II.
Rahel sprach eine große Wahrheit aus, als sie sagte, daß bevorzugte Seelen, königliche Naturen, lange unschuldsvoll bleiben, daß sie nur mit Mühe einsehen lernen, daß es Niedrigkeit gibt und diese Erfahrung immer wieder von neuem vergessen, in dem Sinn nämlich, daß sie sich den Menschen und dem Leben stets von neuem vertrauensvoll zuwenden, obgleich sie das Unrecht, das sie erlitten, weder verziehen noch vergessen haben.
Rahel selbst war eine dieser Naturen, die sich an das Böse erinnern, ohne daß diese Erinnerung warnend wirkt; die aus allen Erfahrungen lernen, nur nicht aus dieser, daß es Naturen gibt, die nicht so adelig sind wie ihre eigene. Und so konnten schmerzliche Erfahrungen nicht hindern, daß Rahel noch einmal liebte und auch diesmal einen Mann, durch den sie noch viel tiefer leiden sollte.
Rahel hatte nun das gefährlichste Alter im Leben einer Frau erreicht, die Dreißig, wo sie wie nie zuvor und nie später für die Erotik im vollsten Sinne des Wortes bereit ist. Wenigstens für die nordische Frau – und als solche kann man Rahel betrachten – gilt es, daß sie in der ersten Jugend nur mit der Seele liebt. Aber in dem erwähnten Alter sind sowohl die Sinne wie die Seele erwacht; mit ihrer ganzen Natur will die Frau dann die Erfüllung ihres Wesens durch die Liebe und die Mutterschaft. Sie will es noch mit der ganzen Frische der Jugend, aber mit einer neuen Stärke. Die Liebessehnsucht des ganz jungen Weibes hat das Leben vor sich; das Vollreife Weib weiß, daß es von dem Höhepunkt des Lebens, auf dem es steht, bald heruntersteigen muß, und daß mit jedem Jahr die Möglichkeit größer wird, daß sie sterben muß, ohne – im heiligen und vollen Sinn des Lebens selbst – gelebt zu haben.
Selten sind die Naturen, die in einer ersten Liebe ihre ganze Macht zu lieben verausgabt haben. Und am allerwenigsten war Rahel eine solche Natur. Der Frühlingssturm hatte einen Zweig unmittelbar vor der Blütezeit geknickt, – es bedurfte aber nur neuer Wärme in der Luft, damit alle Knospen sprangen.
Das geschah, als Rahel 1802 den Mann kennen lernte, der der Gegenstand der großen Liebe ihres Lebens wurde, der Liebe, wie sie in einem Menschenleben nie zweimal wiederkommt, der Liebe, für die jede frühere Liebe nur Vorbereitung und von der jede spätere nur Nachklang ist Nur diese Liebe läßt alle Kräfte des Wesens so steigen, wie die Frühlingsflut in Quellen und Strömen steigt; sie füllt das ganze Wesen so wie die Weinpresse von den gereiften Trauben des Weinberges erfüllt wird; sie sammelt alle früheren in Schmerz oder Freude vergossenen Tränen in ihrem Opferbecher. Unerwidert ist diese Liebe niemals; stets ist sie die dämonische Anziehung zweier Wesen. Diese unwiderstehliche und verhängnisvolle Leidenschaft kann zwei einander ganz würdige Wesen zum Glück oder Untergang vereinen. Aber sie kann auch zwei Wesen von sehr verschiedenem Wert zum Unglück eines oder beider zusammenzwingen.
Und ein solches Schicksal wurde Rahel durch die Liebe, die ihr ganzes Wesen zur Flamme machte und ihre Jugend zu Asche verbrannte. Es war psychologisch notwendig, daß dieses Schicksal Rahel durch einen Mann treffen mußte, der in jeder Beziehung von Finckenstein verschieden war; verschieden wie der Süden vom Norden verschieden ist und das rote Blut vom blauen.
* * *
Durch seinen Gesandten wurde der spanische Legationssekretär in Berlin, Don Raphael d'Urquijo bei Rahel eingeführt Alles, was sein Volk an auserlesener Schönheit und ritterlichem Zauber besitzt, war in ihm vereinigt, und zugleich hatte er jene Unmittelbarkeit und Lebensfülle des Naturkindes, die stets die stärkste Anziehung auf Rahel ausübte. Urquijo kam aus einem ländlichen Heim in Nordspanien, und sein Aeußeres war typisch für den baskischen Volksschlag. Seine feinen Züge besaßen in gleichem Grade Adel und Kraft; seine Augen waren so wie die Augen, die Velasquez gemalt hat: bald flammende und strahlende Feuer, bald tiefe, schwarze Brunnen.
Seine spanische Würde und südländische Anmut vereinten sich mit einer natürlichen Ungezwungenheit, die jede seiner Bewegungen voll Grazie machte. Die Stimme besaß jenen Wohllaut, der auch das alltägliche Wort adelt und das zärtliche unwiderstehlich macht. Zu all dem Bezaubernden kam noch das Neue, Eigenartige seiner fremden Nationalität. Eine solche wirkt im Anfang als geheimnisvolle und persönliche Eigenart. Man braucht Zeit, bis man entdeckt, daß dieses Interessante, das mit unbekannten Reichtümern und seltenem Zauber lockt, nur zu dem Wesen der Rasse oder des Volkes, nicht zu dem der Persönlichkeit gehört.
Bei Urquijo wie bei Rahel entstand die Liebe schon bei der ersten Begegnung, und die zunächst folgende Zeit war sehr glücklich. Sympathischer Seelenaustausch, innige Zärtlichkeit, erotischer Zauber vereinte sie. Die einzige Unruhe in ihrem Zusammenleben verursachten die Skrupel, die sein Ehrgefühl ihm hinsichtlich einer Jugendverbindung verursachte, die er daheim in Spanien geschlossen hatte, Skrupel, die doch bald verschwanden, als Urquijo erfuhr, daß diese Jugendliebste ihn viel früher betrogen hatte, als er sie zu lieben aufgehört.
