den kaiserlichen Räthen drang doch die Ansicht durch, daß nicht ohne Zustimmung des Reichstags gehandelt werden dürfte. In einer langen Rede suchte dagegen Aleander (am 13. Februar) diesen zu gewinnen. Kluger Weise wies er, nach dessen Grundsätzen schon die Appellation an ein Conzil ein Verbrechen war, doch die darauf zielenden Gedanken an sich nicht zurück und hob um so nachdrücklicher hervor, daß Luther ja die Autorität der Conzilien verachte und überhaupt von Niemandem Zurechtweisung annehmen wolle. Daneben wandte sich der kaiserliche Beichtvater und Diplomat Glapio mit wunderbar freundlichen Aeußerungen an Friedrichs Kanzler Brück: auch er finde viel Gutes in Luthers Schriften; entsetzlich aber sei ihm der Inhalt seines Buches von der Babylonischen Gefangenschaft; nun werde es nur auf Widerruf so anstößiger Sätze ankommen, daß jenes Gute für die Kirche fruchtbar werden und Luther zu einer wahren, kirchlichen Reform, auf die auch der Kaiser ausgehe, mitwirken könne; man möge ihn vor gelehrte unparteiische Männer an einen gelegenen Ort laden und ihrem Urtheil sich unterwerfen lassen. Hiemit wäre jedenfalls das Erscheinen Luthers vor Kaiser und Reich glücklich beseitigt gewesen, und, wenn er doch nichts widerrief, sein Schicksal entschieden. Wir müssen dahingestellt lassen, wie weit Glapio auch noch ernstlich an eine Möglichkeit dachte, durch Drohen und Zureden ihn soweit umzustimmen, daß er auch noch für eine Reform im Sinne jener spanischen nutzbar gemacht und als Werkzeug gegen einen dem Kaiser feindlichen Papst verwendet werden könnte. Kurfürst Friedrich aber wollte für das dunkle Vorhaben keinerlei Verantwortung übernehmen; er selbst ließ sich auf eine Unterredung, die Glapio wünschte, gar nicht ein.

Der Kaiser folgte dann dem Andringen des Papstes in soweit, daß er den Ständen ein Mandat vorlegen ließ, wonach Luther gefangen gesetzt und seine Beschützer als Majestätsverbrecher bestraft werden sollten. Damals berichtete der Frankfurter Gesandte nach Haus: der Mönch mache viel Arbeit; ein Theil möchte ihn an's Kreuz schlagen, und er werde ihnen kaum entrinnen; es sei aber dann zu besorgen, daß er am dritten Tage wieder auferstehe. Nach siebentägiger erregter Debatte im Reichstage, an der besonders auch Kurfürst Friedrich lebhaften Antheil nahm, ging hier endlich eine Antwort auf die kaiserliche Vorlage durch, worin die Stände zu bedenken gaben: »was es, da im gemeinen Mann durch Luthers Predigt, Lehren und Schriften allerlei Gedanken, Phantasieen und Wünsche erweckt worden, für Frucht oder Nutzen bringen würde, wenn man die Mandate allein mit der Schärfe erließe, ohne Luther vorgefordert und verhört zu haben.« Zugleich aber wurde diese Vernehmung dahin beschränkt, daß nicht mit ihm disputirt werden solle, sondern er nur gefragt: »ob er auf den von ihm ausgegangenen Schriften wider unseren heiligen christlichen Glauben bestehen wolle oder nicht«; widerrufe er, so solle er in anderen Punkten und Sachen weiter gehört und nach Billigkeit darüber verfügt werden; wolle er aber auf allen oder etlichen diesem Glauben widerstreitenden Artikeln beharren, so sollen alle Stände des Reiches bei diesem ihrem väterlichen Glauben ohne fernere Disputation verbleiben und denselben handhaben helfen und der Kaiser dann deshalb Befehl in's Reich ausgehen lassen.

Dem entsprechend erließ der Kaiser unter dem 6. März eine Citation an Luther, damit von ihm in Worms »seiner Lehren und Bücher halber Erkundigung eingezogen werde«. Dazu verhieß er ihm freies Geleit. Falls er nicht folgen würde, oder nicht widerrufen wollte, erklärten sich die Stände mit dem Kaiser darin einverstanden, daß er dann als offenbarer Ketzer behandelt werden müßte.

Darauf also, daß die Wahrheit hinsichtlich jener Glaubensartikel in Worms erst noch unbefangen nach Gottes Wort geprüft werde, sollte Luther vornweg verzichten. Spalatin bezeichnete ihm auch die Punkte, auf welche nach Glapio's Aeußerung der Widerruf jedenfalls sich erstrecken müßte.

