Eugen Roth über Übel

  • Ein Mensch, der sich ein Schnitzel briet,
    bemerkte, daß ihm das missriet.
    Jedoch da er es selbst gebraten,
    tut er, als wär es ihm geraten.
    Und, sich nicht selbst zu strafen Lügen,
    ißt er's mit herzlichem Vergnügen.

Eugen Roth

deutscher Schriftsteller

* 24.01.1895 München
† 28.04.1976 München

Gedanken von Tom Borg zum Zitat

Eugen Roth, der von 1927-1933 als Lokaljournalist in München arbeitete, hatte ein feines Gespür für die Menschen und ihre Schwächen. Nachdem ihm 1933 seine journalistische Tätigkeit untersagt worden war, entdeckte Eugen Roth seine humorvolle Ader. 1935 brachte sein Gedichtband "Ein Mensch" den ersten großen Erfolg. In heiteren und harmlos klingenden Versen nahm Roth in seinen Gedichten den Menschen und seine Schwächen unter die Lupe und zeigt auf, wie der Mensch sich selbst und andere belügt. Geradezu typisch für das Werk, dessen Gedichte alle mit "Ein Mensch" beginnen, ist "Das Schnitzel". Die Geschichte vom missratenen Schnitzel und den Versuch, eben dieses zu vertuschen, beginnt ganz harmlos:

Ein Mensch, der sich ein Schnitzel briet,
bemerkte, daß ihm das missriet.

Doch natürlich lassen wir Menschen uns solch ein Desaster nicht anmerken. Zumindest versuchen wir, nicht lautstark zu schimpfen, damit auch noch der letzte merkt, dass uns etwas missglückt ist. Nein, wir tun genau das Gegenteil:

Jedoch da er es selbst gebraten,
tut er, als wär es ihm geraten.

Wo kämen wir hin, wenn wir unseren Fehler zugeben würden… Vielmehr geben wir uns alle Mühe, das zu verbergen - und tun so, als sei alles gelungen wie geplant.

Doch im Leben geht eben mancher Schuss daneben, wie Katja Ebstein einmal treffend sang. Aber dies zuzugeben ist uns peinlich. Wir fühlen uns in unserer persönlichen Ehre getroffen, obwohl dazu gar kein Anlass besteht. Selbst 5-Sterne Köche lassen mal etwas anbrennen. Fehler lassen sich nicht vermeiden. Wer etwas tut, sich engagiert, der macht zwangsläufig irgendwann einen Fehler. Nur zugeben möchte das niemand. Warum eigentlich? Wollen wir uns als unfehlbar präsentieren? Fürchten wir den Spott, der da über uns hereinbrechen könnte? Dabei wäre es doch so einfach, die verkohlten Stellen oder was sonst am Schnitzel missraten sein mag abzuschneiden und schlimmstenfalls ein neues Schnitzel auf den Grill oder in die Pfanne zu legen.

Verantwortung übernehmen

Aber nein, das kommt doch gar nicht infrage, schießt es uns sofort durch den Kopf. Wir haben uns auf das Schnitzel gefreut, haben aufwändig in der Küche oder im Garten am Grill gewerkelt. Da können und wollen wir uns doch nicht die Blöße geben, dass dies alles umsonst gewesen sein soll?

Und damit setzen wir einen Prozess in Gang, von dem der Volksmund schlicht sagt: Eine Lüge zieht 10 andere nach sich. Der Mensch, dem das Schnitzel missriet, das er briet, kann eben dieses ja nicht einfach entsorgen. Dann würde jeder sehen, dass da etwas nicht geklappt hat. Also Augen zu und durch. Oder mit den Worten Eugen Roths:

Und, sich nicht selbst zu strafen Lügen,
ißt er's mit herzlichem Vergnügen.