Doch nun begann ein schwerer Konflikt, der zwischen Rahels nach allen Seiten hin freigebiger und offener Natur, ihrer vertrauensvollen, von aller Eifersucht freien Liebe und dem empfindlichen, eifersüchtigen Besitzrechtsgefühl des Spaniers. Außer den unvermeidlichen Mißverständnissen, die dadurch entstanden, daß sie gegenseitig mit ihren nationalen Sitten nicht vertraut waren, kamen – durch die eben erwähnte Verschiedenheit in ihrer Art zu lieben – stets andere hinzu.
Rahel, die Urquijo lauter große, reine und gute Gefühle zutraute, hoffte, daß seine Eifersucht – wie unvernünftig, ja wahnsinnig sie ihr auch vorkam – die Stärke seiner Liebe bewies. Sie tat alles, um ihm zu zeigen, wie tief sie ihn liebte. Aber sie konnte ihn nicht wild und eifersüchtig lieben wie eine Spanierin, sie mußte mit der Hoheit und Einheitlichkeit ihrer eigenen Natur lieben. Und es half nichts, daß sie in ihrer hochsinnigen Seelenreinheit, in ihrer kindergleichen Gutgläubigkeit vollkommen war. Denn gerade die Züge, die ihre Hingebung beweisen, schienen ihm ihre Kälte zu beweisen.[1]
Daß Urquijo selbst ein erotisches Verhältnis ernst nahm, das zeigen einerseits seine oben erwähnten Skrupel, andererseits die Tatsache, daß er später ein aus allen Gesichtspunkten unbedeutendes Berliner Mädchen heiratete, das seine Geliebte geworden war. Aber er konnte den Ernst in Rahels Gefühl nicht verstehen, weil es von seinem eigenen zu verschieden war.
Eine äußere Schwierigkeit lag darin, daß Urquijo die deutsche Sprache wohl verstand, aber nicht sprechen konnte, und daß Rahel seine Sprache überhaupt nicht kannte, so daß ihr Briefwechsel – außer, wenn Rahel ab und zu einmal ins Deutsche verfällt – so wie auch ihre Gespräche französisch geführt wurden. Nur ein unbedeutender Teil des Briefwechsel ist erhalten, aber aus diesem Rest kann man schließen, was diese Briefe Rahels gewesen sein müssen, die Varnhagen später zu lesen bekam, und in denen er eine solche Lebensfülle, eine so flammende Glut fand, daß er sich nur ein Gegenstück dazu denken konnte: die – gleichfalls zerstörten – Briefe Rousseaus an Madame d'Houdetot. Von Urquijos Briefen sind nur einige unbedeutende Billets erhalten.
Der Konflikt, der schließlich Rahel auch von Urquijo trennte, war nicht wie bei Finckenstein der alte zwischen Geburtsvorurteil und Liebe. Es war ein ganz moderner Konflikt, der zwischen des Mannes und des Weibes Art, zu lieben, und er war noch weiter dadurch kompliziert, daß Urquijo ein Maß von Eifersucht besaß, das sogar das gewöhnliche Maß des Spaniers übersteigt und dazu ein geringes persönliches Selbstvertrauen.
Wo ein Othello ist, tritt immer ein Jago auf. Diese Rolle spielte hier Urquijos Freund, ein spanischer Graf, der um Rahel geworben, aber einen Korb bekommen hatte, und der nun stets Urquijo gegenüber auf Rahels Ueberlegenheit als einen Grund hinwies, ihr zu mißtrauen.
Als Rahel fand, daß ihre vielen Freundschaftsverhältnisse und geselligen Freuden Urquijo als ein Diebstahl an ihm erschienen, gab sie das Gesellschaftsleben auf, zog auf das Land und traf mit niemandem außer mit ihm zusammen. Aber nicht einmal dies konnte ihn überzeugen. So verging ein und ein halbes Jahr, während dessen Rahel ihr Glück nach Augenblicken rechnen konnte, während der Schmerz mit jedem Tage zunahm. Seine Macht über sie war noch immer dieselbe. Nach der erregtesten Stunde kann ein zärtliches Wort von ihm »ihre Seele ausheilen«, ihr Herz von neuem öffnen, die Liebe wieder und wieder aufs neue wecken und ihm entgegenströmen lassen.
Wie ist es denkbar, meint Rahel, daß er von seinem krankhaften Mißtrauen nicht zu heilen sein soll, und daß sie nicht schließlich glücklich werden müssen, da sie einander lieben; da sie beide gute, einfache, reine Herzen sind, mit anderen Worten alles besitzen, was not tut, um lieben zu können? Denn, fährt Rahel mit tiefer Wahrheit fort, man kann nicht lieben, wenn man nicht diese wesentlichen Eigenschaften hat: dieselben, die die Religion verlangt. Wie kann er glauben, daß sie zuviel »Geist« hat, um ihn lieben zu können? Ihr ganzes Genie ist ja ihre Macht zu lieben! Sieht er nicht, daß »der Zauber so wirkt«, daß sie immer mehr und mehr von ihm abhängt; ja, daß seine Gegenwart sie stets aus einem »Schmerzensgefühl« erlöst? Sie sagt ihm, daß, was auch kommen mag, ihr Herz ihm für das ganze Leben angehört. Und sie muß es ja besser kennen als er, da es doch das ihre ist? Wie kann er es tadeln, daß sie ihr Gefühl offen zeigt? Ist es nicht der Adel einer Frau, lieben zu können? Ja, die Frau hat keinen andern Rang und keinen andern Stand, und sie für ihr Teil wollte immer ihre Liebe zeigen, wollte niemals verbergen, daß sie nur für ihn lebte.[2]
Sie fleht ihn an, nicht zwischen seinem Verstand und seinem Herzen zu unterscheiden; denn lauscht man dem Verstände recht, so stimmt er immer dem Herzen zu! Sie zeigt ihm wieder und wieder, daß das, was ihm an ihr unbegreiflich scheint, daher kommt, daß er nicht einsieht, wie eins mit ihrer Liebe, wie ganz unweltlich sie ist; daß sie »einfach bis zur Dummheit« ist, und daß dies gerade die Eigenschaft ist, die sie an sich selber liebt.
