"Die Braut von Messina."

Versteht ihr's oder nicht?" so fragt die Wala dich.
Tegner, Frithjofs-Sage.

Wem die Dramen der zweiten Schiller'schen Pro- ductionsperiode im Lichte katholischer Weltanschauung geschaffen scheinen, der wird sich jetzt auf den drolligen Ausgang unserer Excursionen am Ende der Sackgasse freuen. Denn wie wollen wir von unserem Standpunct aus jene Stellen im "Wallenstein" in der "Maria" der "Johanna" erklären, welche katholische Gegenstände und Thaten so brillant illustriren? Wir wollen unsere Meinung hierüber nicht verschweigen; obschon wir in Verlegenheit wären, auch nur einen Eideshelfer für dieselbe aufzubringen. Jeder Dichter hat einen eigenen Garten, aus dem er sich seine Blumen mit dem nöthigen Grün zusammenpflückt. Göthe verstand es, durch geistvolle Auffassung der materiellen Natur, durch originelle Vorführung des gewöhnlichen Lebens und Denkens im weitesten Sinne seine Leser und Hörer anzuziehen. Schiller war zu fein und zu idealistisch, um sich auch des Gewöhnlichen als Staffage zu bedienen; sein Subjectivismus konnte sich nie zu solcher Objectivität herablassen, selbst nicht im "Wallenstein", wo er sich doch mit Absicht zu Göthes Naturalismus hinüber zu beugen strebte. Der Protestantismus mit seinem Vicar im Schlafrock am Kasetische hatte sich überlebt und bot jedenfalls Schillern kein Ideal. Die katholische Kirche aber mit dem Reichthum ihrer Anschauungen und Institutionen, mit ihrer erhabenen Idealität war bei den Protestanten jener Zeit, die hauptsächlich Schillers Leser- und Hörerkreis bildeten, so viel als unbekannt; Schillern aber aus seinen Studien u. s. f. bekannt genug. Dieser Reichthum an Formen und diese ideale Richtung mußten an sich etwas Anziehendes für Schiller haben und konnten ihm zugleich als pikante Staffage vor seinen Zuhörern dienen: er konnte Neues bringen. Hat man denn nicht später auch das Judenthum und seine Gebräuche in dieser Weise benützt? Dazu kommt die Romantik, die damals Mode war. Anfangs also , stand Schiller als Aesthetiker vor dem Altare — und nach und nach sank er als Christ ins Knie; es ging ihm wie dem hl. Gelasinus von Heliopolis. Dieser wollte die Ceremonien der Taufe im Schauspiele an sich vollziehen lassen; aber indem das Wasser über ihn floß, kam der heilige Geist über ihn und er wurde ein wahrer Christ. Doch! unsere Ueberschrift verweist uns an die - "Braut von Messina."

"Die Braut" ist dasjenige Drama Schillers, welches der Kirche die meisten Concessionen macht, mehr sogar, als die außer dem kirchlichen Boden stehenden Verehrer des Dichters begreifen können. "Am 3. Juli 1803 wurde endlich die 'Braut von Messina' aufgeführt, und Jupiter tonans schien selber des Dichters seltsamen Bund mit der altkatholischen Mutterkirche im Drama gut zu heißen. [1]" Wegen dieser Concessionen muß "die Braut" im Urtheile unserer Kunstrichter das Schlechteste sein was Schiller gemacht hat, selbst in den Augen absoluter Schillerianer. Es ist auch überraschend, wie weit Schiller 1803 in der Erkenntniß kirchlichen Wesens nun- mehr fortgeschritten war, und wie ernst er dem Göttlichen sich beugte. Ueber das von den Protestanten so hart angefochtene Klosterleben schreibt er:

"Raub hast du an dem Göttlichen begangen,
Des Himmels Braut berührt mit sündigem Verlangen,
Denn furchtbar heilig ist des Klosters Pflicht."

* * *

"Des Traums Verständniß löste mir ein Mönch,
Ein Gott geliebter Mann, bei dem das Herz
Rath fand und Trost in jeder ird'schen Noth."