Nur das stand doch immer noch in Frage, wie weit jene Artikel ausgedehnt werden und wie weit dagegen die »andern Punkte« sich erstrecken sollten, für welche er, wenn er in jenen nachgab, ein weiteres, vielleicht noch fruchtbares Verhandeln möglich machte. Von einem überlieferten Glauben an päpstliche Infallibilität oder an eine unbedingte Gewalt des Papstes auch über die Gesammtkirche und ihre Conzilien hatte Glapio doch Nichts gesagt, ja selbst der päpstliche Legat Nichts auszusprechen gewagt. Für die freieren Grundsätze jener Männer der früheren reformatorischen Conzilien blieb Raum genug: wenn nur nicht eben Luther auch diesen ihr Ansehen bestritten hätte. Die kirchlichen Mißbräuche, über welche die Reichsstände schon bisher dem Papst gegenüber protestirt hatten, wurden gerade jetzt in Worms Gegenstand allseitiger heftigster Beschwerden. Die Geldabgaben kirchlicher Pfründen und Lehen an Rom, etwas sehr Aeußerliches, aber doch für den Papst höchst Wichtiges, verschlangen Unsummen, während das Reich für sein jetzt neu zu organisirendes Regiment und Gericht nur jämmerlich wenig Geld aufzubringen wußte, und man sprach davon, jene trotz aller päpstlichen Einsprachen für diese Zwecke zurückzubehalten. So treue Glieder der alten Kirche, wie Herzog Georg von Sachsen, forderten eine umfassende Reformation des Klerus, dessen Aergernisse das größte Verderben über die Seelen bringen, und als bestes Mittel hiezu ein allgemeines Conzil. Aleander mußte nach Rom berichten, daß Jeder in dieses, dem Papst so verhaßte Begehren einstimme und daß die Deutschen das Conzil im eigenen Land haben wollen.

Luther war aber sogleich zu beiden entschlossen: der Vorladung zu folgen, und jeden Widerruf, wenn man ihn nicht eines Irrthums überführe, zu verweigern.

Das kaiserliche Schreiben wurde ihm erst am 26. März durch den Reichsherold Kaspar Sturm zugestellt. Eben derselbe sollte ihn nach Worms geleiten. Binnen 21 Tagen vom Empfang der Vorladung an sollte Luther vor dem Kaiser erscheinen, also spätestens am 16. April in Worms eintreffen.

Er hatte bis dahin ununterbrochen seine vielseitige angestrengte Thätigkeit fortgesetzt, indem er, um seinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, wie einst Nehemias zugleich die Arbeiten des Friedens und des Krieges betrieb, mit der einen Hand baute, mit der andern das Schwert führte. Rasch führte er vollends die oben angeführte Streitschrift an Catharinus zum Schlusse. Zugleich hatte er im Monat März den ersten Theil jener Auslegung der kirchlichen Evangelien, welche sein Kurfürst als friedliche, erbauliche Arbeit von ihm begehrt hatte, mit einer Dedication an diesen vollendet und schrieb jetzt an einer gar innigen und zarten praktischen Erklärung des Lobgesangs der Jungfrau Maria, Lukas 1, 46 ff., die er für den ihm sehr ergebenen Prinzen Johann Friedrich, den Sohn Herzog Johanns und Neffen Friedrichs, bestimmt hatte. Noch am 31. März verfaßte er eine kurze Zuschrift an diesen, worin er ihm die schon gedruckten ersten Bogen derselben übersandte, und am 1. April das an seinen Freund Link gerichtete Nachwort zu jener Schrift gegen Catharinus, welche dem Link gewidmet war. »Ich weiß,« sagt er hier, »und bin gewiß, daß unser Herr Jesus Christus noch lebt und regiert; auf dieses Wissen trotze ich, daß ich noch viel tausend Päpste nicht fürchten will, denn der in uns ist, ist größer, denn der in der Welt ist.«

Am Tag darauf, am 2. April, dem Dienstag nach Ostern, brach er auf. Sein Freund Amsdorf und der damals in Wittenberg studirende pommersche Edelmann Peter Swaven begleiteten ihn; er nahm ferner wieder, wie es die Ordensregel mit sich brachte, einen Ordensbruder, Johann Pezensteiner, mit sich. Der Wittenberger Magistrat lieferte Wagen und Pferde.

Der Weg führte über Leipzig, durch Thüringen von Naumburg bis Eisenach, dann südwärts über Berka, Hersfeld, Grünberg, Friedberg, Frankfurt, Oppenheim. Der Herold ritt in seinem Waffenrock voraus und kündigte hiemit den Mann an, dessen Wort schon überall so mächtig die Geister erregt hatte und auf dessen ferneres Verhalten und Geschick Freund und Feind gespannt war. Ueberall lief das Volk zusammen, um ihn von Angesicht zu schauen.