In jedem Augenblick, in dem sie sich in Harmonie mit ihm gefühlt, hat sie die religiöse Weihe ihrer Liebe empfunden und gehofft, daß sie ihr ganzes Leben heiligen wird. Denn schon jetzt macht sie ja den einen dem andern heilig, und sie baut darauf, daß er einsehen wird, daß dieses ihr Zusammenleben – »voller Seele, Vollgefühl, Herzensehrlichkeit« – die einzige Wirklichkeit ist, während seine Zweifel lauter Unwirklichkeiten sind.
Wie groß – und wie unklug! – ist nicht Rahel in ihren Versicherungen, daß sie auf seine Liebe baut! Aber die Frauen, die die Liebe des Geliebten auf die Probe stellen wollen, sind, meint Rahel, entweder »verrückt oder sie lügen, oder sie lieben nicht!« Sie wollte alle Leiden auf sich vereinigen, damit er vom Schmerz verschont bliebe, und sie würde doch mitten im Leid glücklich sein, wenn er sie nur liebte. Sie sucht ihn davon zu überzeugen, daß die Liebe, wenn sie echt ist, »eine Kraft des Herzens, ein Feuer der Seele, eine Einheit der Geister, eine Reinheit des ganzen Wesens ist«; ja, daß diese Herzenswärme dieselbe ist, die Religionen geschaffen und Feldschlachten gewonnen, die das Dasein aufgebaut und alle heiligen Bande geknüpft hat.
Sie klagt, daß die Natur und die Verhältnisse ihr versagt haben, ihre Seele durch äußere Schönheit zu offenbaren. Denn es wäre ihr höchstes Glück gewesen, sich so demjenigen offenbaren zu können, »für den allein ich allen Reiz mit meinem Blut erkaufen möchte, für den allein ich lebe und schön sein möchte.«
Als Urquijo – vor einer Reise – ein paar Stunden in ihrem Heim ausgeruht hat, erzählt sie ihm nachher, wie sie neben ihm gesessen und sich an seinem ruhigen Schlummer erfreut hat, wie sie über ihm gewacht als eine Schwester, als ein Weib, das ebenso sicher sein war, wie das Herz in seiner Brust; wie die Luft rings um ihn glühend von Zärtlichkeit war, und wie sie ihre Seelen verflochten und sie beide in stillem Gebet emporgehoben hat.
Es blieb Rahel ein ewig qualvolles Rätsel, daß eine Frau, die so in jeder Tat und mit jedem Wort die Einheitlichkeit und Innigkeit ihrer Gefühle offenbarte, den Gegenstand ihrer Liebe nicht davon überzeugen konnte. Sie war doch offenbar, wie die Wärme der Sonne, wie die Frische der Luft. Warum wurde sie nicht wie diese großen natürlichen Dinge erkannt und geschätzt? Und als sie sich wieder und wieder sagen mußte, daß er ihr doch nicht glaubte, da wurde das ganze Dasein für sie zusammenhanglos, so als wenn seine Grundgesetze aufgehoben wären. Wenn er ihre Liebe nicht erwidert hätte – dies hätte sie begreifen und sich darein ergeben können. Aber ihr ganzes Wesen sträubte sich gegen diese Mißhandlung ihres Gefühls, diese Blindheit gegen ihr Wesen, dieses unergründliche und grausame Rätsel.
Es finden sich in Urquijos Briefen ein paar, während einer Krankheit geschriebene Zeilen, die einen Leitfaden zum Verständnis des Rätsels geben, namentlich, wenn man sie im Zusammenhang mit seiner späteren Geschichte sieht. Er schreibt: »Deine Ruhe, die unter anderen Verhältnissen mein Unglück wäre, lindert mein hartes Schicksal etwas. Ich will Dich so wenig als möglich sehen, wenn Du mir nicht das Gegenteil befiehlst. Du mußt den Grund ahnen. Deine Worte trösten mich, aber Deine Gegenwart schürt das Feuer.«
Wenn Rahel sich später mit Bitterkeit fragte, warum er an das unbedeutende Mädchen glaubte, das zuerst seine Geliebte und dann – nachdem er sich von ihrer Liebe überzeugt hatte – seine Gattin wurde, dann ist die Antwort vielleicht diese: Sie gab ihm den Beweis ihrer Liebe, den Rahel nicht gegeben, und der – für die südländische Erotik – der einzig überzeugende ist. Dazu kam auch, daß Urquijo sich mit vollem Rechte Rahel inferior fühlte, daß er ihr Interesse für ihre Freunde sah, und daß er sehr geringes Vertrauen zu seiner Gabe, Liebe zu erwecken, besaß. Urquijo hat ganz gewiß unter seiner Unfähigkeit, sich überzeugen zu lassen, tief gelitten, so wie Rahel unter ihrer Unfähigkeit, zu überzeugen. Mittelbar hat Rahel gestanden, daß sie bereut hat, sich aus Mangel an Mut der Liebe nicht ganz hingegeben zu haben, nämlich als sie sich mit Pauline Wiesel vergleicht.[3]
Wenn Rahel sich später mit Bitterkeit fragte, warum er an das unbedeutende Mädchen glaubte, das zuerst seine Geliebte und dann – nachdem er sich von ihrer Liebe überzeugt hatte – seine Gattin wurde, dann ist die Antwort vielleicht diese: Sie gab ihm den Beweis ihrer Liebe, den Rahel nicht gegeben, und der – für die südländische Erotik – der einzig überzeugende ist. Dazu kam auch, daß Urquijo sich mit vollem Rechte Rahel inferior fühlte, daß er ihr Interesse für ihre Freunde sah, und daß er sehr geringes Vertrauen zu seiner Gabe, Liebe zu erwecken, besaß. Urquijo hat ganz gewiß unter seiner Unfähigkeit, sich überzeugen zu lassen, tief gelitten, so wie Rahel unter ihrer Unfähigkeit, zu überzeugen. Mittelbar hat Rahel gestanden, daß sie bereut hat, sich aus Mangel an Mut der Liebe nicht ganz hingegeben zu haben, nämlich als sie sich mit Pauline Wiesel vergleicht.[4]
Wenn auch diese Aussprüche aus vielen Erfahrungen, fremden wie eigenen, hervorgegangen sind, so ist es doch wahrscheinlich, daß Rahel irgend ein bestimmtes Versäumnis gegenüber den Forderungen der Leidenschaft im Sinne hatte, als sie diese Worte niederschrieb. Aber war es das oben Angedeutete, dann ist es sicher, daß Rahels Mangel an Mut nicht nur durch die Rücksichten verursacht wurde, die sie erwähnt, sondern – wie bei vielen anderen Frauen – durch die Ueberzeugung, jener Zauberkraft zu entbehren, die das Wagestück zum Sieg macht. Der Mann, dessen Liebe sie bewahren sollte, der müßte erst mit ihrer Seele verschmelzen und sie verstehen!