* * *

"Und auch der hat sich wohl gebettet,
Der aus der stürmischen Lebenswelle
Zeitig gewarnt sich herausgerettet
In des Klosters friedliche Zelle;
Der die stachelnde Sucht der Ehren
Von sich warf und die eitle Lust,
Und die Wünsche, die ewig begehren,
Eingeschläfert in ruhiger Brust.
Ihn ergreift in dem Lebensgewühle
Nicht der Leidenschaft wilde Gewalt,
Nimmer in seinem stillen Asyle
Sieht er der Menschheit traurige Gestalt."

* * *

"Soll ich der Mönche fromme Bruderschaft hieher
Berufen, daß sie nach der Kirche altem Brauch
Das Seelenamt verwalte und mit heil'gem Lied
Zur ew'gen Ruh einsegne den Begrabenen?
Ihr frommes Lied mag fort und fort an unserm Grab
Anf ew'ge Zeiten schallen bei der Kerze Schein."

Den Glauben prediget erschütternd folgende Stelle:

"Halt ein, Unglückliche! Wehe! Wehe!
Du läugnest der Sonne leuchtendes Licht
Mit blinden Augen! Die Götter leben.
Erkenne sie, die furchtbar dich umgeben!"

Vollends wie ein frommes Wallfahrtslied klingt es uns an, wenn der Dichter singt:

Reich ist die Christenheit an Gnadenbilder,
Zu denen wallend ein gequältes Herz
Kann Ruhe finden. Manche schwere Bürde
Ward abgeworfen in Loretto's Haus,
Und segensvolle Himmelskraft umwebt
Das heilige Grab, da! alle Welt entsündigt.
Vielkräftig ist auch das Gebet der Frommen;
Sie haben reichen Vorrath an Verdienst,
Und auf der Stelle, wo ein Mord geschah,
Kann sich ein Tempel reinigend erheben."

Kaum trauen wir unseren Ohren mehr, wenn Schilder beginnt von der Mutter Gottes zu singen

"Selber die Kirche, die göttliche stellt nicht
Schöneres dar auf dem himmlischen Thron;
Höheres bildet
Selber die Kunst nicht, die göttlich geborne,
Als die Mutter mit ihrem Sohn.
Freudig sieht sie ans ihrem Schooße
Einen blühenden Baum sich erheben,
Der sich ewig sprossend erneut.
Denn sie hat ein Geschlecht geboren,
Welches wandeln wird mit der Sonne
Und den Namen geben der tollenden Zeit."

* * *

"Hinzuknien an heil'ger Stätte,
Zu der Göttlichen zu fleh'n.
Nimmer konnt ich widersteh'n."

Werden wir uns nun erlauben, aus diesen und noch anderen sehr überraschenden Connivenzen einen kühnen Schluß auf die Konversion des Dichters in der Richtung nach der Kirche hin zu ziehen? Wir können uns nicht dazu entschließen. Vor Allem hält uns der Gedanke zurück, daß Messina eine italienische Stadt ist, daß also Messinenser unmöglich protestantisch reden könnten. Wiederholt müssen wir erinnern, daß nicht Alles persönliche Ueberzeugung zu sein braucht, was ein Dichter in sein Saitenspiel verwebt; aber Alles, woraus ein Sänger seine eigene Angelegenheit macht, rührt weit mehr, als wenn er es nur so objektiv referirt und tractirt. Er muß die Empfindungen, die er ausdrücken will, in sich selbst zu haben scheinen, er muß scheinen aus der Erfahrung und nicht aus der Einbildungskraft zu sprechen. Diese Kraft, sagt Lessing [2], durch welche er seinem geschmeidigen Geiste alle möglichen Formen auf kurze Zeit zu geben und ihn in alle Affekte zu setzen weiß, ist eben das, was des Dichters Vorzug vor anderen Sterblichen ausmacht, allein es ist zugleich auch das, wovon sich diejenigen, denen es versagt ist, ganz und gar keinen Begriff machen können. Sie können sich nicht vorstellen, wie ein Dichter zornig sein könne, ohne zu zürnen, wie er von Liebe seufzen könne, ohne eine Neära zu haben, wie er beten könne, ohne wirklich mit den Händen das Herz himmelwärts zu wenden, wie er katholisch reden könne, ohne Katholik zu sein. Sie gleichen den gemeinen Schiffern, die den Lauf nach dem Winde richten müssen, während der Dichter einem Aeneas gleicht, der die Winde in verschlossenen Schläuchen bei sich führt und sie nach seinem Laufe einrichten kann. Schon diese unbestreitbaren Sätze der Erfahrung würden unsere Vorsicht entschuldigen, aber gerade "die Braut von Messina" gibt uns noch einen anderen, wie es uns scheinen will, nicht zu verachtenden Hilfsgrund an die Hand. Schiller verflicht hier die Mythologie gerade so ernsthaft in sein Kunstwerk. Nur ein paar Tacte wollen wir hören:

