Johann Wolfgang von Goethe über Sittlichkeit
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Tasso: Die goldne Zeit, wohin ist sie geflohn,
nach der sich jedes Herz vergebens sehnt?
Da auf der freien Erde Menschen sich
wie frohe Herden im Genuß verbreiteten;
da ein uralter Baum auf bunter Wiese
dem Hirten und der Hirtin Schatten gab,
ein jüngeres Gebüsch die zarten Zweige
um sehnsuchtsvolle Liebe traulich schlang;
wo klar und still auf immer reinem Sande
der weiche Fluß die Nymphe sanft umfing;
wo in dem Grase die gescheuchte Schlange
unschädlich sich verlor, der kühne Faun,
vom tapfern Jüngling bald bestraft entfloh;
wo jeder Vogel in der freien Luft
und jedes Tier, durch Berg' und Täler schweifend,
zum Menschen sprach: Erlaubt ist, was gefällt.
Prinzessin: Mein Freund, die goldne Zeit ist wohl vorbei;
allein die Guten bringen sie zurück.
Und soll ich Dir gestehen, wie ich denke:
Die goldne Zeit, womit der Dichter uns
zu schmeicheln pflegt, die schöne Zeit, sie war,
so scheint es mir, so wenig, als sie ist;
und war sie je, so war sie nur gewiß;
wie sie uns immer wieder werden kann.
Noch treffen sich verwandte Herzen an
und teilen den Genuß der schönen Welt;
nur in dem Wahlspruch ändert sich, mein Freund,
ein einzig Wort: Erlaubt ist, was sich ziemt.