Hier lag wahrscheinlich der Brennpunkt aller Gegensätze: zwischen dem nordischen und dem südländischen Blut, zwischen der Liebe des Mannes und der des Weibes, und dazu zwischen einem hochentwickelten Weib und einem gewöhnlichen Mann, die überdies durch Rasse und Nationalität getrennt waren. Und schließlich der Gegensatz zwischen zwei grundverschiedenen Temperamenten und zwei grundverschiedenen Auffassungen der Liebe!
Dieser Gegensatz macht Rahels Unglück typisch für viele entwickelte Frauen unserer Zeit
Rahel gehörte der immer wachsenden Gruppe von Frauen an, die wohl Sinnlichkeit besitzen, aber den Mann nicht durch diese gewinnen wollen, sondern die wünschen, daß die sinnliche Einheit die Folge der vereinten Flamme zweier Seelen sei. Die Männer fühlen sich hingegen von jenen Frauen, die durch die Macht ihrer eigenen Sinnlichkeit die des Mannes erregen und so – wenn sie selbst eine Seele haben – allmählich auch die seine gewinnen, mehr angezogen und glauben sich von ihnen mehr geliebt.
Die Reinheit und Wahrheit von Rahels Wesen machte es ihr unmöglich, die sinnlichen Mittel anzuwenden, durch die jene letztere Art von Frauen die Männer behalten und beherrschen. Und es wurde Rahels ungeheure Qual, Urquijos Gefühl durch das schwinden zu sehen, was sie selbst als die Stärke und Schönheit ihres eigenen Gefühls empfand. Auch in Rahels Liebe war Leidenschaft, aber diese war die Brandung eines Meeres der Hingebung und Treue.
Aus Rahels Worten kann man sich die Art von Urquijos Anklagen denken. Von den Auftritten, die sich täglich wiederholten, hat sie einen geschildert, aus dem man auf die übrigen schließen Wann Sie gingen zusammen im Tiergarten spazieren, als Rahel eine ihr unbekannte, ungewöhnlich schöne Dame erblickte und sie näher ansehen wollte. Dieses Interesse Rahels für jemand anderen als ihn selbst brachte Urquijo außer sich, und als Rahel zu seinen Vorwürfen seufzte, rief er aus: »Finckenstein hat dich ja schon schlecht behandelt, du mußt doch daran gewöhnt sein.«
Bei diesen Worten erlebte Rahel einen jener Augenblicke, in denen das Dasein für uns in Trümmer geht, Augenblicke, in denen alles uns Umgebende sich uns mit der größten Klarheit einprägt Rahel erinnerte sich auch für immer, daß sie »in tiefem Walde standen, gegen das Wasser in der Abendsonne«, als diese Worte fielen. Und sie antwortete: »Wenn diese Worte in einem Drama gesagt würden, so würden die Zuhörer erzittern und in Tränen ausbrechen.«
»Das ist wahr«, antwortete er. »Aber das soll dich von mir loslösen und dir zeigen, daß wir nicht zusammen leben können.«
Rahel hatte solange ausgeharrt, als sie an seine Liebe glaubte, sogar noch ausgeharrt, als er ihr sagte: Ich liebe dich, aber ich achte dich nicht; als er ihr sagte, er glaube, sie betrüge ihn mit anderen; sagte, daß sie ihn nicht liebe. Aber als er schließlich sagte, daß er sie achte, aber nicht liebe, da fand sie die Stärke, sich loszureißen, obgleich jede Fiber vor Schmerz zitterte und jeder Blutstropfen von jenem Zauber erfüllt war, den er für sie noch immer besaß und niemals verlor.
