Drittes Kapitel.

Der Student in Erfurt und sein Uebergang ins Kloster, 1501–1505.

Unter den deutschen Hochschulen nahm diese, die bereits ein hundertjähriges glückliches Bestehen hinter sich hatte, damals eine glänzende Stelle ein, während sie dem jungen Mansfelder auch durch ihre Lage sich empfahl. Sie habe, sagt Luther später, ein solches Ansehen und einen solchen Ruf gehabt, daß alle anderen ihr gegenüber für kleine Schützenschulen angesehen worden seien. Seine Eltern vermochten ihm jetzt die nothwendigen Mittel fürs Studium an einem solchen Orte zu geben: mein lieber Vater, erzählt er, hielt mich dort mit aller Liebe und Treue und hat durch seinen sauern Schweiß und Arbeit dahin geholfen, da ich hin kommen bin. In ihm selbst war ein glühender Durst nach gelehrtem Wissen erwacht; an der Quelle aller Wissenschaften, wie Melanchthon sagt, hoffte er ihn dort befriedigen zu können. Er begann mit einem vollständigen Kursus derjenigen Wissenschaft, welche für die Grundlage aller übrigen galt und selbst in die anderen einführen sollte, nämlich der philosophischen, so wie diese damals aufgefaßt wurde. Sie sollte mit den Gesetzen und Formen des Denkens und Wissens überhaupt, mit den Lehren von der Sprache, wobei die lateinische zu Grund gelegt wurde, oder mit Grammatik und Rhetorik, zugleich mit den höchsten Problemen und letzten Gründen des Seins und auch mit einer gewissen allgemeinen Naturlehre und Himmelskunde oder Astronomie sich beschäftigen. Ein vollständiges Studium derselben war nicht blos für gelehrte Theologen erforderlich, sondern häufig wurde von ihm aus erst zur Rechtswissenschaft und auch zur Medizin übergegangen.

Als Luther von Eisenach nach Erfurt kam, war an ihm noch nichts, was ihm so die Aufmerksamkeit Anderer hätte zuwenden sollen, daß dadurch irgend welche gleichzeitige Berichte über ihn veranlaßt worden wären. Hinlänglich bekannt aber sind uns die bedeutendsten Lehrer, zu deren Füßen er dort saß, und die allgemeine Art der geistigen Nahrung, die ihm bei ihnen zu Theil wurde. Auch ist er dort unter eine Reihe von älteren und jüngeren Männern, Lehrern und Studiengenossen eingetreten, die später als Freunde oder Gegner auch über sein damaliges Leben und Streben noch günstiges oder ungünstiges Zeugniß abzulegen im Stande waren.

Für den ersten Meister in der Philosophie galt damals auf der Erfurter Hochschule Jodocus Trutvetter aus Eisenach, der drei Jahre nach Luthers Ankunft auch Doktor der Theologie und Lehrer der theologischen Fakultät wurde. Nächst ihm war Bartholomäus Arnoldi von Usingen als Lehrer der philosophischen Fächer angesehen und beliebt. Vorzüglich bei ihnen und namentlich bei dem ersten hat Luther sich zu bilden gesucht.

