Wenn der Frau die Mittel fehlen, ihren eigenen Unterhalt und die Hälfte des Unterhalts für die gemeinsamen Kinder zu bestreiten, hat der Mann die Pflicht, ihr für die Führung des Haushaltes einen Arbeitslohn zu geben, welcher der Summe entspricht, die eine fremde Person, welche ihre Arbeit ausführte, kosten würde. Wenn die Frau hingegen den obenerwähnten Gesellschaftsbeitrag für die Erziehung der Kinder geniesst oder wenn sie Vermögen oder eine Erwerbsarbeit hat, dann entfällt diese Pflicht des Mannes, ebenso wenn die Gatten keinen gemeinschaftlichen Haushalt begründet haben. Dies schliesst jedoch nicht aus, dass der Mann – in allen diesen Fällen – durch dieselbe Einrichtung die Stellung der Frau freiwillig erleichtert.

Wohnen die Eheleute nicht zusammen, dann sind die Kinder bei der Mutter, falls man sich nicht freiwillig über eine andere Ordnung geeinigt hat. Dann ist der Mann nur verpflichtet, mit seiner Hälfte für den Unterhalt der Kinder zum Haushalt der Frau beizutragen.

Ehe nicht die Gesellschaft – in einer würdigen und ganz sicherstellenden Weise – den Unterhalt aller ihrer Mitglieder in Krankheitsfällen und im Alter auf sich nimmt, muss die Frau bei der Scheidung dadurch geschützt werden: dass in den Fällen, in denen die Ehegatten die Sache nicht gütlich geordnet haben, das Gericht eine den Verhältnissen des Mannes adäquate Unterhaltssumme für sie bestimmt, gleichviel ob er oder sie die Scheidung verlangt hat. Diese Verpflichtung tritt jedoch nur in einem oder mehreren der folgenden Fälle ein:

wenn die Frau kein eigenes Vermögen oder hinlänglichen Arbeitsverdienst hat;

wenn sie sich in der Ehe durch Verschulden des Mannes oder durch die Mutterschaft eine Krankheit zugezogen hat;

wenn sie in der Ehe, um sich dem Hause und den Kindern zu widmen, die Arbeit, durch die sie sich vor der Ehe versorgt hat, aufgegeben hat oder doch nur teilweise versehen konnte.

Dieser Unterhalt wird – wenn sie kinderlos ist – solange ausgezahlt, bis sie ihre Gesundheit oder Arbeitsfähigkeit wieder erlangt hat oder ihre Vermögensverhältnisse sich geändert haben oder sie eine neue Ehe geschlossen hat. Haben die Eheleute hingegen Kinder, die die Frau noch weiter betreut, dann gibt der Mann – unter einer oder mehreren der eben erwähnten drei Voraussetzungen – diesen Unterhalt, bis das jüngste Kind achtzehn Jahre alt ist, während er ausserdem seine vom Gericht bestimmte Hälfte für den Unterhalt jedes Kindes bis zum selben Alter bezahlt.

Wenn ein Teil dem anderen seinen Entschluss, sich scheiden zu lassen, mitgeteilt hat, haben beide die Pflicht, sich an je zwei Personen ihres nächsten Freundes- und Familienkreises zu wenden. Dieser aus vier Personen bestehende »Scheidungsrat« kann unter Frauen und Männern, Verheirateten und Unverheirateten gewählt werden. Aber es müssen sich darunter zwei Verheiratete und zwei Angehörige aus dem nächsten Verwandtschaftskreis befinden, entweder einer der Eltern oder der Geschwister oder der anderen nächsten Angehörigen.

Wenn jeder der Eheleute seine Ratgeber erhalten hat, werden diese gleichzeitig über die Lage informiert, und man einigt sich über die Form, unter der die Beratschlagung stattfinden soll.

Dieser Scheidungsrat hat zunächst die Aufgabe, gleichviel ob beide Teile oder nur einer die Scheidung wünscht, zu versuchen, eine übereilte Lösung von Konflikten zu hindern, die – mit anderen Augen als denen der Beteiligten selbst gesehen – vielleicht leicht zu lösen wären. Wenn man einerseits annehmen kann, dass die Freunde das tiefste Verständnis für das Seelenleben der beiden haben und folglich am besten die persönlichen Gründe, die für die Scheidung sprechen, würdigen können, so sind hingegen die Verwandten diejenigen, die aus mehreren Gesichtspunkten – unter anderem auch dem, dass eine Scheidung oft in der einen oder anderen Richtung Leistungen von ihnen selbst verlangt – in der Regel wünschen, dieselbe zu verhindern.