Sehr feierlich wurde er am 6. April in Erfurt empfangen.

Die große Mehrheit der dortigen Universität war jetzt ganz von Begeisterung für seine Sache hingenommen. Seinen Freund Crotus hatte man, als er nach seiner Rückkehr aus Italien wieder dorthin kam, zum Rector erwählt. Die Bannbulle war von der Universität nicht publizirt und von Studenten in's Wasser geworfen worden. Besonders eifrig zeigte sich Justus Jonas, den der von ihm so hoch verehrte Erasmus nicht mehr zurückzuhalten vermochte. Unter dem Volk wirkten Lange und Andere als Prediger.

Dem herannahenden Luther eilte jetzt Jonas bis Weimar entgegen. Vierzig Männer der Universität, der Rector an der Spitze, zogen zu Pferd und mit ihnen eine Menge Anderer zu Fuß aus, um ihn schon an der Grenze des städtischen Gebietes zu begrüßen, während auch er ein kleines Gefolge bei sich hatte. Crotus drückte ihm die unendliche Freude aus, ihn, den großen Glaubenskämpfer, zu sehen, worauf Luther erwiderte, daß er solches nicht verdiene, aber für ihre Liebe ihnen danke. Auch der Dichter Eoban sprach einige, wie er selbst sagt, stammelnde Worte; er hat nachher den Hergang in einer Reihe lateinischer Gesänge beschrieben.

Am folgenden Tag, einem Sonntag, blieb Luther in Erfurt. Er hielt da eine Predigt, die uns erhalten ist, in der Kirche des Augustinerklosters. Ausgehend von den Worten des sonntäglichen Evangeliums »Friede sei mit Euch« (Joh. 20, 19 ff.) sprach er von dem Frieden, welchen wir durch den Erlöser Christum finden, indem wir im Glauben an ihn und sein Heilswerk ohne eigenes Werk und Verdienst gerecht werden, von der Freiheit, mit welcher die Christen im Glauben und in der Liebe handeln dürfen, und zugleich davon, wie jeder Mensch, der diesen Frieden Gottes habe, sein Werk also schicken müsse, daß es ihm nicht allein, sondern auch seinem Nächsten nutz sei. Das sprach er aus gegen die Werkgerechtigkeit der meisten Prediger und das päpstliche Gesetzeswesen, das auch gegen die Weisheit der heidnischen Meister, eines Aristoteles, Plato u.s.w. Seiner gegenwärtigen persönlichen Lage und des schweren Ganges, den er jetzt zu thun hatte, gedachte er gar nicht, sondern nur der allgemeinen Verpflichtung, die er habe, ob auch noch so viele Lehrer anders lehrten: »Ich will die Wahrheit sagen und muß es thun, darum stehe ich hie, und nehm nicht Geld darum.« – Während der Predigt hörte man in dem gedrängt vollen Gotteshause, vor dessen Thüren auch viel Volks stand, plötzlich ein Krachen auf den überladenen Emporen. Erschrocken wollte die Menge fliehen; Luther aber rief: »Ich kenne deine Tücken schon, du Satan,« und beruhigte die Gemeinde, daß keine Gefahr drohe, sondern der Teufel nur schlechtes Spiel treibe.

Auch im Augustinerkloster zu Gotha und Eisenach predigte Luther. In Gotha fand es das Volk bedeutsam, daß nach der Predigt der Teufel etliche Steine vom Giebel der Kirche abgerissen habe.

In den Herbergen erquickte sich Luther gern an Musik, griff wohl auch selbst nach der Laute.

In Eisenach aber erlitt er einen Krankheitsanfall, so daß man ihm zu Ader ließ; noch von Frankfurt aus meldete er an Spalatin nach Worms, daß er sich seither in einer Weise leidend und schwach fühle, wie er es nie früher erlebt habe.

Unterwegs fand er ein neues kaiserliches Edict angeschlagen, welches gebot, alle seine Bücher auszuliefern, weil sie vom Papst verdammt und dem bisherigen christlichen Glauben zuwider seien. Karl V. hatte hiemit den Legaten, denen Luthers Berufung nach Worms ein Aergerniß war, wieder eine Genugthuung gegeben. Manche zweifelten, ob Luther, nachdem der Kaiser über seine Sache schon so abgeurtheilt, doch noch persönlich sich stellen werde. Er selbst erschrak, reiste aber weiter.

