Johann Wolfgang von Goethe über Edelmut

  • Edel sei der Mensch,
    hilfreich und gut;
    denn das allein
    unterscheidet ihn
    von allen Wesen,
    die wir kennen!

Johann Wolfgang von Goethe

deutscher Dichter

* 28.08.1749 Frankfurt am Main
† 22.03.1832 Weimar

Gedanken von Christa Schyboll zum Zitat

Goethes Wunsch nach dem idealen Menschen klingt gut. Wären wir alle so, wie er sich die Menschheit wünscht, so würde es wohl viel weniger Leid auf unserem Globus geben. Dann stünden Nächstenliebe und Mitgefühl mehr im Vordergrund als die heutige Gier nach immer mehr und mehr, die fast alle Wirtschaftssysteme früher oder später wohl an den Rand des Kollabierens bringen wird.

Aber so sind wir in der Mehrheit nicht. Einzelne mögen es sein, gewiss. Es gab sie schon immer und sie waren und sind uns Vorbild für einen Zukunftstypus, den wir erhoffen. Ob er jedoch in der Masse der Menschheit auch zur Wirklichkeit werden wird, steht in den Sternen. Doch was hat es mit dem zweiten Teil des Zitates aufrecht, wo Goethe schreibt: Denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen.

Die Wesen, die wir kennen oder zu kennen glauben, sind ihrer Gattung auf der Erde nach schnell aufgezählt: Es sind Pflanzen und Tiere. Manch einer mag noch gewisse Vorformen von Pflanzen oder Bakterien usw. hinzuzählen, was aber im Zusammenhang dieser Betrachtung jetzt zu vernachlässigen ist.

Pflanzenwesen unterscheiden sich vom Tierwesen nicht nur in Form von Aktivitäten und einem größeren Bewegungsradius, sondern auch durch die Art, wie sie sich äußern oder nicht äußern können und vielen anderen individuellen Merkmalen, die aufzuzählen der Platz hier fehlt. Goethe hatte bei dieser Aussage besondere Qualitätsmerkmale im Sinn, die die lebenden Wesen elementar unterscheidet. Und dabei handelt es sich um eine selbstbewusste Willenskraft, die sich selbst reflektiert.

Nun mag jemand einwenden, dass auch Delphine, Primaten oder andere hochentwickelte Tiere so etwas wie erste selbstreflektierende Bewusstseinsanteile zeigen, aber sie können gewiss nicht darüber entscheiden, ob sie bewusst gut oder edel sein wollen. Auch "böse" sind sie nicht, wenn sie ihren tierischen Trieben folgen. Sie sind, wie sie sind. Sie reagieren auf die natürliche Umgebung und nach den natürlichen Gesetzen. Allein der Mensch kann diese Grenze durchbrechen. Und diese Möglichkeit unterscheidet ihn vor allen anderen von den uns bekannten Wesen.

Warum nicht jeder Mensch auch edel und gut ist

Der Mensch darf edel, hilfreich und gut sein – wenn er es möchte. Aber er muss es ja auch vermögen. Zum Vermögen dieser Eigenschaften braucht es Voraussetzungen, die in seinem ganz persönlichen Charakter und seinen Anlagen liegen. Diese kann er durch den Willen neu formen und verändern, wenn er diese Arbeit nur in freien Stücken übernimmt. Damit sind in aller Regel aber auch Härten verbunden, die viele Menschen scheuen. Jeder weiß doch von sich selbst, wie schwierig es ist, die eine oder andere Unsitte oder Marotte in sich wieder zu verändern, gar zu tilgen. Als "Gewohnheitstiere" fallen uns mit zunehmendem Alter Veränderungen immer schwerer, was uns eben oft auch hindert, eine notwendige Korrektur dort vorzunehmen, wo es angezeigt ist.

Wie weit ein Individuum mit dieser Arbeit an sich selbst gekommen ist, zeigt sich an seinem Leben und Sein. Kennzeichnend dabei ist, dass trotz grundsätzlich gleicher Gesetzmäßigkeiten diese Bilanz doch sehr verschieden ausfällt. Wir kennen den Mörder, Verbrecher ebenso wie den Hilfreichen oder den Heiligen. Dazwischen liegt eine große Spanne an Möglichkeiten des Guten und des Bösen.

Menschen, die in sich selbst schon das Edle entwickelt haben, werden nicht mehr davon lassen wollen. Dieser Kraft wohnt eine Empfindungs- und Lebensqualität inne, die man verteidigen wird, droht man ihr verlustig zu gehen.

Gut oder edel im Sinne einer inneren menschlichen Qualität zu sein, ist kein Schicksal, kein Glück oder Pech, sondern allein Erkenntnis und Wille, die immer wieder neu die Tat braucht, um sich im Menschen mehr und mehr zu verfestigen.

Goethe wusste all das viel besser als die meisten der heutigen Zeitgenossen. Er erkannte die Natur des Menschen und seine Möglichkeiten. Er wusste um das Böse und das Gute, die Verführung, die Willensschwäche und die immer wieder neuen Absichten, die Menschen im Ringen um das Bessere hegen.

Vielleicht gab er uns diesen Hinweis auch mit auf den Weg, damit wir bewusster als bisher den Unterschied begreifen, mit welch wunderbaren Zeugnissen einer freien Schöpferkraft wir ausgestattet wurden.

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