Dich hat der Himmel geschickt!

Eine Hommage an das Böse - den Steigbügelhalter des Guten! Von Christa Schyboll

Wertes Böse, dich hat der Himmel geschickt! Wer auch sonst wäre fähig, dich zu erschaffen. Wie gut, dass du bist. Denn was nur sollten wir hassen, wenn du nicht wärst. Wie arm wäre unser aller Leben, wenn wir im ewigen Friedenstaumel komatös am Immergleichen hingen.

Ist es nicht so, dass du es bist, der uns die Farben des Lebens schenkt? Das reine Weiß des Guten ersehnen wir doch nur, weil du uns so farbenprächtig den Alltag zerstückelst. Du bringst uns das Ungemach, das Leid und den Schmerz, säst uns Verzweiflung zwischen die Rippen, zettelst Kriege an, schickst uns Viren und lachst dir ins Fäustchen.

Und wie erst dich unsere Tränen ergötzen! Ein wahrlich großer See schmerzhafter Unzufriedenheit tut sich dir auf, wenn du in die ach so bedürftigen Menschenaugen schaust.

Wertes Böse, wir wissen: Du brauchst uns Menschen, um lebendig zu bleiben.

Pflanzen und Tieren bist du noch unerreichbar. Sie entwickelten noch kein Wahrnehmungs-Organ für dein Sein. Sie schauen die Dinge des Lebens noch anders an. Sie kennen die Brunft und die Angst und die Kraft und den Schmerz. Doch dich erkennen sie nicht.

Du bist der verkannte Glücksbringer, der seine böse Fracht in die Buntheit allen Geschehens schickt. Du bist abhängig von uns Menschen und unserer immerwährenden Sucht und Suche nach Harmonie, Ästhetik und Schönheit.

Das Wahre, das wir suchen, steckt auch in dir. Doch es verschanzt sich gegen die Erkenntnis, dass nur du es bist, der uns immer wieder neu zu Glück und Wohlbefinden führen kann. Denn wie, um Himmels Willen, soll man Glück und Liebe erfahren, wenn es nicht dich als Alternative gäbe.

Wenn du kommst, kommst du immer ungelegen, unwillkommen. Und trotzdem rufen wir dich. Oftmals so leise, dass wir uns selbst nicht vernehmen. Und so mancher wundert sich, ob deines plötzlichen Erscheinens. Wumm. Ein Unfall. Ein Überfall. Ein Messerstich. Dann bist du da. Blut fließt. Das Geschrei ist groß. Denn natürlich mögen wir dich nicht, auch wenn wir dich brauchen, um immer wieder neu Glück und Frieden zu erfahren.

Erst dein Vorhandensein lässt uns in jene unauslotbaren Tiefen menschlicher Gefühle steigen, die noch blind nach der göttlichen Ekstase trachten. Ex. Aus. Das neue Sehnen nach dem Schmerz. Das kurze schiere Glück des Unbelasteten. Diese Wonne der Sorglosigkeit, die wir nur erfahren, weil du uns so schmerzt. Du unnachahmlicher Zusetzer allen Übels, der uns zum Finale des kleinen vorübergehenden Glücks drängt. Wenn wir all das nur erst begreifen.

Begreifen bedeutet ergreifen, erfassen, erkennen, erklimmen, ernennen. Benennen mit Samen, die der eigene Geist in die Ereignisse streut. Und wehe dem, der Samen ist unfruchtbar!

Dann, wertes Böse, lächelst du teuflisch. Dein Lächeln ist immer erst der Anfang des Guten, nach dem wir uns immerzu sehnen.

Dich hat der Himmel geschickt!

Doch vorübergehend sind wir taub und blind für dein wahres Wesen. Bekämpfen wir dich, das Böse, schenken wir dir doch nur von unserem wertvollen Feuer. Unsere flammende Seelenkraft, die anderes will als den Kampf gegen das Übel der Welt. Nein, auf kleiner Flamme nur solltest du bei mir köcheln. Mein Feuer schenke ich dem Guten, das ich glutvoll in mein Herz leite. Dort entzieht es dir den Raum, den du beanspruchst.

Ich weiß um deine zweifache Mission: Hüter willst du sein und Schwellenübertretet zugleich. Du hütest deine böse Kraft und verführst zur Absicht der Wahl zwischen den Möglichkeiten. Nicht für oder gegen dich, nicht mit oder ohne dich ist dein Begehr. Nein – jedes Entweder-Oder ist dir lächerlich. Sowohl-als-auch ist deine Devise. Denn im Guten steckt das Böse als Zündschnur des Lebens. Im Bösen sind die zarten Keime des Guten verborgen, die sich nach der menschlichen Tat sehnen um zu sprießen und zu erblühen.

Gutes will getan sein, in dem man das Böse überwindet. Begreift man euch beide nicht in der gegenseitigen Abhängigkeit des einen vom anderen, ist man ein hilfloser Spielball im wirren Gestänge eines Seins ohne Sinn. Begreift man euch als Einheit, versöhnt man nicht nur die Gegensätze, sondern auch den notwendigen Schmerz für das unvermeidliche Glück. Dich hat der Himmel geschickt!

— 19. Januar 2022
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