Die Philosophie, welche damals in Erfurt herrschte, und besonders auch in Trutvetter einen rüstigen Vertreter hatte, war die der späteren Scholastik. Es ist herkömmlich geworden, mit dem Begriff der Scholastik oder der mittelalterlichen theologischen und philosophischen Schulwissenschaft überhaupt die Vorstellung einer Denk- und Lehrweise zu verbinden, welche zwar mit den höchsten Fragen des Wissens und Seins sich beschäftigte, dabei aber keine selbständigen Wege einzuschlagen oder vom Ueberlieferten abzuweichen wage, vielmehr in Allem, was mit dem religiösen Glauben wirklich oder auch nur vermeintlich zusammenhänge, den dogmatischen Satzungen der Kirche und der Autorität der gefeierten alten Kirchenlehrer sich unterwerfe und mit dem eigenen Verstand und Scharfsinn in einen trockenen Formalismus und unfruchtbare spitzfindige Streitfragen hineingerathen sei. Diese Vorstellung pflegt nicht genug die große Gedankenarbeit zu würdigen, womit hier doch bedeutende Geister einen kirchlichen Lehrgehalt, der ihnen und ihren Mitchristen mit dem innersten Leben verwachsen war, zu durchdringen und zugleich jenen allgemeinen Fragen an der Hand der alten, ihnen nur höchst mangelhaft bekannten Philosophen, vorzüglich des Aristoteles, nachzugehen sich bemühten. Sie trifft aber jedenfalls am meisten für jene spätere Zeit und Richtung der Scholastik zu. Die Zuversicht, mit welcher ältere Meister das dem Glauben Feststehende auch mit den Mitteln ihrer Wissenschaft verständlich machen und begründen zu können meinten, war geschwunden; um so mehr sollte den Geboten der Kirche gegenüber die Wissenschaft schweigen. Zugleich ließ Muth und Eifer nach auch für die Beschäftigung mit alten philosophischen Fragen über die Wirklichkeit und das wirkliche Sein der Dinge überhaupt, worauf unser Erkennen als solches sich richtet. Es war darüber gestritten worden, ob wir unseren ein Allgemeines ausdrückenden Begriffen oder Ideen Realität beilegen dürfen, also mit ihnen wahrhaftig das Wirkliche gedacht und erkannt haben, oder ob sie bloße, das Einzelne zusammenfassende Worte seien, während wirkliche Existenz nur diesem Einzelnen zukomme. Damals war die sogenannte nominalistische Richtung die herrschende geworden, welche jenes bestritt und dieses behauptete. Weiter endlich zogen diese Neueren oder die sogenannten »Modernen« von den Fragen über die Wirklichkeit überhaupt und das Verhältniß unseres Denkens zu ihr sich jetzt mit Vorliebe auf die Ausführung einer bloßen Logik oder Dialektik zurück, welche nur die Formen des Denkens und der das Gedachte ausdrückenden Sätze, die Bestandtheile der verschiedenen Begriffs- und Wortbildungen, die Beziehungen der Sätze und Urtheile zu einander u.s.w., überhaupt die Gegenstände der bei uns sogenannten formalen Logik im weitesten Umfang zu ihrer Aufgabe machen wollte. Da hat dann auch jener berüchtigte scholastische Scharfsinn mit seinen Subtilitäten, seinen feinen Distinctionen, seinen spitzfindigen Fragen, seinen sophistischen Schlüssen den Höhepunkt erreicht.

Wesentlich jener Logik nun hat auch Trutvetter sich gewidmet, zu ihr seine Studenten herangezogen, über sie gerade damals eine Reihe von Lehrbüchern veröffentlicht. Ihm war es Ernst mit seiner Wissenschaft. Verglichen mit Anderen hat er jenen Abwegen gegenüber Vorsicht und besonnenes Maß gezeigt und keine Neigung zu den Händeln und Klopffechtereien, in welchen jener Scharfsinn so häufig seine Lust suchte. Aehnliches gilt von seinem Collegen Usingen. Der Beiden allgemeiner Standpunkt aber entspricht dem oben Gesagten. – Auch eine große Belesenheit in älterer und neuerer, natürlich besonders scholastischer Literatur, in theils sehr bedeutenden, theils auch sehr obskuren Schriftstellern, hat Trutvetter an den Tag gelegt und sich darin gefallen. Es läßt sich denken, wie er hierin auch auf dem Katheder sich erging und Ansprüche an seine Schüler stellte.

Zur gleichen Zeit hatte auf der Erfurter Hochschule und bei ihrer philosophischen Fakultät frisch und kräftig jenes Studium des klassischen, lateinischen und griechischen Alterthums begonnen, mit welchem eine neue Wissenschaft auflebte, ja eine neue Zeit für unsere geistige Bildung anbrach. Wir hatten auf die Regungen und Einflüsse des Humanismus schon bei den Schulen hinzuweisen, welche Luther in Magdeburg und Eisenach besucht hat. Jetzt stand Luther an einer der vornehmsten Pflegestätten dieser »guten edlen Künste und Wissenschaften« in Deutschland, ja an dem Orte, wo damals die reichste Blüthe derselben zur Entfaltung kam. Erfurt durfte sich rühmen, daß zum erstenmal innerhalb unseres Vaterlandes in einer seiner gelehrten Werkstätten Griechisches mit griechischen Lettern gedruckt wurde, nämlich beim Druck einer Grammatik, in dem Jahr, in welchem Luther auf die Universität kam. Es waren besonders die Dichtungen der Alten, welche bei der akademischen Jugend Begeisterung und Nacheiferung erweckten. Für den wissenschaftlichen Ausdruck und gelehrten Verkehr befleißigte man sich der fließenden und eleganten lateinischen Sprache, wie man sie bei den alten Vorbildern kennen lernte; weit wichtiger noch wurde die freie Bewegung des Denkens, in welche diese einführten, und die neue Welt der Anschauungen, welche bei ihnen sich erschloß.