Solange er von seiner eigenen Liebe gesprochen, von seinen Zweifeln an der ihren – während er diese durch seine Eifersucht zur Raserei anfachte – war ihr dieser Bruch unmöglich gewesen. Jetzt fand sie, wie sie später sagte, den Mut, aber nur im Zornesmut über die ihrer unwürdige Behandlung; nur in der Ueberzeugung, daß es sich jetzt um »den Wert und die Möglichkeit ihres Seins« handelte, obschon »es die reinste Flamme war, die ihr Herz verbrannte«.[5]
In der ersten Zeit ihrer Verzweiflung sagte sich Rahel, daß Urquijo sie nie geliebt hatte, da er so blind gegen ihr tiefstes Wesen sein konnte, daß sowohl er wie Finckenstein nur »Schatten, von meinem Feuer koloriert«, waren. Aber auch diesem Gedanken gegenüber hatte Rahel jenen amor fati, der nichts von dem Schicksal unerlebt wünscht, das sie verurteilt hat, einsam zu bleiben, obgleich Menschen sich um sie drängten und »unbefriedigt sterben zu müssen«, obgleich sie selbst eine Welt zu geben hatte.[6]
Wie oft sie sich auch – wie unzählige andere Frauen – gefragt hat, warum ihr höchstes Gefühl das mißhandeltste wurde, so hatte sie doch im Innersten die Gewißheit empfunden, die aus unzähligen unbeschreiblichen und unsagbaren Dingen quillt, und die sich nicht ergrübeln läßt: die Gewißheit, trotz alledem doch von Urquijo geliebt worden zu sein. Und als dieser sie mehrere Jahre später wieder aufsuchte, und sie dadurch veranlaßt wurde, seine Briefe wieder zu lesen, da fühlte sie, daß diese ebenso gewiß wie ihre eigenen der Ausdruck einer wirklichen Liebe waren. Sie entschloß sich, an ihn die Frage zu richten, die sie in unzähligen Nächten und Tagen gleich einem Dolche in ihrer Seele hin und her gedreht, die Frage, ob er wirklich geglaubt, daß sie ihn betrogen habe? Als Urquijo eifrig beteuerte, daß er dies nie geglaubt, sammelte sich in Rahels Antlitz, in ihrer Stimme all das Grauen, mit dem jahrelange sinnlose Qualen uns erfüllen, und sie rief aus: »Warum haben Sie es dann gesagt?« Urquijo beantwortete die Frage nicht, aber versicherte in höchster Erregung, daß es für den, der liebt, keinen Frieden gebe; daß namentlich er ein sehr unglückliches Herz habe, daß er sich stets als der wenigst Schöne, wenigst Liebenswürdige, wenigst Bedeutende unter den Männern fühle, und darum nicht an die Liebe eines Weibes zu glauben vermöge.
Daß Rahel dies nachher seine »alte Litanei« nannte, zeigt, welchen wesentlichen Anteil dieser Mangel an Selbstvertrauen an dem Konflikt hatte; vielleicht auch, daß Rahel die Echtheit von Urquijos Leiden unterschätzte. Er versicherte z.B. wieder und wieder, daß es ihm undenkbar erschienen sei, daß ein so auserlesenes Wesen wie Rahel einen Mann wie ihn lieben könnte.
Rahel, die einen Tropfen Trost erhoffte – den, daß er schließlich ihre Liebe einsehen und erkennen würde – erhielt ihn also nicht. Wie sie selbst sagt: Urquijo glaubte, daß sie eine »Ehrenrettung« für ihre weibliche Tugend wollte, und die gab er ihr. Was sie aber mit ihrer ganzen glühenden Seele ersehnt hatte, eine Ehrenrettung ihrer Liebe, die blieb aus.
Und sie, die ihn strahlend wie einen jungen Gott vor sich sah, kam nie auf den Gedanken, daß vielleicht in ihm wie in ihr die zarten Flügel des Selbstvertrauens schon in der Kindheit geknickt waren.
Die einzige Verteidigung, die sie für ihn fand, war, daß er sie ebenso unschuldig getötet hatte, wie das »Beil, das einem großen Manne den Kopf abhaut«; daß er seiner Natur nach ja nicht einmal ahnen konnte, daß es »je ein solches Geschöpf geben kann wie ich es bin«.
Aber damit erklärte sie das Geheimnis nicht, sie versetzte es nur in das Gebiet des Unbewußten.
Durch zahllose frühere Wesen und zahllose geheimnisvolle Einflüsse werden Jahrtausende, ehe wir geboren werden, die feinen Fäden gesponnen, die mit unwiderstehlicher Macht einen Lebenden an den andern fesseln.
Als später andere sich über Rahels Liebe zu einem Manne mit soviel Fehlern wunderten, antwortete sie, daß sie seine Fehler wohl immer gesehen habe – denn die Liebe sei nicht, wie man meine, die blinde, sondern die klarsehendste Gottheit – aber daß eine solche Einsicht nichts mit der Liebe zu tun habe.[7]
Wohl hat sie versucht, »diese Liebe zu zerlegen, damit sie nie wieder lebe«. Aber die Kraft dazu hat ihr gefehlt; denn sie ist von der »neuen europäischen Liebe« in ihrer ganzen verhängnisvollen Macht ergriffen.[8] Immer steht sie ohne Antwort vor ihrer eigenen Frage, warum sie gerade durch diesen Mann zum ersten und einzigen Male in ihrem Leben »dieses Liebesfieber, diese völlige Befriedigung im Anschauen seiner Person« empfinden mußte.[9]
Rahels hier angeführte, teilweise an Varnhagen gerichteten Geständnisse, welche Macht Urquijo noch immer über sie besaß, haben ein interessantes Gegenstück in einem Briefe, den Madame Staël, – damals mit Rocca verheiratet – an Benjamin Constant schrieb, ein Brief, in dem sie ihm eigentlich ohne Worte sagt, daß solange ihr Herz schlägt, er in diesem Herzen einen Platz hat, den kein anderer je besessen, noch besitzen kann.