In Worms war inzwischen Unruhe und Spannung auf beiden Seiten. Hutten ließ von der Ebernburg aus drohende, wüthende Schreiben an die päpstlichen Legaten ergehen. Es wurde ihnen wirklich bange vor einem Schlag, der von dort aus erfolgen könnte; Aleander jammerte, daß Sickingen jetzt in Deutschland König sei, weil er Gefolge habe wann und wie viel er wolle. In Wahrheit aber stand dieser auf keinen Fall schon zu augenblicklichem Eingreifen bereit, rechnete auch immer noch darauf, mit seinen kirchlichen Gesinnungen des Kaisers Freund bleiben zu können, ja war eben jetzt im Begriff, eine Stelle als Feldhauptmann in seinem Dienst anzunehmen. Besorgte Freunde Luthers gedachten, daß man nach päpstlichem Recht einem verdammten Ketzer das Geleite nicht zu halten habe. Spalatin selbst schickte an Luther, als er von Frankfurt über Oppenheim heranreiste, noch eine Warnung aus Worms, daß es ihm wie Hus ergehen könnte.

Zugleich nahm andererseits Glapio, sicherlich mit Wissen und Zustimmung seines kaiserlichen Herrn, den Versuch, wo möglich noch klug auf Luther einzuwirken, oder wenigstens ihn von Worms zurückzuhalten, in unerwarteter Weise noch einmal auf. Er kam mit dem kaiserlichen Kämmerer Paul von Armsdorf zu Sickingen und Hutten auf die Ebernburg, sprach ähnlich, wie früher Brück gegenüber, mit unbefangener und wohlwollender Miene über Luther und erbot sich, mit ihm bei Sickingen eine friedliche Besprechung zu halten. Zugleich mahnte Armsdorf den Hutten mit dem Anerbieten einer kaiserlichen Pension von seinen Ausfällen und Drohungen gegen die Legaten ab. Kam Luther dem Antrage gemäß auf die Ebernburg, so konnte er nicht mehr rechtzeitig in Worms eintreffen, das ihm zugesagte freie Geleit galt nicht mehr, der Kaiser hatte gegen ihn freie Hand. Dennoch ging Sickingen auf den Vorschlag ein: größer muß ihm doch die Gefahr geschienen haben, die Luther in Worms drohe; und Luthern wäre ja dann wenigstens der ihm schon früher zugedachte Schutz seiner Burg zu theil geworden. Bei Sickingen befand sich damals auch der Theologe Martin Butzer aus Schlettstadt, der schon bei jener Anwesenheit Luthers in Heidelberg i. J. 1518 mit ihm bekannt und für ihn gewonnen worden war. Dieser wurde jetzt beauftragt, ihm in Oppenheim, wo ihn sein Weg in der Nähe vorbeiführte, die Einladung zu überbringen.

Aber Luther ging seinen geraden Weg weiter. Dem Butzer antwortete er: Glapio werde in Worms mit ihm reden können, dem Spalatin: sei Hus verbrannt worden, so sei doch die Wahrheit nicht verbrannt; er wolle nach Worms, wenn auch so viel Teufel dort wären als Ziegel auf den Dächern.

Am 16. April Vormittags 10 Uhr fuhr Luther in Worms ein. Er saß in seiner Mönchstracht auf offenem Wagen mit seinen drei Begleitern von Wittenberg her. Eine große Anzahl Anderer geleitete ihn zu Pferde: sie hatten theils, wie Jonas, schon früher sich an ihn angeschlossen, theils waren sie, wie einige Herren des kursächsischen Hofes, ihm aus Worms zum Empfang entgegen gegangen. Der Herold ritt voran. Der Wächter auf dem Thurm des Domes blies, als er den Zug an's Thor kommen sah. Tausende strömten herbei, um Luther zu sehen. Jene Herren des Hofes brachten ihn in das Haus der Johanniter-Ritter, wo er neben zwei Räthen des Kurfürsten Wohnung erhielt. Beim Aussteigen sprach er: »Gott wird mit mir sein.« Aleander sagt von ihm in einem Bericht nach Rom, er habe da mit dämonischen Augen um sich geblickt.

Schon an diesem Tag und ebenso an den folgenden drängten sich bei ihm Besuche von vornehmen Herren, Geistlichen und Laien, die ihn persönlich kennen lernen wollten.

Dr. Martin Luther
Abb. 26: Luther nach einem Kupferstiche Cranachs v. J. 1521.

Gleich am Abend des folgenden Tages mußte er vor dem Reichstag erscheinen, der nicht fern von Luthers Herberge im bischöflichen Palast, wo der Kaiser wohnte, versammelt war. Man führte ihn dorthin auf Seitenwegen, weil auf der Straße vor der Menge, die ihn zu sehen begehrte, nicht durchzukommen war. Dort, als er nach dem Sitzungssaale hinging, hat, wie alte Ueberlieferung berichtet, der berühmte Feldhauptmann Georg von Frundsberg ihn auf die Achsel geklopft und gesagt: »Mönchlein, Mönchlein, Du gehest jetzt einen Gang, einen solchen Stand zu thun, dergleichen ich und mancher Oberste auch in unserer allerernstesten Schlachtordnung nicht gethan haben; bist Du auf rechter Meinung und Deiner Sache gewiß, so fahre in Gottes Namen fort und sei nur getrost, Gott wird Dich nicht verlassen.« Als Rechtsbeistand war ihm von seinem Kurfürsten der Jurist Hieronymus Schurf, sein Wittenberger College und Freund, zur Seite gegeben.