"Schützende Götter des Hauses entweichet,
Lasset die rächenden Göttinen ein!"

* * *

"Denn des gastlichen Hauses
Unverletzliche Schwelle
Hütet der Eid, der Erinnyen Sohn,
Der furchtbarste unter den Göttern der Hölle."

Isabella läßt sich ihren Traum von einem sternkundigen Araber und von einem christlichen Mönche deuten: beide deuten ihn richtig, der Heide noch klarer, als der Christ. Wenn nun Schiller, ohne im Ernste an die antike Mythologie zu glauben, sich ihrer dennoch als poetischen Materials bedient, so müssen wir uns beinahe gefallen lassen, wenn Jemand auch die erwähnten katholischen Anklänge dem Poeten vindicirt.

Will man in die eigene Meinung und Ansicht eines Dichters mit voller Sicherheit und unwidersprechlicher Gewißheit einbringen, so ist es, wie Daumer ganz richtig bemerkt, von Wichtigkeit, ihn auch als Theoretiker vernehmen zu können. Nun in der "Braut von Messina" bietet uns Schiller in hinlänglicher Fülle und mit genügender Bestimmtheit diesen Haltpunkt dar, indem er der Tragödie eine Vorrede vorausschickt, in welcher er die versuchte Repristination des antiken Chores rechtfer tigen will. Zum Schlusse dieser Einleitung schreibt er nun wörtlich: "Eine andere Freiheit, die ich mir erlaubte, möchte schwerer zu rechtfertigen sein. Ich habe die christliche Religion und die griechische Götterlehre, vermischt angewendet, ja selbst an den maurischen Aberglauben erinnert. Aber der Schauplatz der Handlung st Messina, wo diese drei Religionen theils lebendig, theils in Denkmälern fortwirkten und zu den Sinnen sprachen. Und dann halte ich es für ein Recht der Poesie, die verschiedenen Religionen als ein kollektives Ganze für die Einbildungskraft zu behandeln, in welchem Alles, was einen eigenen Charakter trägt, eine eigene Empfindungsweise ausdrückt, seine Stelle findet.

"Unter der Hülle aller Religionen liegt die Religion selbst, die Idee eines Göttlichen, und es muß dem Dichter erlaubt sein, dieses auszusprechen, in welcher Form er es jedesmal am bequemsten und treffendsten findet." Also „unter der Hülle aller Religio- neu liegt die Religion selbst, die Idee eines Göttlichen": das ist das Glaubensbekenntniß Schillers vom Jahre 1803, Es muß dem Dichter erlaubt sein, dieses auszusprechen, in welcher Form er es jedesmal am bequemsten und treffendsten findet, und Schiller hat es ausge- sprachen, gerade in und durch die "Braut von Messina."