Daß eine gewisse Stimme, ein gewisses Lächeln, ein gewisser Blick, ein gewisses Naturell vor allen anderen Wesen, nahen oder fernen, ein anderes Wesen zwingt, in seinem Zauberkreis zu bleiben, auch wenn dieser Zauberkreis ein Höllenring ist, so wie ihn Dante geschildert hat, das ist das Rätsel. Und Rahel grübelte ihr Lebenlang über dieses Rätsel nach. Aber das Grübeln kann den Kopf weiß machen, ohne einen Funken Licht in das Irrationelle zu bringen, in dem das Wesen der Liebe besteht. Durch all ihr Brüten über das Schicksal ihrer Liebe erlangte Rahel auch keine andere Gewißheit als die: »Ich kenne die Krankheit, ich habe sie genossen.« Und sie drückt ihre Gedanken über das Leben mit Goethes Worten aus: »Wie wunderbar, daß uns nicht allein das Unmögliche, sondern auch so manches Mögliche, versagt ist ...«
* * *
Noch im Jahre 1807 fühlte sie sich nicht »wie eine Verwundete, sondern wie eine Vernichtete«. Und sie weiß, daß sie niemals »zusammenwachsen« kann. Aber sie war »nicht für die Berührung der Welt tot«, obgleich sie nicht mehr jenen Punkt in der Seele besaß, »wohin ein Leben geht, wohin es strömt«.
Allmählich fühlte sie doch, daß sie lebte, genießen, sich zerstreuen, »die Welt fühlen« konnte; ich habe, sagt sie, »meinem Herzen manche Neigung eingeimpft, wofür ich keinen Namen habe. Ich beginne, Ruhe Uebersicht und Freude über die Uebersicht meiner selbst« zu empfinden. Es ist allmählich neues Grün in jene Wüstenei gekommen, die sie ihr Herz nennt; sie hat angefangen, zu erfahren, daß »es Klarheit und Glück in und durch uns selbst gibt«. Daß ein Herz voll »schlechtbehandelter Liebe« zu sich selbst zurückkehren kann, zu seinem »eigenen innern Land«. Ja, sie fühlt, »solange man lebt, liebt man, wenn man einmal geliebt hat. Und dieses Leiden ist noch eines der besten. Ich sträube mich nicht gegen mein Herz: das ist meine Kunst.«
Rahel gehörte nicht zu den armen, starren und selbsterfüllten Naturen, die trauern wollen, die ihre Wunden wieder und wieder aufreißen, wenn sie sich zu schließen beginnen.
* * *
Eine Frau, die sich trotz aller Leiden lebendig bewahrt, die l'esprit gai et le coeur triste hat, übt gewöhnlich eine große Anziehungskraft auf die Jugend aus. Und gerade in diesen Jahren gewann Rahel einen neuen Vertrauten in einem jungen Mann, der so wie David Veit nur ihr Freund war und blieb, aber dies im allervollsten Sinn des Wortes. An ihn wie an Veit sind mehrere von Rahels bedeutungsvollsten Briefen gerichtet.
Dieser junge Mann war Alexander v. Marwitz, aus einer angesehenen Adelsfamilie, deren Gut nahe von Berlin lag. Er war zweiundzwanzig Jahre alt, als er Rahel im Jahre 1809 kennen lernte und hatte gerade die militärische Laufbahn, die ihm qualvoll war, aufgegeben, um als Landmann und Gelehrter auf seinem Gut zu leben. Aber er fühlte sich – wie die meisten tiefangelegten jungen Menschen seines Alters – unglücklich durch die Kluft, die zwischen seinem idealen Willen und der ihn umgebenden Wirklichkeit lag, zwischen seiner heißen jungen Kraft und den unbedeutenden Zielen, für die er sie einsetzen konnte; und seine Schwermut nahm die Form des Selbstmordgedankens an.
In dieser Dunkelheit fand er Hilfe bei Rahel, von der er in seiner bewundernden Dankbarkeit schrieb: »Sie mag wohl jetzt das größte Weib auf Erden sein.«
Sie half ihm nicht nur durch die Sympathie mit seinem Leiden, sondern auch dadurch, daß sie ihn empfinden ließ, wie notwendig er ihr war. Sie lehrte ihn, daß Naturen »mit den doppelten Gaben, dem zweifachen Sinn« lernen müssen, die Einsamkeit zu tragen und ihren Trost darin zu finden, für andere zu wirken, denn das Leben der nur klagenden ist ein elendes Leben! Wohl war es wahr, daß die Zeit keine Großtaten zu vollbringen bot, aber was allen blieb, war »das allernächste gut zu machen«.[10]
Das Zitierte zeigt, wie Rahel eigene Wunden heilte. Und um dem Freunde zu der Erkenntnis zu verhelfen, daß ein Mensch größere Qualen tragen kann, als seinen eigenen jugendlichen »Weltschmerz«, scheute sie nicht davor zurück, ihm ihre tiefsten Leiden zu enthüllen.
Und so gelang es ihr wirklich, den Freund zu retten, von dem sie sagt, daß seine Gegenwart ihr »wie das Auge der Welt« geworden war, so viel Trost und Freude hatte er ihr in dem Zusammenleben bereitet, dessen Art sie so charakterisiert: »Wir leben wie zwei Studenten, wovon der eine eine Frau ist.«
Nicht als Selbstmörder, sondern als Held im Freiheitskampf 1813 beschloß Marwitz sein Leben.
__________________Anmerkungen:
- ↑ "Liebe ist die größte Ueberzeugung – Auge, Ohr, Gefühl, Herz, alles ist unwiderstehlich überzeugt: kann man widerstehen, dann liebt man nicht, aber darum lieben auch nur Menschen, das heißt hohe, überzeugungsfähige Geschöpfe, sagt Rahel selbst."
- ↑ "Die Treue versteht sich von selbst, sie ist eine Bedingung der Liebe. Ohne ein treues Gemüt kann man gar nicht lieben, nicht leben, möchte ich sagen; denn was weiß man von sich selbst, wenn man sich nicht treu fühlt? Dann kann man sich ja selbst nicht wiedererkennen!