Wie diese Jünger des Alterthums das barbarische Latein und die Geschmacklosigkeiten der überlieferten, mönchischen und scholastischen Bildung verachteten, so ging dann von hier auch ein Widerspruch aus gegen den Inhalt der scholastischen Lehre, gegen die kirchlichen Glaubenssatzungen, ja gegen die religiöse Anschauung des Christenthums überhaupt. Die Geschichte zeigt uns sehr verschiedene Wege, welche die Humanisten in dieser Hinsicht gegangen sind, und in verschiedener Weise werden wir dieselben später besonders auch mit der Bahn unseres Reformators zusammentreffen und für den Lauf der Reformation Bedeutung gewinnen sehen. Bei Vielen hat ein aufrichtiges sittlich-religiöses Streben mit dem Drange nach freier geistiger Bildung sich verbunden und sie nach einer Besserung der kirchlichen Zustände trachten lassen. Als dann das Feuer der reformatorischen Kämpfe entbrannte, sind sie theils Luthern und den anderen religiösen Führern neben ihm gefolgt, theils haben sie, vor den tiefgreifenden Entscheidungen zurückschreckend und vor Allem nur um ihre eigenen wissenschaftlichen Güter besorgt, vielmehr zu vorsichtigem Maßhalten ermahnt und sich selbst auf den Dienst ihrer Musen zurückgezogen. Andere brachen mit dem christlichen Glauben und nicht minder den Grundsätzen christlich-sittlichen Lebens. Sie gefielen sich in einem neuen, bald mehr der sinnlichen Lust ergebenen und grob unsittlichen, bald mehr feinen, künstlerisch angelegten und auf ästhetischen Genuß ausgehenden Heidenthum. Gerade diese jedoch haben darum nicht etwa die Waffen gegen die Kirche auch ihrerseits erhoben, vielmehr größtentheils an die äußeren Formen der Kirche fort und fort sich anbequemt, in den Lehren, Ordnungen und Zuchtmitteln derselben etwas Unentbehrliches für die große Menge gesehen, über welche sie sich vornehm erhaben wußten, wohl auch selbst dieses Regiment in der Kirche geführt und diese Herrschaft und ihre Früchte sich behagen lassen. In Italien, in Rom und am päpstlichen Stuhle ist die zuletzt bezeichnete Richtung schon um jene Zeit ungescheut an den Tag getreten. Dagegen haben damals die bedeutendsten Träger der neuen Wissenschaft unter den Deutschen, auch wenn sie gegen die Barbarei im Mönchthum und Klerus zu Felde zogen, doch für sich und ihre Schüler noch treu auf dem Boden der mütterlichen Kirche beharren wollen. Und namentlich in Erfurt war das Verhältniß zwischen ihnen und den Vertretern jener Schulphilosophie und Schultheologie ein friedliches, unbefangenes, freundliches. Einem Trutvetter lieferten jene für seine trockenen Schriften einleitende, empfehlende und preisende lateinische Verse; er wiederum befleißigte sich auch schon einer gebildeteren Sprache.

Talentvolle Jünger der klassischen Wissenschaft schlossen sich in Erfurt zu einem jugendlichen Bunde zusammen. An heiterem Jugendgenuß mit Geselligkeit, Poesie und Wein ließen sie es nicht fehlen; aber die gute Sitte wollten sie nirgends verletzt haben. Verschiedene Männer, die wir später in der Geschichte Luthers zu nennen haben, gehörten damals diesem Kreise an: so der unter dem Namen Crotus Rubianus bekannt gewordene Johann Jäger, der Freund Ulrich Huttens, und Georg Spalatin (eigentlich Burkhard aus Spelt), der spätere vertraute Mitarbeiter unseres Reformators. Beide waren schon drei Jahre auf der Universität, als Luther dieselbe bezog. Drei Jahre nach ihm erschien dort Eoban Heß, das glänzendste Talent und die liebenswürdigste Erscheinung unter den jungen Humanisten und Poeten Deutschlands.