"Die Braut" ist die Tragödie der Zukunftsreligion! Die Fabel der "Braut" ist nicht historisch, sie ist erfunden; Gustav Schwab schreibt deßhalb: "Schiller scheint mit dieser Tragödie an der Klippe gescheitert zu sein, vor der er sich selbst einst gewarnt hatte, am "erfundenen Stoff." Da Schiller die Klippen der erfundenen Stoffe kannte, so hat er die gewagte Fahrt durch dieselben gewiß nur aus unwiderstehlicher Liebe zu der an den Felsen geschmiedeten Jungfrau unternommen; Schiller strebte immer und überall nach Idealen, ein zweiter Promethens trachtete er nach dem himmlischen Feuer, das den Sterblichen versagt sein soll, das er aber deßungeachtet dem Schicksale abzuringen suchte: diese Jungfrau, dieses Feuer, dieses Ideal schwebte ihm in der "Braut" als die unter der Hülle aller Religionen verborgene reine Religion der Zukunft vor. Wir wollen versuchen zu erforschen, in wie weit dieser Grundgedanke aus der poetischen Umkleidung noch kenntlich hervortritt.

Isabella die Mutter ist uns das germanische Wesen, der Inbegriff all der Kräfte und Schwächen, die und wie sie in der germanischen Race Gestalt gewonnen haben, also das deutsche Element. Zu den Tagen der Mannbarkeit emporgeblüht wählte sie nicht frei; sondern der jüngstverstorbene Fürst hatte sie dem eigenen Vater, dessen Braut sie war, entrissen und in ein frevelnd Ehebett gezogen. Indessen entstammte das ganze Herrschergeschlecht nicht dem deutschen Boden; sondern vom Norden ist es gekommen, wurde Anfangs gastlich auf- genommen und hat den Dank mit Usurpation bezahlt. Dieser Bezwinger der deutschen Mutter, der auf dem Meerschiff von der Sonne röthlichem Untergang herübergekommen und das deutsche Wesen in ein frevelnd Ehebett gerissen, wird sich leicht als der Christusglaube erkennen lassen, den uns Albions Missionäre über den Canal gebracht, und der die deutschen Kämpen unterworfen, den Berengar, Boëmund, Cajetan, d. h. die deutschen Künste, Philosophie, Poesie u. s. w. Der alte betrogene Ahnherr schüttete gräuelhafte Flüche auf das sündige Ehebett aus. Die Gewalt des Raubes kann offenbar nur eine Anspielung auf die Missionsthätigkeit des fränkischen Schwertes sein. Der Chor in der "Braut" sagt dasselbe in Bildern, was Göthe mit dürren Worten sagte:

"Den deutschen Mannen gereichts zum Ruhm,
Daß sie gehaßt das Christenthum,
Bis Herrn Carolus leidigem Degen
Die edlen Sachsen unterlegen."

Die Frucht der erzwungenen Ehe sind Manuel und Cäsar, die in freudiger Kraft aufwachsen, doch mit ihnen wuchs aus unbekannt verhängnisvollem Saamen auch unseliger Bruderhaß empor. Schon von der Wiege an trennt die Brüder tödtliche Feindschaft, in Allem diffentiren sie, nur in der Liebe zur deutschen Mutter sind sie einig:

"Nie hab' ich ihrer Eintracht mich erfreut;
An diesen Brüsten nährt ich beide gleich;
Gleich unter sie vertheilt ich Lieb und Sorge,
Und beide weiß ich kindlich mir geneigt.
In diesem einz'gen Triebe sind sie eins,
In allen andern trennt sie blut'ger Streit."