Wir bieten all unsere Energie und innere Stärke auf, um das missratene Schnitzel so zu essen, als wäre es gelungen. Wie viel einfacher wäre es doch, einfach zuzugeben, dass die Aktion Schnitzel misslungen und das Prachtstück einfach ungenießbar ist. Dabei strafen wir uns gleich ein weiteres Mal. Nicht nur, dass die Vorfreude auf den Gaumenschmaus grenzenlos enttäuscht wird, nein, jetzt müssen wir das missratene Stück auch noch runter würgen und so tun als wäre es eine Delikatesse.

Ginge es dabei nur um das vordergründige Beispiel des missratenen Schnitzels, so könnte man nach einem amüsierten Lächeln zum nächsten Thema übergehen. Doch Eugen Roths Gedichte gehen tiefer. Die humorvoll weichgespülten Beobachtungen greifen tiefer. Sie zeigen unsere verabscheuenswerten Seiten ebenso wie unsere menschliche Unvollkommenheit. Auch damit könnte man wohl leben, wäre da nicht die konsequente Schlussfolgerung, dass diese Verhaltensweise auch auf unser übriges Leben übertragbar ist. Eugen Roths Giftpfeil sticht tief in unser Gewissen. Denn es bleibt uns nicht erspart zuzugeben, dass wir de facto in allen Lebensbereichen so handeln. Gekränkte Eitelkeit und Scham sowie die Scheu, Fehler einzugestehen, ziehen sich durch unser ganzes Leben.

Fehler korrigieren

Auch eine Regierung lässt lieber das Volk einige Steuermilliarden umsonst zahlen, als zuzugeben, dass ein Fehler gemacht wurde. Schließlich möchte man ja wiedergewählt werden. Und damit wird dieses Verhaltensmuster zu einer teuren Angelegenheit - und einer gefährlichen noch dazu. Denn, Hand aufs Herz, wissen wir eigentlich noch, was Wahrheit und was Lüge ist, wenn wir die täglichen Nachrichten verfolgen?

In Kernkraftwerken werden beispielsweise keine Schnitzel gebraten, sondern Brennstäbe gekocht. Und auch dabei brennt gelegentlich etwas an, was die Verantwortlichen jedoch genauso wenig zugeben möchten. Nur geht es dann nicht mehr um das Herunterwürgen eines ungenießbaren Schnitzels, sondern um das nackte Leben und das unserer Kinder und Enkelkinder. Nicht viel anders sieht es aus bei Verkehrsbetrieben, wenn dort jemand Materialfehler feststellt, die aber keiner verantworten möchte. Dann werden Züge, Schiffe oder Flugzeuge einfach losgeschickt, um "sich nicht selbst zu strafen Lügen".

Eugen Roths humorvolle Gedichte sind Geschichten, die mit ihrem imaginären Finger auf uns alle zeigen. "Ein Mensch" steckt in jedem von uns. Aber auch die Chance, dies zu erkennen und zu überwinden. Das kostet Kraft, wir müssen Spott, Hohn und Niederlagen einstecken. Aber wir wären mit uns selbst im Reinen. Denn wir können vielleicht unsere Mitmenschen eine Weile belügen, nicht jedoch uns selbst. Wir wissen sehr genau, wann uns ein symbolisches Schnitzel missriet. Aber nicht jeder hat den Mut und die Kraft, dies zuzugeben und den Fehler zu beheben. So mancher fürchtet die Reaktion seiner Mitmenschen und verschweigt seine Fehler lieber und würgt missratene Schnitzel herunter, anstatt den Missstand einfach zu beseitigen. Und damit liegt die Verantwortung bei uns allem. Vielleicht sollten wir etwas weniger spöttisch und schadenfreudig auf die Fehler anderer reagieren. Das würde so manchem die Kraft geben, seine Fehler zuzugeben - und wir könnten sie gemeinsam korrigieren, auf dass die Welt ein kleines Stückchen besser wird. Ein Mensch wird sich dies doch wohl noch wünschen dürfen…

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