Als er aber nach zweistündigem Warten beim Reichstag vorgelassen wurde, legte ihm hier im Namen des Kaisers der erzbischöfliche Trier'sche Beamte (Official) Eck[1] nur einfach die zwei Fragen vor: ob er die Bücher, die neben Eck auf einer Bank aufgehäuft lagen, für die seinigen anerkenne und ob er ihren Inhalt widerrufen wolle. Schurf rief dazwischen: »man nenne die Titel der Bücher«, worauf Eck sie verlas. Es waren darunter auch nur rein erbauliche Schriften, wie eine Auslegung des Vaterunsers, die nie zum Gegenstand einer Anklage gemacht worden waren.

Auf ein solches Verfahren war Luther freilich nicht gefaßt. Dazu mochte der erste Anblick der hohen Versammlung ihn schüchtern machen. Er antwortete mit leiser Stimme und wie erschrocken: die Bücher seien die seinigen; die Frage über ihren Inhalt aber betreffe das Höchste, Gottes Wort und der Seelen Seligkeit; da müsse er vor einer unbedachten Antwort sich hüten, bitte daher demüthig noch um Zeit zum Ueberlegen.

Nach kurzer Berathung ließ ihm der Kaiser erwidern, daß er ihm aus Gnade noch Frist bis morgen geben wolle.

So hatte Luther am 18. April, einem Donnerstag, abermals vor dem Reichstag sich zu stellen. Wieder mußte er zwei Stunden, bis nach sechs Uhr, warten; er stand da in dichtem Gedränge, unterhielt sich aber noch ganz frei und heiter mit dem Reichstagsgesandten Peutinger, seinem Augsburger Gönner.

Nachdem er hinein gerufen war, begann Eck gegen ihn mit einem Vorwurf darüber, daß er erst noch Bedenkzeit gebraucht habe, gab übrigens jetzt jener zweiten Frage wenigstens die angemessenere und dem Willen der Stände entsprechendere Form: »Willst du die von dir anerkannten Bücher alle vertheidigen, oder aber Etwas zurücknehmen?« Jetzt antwortete Luther in festem und bescheidenem Ton mit einer wohl überlegten Rede. Er unterschied drei Classen unter seinen Büchern. In etlichen derselben trage er einfach evangelische Wahrheiten vor, zu welchen Freund und Feind gleichermaßen sich bekennen; solches könne er doch nicht widerrufen. In andern Büchern habe er verderbliche Gesetze und Lehren des Papstthums angegriffen, von denen Niemand verhehlen könne, daß durch sie die Gewissen der Christen jämmerlich gemartert werden, auch Hab und Gut der deutschen Nation tyrannisch verschlungen; würde er diese Bücher widerrufen, so würde er sich zu einem Schanddeckel der Bosheit und Tyrannei machen. Für's Dritte habe er wider einzelne Personen geschrieben, die jene Tyrannei beschützen und die gottselige Lehre vertilgen wollten; gegen sie bekenne er heftiger gewesen zu sein, als sich zieme; doch könne er auch diese Bücher nicht widerrufen, ohne der Tyrannei und Gottlosigkeit Vorschub zu leisten. Zum Schutz aber seiner Bücher könne er nur sagen wie einst der Herr Christus: »Habe ich übel geredet, so beweise, daß es böse sei«; er bitte um Gegenzeugnisse aus den prophetischen und evangelischen Schriften. Wie seine Rede schon im Verlauf zu einem neuen Straf- und Kampfeswort gegen das Papstthum geworden war, so erhob sie sich schließlich zu ernster Warnung für Kaiser und Reich, daß man nicht, indem man durch Verdammung des göttlichen Wortes Ruhe stiften wolle, vielmehr eine Sündfluth von Unheil erwecke und der Regierung des edeln jungen Kaisers einen unseligen und Unheil verkündenden Anfang gebe. Er meine nicht, daß die hohen Herrn dieser seiner Mahnung bedürfen, aber er könne der Pflicht gegen sein Deutschland sich nicht entziehen.

Luther sprach, wie Eck, lateinisch und wiederholte dann, weil es gewünscht wurde, die Rede mit gleicher Festigkeit deutsch.

Schurf, der ihm zur Seite stand, rühmte nachher, »wie Martinus diese Antwort mit solcher Tapferkeit und züchtiger Freidigkeit (Freimuth) mit gen Himmel aufgehobenen Augen vollbracht habe, daß er und männiglich sich darob müssen verwundern«.