Wie ich dich liebe, deine Seele liebe! Glaube mir, ich erkenne ich durchdringe sie; keine ihrer Regungen entgeht mir; die meine ist ihrer wert, und ich errate, verstehe sie. Das ist mein Geist, mein Witz; glaube nie, daß ich anderen habe, nur diesen! Ich bin geschaffen, dich zu lieben, und das ist alles ... Welch Wunder, daß du mich liebst. Ja, ich glaube es, aber es ist viel ..." - ↑ »Es ist ein Unterschied zwischen uns: Sie leben alles, weil Sie Mut und Glück hatten: ich denke mir das meiste, weil ich kein Glück hatte und keinen Mut bekam. Nicht den, dem Glück das Glück abzutrotzen, es ihm aus den Händen zu ringen. Ich habe nur den des Tragens erlernt«, schreibt Rahel an Pauline.
Rahel klagt auch über den Irrtum, »daß man als Unsinniger sein Leben in Schmerz, Unsinn, Dürre, Sand und Wust, in wahnsinnigem Torheiten hinrinnen läßt, nicht beachtend, daß kein Tropfen zweimal fließt, der Diebstahl an uns selbst geschieht und gräßlicher Mord ist. Bloß weil wir ewig Approbation haben wollen, aus der wir uns nichts machen, und nicht tapfer genug sind, menschlich Antlitz nicht zu fürchten und dreist zu sagen, was wir möchten, wünschen und begehren. Nichts ist heilig und wahr und unmittelbare Gottesgabe, als echte Neigung; ewig aber wird die bekämpft, für anerkanntes Nichts. Das Fremdeste lassen wir uns aufbürden und so kommen wir uns selbst abhanden ...«
»Nur Neigung und Herzenswünsche! Kann ich ihnen nicht leben, bin ich dazu zu elend, zu verworfen, zu heruntergerissen und mißhandelt, so will ich sie von nun an in mir ergründen und sie anbeten! Gottes starker Wille ist das im Herzen – im dunkeln, blutwogenden – das keinen Namen bei uns hat – deswegen täuschen wir uns, bis es tot ist.« - ↑ »Es ist ein Unterschied zwischen uns: Sie leben alles, weil Sie Mut und Glück hatten: ich denke mir das meiste, weil ich kein Glück hatte und keinen Mut bekam. Nicht den, dem Glück das Glück abzutrotzen, es ihm aus den Händen zu ringen. Ich habe nur den des Tragens erlernt«, schreibt Rahel an Pauline.
Rahel klagt auch über den Irrtum, »daß man als Unsinniger sein Leben in Schmerz, Unsinn, Dürre, Sand und Wust, in wahnsinnigem Torheiten hinrinnen läßt, nicht beachtend, daß kein Tropfen zweimal fließt, der Diebstahl an uns selbst geschieht und gräßlicher Mord ist. Bloß weil wir ewig Approbation haben wollen, aus der wir uns nichts machen, und nicht tapfer genug sind, menschlich Antlitz nicht zu fürchten und dreist zu sagen, was wir möchten, wünschen und begehren. Nichts ist heilig und wahr und unmittelbare Gottesgabe, als echte Neigung; ewig aber wird die bekämpft, für anerkanntes Nichts. Das Fremdeste lassen wir uns aufbürden und so kommen wir uns selbst abhanden ...«
»Nur Neigung und Herzenswünsche! Kann ich ihnen nicht leben, bin ich dazu zu elend, zu verworfen, zu heruntergerissen und mißhandelt, so will ich sie von nun an in mir ergründen und sie anbeten! Gottes starker Wille ist das im Herzen – im dunkeln, blutwogenden – das keinen Namen bei uns hat – deswegen täuschen wir uns, bis es tot ist.« - ↑ »Einmal lebt' ich ganz für einen Menschen. Ich liebt' ihn bis zur Tollheit! Denn er, sein Anblick war mir das Jetzt und das Künftige und in einem Sinn blieb es wahr – auch gedacht' ich in meiner Seele ihn nicht zu verlassen.
Ich log: ich sprach die Forderungen meines Herzens, die Gebühren meiner Person nicht aus, um das mörderische Nein nicht in Worten zu hören; ich ließ mich ersticken; ich wollte mich nicht durchbohren lassen: elende Feigheit! Ich wollte, Unglückselige, das Leben des Herzens schützen; ich stellte mich vor, ich stellte mich hinter, ich log und log und log.«So erniedrigend darf man sich auch in der größten Leidenschaft nicht vom Schmerz auseinanderzerren und herumschleppen lassen. Man ergibt sich der Liebe, guter oder schlechter, wie einem Meere, und nun bringt Glück, Kraft und Schwimmkunst dich über, oder es verschlingt dich als sein. Darum sagt Goethe: Wer sich der Liebe vertraut, hält er sein Leben zu Rat? ...
Da packt' ich mordgewaffnet mein eignes Herz mit meiner Hand und ging: wie aus dem Leben. Denn ich wußte, es war wie zu einem schwarzen Tod, und schrieb selbst: Ich wähle die Verzweiflung, die ich nicht kenne. Es war ein langes Morden. Und es entstand eine Wüste, die schrecklicher als Schmerz, Riß und Vermissen des Geliebten ist. Tadle mich, wie ich die feige Niedrigkeit tadle! Aber dies bedenke: daß die Natur in ihn und in mich zu diesem Zauber – einen Zauber für mich gelegt hatte, wogegen das hellste Bewußtsein des Denkens nicht schnell genug arbeiten konnte. Der Eindruck war stärker. Dies ist Liebe. - ↑ »Dieses ganze Leben ist mir entrissen, wenn ich auch den Himmel in mir trage ... Ich fühle eine ganze Tränenflut in der Brust über dem Herzen, und jedes erinnert mich an alles. Nichts scheint mir mehr einzeln: ich fühle mich ganz gefangen. Mit dem höheren Leben tröste ich mich nicht! Ein schönes Erdenleben würde das nicht ausschließen. Es erhöht und schärft jeder Augenblick mir das immer innigere, tiefe Gefühl des unfaßbaren Verlustes! – Es gelangt keine Freude zu meinem Herzen; wie ein Gespenst steht er unten und drückt es mit Riesengewalt zu. Und nur Schmerzen kommen dahin; dies Gespenst, dies verzerrte Bild, ich lieb' es.