Ein solcher Scheidungsrat macht nur das zur Regel, was in den meisten Fällen schon jetzt Sitte ist: dass die Eheleute vor einer so ernsten Entscheidung sich bei den ihnen am nächsten Stehenden Rat holen. Aber anstatt der jetzigen Warnungen und des schamlosen Ausbreitens ihrer Uneinigkeiten vor Unbekannten könnten die Eheleute dann in privaten Gesprächen – mit jenem Grad von Offenheit, den jeder selbst für gut findet – ihre Schwierigkeiten jenen Personen auseinandersetzen, die schon durch eigene Beobachtung einen gewissen Einblick in dieselben haben. Erst wenn die zwei Ratgeber jedes Teils, jeder für sich und alle zusammen, in ihrem Bestreben; einen der Gatten oder alle beide umzustimmen, gescheitert sind, soll – ohne weitere Motivierung – die Scheidungsanmeldung bei dem Heiratsvorsteher der Kommune eingereicht werden. Diese Anmeldung kann erst ein halbes Jahr, nachdem die Frage zuerst dem Scheidungsrat vorgelegt wurde, geschehen. Weder dieser noch eine der Parteien darf die Unterhandlung länger als ein Jahr hinausziehen.

Bei der Anmeldung muss der Scheidungsrat persönlich oder schriftlich bezeugen: dass die Ehe mindestens ein Jahr gedauert hat; dass kein Mitglied des Scheidungsrates die Ursache der Scheidung ist; dass der Scheidungsrat wenigstens ein halbes Jahr vor der Anmeldung befragt wurde und dass der eine Teil gleichzeitig von dem Wunsche des andern, die Ehe aufzulösen, in Kenntnis gesetzt war. Diese Zeugnisse werden in das Scheidungsbuch eingetragen. Wenn der eine Teil sich geweigert hat, persönlich oder schriftlich mit Ratgebern zu unterhandeln und vor der Behörde seine Einwilligung zur Scheidung zu geben, kann er diese doch nicht verhindern, falls der andere Teil mit seinen beiden Ratgebern bezeugt: dass der sich Weigernde mindestens ein halbes Jahr vor der Anmeldung mündlich oder schriftlich von dem Wunsche des andern und seinen Gründen unterrichtet wurde.

Wenn der Scheidungswunsch so gesetzlich kundgegeben worden ist, nehmen die Eheleute getrennte Wohnung, falls sie früher zusammen gewohnt haben. Sind keine Kinder da, und ist kontraktlich keine Gütergemeinschaft vereinbart worden, so wird die Ehe ohne weiteres vom Heiratsvorsteher der Kommune ein Jahr nach der erwähnten Anmeldung für aufgelöst erklärt, falls nicht beide Gatten im Laufe des Jahres ihr Scheidungsansuchen zurückgezogen haben und falls sie während dieses Jahres vollkommen getrennt gelebt haben. Denn nur durch eine längere Zeit währende Entfernung von einander haben sie Gelegenheit zu erfahren, was bei ihren Misshelligkeiten von wesentlicher, was von unwesentlicher Bedeutung war.

Wenn einer der Ehegatten flüchtig oder geisteskrank geworden ist, kann die Ehe auf Ansuchen des anderen erst drei Jahre nach der Anmeldung aufgelöst werden, und zwar nachdem bestätigt ist, dass man von dem ersterwähnten Teil trotz gesetzmässiger Nachforschung nichts gehört hat, respektive dass derselbe den Gebrauch seiner Vernunft nicht wiedererlangt hat. In allen diesen Fällen wird das Scheidungsurteil in das Scheidungsbuch eingetragen.

In den Fällen hingegen, in denen das Gesetz schon jetzt unbedingt die Scheidung gestattet – wie Ehebruch, entehrende Strafen und dergleichen – kann das Scheidungsverfahren in der Weise verkürzt werden: dass der die Scheidung fordernde Teil – unabhängig sowohl von der Dauer der Ehe wie von einem Scheidungsrat – vor Gericht seine Scheidungsforderung anmeldet und beweist, die dann ein Jahr nach Verkündigung des Urteils vollzogen ist, falls die Eheleute während dieser Zeit getrennt gelebt haben.