So waren die wissenschaftlichen Mittel beschaffen, welche Luther in der philosophischen Fakultät in Erfurt vorfand. In so weit öffneten sich ihm dort auch verschiedene Wege geistiger Bildung. Er warf sich auf jene Philosophie in ihrem ganzen Umfange und machte sich besonders in den verwickelten und dornichten Gängen jener Logik heimisch, während er daneben auch Früchte der neu erwachten Alterthumswissenschaft soweit als möglich mit zu genießen bedacht war.

Was das Letztere betrifft, so trieb er vor Allem Ovid, Virgil, Cicero, ferner, wie es bei den Schülern des Humanismus üblich war, auch dichterische lateinische Erzeugnisse neuer Meister. Sein Augenmerk jedoch war weniger darauf gerichtet, sich die klassische Sprache anzueignen oder überhaupt formell an jenen sich zu bilden, als vielmehr darauf, fruchtbare Sprüche menschlicher Weisheit und Bilder aus dem menschlichen Leben und der Geschichte der Völker dort zu gewinnen. Er hat es gelernt, inhaltsvolle und kräftige Gedanken klar und nachdrücklich in gelehrtem Latein auszusprechen, war sich aber selbst wohl bewußt, wie sehr seiner Sprache die Eleganz, Feinheit und Anmuth jener Neueren fehle, hat auch nach dieser nie gestrebt. Auch persönlichen freundschaftlichen Umgang hat er mit Gliedern jenes jungen Humanistenkreises gepflogen. Der vorhin erwähnte Crotus konnte ihn später daran erinnern, wie sie beide einst zu Erfurt in vertraulichem Umgang mit einander den edeln Künsten obgelegen seien. Aber die der Nachwelt erhaltenen zahlreichen Briefe und Gedichte, welche die aufstrebenden Erfurter Humanisten hinterlassen haben, gedenken seiner nirgends. Als »gelehrter Philosoph« und als »Musiker« hat er damals, wie derselbe Crotus erinnert, sich unter den Genossen einen Namen gemacht; zu den »Poeten«, was der jungen Humanisten Lieblingstitel war, hat er doch nicht gehört. Manche, ja schon Luthers Freund und Mitarbeiter Melanchthon, haben bedauern wollen, daß er nicht mehr vom bildenden Geiste jener edlen Wissenschaften und Künste durchdrungen und dadurch in seiner derben Natur und Art gemildert worden sei. Aber für die rücksichtslose Entschiedenheit und Energie des Kampfes, den er hernach zu führen hatte, war dort wenig zu gewinnen; leicht hielten vielmehr diejenigen geistigen Reichthümer und Genüsse, welche dort geschätzt und gepflegt wurden, nicht blos von solchen Kämpfen, sondern auch von scharfem, tiefem Eindringen in die höchsten sittlich religiösen Fragen und dem damit verbundenen, oft peinlichen inneren Ringen zurück. Ueber den Verdiensten des Humanismus, die Luther auch als Reformator wieder lebhaft anerkannte, dürfen wir ferner nicht vergessen, wie sehr derselbe vom Leben des deutschen Volkes und der Gemeinschaft mit diesem sich entfernte, eine Scheidewand geistiger Aristokratie aufrichten half und die edelsten Talente eben so ungelenk in der eigenen natürlichen Muttersprache, wie gewandt in der Handhabung fremder, anerlernter, künstlicher Formen werden ließ. Luther ist, indem er jenen Einflüssen nicht weiter sich öffnete, ein Deutscher geblieben.

