Rubens und seine Schüler

Als Gesamturteil darf nun, da sein Werk, seine Technik, sein geregeltes und doch rastloses Leben gestreift sind, mit Sicherheit festgestellt werden, dass Rubens, wenn nicht der größte, so doch sicherlich der schöpferischeste aller Maler gewesen ist. Wie Herkules in das Leben, so tritt er kraftvoll in die Kunst, und sind die Arbeiten des griechischen Gottes noch zu zählen, so sind die seinen unzählbar. Immer wird man einige vergessen, so verschwenderisch war seine Fruchtbarkeit. Die sorgfältigen, bedächtigen und verdienstlichen Kataloge mögen sich alle Mühe geben, sein Werk zusammenzuschnüren, um gewissermaßen Dämme aufzurichten gegen seine schöpferische Flut, niemals werden sie vermögen, ihn ganz zu umfassen. Auf allen Seiten strömt sein Werk über, und das Maß der größten Anstrengung ist gering, gemessen an dem seinen. Vierzig Jahre bloß arbeitet er, und doch, was er zurücklässt, scheint nicht das Werk eines einzelnen Mannes, sondern das einer ganzen Schule zu sein.

Rubens stellt für sich allein eine ganze Generation dar. Er hatte zu seiner Seite van Dyck und Jordaens, und gleichzeitig schufen Crayer, Seghers, Synders, Fyt, Cornelis de Vos zu Antwerpens Ruhme. Sie sind alle große Künstler, ihre Namen glühen in wundervollem und unsterblichem Glanz; aber doch muss man sich fragen, was sie in der Kunst erreicht hätten, wäre ihnen nicht von Rubens der Weg zur Höhe gewiesen worden. Alle sind sie auf seinen Pfaden geschritten, alle haben sie das Leben von seiner Stelle aus gesehen. Sein Blick lebt in ihren Augen, er schafft in ihrer Hand, in ihren Gedanken. Er hat sie aus dem Traum erweckt, den er sie selber träumen ließ. Seine Anbetung, seine Kreuzigung, seine Kreuzabnahme sind es, die sie mit leichten Abänderungen malen; sein ist die Art der Anordnung, die Landschaften, die Dekorationen, die sie nun selber zu schaffen meinen. Und dieser wilde und überschwellende, alles mitreißende Einfluss verbreitet sich bald über die ganze europäische Kunst hin, nach Frankreich, England und Deutschland. Rubens, er, den die streng offizielle Kunstschule ablehnt, den Ingres in Acht tat, um Raffael allein zu verherrlichen, hat einen ebenso tiefen und dauerhaften Einfluss gehabt als der große Italiener, wenn auch gerade im entgegengesetzten Sinne. Sie sind die zwei Magnete, die, der eine positiv, der andere negativ, zwischen ihren beiden Polen die ganze heiße und flammende Kunst haben. Und wer in ihm nur einen geschickten Dekorateur, einen fabelhaften technischen Meister sieht, vergisst, dass er alle Gefühle und alle Überschwänge der Trunkenheit und des Glückes vollendet zum Ausdruck gebracht hat. Allerdings, er ist nicht vollkommen in seiner Wiedergabe der ganzen Menschlichkeit. Sein Mangel ist, dass er niemals ein geprüfter und leidender Mensch gewesen war. Sein Leben war zu leicht, zu voll von Siegen und zu schön; niemals hat er in seinem Herzen die großen Sturmglocken des Schreckens wild läuten gehört, er hat nicht gelitten, wie jener höchste Künstler, wie Rembrandt. Er erhebt sich nicht über die andern: er schreitet nur an ihrer Spitze.

Und darum kann man ihn auch, ungeachtet seiner Größe, ohne Mühe nach den ästhetischen Gesetzen messen, die Hippolyte Taine aufstellte und die uns den Künstler als das Mischungsresultat des Milieus, in das er sich einsenkt, der Rasse, aus der er stammt, und der Stunde, zu der er schafft, erklären wollen. Rubens ist all diesen Gesetzen Untertan. Seine mittelbaren Ahnen, sein Vater, seine Mutter, die Renaissance und die flandrische Heimat formen seinen Charakter und seinen Geist. Er schuldet ihnen alles, was er ist, und bleibt ihnen in seiner Ganzheit Untertan. Dank ihnen kann man seine vielfältige Kraft in eine Einheit formen und seine auseinanderstrebenden Fähigkeiten in ein einziges Bündel bannen.

Ein Rembrandt entzieht sich solchen Maßen. Als Mensch schon, geschweige als Künstler, beschließt er in sich nicht nur eine Rasse, ein Milieu, ein Jahrhundert, sondern den ewigen Menschen und die unbegrenzte Zeit. Wie Shakespeare und wie Beethoven haben ihn bald die ungeheure Traurigkeit und bald die unendliche Freude zerschmettert oder zur Ekstase geführt. Alles ist allumfassend und geheimnisträchtig in ihm. Seine Bilder sind Dramen, darin alles in seiner Tiefe sichtbar wird. Seine Gestalten haben leidenschaftliche Gebärden, die bis zum äußersten gehen, ohne dass sie doch jemand übermäßig oder falsch nennen könnte; sie stellen immer den Schmerz oder das Glück einer ganzen Welt vor, immer alles Unglück oder alles Glück, die unvergängliche Leidenschaft. Zu den Zeiten der Propheten, der Könige des Orients, in den finsteren und barbarischen Epochen und wieder in den Kämpfen der Gegenwart, gestern, heute und morgen, überall, wo eine wahre Verzweiflung oder eine aufrichtige Heiterkeit sich äußert oder äußern wird, haben die Menschen so gehandelt oder werden so handeln, wie sie Rembrandt dargestellt hat. Dank ihm rühren wir an jene letzten Tiefen des Abgrundes in menschlichen Herzen, die unveränderlich sind wie Raum und Zeit und die, man möchte sagen, denselben Gesetzen gehorchen wie die Sterne, und die anders zu denken man sich vorerst eine andere Welt ersinnen müsste. Um solche unwandelbare Grundschichten des Gefühls darstellen zu können, braucht Rembrandt nicht wie Rubens nach Italien zu fahren, um sich dort eine neue künstlerische Sprache zu finden, sondern er lässt nur aus sich selbst wie ein Wunder die erstaunlichste und seltsamste Kunstform entstehen. Die Farbe weicht bei ihm dem Licht, alles ist Übergang und Verschattung. Er verdankt niemandem das Geringste. Alles wird ihm, wenn man so sagen darf, aus dem Geheimnis und der Ewigkeit. Er ist von Nirgendsher und von Überall.