Sind Kinder da, wird in beiden Fällen folgendermassen verfahren:

Zugleich mit der Scheidungsanmeldung – beim Heiratsvorsteher oder beim Gericht – wird mitgeteilt, dass eine Kinderpflegejury zusammengetreten ist, welche sich so zusammensetzt wie bei Streitigkeiten über die Kinder, die während der Ehe entstehen, aber in diesem Falle ohne den Richter als Siebenten. Wenn irgendwie möglich, sollen ein oder mehrere Mitglieder des Scheidungsrats dieser Jury angehören, da diese schon die genaueste Kenntnis der inneren Verhältnisse der Ehegatten haben. Dieser Jury teilen es die Eltern mündlich oder schriftlich mit, wenn sie sich gütlich über den Aufenthalt der Kinder während des Scheidungsjahres geeinigt haben. Billigt die Jury diese Ordnung, so bleibt sie unverändert. Haben sich die Eheleute hingegen nicht geeinigt oder billigt die Jury die Entscheidung nicht, so wird an das Gericht appelliert. Der Richter und die Jury entscheiden dann zusammen nach dem leitenden Grundsatz: dass, wenn nicht wichtige Gründe dagegen sprechen, die Kinder nicht von einander und von der Mutter getrennt werden sollen.

Wird nach Schluss des Scheidungsjahres die Scheidung vollzogen, so tritt die Jury abermals zusammen – zuerst ohne Richter – um den Beschluss zu prüfen, auf den sich die Gatten geeinigt haben, oder um die Frage an den Richter zu verweisen, falls sie sich nicht geeinigt haben oder falls die Jury den Entschluss der Gatten missbilligt. Jeder Teil hat dann das Recht, sowohl jeder für sich wie zusammen, mündlich oder schriftlich seine Sache zu führen, und ebenso wie der Richter und die Jury die nötigen Zeugen vorzuladen. Sie erhalten unentgeltliche Rechtshilfe, dürfen aber, falls nicht triftige Hindernisse dagegen sprechen, ihre Sache nicht durch einen Vertreter führen lassen.

Der Teil, den die Jury und der Richter auf Grund seiner Sitten oder seines Charakters unwürdig oder unfähig finden, die Kinder zu leiten, verliert das Recht auf sie. Ist dies der Vater, so wird ein Vormund, ist es die Mutter, eine Vormünderin eingesetzt, die sich zusammen mit der Mutter oder dem Vater um die Erziehung der Kinder kümmern müssen. Werden beide unwürdig befunden, so wird – gerade so wie wenn ein nicht geschiedenes Ehepaar unwürdig oder untauglich zur Erziehung seiner Kinder erklärt wird – sowohl ein Vormund wie eine Vormünderin eingesetzt, die elterliche Gewalt über die Kinder auszuüben und von den Eltern oder der Gesellschaft die Kosten des Unterhalts für die Kinder bis zu ihrem achtzehnten Jahre zu empfangen. Denn den Kindern sowohl einen männlichen wie einen weiblichen Einfluss zu sichern, ist unter allen Umständen von Bedeutung.

In den Fällen, in denen beide Eltern gleich würdig und geeignet für die Erziehung der Kinder befunden werden, bleiben die Kinder bis zum fünfzehnten Jahre bei der Mutter und haben dann selbst das Recht, zwischen den Eltern zu wählen. Es ist nämlich eine irrige Annahme, dass der Knabe immer den Vater, das Mädchen die Mutter am meisten braucht. Oft hat der Sohn mehr von der Natur der Mutter, die Tochter mehr von der des Vaters, und das Verständnis ist darum manchmal zwischen Mutter und Sohn und zwischen Vater und Tochter grösser als zwischen Vater und Sohn und zwischen Mutter und Tochter. Aber als Regel brauchen alle Kinder in der Kindheit die Mutter am meisten. Und wenn die Kinder beim Eintritt in das Jugendalter wählen können, ist das Vorrecht der Mutter bei gleicher Würdigkeit nicht nur die gerechteste Einrichtung, sondern auch die für die Kinder günstigste. Wenn hingegen einer der Teile unbedingt für würdiger und geeigneter erklärt wird, die Kinder zu erziehen, dann erhält dieser sie, sei es nun der Vater oder die Mutter.