Dieses und was Isabella weiter sagt, scheint zur bisherigen Interpretation des Stückes übel passen zu wollen. Sie erzählt, so lange der Vater gelebt, hätte er durch die gleiche Strenge der Gerechtigkeit die Ueberschäumenden gezügelt und den Ausbruch ihres wilden Triebes gehemmt; aber seit sie vor Kurzem den fürstlichen Gemahl zur letzten Ruhestätte getragen, sei der alte Groll in unabsehbarer Fehde aufgelodert. Wer ist denn der um die Braut betrogene Ahnherr; wann ist der alte Fürst gestorben; und wer sind die unversöhnlichen Brüder? Der alte Ahn ist der ursprüngliche Christusglaube, die reine Lehre der Urkirche, wie und in so weit die Evangelien sie enthalten. Der Sohn dieses Glaubens ist die katholische Kirche, wie sie sich im Kampfe gegen Gnosticismus und Sectenwesen in der römischen Welt ausbildete und in der vorkarolingischen Dogmatik einheitlich formirte. Diese Kirche bemächtigte sich der germanischen Welt und sie brachte schon des Vaters Fluch mit in die Ehe; denn nach protestantischer Lehre war ja das Christenthum kaum im 4. Jahrhundert mehr recht rein, und nur das ursprüngliche reine Christenthum, der Ahn, hatte ein Recht auf die Verbindung mit den Völkern. Aber die Söhne? Bekanntlich hat die Reformation große Anstrengungen gemacht, eine hohe Ahnenzahl zu erproben; sie sei nicht erst 1517 geboren; nie sei das Evangelium ganz unterdrückt gewesen, unter der Bank habe es nur gelegen; von Zeit zu Zeit aber habe es sich der Welt in Erinnerung gebracht, indem es dem älteren Bruder Cartelträger, wie Berengar, Huß u. f. w. schickte. Demnach repräsentirt der ältere Bruder Manuel die heutige römische Kirche, wie sie aus dem Feudalismus des Mittelalters hervorging, und Cäsar der jüngere Sohn ist der Träger des Protestantismus; denn nach Schillers Anschauung sind sowohl die heutige katholische Kirche, als auch der Protestantismus Söhne der mittelalterlichen Kirche; die orthodoxen Lutheraner freilich halten uns für Ismael und behalten sich die Rolle des Isaak; Schiller aber hat beide legitimirt. Der alte fürstliche Vater, die alte Glaubenseinheit, ist seit drei Jahrhunderten todt:

"Drei Mond« deckt den Vater schon das stille Grab."

Allerdings wird es nicht leicht sein, jeden Vers des Gedichtes in frappante Uebereinstimmung mit dem angedeuteten Grundgedanken zu bringen; denn das Bild folgt bei der Auszweigung seinen eigenen Gesetzen und es genügt, daß der allgemeine Umriß der versinnbildeten Sache ähnlich bleibt. Wir bekommen außerdem noch Winke genug, die uns bestimmen, die eingeschlagene Fährte weiter zu verfolgen. Daß z. B. Manuel die dermalige römische Kirche repräsentirt, deutet die Mutter mit den Worten an:

"Des Vaters eig'nen Sinn und Geist erkenn ich
In meinem erstgebor'nen Sohn…."

Don Cäsar ist rascher, hochfahrender, rühriger, wilder und offener; Don Manuel gerechter, bescheidener, ruhiger; er hat die Zunge im Herzen, während fein Bruder das Herz auf der Zunge hat. Als die beiden Brüder noch Knaben waren, da wurde ihrem Vater eines Tages ein seltsam wunderbarer Traum. Ihm däuchte, er sehe aus seinem Brautbette zwei Lorberbäume wachsen, ihr Gezweige dicht in einander flechtend, zwischen beiden wuchs eine Lilie empor. Diese ward zur Flamme, welche die Bäume und bas ganze Haus in ungeheuerer Feuerfluth verschlang. Ein sternekundiger Araber legte den Traum dahin aus, daß Isabellens Schooß von einer Tochter entbunben würde, durch welche die beiben Söhne und der ganze Stamm zu Grunde gingen. Als nun Isabella wirklich Mutter einer Tochter wird, befiehlt der Vater die neugeborne ins Meer zu werfen. Aber das Kind ist schön wie Liebesgötter und die Mutterliebe ist mächtig; Isabella opfert also ihr Kind nicht, bevor ihr ein ähnlicher Traum, den sie selbst in derselben Nacht gehabt, von einem frommen Mönche interpretirt ist. Die Auslegung lautete:

"Genesen würde ich einer Tochter,
Die mir der Söhne streitende Gemüther
In heißer Liebesgluth vereinen würde."

