Friedrich Wilhelm Nietzsche über Denken

  • Im Gebirge der Wahrheit kletterst du nie umsonst: Entweder du kommst schon heute weiter hinauf oder übst deine Kräfte, um morgen höher steigen zu können.

Friedrich Wilhelm Nietzsche

deutscher Philosoph

* 15.10.1844 Röcken bei Lützen in Sachsen
† 25.08.1900 Weimar

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Gegen das Gebirge der Wahrheit, das Friedrich Wilhelm Nietzsche meint, wirken die Gipfel des Himalayas wie flache Sandhäuflein. Hier im Gebirge der Wahrheit werden Ansprüche gestellt, die die des Körpers in der tödlichen Zone bei weitem übersteigen. Warum eigentlich? Wahrheit tötet doch nicht. – Doch! Das tut sie unter Umständen. Meist mittelbar, manchmal auch unmittelbar. Man muss nur genau hinschauen, um es auch erkennen zu können, wie es um die Verbindung zwischen Tod und Wahrheit so steht. Man denke nur an Foltergefängnisse.

Das Problem bei der Wahrheit ist: Wir erkennen sie oftmals in ihrem wahren Umfang nicht. Wir verständigen uns auf Kompromisse, weil wir in allzu vielem in unserer schnellen Beurteilungssucht an die sinnliche Welt gebunden sind. Das, was unsere Augen oder Ohren wahrnehmen, unterliegt dabei nicht nur einer subjektiven Wahrnehmung, die stumpf oder gestört sein kann, sondern vor allen Dingen in jedem Fall äußerst begrenzt ist. Das macht es notwendig, dass wir eine Verständigung finden auf einer Kompromissebene finden müssen, um Dinge überhaupt benennen zu können.

Was für ein Individuum wahr ist, muss für den nächsten Menschen überhaupt nicht gelten. Lügt deshalb jemand. Nein. Er befindet sich allerdings in einer anderen geistigen Wirklichkeit, die auf dem gleichen Territorium stattfinden kann. Beim Unterschied, der sich auf zwei verschiedene Wahrheitssichtweisen zu der gleichen Sache bezieht, geht es dann meist dabei um einen höchst komplizierten Mix aus Information, Intelligenz, Erfahrung, Wahrnehmung, Fakten, Wissen, Gefühlen, Prägungen, Erziehung usw., was im Endergebnis zwangsläufig bei jedem Menschen ein wenig anders ausfällt und sich dann im persönlichen Urteil darüber wiederspiegelt.

Je mehr das Wahrnehmbare der objektiven Welt des sinnlich Messbaren zuzuordnen ist, ist die allgemeine Verständigung über das Wahre ein wenig einfacher. Kommen aber Gedanken und Gefühle ins Zentrum einer Wahrheitsfindung, wird es sehr schwierig und kann bis ins krasse Gegenteil des Behaupteten ausarten.

Gibt es denn überhaupt eine objektive Wahrheit? Auch darüber herrscht einige Uneinigkeit unter den großen Denkern. Ich selbst bezweifele es deshalb, weil wir die Wahrheit ja auch nur aus einem winzigen Segment unserer dreidimensionalen Wirklichkeit betrachten können, die ebenfalls wiederum nur eine Winzigkeit einer noch viel umfassenderen Welt ist. Diese wird uns gewiss noch mit vielen Geheimnissen überraschen, wenn wir unsere inneren Sinne einmal viel weiter entwickeln, als sie es derzeit sind und dann auch für neue Formen der Wahrheit ein Rüstzeug der Wahrnehmung besitzen.

Lohnt sich also das Klettern im Gebirge derzeit also nicht? Doch! Nietzsche hat es für mich schon perfekt auf den Punkt gebracht. Wir üben mit jedem Gedanken und stärken uns mit diesem Tun für unseren eigenen Gang durch dieses unendlich hohe Gebirge, das seine Geheimnisse erst nach dem Grad unserer Reife preisgeben wird.

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