Wer als unwürdig oder ungeeignet erklärt wird, die Kinder zu leiten, verliert auch das Recht, sie während eines Teils des Jahres bei sich zu haben.

Wenn ein Teil nur für weniger oder auch für gleich würdig und geeignet erklärt wurde, hat dieser, wenn er es wünscht, das Recht, die Kinder wenigstens ein Neuntel des Jahres hintereinander oder in Intervallen bei sich zu haben. Die entscheidende Autorität kommt dem Teile zu, dem die Kinder zugesprochen wurden. Aber dieser Teil hat die Pflicht, mit dem anderen wenigstens einmal im Jahre mündlich oder schriftlich über die Kinder zu beratschlagen. Denn dass der eine im grossen Ganzen als Erzieher geeigneter ist, schliesst nicht aus, dass der andere wichtige Gesichtspunkte mitzuteilen hat und – gerade dadurch, dass das Beisammensein kein tägliches ist – einen offenen Blick für Dinge haben kann, die der andere vielleicht übersieht. Wenn der Teil, der die Kinder bei sich hat, dies nicht gutwillig erfüllt, oder wenn der andere wesentliche Gefahren für die Kinder entdeckt hat, denen trotz seiner Warnungen nicht abgeholfen wird, dann kann er den anderen Teil vor eine ähnliche Jury, wie die schon erwähnte, vorladen. Die Jury entscheidet den Zwist und kann dem Widerspenstigen die Kinder abnehmen.

Wenn der Teil, dem die Kinder zugesprochen wurden, eine neue Ehe schliesst, behält er sie dennoch, wenn er selbst unbedingt als der Würdigere und Geeignetere erklärt wurde, oder wenn der andere ganz unwürdig und ungeeignet befunden wurde.

Verhält es sich jedoch so, dass beide für gleich würdig erklärt wurden und die Kinder daher der Mutter zugefallen sind, so kehren sie bei ihrer Wiederverheiratung zum Vater zurück, wenn er sie zurückfordert und selbst keine neue Ehe schliesst. Tut er dies jedoch, dann kann die Mutter sie, auch wenn sie sich wiederverheiratet hat, zurückfordern.

Was die Beurteilung der Sitten und des Charakters der Ehegatten betrifft, so soll das Gesetz nur feststellen: dass weder religiöse noch andere Ansichten mitsprechen dürfen, sondern nur die Art der Persönlichkeit und der Handlungen. Hinsichtlich dieser müssen Jury und Richter in jedem besonderen Falle, unbeeinflusst von allen jetzigen Bestimmungen, ausschliesslich nach den besonderen Umständen urteilen, nach dem erbrachten Beweis – wobei das persönliche Auftreten der Parteien bei den Verhandlungen in die Wagschale fällt – nach den Wünschen der Kinder, wenn diese alt genug sind, solche auszusprechen, und nach ihrem eigenen Gewissen.

Obgleich alle anderen Bestimmungen über den Ehebruch – ausser der schon erwähnten des Ehebruchs als unbedingten Scheidungsgrunds – aus dem Gesetze verschwinden werden, muss die Jury selbstverständlich auch diesen Umstand aus dem Gesichtspunkte seiner Einwirkung auf das Wohl der Kinder prüfen. Aber da es durchaus nicht ausgemacht ist, dass ein Mann oder eine Frau, die einen Ehebruch begangen haben, darum ein schlechter Vater oder eine schlechte Mutter sein müssen; ja, da dieser Vater oder diese Mutter ein viel besserer und zärtlicherer Erzieher sein kann, als der nicht untreue Teil, so darf der Ehebruch bei der Entscheidung über die Kinder von vorneherein nichts bedeuten.

Wenn das Sondereigentum Gesetz ist, nimmt die Scheidung keinen Einfluss auf die vermögensrechtlichen Verhältnisse, ausser den schon erwähnten – Wohnungseinrichtung und etwaige Schulden – und ferner noch durch das Aufhören des gegenseitigen Erbrechts der Gatten. Hat hingegen eine Vereinbarung stattgefunden, so ist die Abwicklung Sache des Gerichtes. Dass Kinder verschiedener Ehen nur ihren eigenen Vater und ihre eigene Mutter beerben, ist für den neuen Rechtsbegriff ebenso wie für den schon jetzt geltenden natürlich. Bei dem Tode eines der Gatten wählt der Überlebende, wenn es der Vater ist, einen weiblichen, wenn es die Mutter ist, einen männlichen Vormund, der mit ihnen die Verantwortung für die Verwaltung des Erbteils der Kinder teilt und ihnen Ratschläge bei ihrer Erziehung gibt. Sind beide Eltern gestorben, so setzt das Gericht einen männlichen und einen weiblichen Vormund ein.