Dem Gott der Wahrheit (christl. Mönch) mehr, als dem der Lüge (Araber) vertrauend rettet nun die Mutter das Kind heimlich in ein Kloster, dort blüht Beatrix heran der eigenen Abkunft unbewußt und auch die Mutter versagt sich den heißersehnten Anblick des lieben Antlitzes. Nur der alte Diener Diego treuergeben und verschwiegen, sieht sich zuweilen im Austrage der Mutter um die Tochter um; die Brüder ahnen gar nicht mehr, daß sie je eine Schwester gehabt. Zu verhängnißvollen Stunden erblicken aber beide unbewußt des andern die herrliche Jungfrau und jeder wird vom Strahle der Liebe berührt. Durch der Mutter Bemühungen endlich mit dem Bruder ausgesöhnt und auch schon von der Existenz einer verborgenen Schwester unterrichtet trifft nun Cäsar den Manuel in den Armen der vermeintlichen Braut und ersticht ihn; bald darauf sich selber auch; von dem gestürzten Hause sind nur Beatrix und die Mutter übrig.

Was will nun bie Dichtung sagen? Gewiß nur folgendes. Aus Christenthum und Germanismus entsproßten nicht nur die römische und protestantische Kirche; noch eine Tochter entsproßte, eine sanftere Lehre, die Religion der Zukunft, der Liebe, der Menschlichkeit. Der alte Vater will das verdächtige Kind tödten lassen; aber Isabella, das deutsche Herz, rettet es in ein Kloster, dieses Kloster aber ist "ein verschwiegener Aufenthalt der Seelen." Auch der christliche Priester hat durch seinen sanfteren Ausspruch der deutschen Mutter die Rettung des Kindes möglich gemacht; unter dem Heidenthum (Araber) hätte es wahrscheinlich sterben müssen. Deutsches Wesen und christliche Lehre haben also miteinander die Humanität erzeugt, die Religion der Zukunft, das unter der Hülle aller Religionen verborgene Göttliche. Aber bis nach dem Tode des alten Vaters mußte sie "im verschwiegenen Aufenthalt der Seelen" sich verborgen halten, der eigenen Bestimmung unbewußt und nur der alte Diego besuchte sie manchmal im Philosophenmantel eines Abälard, Gotschalk u. s. w. — und ihm war der Mund verschlossen. Beide Brüder hätten die Herrliche lieben können; es war ja die Göttergleiche ihr Fleisch und Blut; jeder hatte das gleiche Recht auf die Schwester; allein vom Verhängniß im Dunkeln gehalten wirbt jeber um sie als Braut, will für sich allein recht haben; und so verfallen beide Brüder dem Tode. Katholicismus und Protestantismus reiben sich in unseliger, unbegründeter Eifersucht auf; übrig bleiben Menschheit und Liebe;dber sinkenbe Vorhang verhüllt die Scene. —

Vielleicht ist manchem Leser jetzt schwindlich geworden; er glaubt uns zügellos ins Reich der Phantasie verflogen, und doch ist es nicht so; wir folgen den Signalen am Ufer; wenn die Parthie nebelig ist, so ist das wahrlich nicht unsere Schuld. Schiller ist Tendenzdichter, als solcher wird er auch anerkannt, überschwenglich gelobt und ausgebeutet.

