Die Technik des Peter Paul Rubens

Betrachtet man die wundervolle Fülle der religiösen, mythologischen, historischen, phantastischen oder realistischen Meisterwerke, die Rubens mit seiner bloßen Hand aus dem Dunkel gehoben hat, so muss man ihn mit irgendeiner letzten Urkraft vergleichen, die sich die Welt noch einmal schafft und sie in einer wilden Verstrickung von Linien, in einer großartigen Vermengung nie gesehener Farben noch einmal neu erstehen lässt. Seine Zeichentechnik gehorcht keinem Gesetz, keiner Schulregel. Sie schließt die Bewegung nicht in eine starre Form ein, sondern lässt sie restlos im Raum verfließen. Seine Linie ist immer richtig, wenn sie auch nicht immer ganz scharf umrissen ist; denn sie will keine Absperrung sein, sondern nur eine Abgrenzung. Für viele Maler trennt die Linie ein einzelnes Objekt von der Gesamtheit der Erscheinung: für Rubens ist immer alles gleichzeitig belebt, jede Linie fließt über in die nachbarliche, und so sehr sogar, dass das ganze Bild oft wie ein wildes Bündel zahlloser Flammen in einem einzigen Kessel erscheint. Alles ist gleichzeitig unterschieden und verschmolzen. Diese Art der Zeichnung, weit entfernt von jener, die man in den Schulen akademisch lehrt, ist die aller wahrhaften Maler. Für sie gibt die Natur, die sie in ihrer ewigen Beziehungsfülle, in ihrem Zusammenhang, in ihrer gemeinsamen Durchdringung sehen, ihren einzelnen Geschöpfen, ihren einzelnen Teilen nicht ein besonderes Schicksal, sondern das Leben des Weltalls strömt und regt sich in jedem einzelnen, in den Dingen so sehr wie im Menschen, in der Luft, im fliehenden Wind, im niederhängenden Himmel, im wankenden Horizonte so sehr wie in dem einzelnen Gegenstand, der gerade im gegebenen Augenblicke die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Denn jede abgelöste Bewegung ist eine tote Bewegung. Es gibt keine reine Unbeweglichkeit außer als bloß geistigen Begriff. Alles Statische ist im Grunde dynamisch. Und überdies ist die Form ja bei Rubens in solchem Maße mit seiner Farbe verbunden, dass es gefährlich wäre, hier eine künstliche Scheidung vornehmen zu wollen. Die Farbe ist es in erster Linie, die ihn fast ausschließlich entflammt und begeistert. Auf einen gebräunten oder grauen Grund, der gleichsam den musikalischen Grundakkord bildet, schleudert er sein Rot, sein Grün, sein Gelb, Blau, Violett hin, die ganze Melodie der hoch oder tief, leicht oder wuchtig, wild oder gedämpft klingenden Farbentöne. Er spielt gleichsam nur mit allen orchestralen Schwierigkeiten, er wechselt, ohne dass jemals eine Dissonanz sich fühlbar machte, die Register seines Instruments, er schafft einen fließenden Übergang vom Festen zum Bewegten, vom Licht zum Dunkel, von der Kraft zur Zartheit, von der Wildheit zur Ruhe, und dies immer mit einer souveränen Leichtigkeit und Vollendung des Geschmacks.

Sicherlich, er schöpft mit vollen Händen aus der vor ihm ausgebreiteten Wirklichkeit, aber doch ist kaum einer weniger als er ihr Sklave. Noch ehe er die Lokalfarbe, die tatsächliche und wirklich vorhandene eines Gegenstandes nachzubilden sucht, hat sein Instinkt immer schon eine Harmonie sich voraus geschaffen. Rubens transponiert. In dem wunderbaren Bilde »Meleager und Atalante« ist eine Symphonie aus Rot und Grün geschaffen. Gewaltige Massen hingebeugter Bäume, die der Wind kämmt und durchwühlt, bilden einen großartigen geschlossenen Hintergrund für die rote Jagd der Amazonen. Die Kleider, das Fleisch, die Waffen klingen wild in diesem Tumulte auf. Aber neben diesen mit den Farben von Blut und Mord überströmten Gestalten werden einzelne Details, hier eine Baumwurzel, ein Blattgewirr, der Fuß eines Hundes, eine Senkung im Boden, ein Saumpfad - Dinge, die eine genaue realistische Darstellung mit Erdfarben oder mit den grünen Tönen bedenken würde - unter seinem Pinsel zu violetten oder roten Flammen. So verdreifacht das Gesamtbild des Werkes, das zwischen diesen beiden starken komplementären Farben in unendlich variierten, aber immer harmonisch gebändigten Farben schillert, die Macht seiner Leuchtkraft und Lebendigkeit. Diese Technik, die Rubens aus Instinkt fand, nähert ihn sehr den modernen Meistern. Alles ist, wie später bei jenen, in seinem Werke der Harmonie geopfert. Der Schatten wird sensibel, wird belebt. Er gewinnt Farbe und Seele. Er ist nicht mehr die tote und undurchsichtige Sache, als die ihn die Maler von Bologna und selbst die Holländer sahen. Man betrachte nur auf den Bildern der Medicigalerie das Leben seiner Schatten, und sofort wird man mit Überraschung und Entzücken ihre Leichtigkeit, ihre Beweglichkeit und Zartheit spüren. Noch ehe man sich für den dargestellten Gegenstand interessiert, ist das Auge schon allein durch die wunderbare Lichtwirkung seiner Werke gefesselt. Nicht nur, dass die stärksten Farben sich das Gleichgewicht halten und verbinden, selbst heißeste Farbe, der Glanz von Golddukaten, die aus einem Füllhorn fallen, oder Flammen, die aus einer Fackel brechen, lösen ihre Schärfe und Unvermitteltheit wunderbar in der Gesamtheit auf: ein Wunder ist dies, unerklärlich vom rein malerischen Standpunkte und doch lebendig in der »Krönung der Maria von Medici« oder im »Tausch der Prinzessinnen auf der Fasaneninsel«. Keiner vor ihm, selbst Tizian, Veronese und Tintoretto nicht, steht unseren modernsten malerischen Bemühungen und Bestrebungen so nahe, und wenn es einen wahrhaft modernen Meister unter den alten Meistern gibt, so ist es sicherlich Rubens, mit seinen Nachfolgern, den Fragonard, Boucher, Watteau und dann später Delacroix und Renoir.

Noch stärker aber als in seinen Bildern wird dies in seinen Skizzen sichtbar. Denn während in seinen großen Kompositionen die lauten und dröhnenden Töne fast allein die Aufmerksamkeit fesseln, entdeckt man in seinen Skizzen tausend Feinheiten. Ein zartes Rosa, ein leichtes Gelb und seltsames Violett bereiten dort in Andeutungen jene Harmonien vor, die dann später im vollendeten Bilde viel gewaltsamer wirken. Hier aber lassen sie sich noch gleichsam in einer Art köstlicher Entkleidung überraschen. Selbst das Auge des modernen Menschen, das viel feinfühliger ist, viel sicherer und viel besser auf solche Wirkungen eingestellt, kann sich keinen wundervolleren Genuss farbigen Lichtes erdenken. Alles ist kühner, unerwarteter, jäher Zusammenklang, Verfeinerung und Vollendung. So wundervolle Gaben enthüllen diese Improvisationen Rubens', dass man oft bedauert, seine Skizzen später in genau umrissene und vollendete Werke verwandelt zu sehen. Denn selbst unter den Malern kann man sich keine mehr malerische Natur als die seine erdenken.

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