Über Kinder, die ausserhalb der Ehe geboren sind, behält die Mutter alle Rechte. Wo die Vaterschaft anerkannt oder bewiesen ist, der Vater aber nicht freiwillig seine Hälfte zum Unterhalt des Kindes beiträgt, kann er verklagt werden, und nach der gefällten Entscheidung des Gerichtes kann der – mit den Bedürfnissen des Kindes steigende – Beitrag bei ihm eingetrieben werden, bis das Kind das achtzehnte Lebensjahr erreicht hat. Das Kind hat das Recht auf dasselbe Erbteil nach Vater und Mutter, wie die in der Ehe geborenen Kinder, und – bei der Eintragung in das Geburtenbuch – dasselbe Recht auf den Namen eines derselben oder beider.

Dass »la recherche de la paternité« Frauen verleiten kann, die Vaterschaft eines Mannes falsch zu beschwören – ebenso wie Männer, sich falsch davon loszuschwören – darf nicht dagegen sprechen, dass das Gesetz doch klar die Vaterpflicht hervorhebt. Nur so kann es in diesem Falle die Gewissen erziehen.

Wenn der Mann ein unmündiges Mädchen zum Zusammenleben verlockt hat und dieses durch die Schuld des Mannes oder durch die Mutterschaft beweisbar ihre Gesundheit oder ihren Arbeitsverdienst verloren hat und beim Aufhören des Verhältnisses mittellos ist, kann sie den Mann, wenn er sich weigert, ihr gutwillig ausreichenden Unterhalt zu geben, vor Gericht verklagen. Und er kann nicht allein verurteilt werden, sie für eine gewisse Zeit zu erhalten, sondern – unter erschwerenden Verhältnissen – auch für immer.

Wenn ein Mann einer Frau, gleichviel, ob sie volljährig ist oder nicht, wissentlich eine ansteckende Krankheit überträgt, wird er ausserdem zu mindestens sechs Monaten Gefängnis verurteilt, die nicht in eine Geldstrafe umgewandelt werden können. Dasselbe Urteil trifft unter gleichen Verhältnissen eine Frau.

Weder dieses noch irgend ein anderes Gesetz wird Kinder davor schützen können, Mütter zu erhalten, die sie vor ihrer Geburt um das Recht auf einen Vater betrügen; Mütter, die sich gewissenlos gewissenlosen Männern hingeben, welche sich dann von ihrer Vaterpflicht freischwören, ja vielleicht Anlass dazu haben, da für dasselbe Kind mehrere Väter angegeben werden könnten! Aber es ist von tiefster sittlicher Bedeutung, dass sich wenigstens das Gesetz auf die Seite der Schwächeren – nämlich der Kinder und in den meisten Fällen der Mütter – stellt, anstatt wie jetzt seine Unterstützung jenem Teile zu leihen, der die grösste Möglichkeit hat, sich seiner Verantwortung zu entziehen!

Sogar die aufgedrungene Verantwortung wird wirksam, wenn schon nicht für das Individuum selbst, so doch für die Gestaltung einer Gesellschaftsordnung, die den gewissenlosen Vater mit tiefer, berechtigter Verachtung treffen wird – anstatt wie jetzt jede Mutterschaft ohne die Ehe mit Verachtung zu strafen, gleichviel wie pflichterfüllend und verantwortungsschwer sie auch sein mag!

Durch die Aufhebung aller jetzigen Einschränkungen in diesem Falle muss ein neues Gesetz den volljährigen Staatsbürgern volle Freiheit geben, ihre erotischen Verbindungen – unter eigener Verantwortung und Gefahr – mit oder ohne Ehe zu ordnen. Weder Mann noch Frau sollen die Möglichkeit haben, an den anderen irgend welche Ansprüche auf Grund einer früheren Verbindung zu stellen, mit Ausnahme einer nicht gesetzlich gelösten Ehe oder eines der beiden auf der vorhergehenden Seite erwähnten Fälle.