Was will nun "die Braut?" Doch nicht das ab gebleichte antike Fatum colortren; der Zweck wäre für den Dichter der Freiheit doch zu fad. Schon seit 1795 dachte er an ein Trauerspiel, das mit Chören verbunden wäre. Eine einfache heroische Handlung sollte den Inhalt bilden; und eben solche Charactere, die zugleich lauter männliche waren; dabei wäre es Darstellung einer erhabenen Idee, wie er sie liebte. In jener Zeit „sann er auch besonders auf Vehikel und Masken, wo durch und unter welchen dem Publikum manches zuge schoben werben könnte. [3] Ist das nicht ein Porträt der "Braut?" Die Chöre sind da; die Fabel ist die einfachste aller Schiller'schen Dramen: die Handlung ist heroisch und die Idee in ihrer Art erhaben genug; ist es nun nicht natürlich, daß wir auch die Maske vermuthen? Der Schauplatz ist wahrscheinlich deßhalb nach Messina verlegt, weil sich dort das passende Vehikel für die Idee darbot. Schiller dachte an die normannische Wirtschaft auf Sicilien und er nahm an, daß sich der tragische Brudermord ungefähr zur Zeit, als die sogenannten Großgrafen unter Roger II. den Königstitel erhielten, im Jahre 1130, und etwas später zugetragen habe. An dieses Vehikel knüpft er eine Idee, die er während der Kompilation seiner Geschichte des 30jährigen Krieges gefaßt hatte, wo er bereits das romanische und protestantische Deutschland zweien Brüdern vergleicht, die um das väterliche Erbe streiten! Palleske erinnert sich auch dieser Idee bei Besprechung der "Braut von Messina". [4] Was wir über Beatricens Bedeutung geschrieben haben, findet seine Bestätigung in dem Gedichte "die vier Weltalter," welches im Jahre 1802 entstand, in welchem Jahre Schiller eben "die Braut" producirte. Nachdem die vorausgegangenen Weltalter conterfeit sind, fährt der Dichter fort:

Und geboren wurde der Jungfrau Sohn,
Die Gebrechen der Erbe zu heilen,
Verbannt ward ber Ginne flüchtige Lust
Und der Mensch griff denkend in seine Brust.
Und ber eitle, bei üppige Reiz entwich.
Der die frohe Jugendwelt zierte;
Der Mönch und die Nonne zergeißelten sich.
Und der eiserne Ritter turnierte.
Doch war das Leben auch finster und wild,
So blies doch die Liebe lieblich und mild.
Und einen heiligen keuschen Altar
Bewahrten sich stille die Musen:
Es lebte, was edel und sittlich war,
In der Frauen züchtigem Busen ;
Die Flamme des Liebes entbrannten neu
An der schönen Minne und Liebestreu"
.[5]

Schiller hat seiner "Johanna," dem "Tell," Geleits- Gedichte mitgegeben; "die vier Weltalter" sind das Geleitslied für die Braut.

Eine sehr instructive Episode, gleichsam ein Wink des Dichters zum Verständniß, ist noch nachzutragen. Isabella hält einmal die Tochter, welche in einem Verstecke des Gartens sich befindet, einen Augenblick für geraubt; sie schickt also einen Boten zu einem frommen Einsiedler, diesem eine geweihte Kerze zu überbringen und von ihm den gegenwärtigen Aufenthalt Beatricens zu erfragen. Der Greis blickt zum Himmel; erkennt, daß die im Kloster Verborgene entdeckt sei; nimmt die Kerze, zündet sie an der ewigen Lampe vor dem Heiligthume an, steckt dann die Hütte in Brand, worin er Gott verehrt seit 90 Jahren, und stürzt dreimal Wehe rufend den Berg hinab. Dem Boten winkt er schweigend zu folgen und nicht umzusehen, und dieser folgt mit Grausen nach! Wenn Beatrix in die Welt eintritt, dann hat das Mönchthum ein Ende. Wenn die "Braut von Messina" keinen tieferen Sinn als den buchstäblichen hat, so ist diese Episode unbegreiflich. —

Das war Schillers religiöser Standpunct im Jahre 1803: unter der Hülle aller Religionen liegt die Religion selbst, die Idee eines Göttlichen, und diese Hülle muß fallen, die Confessionen müssen sich aufreiben, dann wird die Zeit der Liebe und des Liedes kommen, dann wird das verschleierte Bild sich zeigen.

