Franz Grillparzer über Wahrhaftigkeit

  • Wär' nur der Mensch erst wahr, er wär' auch gut.
    Wie könnte Sünde irgend noch bestehn,
    wenn sie nicht lügen könnte, täuschen? Erstens sich,
    alsdann die Welt, dann Gott, ging es nur an.
    Gäb's einen Bösewicht, müßt er sich sagen,
    so oft er nur allein: du bist ein Schurk!
    Wer hielt sie aus, die eigne Verachtung?
    Allein die Lügen in verschiednem Kleid,
    als Eitelkeit, als Stolz, als falsche Scham
    und wiederum als Großmut und als Stärke,
    als innre Neigung und als hoher Sinn,
    als guter Zweck bei etwa schlimmen Mitteln.
    Die hüllen unsrer Schlechtheit Antlitz ein
    und stellen sich geschäftig vor, wenn sich
    der Mensch beschaut in des Gewissens Spiegel.

Franz Grillparzer

österreichischer Schriftsteller

* 15.01.1791 Wien (Österreich)
† 21.01.1872 Wien (Österreich)

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