Ueber diese seine Erklärung hielten die Fürsten wieder eine kurze Besprechung mit einander. Dann machte ihm Eck im Auftrag des Kaisers scharfen Vorwurf, daß er unbescheiden geredet und die ihm gestellte Frage nicht wirklich beantwortet habe, wies sein Verlangen nach Gegenbeweisen ab, da seine Ketzereien schon durch die bisherige Kirche und namentlich das Constanzer Conzil verurtheilt seien und solche Urtheile genügen müßten, wenn irgend etwas in der Christenheit sollte festgestellt werden können, sagte ihm übrigens, falls er solche Artikel widerriefe, ein billiges Verfahren gegen seine anderen Schriften zu und forderte jetzt endlich auf die Frage, ob er alle seine Sätze festhalten oder etwas widerrufen wolle, eine einfache Antwort »ohne Hörner«.

Darauf entgegnete Luther: so wolle er denn eine Antwort geben, die keine Hörner noch Zähne habe: wofern er nicht durch Zeugnisse der heiligen Schrift oder durch helle Gründe widerlegt werde, so sei sein Gewissen durch die von ihm angeführten Gottesworte gebunden; denn der Papst und die Conzilien haben, wie am Tage liege, öfters geirrt; er könne und wolle so Nichts widerrufen, weil wider das Gewissen zu handeln unsicher und gefährlich sei.

Nur wenige weitere Worte wechselte Eck noch mit ihm darüber, ob man einem Conzil Irrthum nachweisen könne, worauf Luther bestand.

Unter Ecks Dringen und Drohen rief Luther die Worte aus: »Ich kann nicht anders, hier stehe ich, Gott helf mir. Amen.«

Unwillig hob der Kaiser die Sitzung auf, gegen acht Uhr Abends. Es war inzwischen Nacht geworden, der Saal mit Fackeln beleuchtet, unter der Zuhörerschaft große Aufregung und Unruhe.

Luther wurde hinausgeführt, worüber unter den Deutschen ein Getümmel sich erhob, weil sie meinten, man nehme ihn gefangen. Wie er noch in dem heißen Gedränge stand, ließ ihm Herzog Erich von Braunschweig eine Kanne Eimbecker Biers reichen, aus der er selbst vorher getrunken.

Bei seinem Wiedereintritt in seine Herberge »reckte Luther«, wie ein dort anwesender Nürnberger erzählt, »die Hände auf, und mit fröhlichem Angesicht schrie er: ich bin hindurch, ich bin hindurch!« Spalatin berichtet: »er ging in die Herberg so muthig, getrost und fröhlich in dem Herrn, daß er vor Andern und mir sagte: wenn er tausend Köpfe hätte, wollte er sie ihm eher alle abhauen lassen, denn einen Widerspruch thun.« Weiter berichtet eben derselbe von Kurfürst Friedrich, daß dieser noch vor seinem Abendessen ihn aus Luthers Wohnung zu sich rufen ließ, ihn zu sich in die Kammer nahm, und zu ihm mit großer Verwunderung sagte: »Wohl hat der Pater, Doctor Martinus, geredt vor dem Herrn Kaiser und allen Fürsten und Ständen des Reichs in Latein und Deutsch; er ist mir viel zu kühne.«

Dagegen hatte Kaiser Karl von Luthers Persönlichkeit so wenig Eindruck bekommen und hatte für sie so wenig Verständniß, daß er meinte, die ihm zugeschriebenen Schriften können nimmermehr von ihm selbst verfaßt sein. Seine Spanier hatten Luther, als er aus dem Reichstag wegging, großentheils mit höhnischem Gezische verfolgt.

Indem Luther so den Widerruf schlechthin verweigerte, hatte er nunmehr alle Vermittelungen oder Vereinbarungen, auf welche gemäßigte, milde und nach Verbesserungen strebende Anhänger des bisherigen Kirchenthums bei ihm noch hoffen mochten, kurzweg von sich gewiesen und unmöglich gemacht. Ein Bund mit ihm war auch für Jene vollends unmöglich geworden, welche die Vertretung der Kirche durch Conzilien der päpstlichen Tyrannei entgegenstellen, aber dann wenigstens bei den Conzilien sichere, endgiltige Entscheidung für die Fragen des christlichen Glaubens und Lebens haben wollten. Eben die Conzilien waren es ja, über welche Eck recht geflissentlich eine Erklärung bei ihm hervorrief. Wohl mochte er da auch für seinen Kurfürsten zu kühn geredet haben. Aleander, der seiner Vernehmung so sehr entgegengewirkt hatte, war jetzt mit dem Erfolg derselben recht wohl zufrieden. Luther selbst aber blieb sich treu. Wohl hatte er sonst oft von einem Nachgeben in äußeren Dingen geredet, das man der Eintracht und Liebe und Rücksicht auf Schwache schuldig sei, und sein Verhalten beim Aufbau des eigenen Kirchenwesens wird uns zeigen, wie er da in die Zeit sich zu schicken und, wo Vollkommenes nicht zu erreichen war, mit Unvollkommenem sich zu begnügen wußte. Hier dagegen handelte es sich nicht um Aeußeres, oder um ein mehr oder minder zweckmäßiges Verfahren für einen guten Zweck, sondern um ein Bekennen oder Verläugnen der Wahrheit und zwar, wie er es aussprach, der höchsten und heiligsten, auf Gott und die Seligkeit bezüglichen Wahrheiten: darin war sein Gewissen gebunden.