Eine Doppelehe, sowie Geschlechtsverhältnisse in verbotenem Verwandtschaftsgrad oder bei Krankheiten, die das Gesetz als Ehehindernisse erklärt hat, oder mit Personen unter achtzehn Jahren werden vom Gesetz als strafbare Vergehen betrachtet. Ebenso Notzucht, homosexuelle und andere perverse Erscheinungen. Aber das Urteil wird in diesen wie in den ebenerwähnten Fällen vom Richter gemeinsam mit einer Jury gefällt, die nur aus Ärzten und Kriminalpsychologen besteht. Diese Jury muss in jedem Fall über den Grad der Verantwortlichkeit und die davon abhängende künftige Behandlung des Angeklagten als Kranken oder als Verbrechers entscheiden. Wird er im einen wie im anderen Falle als unheilbar angesehen – und dazu als gefährlich für die öffentliche Sicherheit – so muss er für Lebenszeit von der Gesellschaft abgeschlossen werden.

Anmerkung: In Deutschland gibt es Bestimmungen, die den, der wissentlich einen anderen ansteckt, mit Gefängnisstrafe bedrohen. In Dänemark ist der Kranke verpflichtet, sich ärztlicher Behandlung zu unterwerfen, auch kann das Gesetz es durch Strafen erzwingen, dass der Kranke sich der notwendigen ärztlichen Aufsicht so lange nicht entzieht, als Rückfälle der Krankheit in ansteckender Form zu befürchten sind.

Noch ein anderer Gesichtspunkt als der der allgemeinen Sicherheit kann die Absperrung solcher Personen verlangen, nämlich die Gefahr, dass sie in der Freiheit neuen unglücklichen Wesen das Leben geben. Und man hat ja auch, um dem vorzubauen, eine Operation vorgeschlagen, die nicht die Geschlechtslosigkeit, wohl aber die Unfähigkeit zur Fortpflanzung zur Folge hat, wodurch die aus dem erwähnten Gesichtspunkt Gemeingefährlichen nicht lebenslängliche Gefangene zu sein brauchten.

Es ist nicht anzunehmen, dass die Ehe auf dem Wege der Gesetzesreform in der hier angegebenen Richtung umgestaltet werden wird, sondern wahrscheinlich auf dem Wege des Handelns. Dies geschieht durch Männer und Frauen, die sich den unwürdigen Eheformen, die das Gesetz noch feststellt, nicht unterwerfen wollen, sondern freie, sogenannte »Gewissensehen« eingehen.

Anmerkung: Das ist schon von einigen Paaren in Schweden geschehen, die sich aus Gewissensgründen dem geltenden Gesetze nicht unterwerfen konnten. Ein solches Paar sind der Professor der Nationalökonomie in Lund Knut Wicksell und seine Frau. Und diese Form der Ehe wird ja auch von dem belgischen Soziologen Mesnil in seiner Schrift »Le libre mariage« befürwortet.

Die, welche meinen, dass die Eltern nicht das Recht haben, ihre künftigen Kinder den Leiden auszusetzen, die eine solche Ausnahmestellung mit sich bringen kann, dürften teils diese in der Regel ungefährlichen Leiden sehr überschätzen, teils vergessen sie, dass Eltern höhere Pflichten haben können als die gegen die Kinder. Bei der Verteidigung des Vaterlandes finden alle es natürlich, dass Eltern – beispielsweise in einer belagerten Stadt – die Kinder leiden und mit sich untergehen lassen; ja, man würde es Verräterei nennen, wenn sie um der Kinder willen die Stadt aufgäben. Aber es gibt noch eine andere, allerdings vernachlässigte Form der Verteidigung des Vaterlandes, nämlich es vor der Schmach zu schützen, Gesetze zu haben, die die Anforderungen der Gerechtigkeit und Freiheit verletzen. Ein solches Gesetz ist für die Begriffe der neuen Zeit das Ehegesetz in unserem Lande wie in anderen europäischen Ländern.