Wie steht es aber unter solchen Verhältnissen mit der Schiller'schen Conversion, an die auch wir glauben? Schiller hatte nach unserer Ansicht endlich aufgehört, ewig zu verneinen; er hatte feine destructive Periode abgeschlossen; er suchte nach etwas Positivem, aber nach etwas Neuem. Der eingeschlagene Weg führte ihn sehr häufig über katholisches Gebiet; er hatte die Religion auch von achtunggebietender Seite kennen gelernt und dadurch seinen Christus-Haß verloren. Die ästhetische Schönheit gerade der katholischen Religion war ihm nicht objectiv geblieben: er hatte sie lieben gelernt; das zeigt der ganze Tenor vieler katholisirender Stellen. Ein gewisses Etwas klingt aus diesen Melodien heraus, das uns fühlen läßt: "Dich schuf das Herz!" Zwischen solchen Stellen, für welche der Dichter die Verantwortlichkeit übernommen hat, und solchen, welche allein den sprechenden Personen angehören, ist ein Unterschied wie zwischen lebendigem und gedrucktem Wort: Jedermann fühlt ihn. Die ästhetische Anerkennung der Religion ist freilich noch kein besonders erhabener Standpunkt; doch ließ sie den Dichter solche Saiten anschlagen, wie wir sie auch aus den wilden, schwärmerischen Accorden der "Braut" mit Genugthuung hervorklingen hörten; sein feines Ohr konnte selbst auf diesem Standpunkte schon den Zauber katholischer Sphärenklange vernehmen, um sie auf goldener Laute dann nachzuspielen. Noch etwas wollen wir sagen.

Bei Schiller, dem Dichter des Herzens und des Gemüthes, haben die Verse manchmal auch eine etwas subjectivere Bedeutung, als bei anderen Dichtern, die mit dem Winde fahren, den sie gleich Aeneas in Schläuchen mit sich führen. Ein Brief Schillers vom Jahre 1783 enthält eine scharfsinnige, ja spitzfindige Meditation, daß jede Dichtung nichts anderes sei, als eine enthusiastische Freundschaft, oder platonische Liebe zu einem Geschöpfe unseres Kopfes. Selbst die Liebe sei ein solch glückliches Spiel, die Liebe Gottes nicht ausgenommen. Gott liebe den Seraph, den Menschen und den Wurm, weil er sein eigen Bild in der ganzen Schöpfung umhergestreut erblicke. Verwechslung eines fremden Wesens mit dem unsrigen ist Liebe; das was wir für einen Helden unserer Dichtung empfinden, ist eben das. Wir müssen Freunde unserer Helden sein, wenn mir mit ihnen zittern, aufwallen, weinen und verzweifeln sollen. Der Dichter müsse weniger der Maler, er müsse der Busenfreund seines Helden sein. Wann ist je ein Irrthum verführerischer vertheidiget worden? Wir sind aber froh um diesen Irrthum: er bestätiget uns unser Gefühl, daß Schillers Herz mit in seine christlichen Verse verflochten sei. Wir sind für jetzt zufrieden, daß unter Schillers Busenfreunden doch auch Katholiken sein können; in der Räuberperiode gedichtet, würde die "Braut" wahrscheinlich einen Araber zum Vater bekommen haben; nun aber rollt christliches Blut in ihren Adern. Es ist noch kein Königreich christlicher Begriffe, das Schiller beherrscht; aber es ist doch eine kleine Familie. Er ruft in der "Braut" noch nicht selbst "die Mutter mit dem Kinde" an; aber er trägt Personen, die dieß thun, bereits im warmen Herzen mit sich; und das tröstet uns; wenn auch noch Rationalisten in der Herzensgruppe dominiren. Das Zugeständniß allein freut uns schon, daß sich das Göttliche so bequem und treffend in katholischer Form ausdrücken läßt; denn wir wissen sehr gut, daß Schillers Genius im Protestantismus kein einziges Motiv zu ästhetischen Bildungen fand.

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Anmerkungen:
  1. Gustav Schwab a. a. O. 6. 718.
  2. G. E. Lessings gesammelte Werke. Leipzig, Göschen 1841. IV, 197.
  3. Gustav Schwab a. a. O. S. 516 und 546.
  4. Emil Palleske, Schillers Leben und Werke II. 549.
  5. H. Viehoff, Schillers Gedichte erläutert, scheint diese Verse allein auf die Zeit der Minnesänger beziehen zu wollen; sie deuten aber mit der Schlußstrophe an, was jetzt kommen wird.
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