Die Philosophie also hat ihn festgehalten und zu dem Andern nur wenig Zeit gelassen. Hier strebte er den höchsten Aufgaben menschlichen Erkennens nach. Auf diese wies ja auch jene spätere Scholastik immer noch hin, so sehr sie mit ihrer eigenen Gedankenarbeit in schlechten Formen hängen blieb. Zugleich indessen übten eben auch diese Formen mit der Uebung, die sie für seinen natürlichen Scharfsinn und Verstand mit sich brachten, ihre Anziehungskraft auf ihn aus. Namentlich auch das Disputiren liebte er: Kampfspiele hierin waren damals auf den Universitäten allenthalben beliebt und eingeführt. Nachher, sobald der Inhalt des biblischen Lebenswortes seinem inneren Verständniß sich erschloß und er hier den Gegenstand echter theologischer Wissenschaft erkannte, hat er freilich Zeit und Arbeit, die er auf jene Studien verwandt habe, beklagt, ja wie mit Ekel von ihnen geredet.

Auf ein geselliges Leben, das er daneben mit Freunden führte, hat schon jenes Wort des Crotus uns hingewiesen. Die Musik also, zu der er schon als herumziehender Schüler in geistlichen Gesängen sich begabt zeigte, hat er weiter gepflegt und heiter in jenen Kreisen geübt. Er bekam eine nicht starke, aber weithin vernehmbare, hohe Stimme. Zum Singen lernte er jetzt auch das Lautenspiel, und zwar ohne Lehrmeister; er benützte dazu eine Zeit, wo er wegen einer Verletzung am Bein zu Hause liegen mußte.

In jenen philosophischen Studien schritt er so rasch voran, daß er mit seinem dritten Semester den ersten akademischen Grad in der philosophischen Fakultät, nämlich den eines Baccalaurius, erlangen konnte. Dieser ging nach dem allgemeinen Brauch der Universitäten dem des Magisters, der dem heutigen Doctor der Philosophie entspricht, voran. Die Prüfung dafür, welche Luther am Michaelistag 1502 bestand, sollte nach der Vorschrift schon auf die wichtigsten unter der Philosophie zusammengefaßten Gebiete sich erstrecken. Es kann freilich noch nicht gar streng damit genommen worden sein. Die Hauptarbeit erforderte erst der Fortschritt zur Magisterwürde. Sie wurde ihm zu Anfang des Jahres 1505 zu Theil. Das durfte er an sich selbst erleben, was er später, von Erfurts ehemaligem Ruhme redend, so schildert: »Wie war es eine so große Majestät und Herrlichkeit, wenn man daselbst magistros promovirte und ihnen Fackeln für trug und sie verehrte; ich halte, daß keine zeitliche, weltliche Freude dergleichen gewesen sei.« Melanchthon, dem noch verschiedene Universitätsgenossen Luthers davon berichten konnten, erzählt von ihm, das Talent des jungen Mannes sei damals von der ganzen Hochschule bewundert worden.

Nach dem Willen seines Vaters und dem Rath von Verwandten sollte er jetzt zum Rechtsgelehrten sich ausbilden. In diesem Beruf, meinten Jene, werde er am besten seine Gaben verwerthen und vor der Welt etwas leisten können. Und auch für dieses Fach besaß die Erfurter Hochschule eine der angesehensten wissenschaftlichen Größen jener Zeit in Henning Goede, der eben jetzt im kräftigsten Mannesalter stand. So begann denn Luther juristische Vorlesungen zu hören. Auch werthvolle Bücher, namentlich ein Corpus Juris, ließ ihn sein Vater sich anschaffen.

Aber eine ganz andere Wendung seiner Laufbahn bereitete sich in seinem inneren religiösen Leben vor.