Anmerkung: Viele werden wohl glauben, dass dieser Vorschlag alle Ordnung umstürzen würde. Es ist daher von Interesse, mitzuteilen, wie in Birma noch freiere Sitten vortrefflich ihren Zweck erfüllen. »Wenn eine Birmanerin eine Ehe schliesst, behält sie ihren Mädchennamen und geht folglich in ihrer neuen Stellung nicht so auf, dass ihre Persönlichkeit gleichsam verschwindet, oder sie unmündig gemacht wird. Sie behält ihr Vermögen für sich – und dies um so mehr, als sie es ist, die in den allermeisten Fällen die Familie versorgt. Der Ehemann kann sich nicht das Eigentumsrecht auf das, was sie in die Ehe bringt, anmassen, und er hat kein Recht auf das, was sie verdient oder erbt. Gemeinsames Eigentum ist nur das, was durch gemeinsame Arbeit erworben wird. Das Verhältnis der Gleichstellung zwischen Mann und Frau findet auch dadurch einen bezeichneten Ausdruck, dass beider Name genannt wird, wenn es sich um den Verkauf eines Hauses, eines Gartens od. dgl. handelt. Dokumente, Kontrakte und andere Vereinbarungen werden auch sowohl vom Manne wie von der Frau unterschrieben. In Kürze gesagt, die Frau verfügt allein über alles, was sie besitzt. Trotzdem ist der Mann doch in der Regel das Oberhaupt der Familie – aber nicht auf Grund des Gesetzes, sondern das ist eine Sache, die sich von selbst versteht. Eine birmanische Frau fühlt sich vollkommen frei und gibt nur in jenen Fällen nach, in denen sie voraussetzt, dass der Mann grössere Fähigkeiten und Kenntnisse besitzt. Was die Auflösung der Ehe betrifft, so ist das birmanische Gesetz nicht umständlich; es bedarf hierzu nicht vieler Zeremonien. Man teilt dem Ältesten der Stadt die Scheidung mit und setzt eine Schrift und eine Erklärung auf, nach der beide Teile frei sind. Jeder behält sein Eigentum; was während der Ehe erworben wurde, wird geteilt. Das Recht auf das Haus verliert jedoch der, der die Scheidung verlangt hat. Die Religion hat mit der Scheidung ebensowenig zu schaffen wie mit der Ehe. Beides wird in Birma als rein weltliche Angelegenheit betrachtet. Man sollte – nach der Leichtigkeit, mit der man sich in Birma von der Ehe befreien kann – glauben, dass Scheidungen dort sehr häufig sind, aber sie kommen höchst selten vor. Es scheint, dass die leichte Art der Aufhebung der Ehe wider alles Erwarten zu grösserer Rücksicht zwischen den Gatten geführt hat. Diese rücksichtsvolle Art erklärt sich dadurch, dass die Ehe unter diesen freien Formen keine Fessel mehr ist und nicht als solche empfunden wird; man empfindet sie als freies Übereinkommen zwischen freien Menschen. Die Grundidee der birmanischen Ehe ist, dass die Birmaner in der ehelichen Verbindung gegenseitige Neigung und Liebe haben wollen. Wo Liebe und Neigung nicht vorhanden sind, ist alles vorbei. Eine unlösbare Ehe erscheint dem Denken der Birmaner als eine Fessel, als etwas, das Hass hervorruft. Die Birmaner sind ein Volk, das die Freiheit liebt; sie lehnen jede Fessel ab und beugen sich keinem Dogma. Immer war es die Religion, die aus der Ehe eine Fessel machte; aber bei den Birmanern hat die Religion nie etwas mit der Ehe zu tun gehabt.« – Die schwedische Schriftstellerin, Jane Gernandt-Claine, die sich über zwei Jahre in Birma aufgehalten und die dortigen Sitten in ihrem seelenvollen, interessanten Romane »Im Lande der Pagoden« geschildert hat, bestätigt alle diese Aussagen, die man in einem Artikel von Dr. A. Pfungst in »Das freie Wort« findet. Und wir wissen alle, dass bei den Japanern der japanische Mann sich ruhig eine Nebenfrau nehmen kann, wenn seine Gattin kinderlos geblieben oder er ihrer überdrüssig geworden ist. Eine verheiratete Frau kann aus dem allerunbedeutendsten Anlass von ihrem Manne verstossen werden, ohne dass dieser dann die gesetzliche Pflicht hat, sie und ihre Kinder zu versorgen. Dies beweist gerade jetzt nachdrücklicher als irgend ein anderes Beispiel: dass nicht die Monogamie oder die unlösbare Ehe über die nationale oder sittliche Stärke eines Volkes entscheidet.