Oh, den einzigen Vorteil gewährt der wahre Schmerz, wenn er zur Besinnung dringt, daß er nie wieder kommen kann, daß er uns wirklich von dem Stück Leben losgeschnitten hat, woran er blutend riß. So ging es mir.« (Ende 1806.)
Herzensübel sind Wohltaten, Liebesschmerzen verworfene Liebe, Wonne ...
So bereu' ich nichts. Und ruhe auf meinen gehabten Plagen und Schmach sanft wie auf Lorbeeren und der schönsten Myrte. Wer untersucht, wie ich: dem geht's nicht besser. Mein Leid ist also menschlich und zu kleinem Jammer zu groß!«
»Nie habe ich gelebt und nie gesagt, was Leben ist: Liebe, die nicht Gift wird, die nicht Schmerz bleibt.« - ↑ »Wir und alles, was wir wissen, bezieht sich auf etwas, was wir nicht wissen; und daher kann man auch soviel schwatzen, wo nichts dahinter ist, und schweigt so selten, weil es doch schwerer ist, an das zu denken, was man nicht sieht ...«
- ↑ »Ich glaube, hätte der Gubernator dieser Erde nur ein Exempel solcher Liebe in all ihren Wendungen und Möglichkeiten, in ihrer höchsten Kraft, Echtheit und Reinheit gewollt, gepaart mit dem höchsten Bewußtsein über sich selbst und also in größthöchster Möglichkeit ihrer Martern, aus der ganzen Seele Umfang, wie mit Facetten versehen, um jeden Schmerz reflektierend zurückzuschicken, so wäre es mit mir genug gewesen.«
- ↑ »Dieser Mensch, dieses Geschöpf hat den größten Zauber über mich verübt, verübt ihn darum noch. Dem gab ich ... mein ganzes Herz und dies können einem nur Liebe und Würdigkeit zurückgeben, sonst kriegt man's nie. Gibt es also Fluchzauber? Gibt es, sich einem Teufel ergeben? Als er aus dem Zimmer war, fiel ich laut schreiend, das Herz gegen die Rippen zersprengt, hin und frug Gott, ob man ein, Herz veräußern könnte, er wüßte ja, daß man ohne Herz nicht weiter leben kann ... Es ist, als müßte er mir etwas herausgeben, was er von mir hat, und seine Liebe könnte mich noch entzünden und heilen. Bis ich nicht einen stärker lieben kann ... bleibt der notwendige Teil meiner Selbst zum Glück zurück, der Quell des hellsten, intimsten Seins begraben unter schwerem Fluch und Zauber.
Ah! Ewiges Schicksal, wahr wirst du bleiben, solange ein Bestandteil einer Faser von mir zusammen bleibt. Wahr wirst du ewig, gewesen sein! Wahr! Wahr war das Ewig, was ich dem tauben ewig schrieb ... Wahr, daß ich das Bild für meine Sinne fand; mein Herz für ewig zu ihm schleuderte; wahr, daß er mich nicht empfand; wahr die schreckliche Disharmonie. Wie wenige lieben! Unter Generationen nur eines. Treue liegt in den Sinnen: im Schauen des Geistes in das Herz; in seiner Mächtigkeit. Dies große Geschenk habe ich Elende ohne des Glückes Krone, ohne seinen Einklang ...«
»O! Welche Krankheit ist eine Liebe! Wieviele Willkür, wieviel Tollheit darin, weil auch die Willkür sich gleich zur Ohnmacht verkehrt: Dies ist der Zauberklang, der Lebensfunke darin, der das Mark hoch, auflodernd verzehrt – wie krank ist der, der lieben muß. Und dies ist unsere echte Liebe – nickt die erste – wo kein Stäubchen von uns konserviert wird, wo wir den letzten Blutstropfen ehrlich geben. Da hilft nur ehrlich leiden.«
Sie fühlt, »wie die ganze Welt einer Seele zur Folterbank dienen kann; wie eine Seele, vom Himmel zur Erde auseinandergezerrt sein. kann – diese Verzerrung ist Leidenschaft – wie niedrig man sein kann, daß unser inneres Schicksal von den Göttern herrührt. Und daß großes Unglück große Verachtung verdient.« - ↑ »Sie können der Zeit nicht entfliehen. Jeder Mensch ist in seine Zeit gebannt. Unsere ist die des sich selbst ins Unendliche bis zum Schwindel bespiegelnden Bewußtseins.«
»Leben, lieben, studieren, fleißig sein, heiraten, wenn's so kommt, jede Kleinigkeit recht und lebendig machen, dies ist immer gelebt, und dies wehrt niemand.«
Aber um dieses Verständnis zu zeigen und diese Ratschläge geben zu können, mußte sie erst selbst jene Weisheit erringen, die sie in Worte wie diese zusammengepreßt hat: »Das gestählte Herz, die sich alles gewärtige Seele, der nichts bleibt, als ihr eigenes Gewissen; die von diesem innersten Punkt des Seins aus sich auf ihr selbst stemmt und so ihre Existenz erwartet.«
Sie hatte ihm ihre Ueberzeugung beigebracht: »Es gibt ein Universum, in dem entwickeln wir uns. Und es ist ganz gleich, welches Schicksal wir haben, wenn wir zu Sinne gekommen sind: die Entwicklung ist unser Schicksal.«