Er selbst hat, wie wir schon oben hörten, später öfters die Einflüsse bezeichnet, welche darauf schon von seiner Kindheit an unter der häuslichen Zucht, unter den Erlebnissen der Schule und unter der kirchlichen Unterweisung hin leiteten. Die Gedanken, daß er fromm werden und allen den strengen Forderungen Gottes genügen solle, daß er alle Verfehlungen seines Lebens gut machen und den Himmel mit sich versöhnen müsse, daß ein zürnender Richter dort throne und ihn mit Verdammniß bedrohe, hat er bei aller wissenschaftlichen Arbeit und allem Genuß des Studentenlebens auf die Dauer nicht los werden können. Innere Stimmen solcher Art müssen in einem Menschen von empfänglichem und zartem Gewissen um so ernster und lauter werden, je mehr er, zum Jüngling und Mann heranreifend, der eigenen Verantwortlichkeit vor Gott wie der eigenen Selbständigkeit sich bewußt wird. Den religiösen Uebungen, an die Luther von Kindheit an gewöhnt war, blieb er als Student treu. Nicht blos mit Gebet pflegte er seinen Tag anzufangen, sondern auch mit Kirchgang, d. h. Besuch der Messe. Aber eine neue und erfreuliche Belehrung über den Weg zu Gott und zur Seligkeit wurde ihm auch hier nirgends zu Theil. Die Stadt Erfurt hatte einen ernsten und kräftigen Prediger Namens Sebastian Weinmann, der scharf die allgemeinen Laster rügte und Verderbnisse des kirchlichen Lebens aufdeckte und den auch die Studenten gerne hörten; für jene inneren Bedürfnisse aber hatte ihm auch dieser nichts zu bieten. Ein Ereigniß für ihn war es, als er einmal auf der Universitätsbibliothek eine lateinische Bibel fand. Er hatte, obgleich schon zwanzig Jahre alt, bis dahin überhaupt noch nie eine Bibel zu Gesicht bekommen. Jetzt erst merkte er, daß darin so viel mehr enthalten sei, als in den Kirchen verlesen und ausgelegt werde. Mit Lust las er im Alten Testament die Geschichte von Samuel und seiner Mutter Hanna, die ihm gerade in die Hände fiel. Noch aber wußte er aus dem Buche nichts weiter für sich zu machen. – Es waren keine sonderlichen Vergehungen, etwa jugendliche Excesse, um deren willen Luther vor Gottes Zorn sich ängstigte. Die gut katholischen und dem Reformator hernach feindlichen Männer in Erfurt, die ihn dort als Studenten gekannt hatten, haben nie etwas Ungünstiges dieser Art von ihm bezeugt oder auch nur angedeutet. Bezeichnend für die Art, wie er selbst sein sittliches Leben beurtheilte, ist ein Wort von ihm, das einer seiner Studiengenossen und nächsten Freunde überliefert hat; Luther, so erzählte dieser, habe damals beim Händewaschen immer und immer wieder gesagt: »Je länger wir uns waschen, je unreiner wir werden.« Er meinte ohne Zweifel die vielen kleinen Verfehlungen im Thun, Reden und Denken, die trotz menschlicher Vorsicht jeder Tag wieder mit sich bringt und die, so geringfügig sie andern scheinen mochten, seinem Gewissen Versündigung gegen Gottes heiliges Gesetz waren. Und noch weitere beängstigende Fragen stiegen jetzt in seinem angefochtenen Gemüth auf, und sein scharfsinniges, grübelndes Denken führte, anstatt sie lösen zu können, nur immer tiefer in sie hinein. War es denn nur auch Gottes eigener Wille, daß er einmal wahrhaft rein und hierdurch selig werden sollte? Stand nicht in Gottes Willen und Rathschluß, von welchem Alles abhängt und im Voraus bestimmt ist, für ihn der Weg zur Hölle oder der Weg zum Himmel schon unabänderlich fest? Und zeigte ihm nicht das Vergebliche seines eigenen bisherigen Strebens, daß eben jenes Loos über ihn verhängt sei? Er gerieth dann in Gefahr, auch an einem solchen Gott selbst irre zu werden. Biblische Aussprüche wie die von der Furcht, in der man demselben dienen müsse, wurden ihm unerträglich und verhaßt. Es konnte ihn eine Stimmung der Verzweiflung anwandeln, worin er gar Gott zu lästern versucht war. Das nannte er später die schwerste Anfechtung, wie er selbst sie schon als Jüngling erfahren habe.

Leibliche Zustände mögen dazu beigetragen haben, solche Vorgänge in seiner Seele zu steigern. Wir hören auch aus der Zeit, da er Baccalaurius war, von einer Krankheit, die schon Todesgedanken in ihm erweckte. Der greise Vater eines seiner Freunde (aus welchem spätere Ueberlieferung einen alten Priester gemacht hat) sprach damals zu ihm: »Laßt Euch nit leid sein, Ihr werdet noch ein großer Mann werden«: ein Wort, das sich ihm dann doch auch eingeprägt hat. Erschreckend mußte eine plötzliche Todesgefahr in derselben Zeit auf ihn wirken. Als er nämlich einmal an Ostern zu seinen Eltern reisen wollte und eine Stunde von Erfurt entfernt war, verletzte ihm die Seitenwaffe, welche er nach Studentensitte mit sich führte, durch einen Zufall die Hauptader des Beines. Während ein Freund, der ihn begleitete, nach einem Arzte lief und ihn allein lassen mußte, drückte er, auf dem Rücken liegend, die Wunde zu, das Bein aber schwoll an. In der Todesangst rief er da: »Maria hilf!« Er wäre, sagt er später, damals auf Maria dahingestorben. In der folgenden Nacht erneuerte sich der Schrecken, indem die Wunde aufbrach, und wieder rief er die Mutter Gottes an. Eben damals indessen hat er, als er in der Genesung begriffen war, das Lautenspiel vorgenommen.

