Her mit dem Opium!

Von Lobliedern und dem alltäglichen Mangel an Anerkennung, von Christa Schyboll

"Alle Loblieder enthalten eine Beimischung von Opium", sagte einst Jonathan Swift, wenn ich mich recht erinnere. Nun sind Loblieder je nach Lage der Dinge einerseits oft inflationär, andererseits so selten, dass es einem nur traurig zumute sein kann. Und drittens haben sie tatsächlich das Zeug zur Droge.

Dort, wo Lobeshymnen "erwartet" werden, kommen sie uns oft überschwänglich zu Ohren: vor allem bei öffentlichen Anlässen. Sei es Politik, sei es Kunst oder die Mitgliedschaft in irgendeinem kleinen Pusselverein. Hier wird gelobt ohne Ende. Manchmal auch bei Nachrufen oder Todesanzeigen. Wie oft solche Loblieder der Wirklichkeit nahekommen, wissen nur diejenigen, die nah genug dran sind.

Menschen, die tatsächlich auch Zeitzeugen einer lobenswerten Leistung sind, die gerade dort zum Besten vor aller Augen aufgelistet wird. So manches mag stimmen, vielleicht sogar untertrieben sein – anderes eine schamlose Übertreiberei zu ganz bestimmten Zwecken. Und sei es zum Zweck einer Wiedergutmachung, die zu Lebzeiten versagt wurde.

All diese Lobliedchen, ehrenvollen Nachrufe, Würdigungen sind in der Regel gut gemeint und manchmal auch realitätsnah. Aber wie sieht es denn in der Realität des Alltags aus.

Wann wurdest du zum letzten Mal gelobt?

Von wem?

Wofür, für was?

Verdient oder unverdient?

Einschmeichelnd, übertreibend oder nicht einmal ausreichend?

Hat man verstanden, was deine Leistung tatsächlich wert ist, wieviel Mühe, Last, Nerven, Zeit dahinter stand – oder hat man nur oberflächlich ohne all diese Details einfach einmal ein paar nette Worte in den Raum geworfen, um dich vor allem bei Laune zu halten?

Wann hast du wen in der letzten Zeit gelobt?

Wie oft, wie viel lobst du überhaupt?

Bekommst du mit, was deine Umgebung tatsächlich leistet – oder ist eh alles selbstverständlich?

Oder lobst du nur selten, weil auch du so selten gelobt wirst? Ein kleiner Racheakt nach dem alttestamentarischen: Wie du mir, so ich dir?

Ist Lob überflüssig?

Ist Lob sogar extrem wichtig?

Soll man loben, wenn sich jemand Mühe gegeben hat (unabhängig vom Ergebnis)?

Oder soll man erst loben, wenn es tatsächlich auch gelungen ist? Nicht jede Mühe gelingt und nicht jedes Gelungene war mühevoll.

Ist Lob Opium für die Seele?

Lechzen nicht fast alle Menschen nach Anerkennung?

Warum versagen wir uns so viel davon?

Nebenbei: Ich lobe oft. Und niemals aus pädagogischer Erwägung, sondern einfach, weil ich die Mühe so ehre, die Menschen freiwillig erbringen – und ganz unabhängig vom Erfolg.

— 17. April 2023
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