Während des Drucks dieses Buches kommt aus Deutschland die Nachricht, dass ein Anfang zu jenem Mutterschutz gemacht wurde, wie er in diesen Blättern in grösserem Masse vorgeschlagen wurde. Die Sozialdemokratie in Deutschland und der radikale der zwei Frauenbünde haben zusammengewirkt, um den Schutz der Mutterschaft von der Gesetzgebung in folgender Form zu verlangen:

dass es den Müttern im allgemeinen mindestens acht Wochen nach der Entbindung verboten wird, zu arbeiten, und in besonders gefährlichen Industrien auch eine gewisse Zeit vor der Geburt des Kindes;

dass, damit diese Zeit der Arbeitsruhe ganz der eigenen Pflege und der des Kindes gewidmet werden kann, eine Mutterschaftsversicherung eingeführt wird, die unbemittelten Müttern den vollen Ersatz des Lohnverlustes in dieser Zeit gewährleistet;

dass die Kommunen in höherem Grade als bisher für Hilfe und Schutz für die jungen Mütter und Kinder sorgen durch Gebäranstalten, Kinderkrippen u. dgl.;

dass die Mutterschaftsversicherung vom Staate übernommen wird, der mit einer gewissen bestimmten Summe zu jeder Entbindung beiträgt, während im übrigen die Erfordernisse durch Prämienbezahlung von sämtlichen Staatsbürgern, Männer wie Frauen im Alter zwischen 20–50 Jahren, gedeckt werden.

Diese Forderungen werden schon von der öffentlichen Meinung unterstützt, namentlich in den Staaten, wo die grosse Kindersterblichkeit und die Frauenkrankheiten in den ärmeren Klassen zum grossen Teil durch Vernachlässigung in der Zeit unmittelbar vor und nach der Geburt des Kindes verursacht werden, eine Vernachlässigung, die oft daher kommt, dass die Mutter sich auch in dieser Zeit schwerer Arbeit unterziehen muss.

Als noch ein anderes bemerkenswertes Zeichen der Zeit mag erwähnt werden, dass ich, gerade als dieser letzte Bogen in die Druckerei geschickt wurde, eine Broschüre »Mädchenrecht und Ehereform« erhielt, in der ein deutscher Schriftsteller, Bodo Uthard, aus christlich-religiösem Gesichtspunkt die Freiheit der Liebe und der Scheidung befürwortet, das Kind aber als das sittlich-verpflichtende Moment der Liebesvereinigung hinstellt. Mit der Bibel in der Hand ist er in mehreren Fällen zu Ansichten gelangt, die den hier ausgesprochenen gleichen! Das kleine Schriftchen sei besonders den jungen Theologen empfohlen.

Es gibt auch eine ideelle Steuerverweigerung, und die Menschen müssen aufhören, dem Gesetzesgehorsam ihren Tribut für Formen zu zollen, die die Grundsätze verletzen, auf denen die moderne Gesellschaft im übrigen ruht.

In diesem wie in anderen Fällen wird es nicht anders, ehe nicht die Menschen anfangen, sich ihrer Opfergaben auf den Altären der Götter, die sie nicht mehr anbeten, zu schämen. Ehe nicht die Mitglieder der Gesellschaft ihren ernsten Widerstand zeigen, können sie nicht verlangen, dass die Gesellschaft ihren neuen Forderungen Gehör schenke. Man überzeugt die Gesetzgeber nicht von dem Werte von Werten, für die man selber nichts leiden will! Und ihren Kindern können Eltern kein besseres Erbe hinterlassen als die Überzeugung, dass sie für ihr Gewissen etwas geopfert haben. Die Menschen, die sich zu solchen Opfern entschliessen, sind immer diejenigen, bei denen Ehrgefühl und Gewissen zarter organisiert sind als bei anderen. Man braucht also nicht zu befürchten, dass die Gewissensehen selbst jetzt Zügellosigkeit mit sich bringen würden. Sondern sie würden den »Gesellschafterhaltern« die Furcht vor der Zügellosigkeit einflössen – und so das neue Gesetz erzwingen! Freilich würde das Übelwollen im Anfange die Eheprotestanten – »die Gesetz und Sitte verletzen«, um ein höheres Gesetz, eine höhere Sitte zu schaffen – in einen Topf mit den Leichtsinnigen werfen, die mit dem Gesetze spielen. Aber auf die Länge ist dieses Übelwollen immer unschädlich. Denn wenn ein Zug der Menschennatur allgemein gültig ist, so ist es ihre Fähigkeit, sich früher oder später von der Überzeugung überzeugen zu lassen!

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