Aufs Tiefste erschütterte ihn dann einige Monate, nachdem er Magister geworden, der plötzliche Tod eines uns nicht weiter bekannten Freundes, der erstochen oder durch einen andern Zufall plötzlich dahingerafft wurde.

Wohl mochte, wenn es so in seinem Innern stürmte und Regungen der Schwermuth übermächtig wurden, auch ein Gedanke daran schon in ihm aufgetaucht sein, ob er nicht endlich in der von der Kirche empfohlenen mönchischen Heiligkeit sein Heil versuchen, die Welt ganz verläugnen und auf alle die bisher von ihm erstrebten Erfolge verzichten sollte. Traurig pflegte, wie er selbst sich später ausdrückte, damals er, der junge Magister, einherzugehen.

Da wurde er plötzlich und rasch zu gewaltsamer Entscheidung fortgerissen.

Er machte in jenem Jahre 1505 gegen Ende des Monats Juni, wo verschiedene kirchliche Feiertage zusammentreffen, einen Besuch bei den Seinigen in Mansfeld; möglich, daß er dort Auffrischung und Erheiterung für sich suchte. Allein von dort zurückkehrend war er am 2. Juli, dem Feiertag der Heimsuchung Mariä, schon Erfurt nahe gekommen, als beim Dorfe Stotternheim (auf jetzigem Weimar'schen Gebiet) ein grauenhaftes Gewitter über ihm losbrach. Ein mächtiger Blitzstrahl vom Himmel her zuckte vor ihm. Von Schreck durchbebt fiel er zur Erde nieder und rief: »Hilf, liebe Sankt Anna, ich will ein Mönch werden.« In den folgenden Tagen, als er wieder in der Ruhe zu Erfurt war, wollte ihn dieses Wort doch auch wieder reuen. Viele riethen ihm von dem darin angelobten Schritte ab. Er aber war sich bewußt, ein Gelübde gethan und mit demselben Erhörung gefunden zu haben. Dadurch wußte er sich allem Schwanken und Bangen gegenüber gebunden. Auch Zustimmung von Seiten seines Vaters meinte er nicht erst einholen zu müssen; nach seiner und seiner Kirche Ueberzeugung hätte ihn eine Einsprache desselben doch nicht entbinden können. So riß er sich los aus dem Kreis, in dem er bisher gelebt. Am 16. Juli lud er noch einmal seine besten Freunde zu sich, um von ihnen Abschied zu nehmen. Noch versuchten sie ihn zurückzuhalten; er erwiderte ihnen: »heute seht Ihr mich und nimmermehr.« Am andern Tag, dem Tage des heiligen Alexius, gaben sie ihm noch mit Thränen das Geleite an die Pforten des in der Stadt gelegenen Augustinerklosters, das ihn, wie er meinte, für immer aufnehmen sollte.

Es sind vorzugsweise Aeußerungen Luthers selbst, nach welchen wir diesen merkwürdigen Vorgang uns noch so vergegenwärtigen können. Erst die Sage hat jenem unbekannten Freunde, dessen Tod ihn erschreckt hatte, den Namen Alexius gegeben und hat ferner denselben in jenem Gewitter an seiner Seite vom Blitz erschlagen werden lassen.

Von seinem Mönchsgelübde sagt der spätere Luther, es sei ein erzwungenes gewesen, ihm abgedrungen durch Schrecken und Angst des Todes. Damals aber zweifelte er nicht, daß Gott ihn dringe. Und so sagt er nachher auch: »Ich gedachte nie wieder aus dem Kloster zu gehen; ich war der Welt rein abgestorben, bis daß es Gott Zeit däuchte.«

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