Rubens aber, der zu Schülern keine Künstler ersten Ranges hat, dankt vieles seinen wundervollen Meistern, dem Tizian, Veronese, Tintoretto und manchen andern. Ganz wie diese liebt er die Malerei als eine Art geistiger Sinnlichkeit, die angenehm seine Fähigkeiten des Schaffens, Beobachtens und Kombinierens anreizt. Für ihn ist Malen schon ein Teil des Glücklichseins. Und deshalb wird er auch niemals müde, sich an seinem Werke zu freuen, und er vervielfacht es unerschöpflich bis in seine letzten Lebensstunden. Die Gebärden seiner Menschen sind nicht wie die der Gestalten Rembrandts die letzten entscheidenden und einzigen, weil sie nicht von der inneren Ergriffenheit erzwungen werden. Und seine schönsten Werke lassen sich viel mehr dank ihrer glücklichen Anordnung lieben als um des Dramas willen, das sie darstellen. Die Bewegung ist in ihnen sichtbarer als das wirkliche Leben. So ist im »Raub der Töchter des Leukippos« keine Haltung aus der wirklichen Lebendigkeit genommen. Es ist weder ein wirkliches Entreißen von Seiten der Männer noch ein aufrichtiges Sträuben seitens der Frauen, sondern nur eine wunderbar gemalte Bewegungsgruppe. Ebenso ist in der »Amazonenschlacht« der Tumult sicherlich meisterhaft verwirklicht, aber doch, ein Schauer vor diesem Kampfe durchdringt uns nicht. Die tiefe und menschliche Wahrheit, die uns bis zu Tränen bei Rembrandt durchschüttert, ist hier einer Anordnung geopfert, die allerdings so vollendet ist wie die der größten Italiener. Die Gedanken der äußeren Schönheit, die die Renaissance mit ihrem Siegel geformt hat, herrschten eben in Antwerpen ebenso wie in Rom; dennoch aber - und dies ist eigentlich ein Teil seiner Technik - weiß Rubens, obzwar er sie übernimmt, sie nach seiner eigenen Natur um- und weiterzubilden. Seine Palette ist noch reicher und prunkvoller als die der Italiener: er opfert nicht alles der Farbenwirkung auf, sondern zielt auf den kraftvollen Einklang; er wählt nicht bloß diese oder jene einzelne Harmonie behutsam aus, sondern lässt sie alle zusammenklingen, damit ihre Kraft seiner Fruchtbarkeit gemäß und dienstbar werde. Andere Maler erinnern an schöne Seen, breite Ströme - Rubens immer an das Gewitter, den Aufruhr. Ohne Mühe, gleichsam im Spiel, gewinnt er seinen Teil an Originalität in der Kunst und erfindet zum Beispiel, fast ohne es zu wollen, neue Stellungen, die durch ihre besondere Leichtigkeit und Kühnheit bemerkenswert sind. Der Typus Mann, den er breitbäuchig und satt in die Mitte mancher Bilder zu stellen liebt, ist eine Probe dafür. Er ist der erste, der Gestalten. schuf, wie den »Orientalen« im Kasseler Museum oder den Krieger in »Thomyris, die den Kopf des Cyrus empfängt«, oder den heiligen König in der »Anbetung« von Antwerpen. Und so findet er neue Anordnungen neben den schon bestehenden Kompositionsformen der Italiener und fügt dem Ensemble in Triangelform, dem Aufbau im Basrelief oder der Stufenerhebung noch seine eigene neue Anordnung bei, die Komposition in Rundform. Lange versucht er sich an ihr, bis er sie schließlich mit sicherer Meisterschaft in der »Jungfrau auf dem Throne« oder, wie dies Bild auch heißt, der »Mystischen Vermählung der heiligen Katharina« verwirklicht. In jenem Bilde (das Original bei den Augustinern in Antwerpen, die Skizze in Frankfurt) hebt sich die Jungfrau mit dem Kinde über das Ensemble empor, gleichsam der oberste Ring, der den Kreis eines Rades oder einer Medaille an die Wand heftete. Dieses Oval wiederum ist fortlaufend gebildet von zwei Engelchen, die ein Lamm herbeiführen, einem Mönch, einem Bischof, einem nackten Epheben, einem Krieger, zwei Frauen, einem Engel und schließlich der knienden heiligen Katharina. Eine Girlande von Gestalten um ein Bild geschlungen, möchte man diese neuartige Anordnung nennen, die vor Rubens kein Maler je versucht hatte.

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