Und noch war die Probe, welche er hierin zu bestehen hatte, nicht vorbei.

Während nämlich der Kaiser schon am Morgen des 19ten den Reichsständen zu wissen that, daß er jetzt Luther nach Wittenberg zurückschicken und als Ketzer behandeln wolle, setzte die Mehrheit derselben durch, daß vielmehr noch weitere Verhandlungen durch eine besondere Commission mit ihm versucht werden sollten. Sie wurden durch den Kurfürsten von Trier geleitet, vor welchen einst Friedrich der Weise und Miltitz Luthers Angelegenheit hatten bringen wollen. Die Freundlichkeit und das sichtliche Interesse für die Sache, womit man hier in Luther drang, war mehr geeignet, ihn zu bewegen, als jenes Auftreten Ecks. Dem Erzbischof hat er selbst nachher das Zeugniß gegeben, daß er sich gegen ihn mehr denn gnädig gezeigt habe und es gerne gut gemacht hätte. Man muthete ihm keineswegs den einfachen Widerruf aller seiner vom Papst verurtheilten Sätze oder gegen den Papst gerichteten Schriften zu; hauptsächlich nur auf diejenigen Sätze wurde er hingewiesen, mit welchen er gegen die Aussprüche des Constanzer Conzils verstieß. Er wurde aufgefordert, sich vertrauensvoll einer Entscheidung von Kaiser und Reich zu unterwerfen, wo seine Bücher unverdächtigen Richtern würden vorgelegt werden. Dann sollte er wenigstens die Entscheidung eines künftigen Conzils annehmen, vor welcher dann also das Urtheil des Papstes noch nicht gegolten hätte. So frei bewegte sich damals dem Papst gegenüber in der Verhandlung mit einem von ihm verurtheilten Mann die Commission eines deutschen Reichstags, in der mehrere Bischöfe und Herzog Georg von Sachsen saßen. Aber alles scheiterte an dem steten Vorbehalt Luthers, daß die Entscheidung nicht Gottes Wort zuwider laufen dürfte; auf sein Urtheil darüber, ob dem so sei, konnte er in seinem Gewissen nicht verzichten. So erklärte er denn nach zweitägiger Verhandlung am 25. April dem Erzbischof nach Spalatins Bericht: »Gnädigster Herr, ich kann nicht weichen, es gehe mir wie Gott will«; und fuhr fort: »Ich bitt Euer kurfürstlich Gnaden, Sie wollen mir bei Kaiserlicher Majestät gnädige Erlaubniß wiederum anheimzu erlangen, denn ich bin nun in den zehnten Tag hie und richtet nichts mit mir aus.«

Schon drei Stunden nachher ließ der Kaiser Luthern ankündigen, daß er an seinen Ort zurückzukehren habe und hiezu noch einundzwanzig Tage lang freies Geleit haben solle; predigen dürfe er unterwegs nicht.

Offenen Aufenthalt und Schutz in Wittenberg aber vermochte ihm, wenn er auch von Seiten des Reichs verurtheilt war, Friedrich der Weise nicht mehr zu gewähren. Dieser hatte inzwischen schon Rath hiefür gefunden. Spalatin berichtet darüber so: »Nun waren mein Gnädigster Herr noch etwas kleinmüthig, hatten Dr. Martinum gewißlich lieb, hätt nicht gern wider Gottes Wort gethan, auch den Herrn Kaiser ungern auf sich geladen, und gedacht' aus das Mittel den Herrn Dr. Martinus eine Zeit bei Seit zu bringen, ob die Sachen in eine Stillung gerichtet möchten werden; ließ auch ihm solches den Abend zuvor zu Worms, ehe er wegzog, anzeigen, wie man ihn bei Seit bringen sollt; deß denn Dr. Martinus Herzogen Friedrichen zu Ehren also unterthäniglich zufrieden stund, wiewohl er gewißlich allzeit viel lieber frisch hinan gegangen wäre.«

