Ökologie der Angst

Die Angst um die Angst. Von Christa Schyboll

Gestern hörte ich diesen Begriff zum erstenmal. Es war im Zusammenhang der zu stark abgeweideten Seegraswiesen am Barrier Reef, was durch die dort lebende Schildkrötenpopulation geschah, die ihre natürlichen Feinde, die Haie, in zu großem Ausmaß verloren haben.

Dabei stehen diese Schildkröten eher nur am Rande auf dem Speiseplan der Haie - aber schon allein ihr Auftauchen sorgt dafür, dass das Abgrasen der Seegraswiesen wesentlich schonender geschieht, weil sich die Schildkröten vor einem potentiellen Gefressenwerden ängstigen. Und diese Seegraswiesen wiederum sind ein weiterer wichtiger Faktor im Zusammenhang mit der Bindung von CO2 - und damit auch für unser aller Überleben in Bezug auf Klimawandel wichtig.

Angst also ist es, die die Schildkröten vorsichtiger sein lässt - Eben eine »Ökologie der Angst«, wo Tiere allein ihren Instinkten vertrauen, da sie Denken und Vernunft nicht beherrschen.

Dieser für mich neue Begriff schrie geradezu danach, die Sache für mich selbst weiterzudenken und nicht nur beim Gehörten stehenzubleiben.

Was, so fragte ich mich, wäre geschehen, wenn wir unsere alten, gesunden Instinkte noch ein Stück weit bewahrt hätten? Würden wir als Sonderspezies der Lebewesen dann am Ende auch klüger mit unseren endlichen Ressourcen umgehen? Was wäre, wenn wir umgekehrt die Ratio, die Vernunft, unser gesamtes großartiges Wissen nicht endlich einmal auch in Weisheit umwandeln würden? Stünden wir dann nicht wesentlich besser da mit Artensterben, Klimabilanz, Umwelterhaltung - auch Armut, Verelendung und manch anderer Not?

Vermutlich ist es zu bejahen - aber das nützt uns alles nichts, weil es ja immer noch nicht Realität ist. Und ob die nächste Generation, die es vielleicht, vielleicht doch einmal klüger angeht, den Dreh zur globalen und finalen Katastrophenvermeidung noch hinbekommt, ist sehr fraglich angesichts des schnellen Fortschreitens der Unvernunft, die immer weiter auf Wachstum, Wachstum, Wachstum setzt - statt auf Nachhaltigkeit.

Und wenn man dann noch an die neuesten oberfaulen Kompromisse in Bezug auf »grüne« Atomstromenergie denkt, kann einem nur Übel werden. Ja, die Energie ist sauber... sofern man überaus naiv-raffiniert über das tatsächliche Problem hinwegschaut. Die Risiken und vor allem die Zukunftslasten mit dem weltweit völlig ungelösten Problem Strahlenmaterial -Endlagerung sind gigantisch, supergefährlich und vor allem aber krass verantwortungslos! Doch das interessiert keinen... Hier greift eben NICHT die ÖKOLOGIE DER ANGST. Man hat zu wenig davon. Man bekommt sie mit "grünen Pseudoargumenten" dreist ausgeredet. Es wird auf Teufel komm raus verharmlost - als hätte es Fukushima und Tschernobyl nie gegeben.

Angst ist ein schlechter Ratgeber!

Ich verachte dieses Sprichwort ob seiner völlig undifferenzierten Aussage!

Weil: Angst kann durchaus lebensrettend sein, sie kann bewahrend sein und ist zunächst ein völlig natürliches Gefühl für jedes Lebewesen, das verletzlich und sterblich ist.

Angst gehört zum Leben. Aber! Welche Art von Angst!?...

Die Ängste, die Menschen befallen, haben durchaus sehr verschiedene Qualitäten. Angst kann genauso heilsam und rettend sein, wie sie zerstörerisch sein kann. Sie kann lähmen und sie kann ebenso gut alternative Handlungsoptionen generieren. Sie kann einer zwanghaft psychopathischen ängstlichen Natur entspringen oder sie kann ein Akt klugen Nachdenkens in Ruhe sein, wo eine Lage wirklichkeitsgemäß und realistisch eingeschätzt wird. Angst kann zu krankhaften Fantasien führen und zu intelligenten Problemlösungen, wenn es sich nur um "»die richtige Angst« handelt... So wie sie die Schildkröten vor ihren natürlichen Mitbewohnern, den Haien, haben und sie sich so verhalten, dass beide Populationen seit Millionen von Jahren bereits überlebten... Bei beidseitiger Anwesenheit im gleichen Terrain.

Es gäbe noch viel zu sagen, was die Qualifizierung von Angst angeht. Doch das braucht einen größeren Rahmen.

Halten wir einfach fest, dass es eine Ökologie der Angst gibt, die die Tiere offenbar »vernünftiger« beherrschen (ganz ohne Denkorgan) als wir Menschen, die durchaus ein solches zur Verfügung haben - es aber nicht ausreichend nutzen.

Angesichts dieser Bilanz steht der Mensch mit seiner Un-Vernunft ziemlich blamabel vor den Tieren, die lediglich auf ihre Instinkte reagieren und damit alles richtiger machen als die sogenannte "Krone" der Schöpfung, die sich besser mal ein Narrenkäppchen aufsetzen sollte.

— 13. Januar 2022
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