Gleich am nächsten Morgen, Freitags den 26., reiste Luther ab. Damit kein Aufsehen entstünde, folgte der geleitende Herold ihm erst nach. Sie fuhren wieder den gewöhnlichen Weg bis Eisenach. In Friedberg ließ Luther den Herold von sich mit einem Schreiben an den Kaiser und die Reichsstände, worin er wegen seines Verhaltens in Worms und seiner Weigerung, menschlicher Entscheidung zu vertrauen, sich damit entschuldigte, daß man in Gottes Wort und ewigen Dingen nicht auf einen oder viele Menschen, sondern allein auf Gott selbst »sich frei begeben und erwägen« dürfe. In Hersfeld, wo der Abt Crato ihn trotz des Bannes mit großen Ehren empfing, und in Eisenach hielt er Predigten ungeachtet des kaiserlichen Verbots, weil er Gottes Wort nicht dürfe binden lassen.

Von Eisenach aus aber fuhr er, während Swaven, Schurf und andere Begleiter geradeaus weiter reisten, mit Amsdorf und Bruder Pezensteiner südwärts, um in Möra seine Verwandten zu besuchen. Hier übernachtete er bei seinem Onkel Heinz und predigte am andern Vormittag, Sonnabend den 4. Mai. Alsdann schlug er, von Verwandten begleitet, die Straße ein, welche über Schweina, an Schloß Altenstein vorbei und dann über den Rücken des Thüringer Waldes nach Waltershausen und Gotha führte. Nahe dem Altenstein verabschiedete er sich bei Anbruch des Abends von den Seinigen. Als er etwa noch eine halbe Stunde weiter gefahren war, bis dahin, wo die Straße ins Waldgebirg eintrat und an einem Bach zwischen Hügeln emporstieg, in der Nähe einer alten Kapelle, die schon damals wüste lag und jetzt verschwunden ist, – überfielen bewaffnete Reiter den Wagen, geboten ihm drohend und fluchend Halt, rissen Luther heraus und nahmen ihn in schnellem Lauf mit sich fort. Pezensteiner war schon, als er sie ansprengen sah, davon gelaufen. Den Fuhrmann und Amsdorf, der in's Vertrauen gezogen war, aber des Fuhrmanns wegen sich entsetzt anstellte, ließen sie unbehelligt weiter fahren. Um über ihren Ausgangspunkt und ihr Ziel, die zwei Meilen nördlich gelegene Wartburg, zu täuschen, ritten sie mit Luther zuerst in östlicher Richtung. Der Fuhrmann konnte noch erzählen, daß Luther einen grauen Hut, den er auf gehabt, im schnellen Lauf habe fallen lassen. Dann aber gaben die Reiter auch ihm ein Pferd. Erst in dunkler Nacht, etwa um 11 Uhr, brachten sie ihn auf die stattliche, über Eisenach gelegene Burg. Hier sollte er verwahrt bleiben unter dem Anschein, ein Gefangener zu sein. Das Geheimniß wurde möglichst streng gegen Freund und Feind eingehalten. Noch mehrere Wochen nachher ahnte sogar Friedrichs Bruder Johann nichts davon, schrieb vielmehr an Friedrich, daß, wie er höre, Luther auf einem Schlosse Sickingens sitzen solle. Unter seinen Freunden und Anhängern war sogleich die Schreckenskunde verbreitet, daß Feinde ihn aus dem Wege geschafft haben.

In Worms aber wurde jetzt, während der Papst zu einem Bündniß mit dem Kaiser gegen Frankreich sich verstand, durch den päpstlichen Legaten Aleander im Auftrag des Kaisers am 8. Mai das Edict gegen Luther fertig gemacht. Erst am 25., nachdem Friedrich, der Kurfürst von der Pfalz und ein großer Theil der andern Reichstagsmitglieder bereits abgereist waren, fand man für gut, es den noch übrigen Ständen mitzutheilen; dennoch publizirte man es dann unter dem falschen Datum des 8. Mai als mit »einhelligem Rath der Kurfürsten und Stände« ergangen. Es verhängte über Luther, auf den es die üblichen kräftigen Ausdrücke päpstlicher Bullen anwandte, des Reiches Acht und Aberacht: er sollte von Niemandem mehr aufgenommen, gespeist u.s.w., sondern, wo er sich betreten lasse, verhaftet und dem Kaiser ausgeliefert werden.

Wormser Edict
Wormser Edict
Abb. 27: Druck des Wormser Edictes vom 8. Mai 1521: Titel und Schluß mit der in Holz geschnittenen Unterschrift des Kaisers (Carolus)..
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Anmerkungen:
  1. Von dem Theologen Eck wohl zu unterscheiden.
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