Du sollst nicht stehlen

Wenn Wünsche und Recht auseinanderdriften, gibt's Ärger, meint Tom Borg

Die sogenannte "Netzkultur" geht davon aus, dass alles frei verfügbar ist und ohne jede Rückfrage genutzt werden darf. Das ist bei Text, Musik und Bilder nicht mehr erlaubt als das Fahren mit dem Sportwagen, der auf der Straße geparkt ist. Spaß macht es der Netzgemeinde trotzdem.

Mit dem Eigentum ist das so eine Sache: Mancher hat es, andere hätten es gerne. Und nicht selten hilft man dem eigenen Schicksal etwas nach und findet tolldreiste Erklärungen, warum das eigentlich alles ok sein soll.

Dabei ist das siebte Gebot eigentlich doch sehr klar und deutlich formuliert. Im fünften Buch Moses heißt es: "Du sollst nicht stehen."

Doch was genau ist "stehlen"? Darüber streiten sich Volk und Gelehrte seit mindestens 2.000 Jahren. Und obwohl der Sachverhalt eigentlich recht klar ist, wird er immer verworrener. Schuld daran sind die technischen Möglichkeiten - allen voran das Internet. Heute ist möglich, was früher undenkbar war: Das Entwenden von Eigentum ohne dass man eine Sache wegnehmen muss.

Zugegeben, auch vor dem Zeitalter des World Wide Web wurde schon kräftigt gestohlen, pardon, "mitgeschnitten" - vorwiegend vom Radio. Wer hatte nicht Mitte bis Ende des vorigen Jahrhunderts seine Lieblingssongs auf Kassette, aufgenommen von Radiosendungen, zum jederzeitigen Anhören?

Mittlerweile wurde dank MP3 und verbesserter Digitaltechnik das "Saugen" noch viel leichter, während sich das Unrechtsbewusstsein drastisch verkleinerte. Was soll am Kopieren Unrecht sein? Es entsteht niemandem ein Schaden, denn man würde sich die Musik eh nicht kaufen…

Dieser Logik möchte man gerne folgen - und sie trifft wohl auch in den meisten Fällen zu: man kopiert so manches, das man nie kaufen würde. Somit entsteht dem Eigentümer der Rechte eigentlich gar kein Schaden.

Doch hier geht es nicht um den Schaden, sondern ums Prinzip: Was du nicht gekauft hast, das darfst du nicht benutzen, hören oder sehen. Die Einschränkung der Verbreitung und Nutzung soll den Wert für diejenigen erhöhen, die sich den Genuss leisten wollen. Es ist die vielleicht letzte Bastion einer aussterbenden Elite, eines elitären Kreises, der sich seine eigenen Regeln macht und sich gegen andere abgrenzt. Hast du kein Geld oder willst du keines ausgeben, dann musst du eben darauf verzichten.

Dass solch elitäre Regeln gnadenlos sind, musste selbst ein Super-VIP wie Formel 1 Weltmeister Louis Hamilton schon erleben als er ohne eine Krawatte und Jackett in ein Restaurant wollte, in dem beides eine Vorschrift ist. Er blieb draußen und verzichtete auf ausgeliehene Kleidung, die man ihm anbot. Das unterscheidet einen Herrn Hamilton vom gemeinen Volk, das sich einfach kopiert was es sich nicht kaufen will.

Spaß muss sein…?

Dummerweise haben das Volk und die Rechtsprechung oft sehr unterschiedliche Ansichten, wenn es um das Eigentum geht. Während Juristen wertkonservativ darauf bestehen, dass man zunächst etwas erwerben muss, damit man es nutzen kann, geht die breite Masse immer mehr dazu über, einfach etwas zu nutzen - frei nach dem Motto: Wenn du was dagegen hast, dann melde dich…

Doch das Gesetz sieht die Sache genau anders herum: Wer etwas nutzen will, der muss fragen. Und wenn man keine Lust zum Fragen hat oder gar nicht weiß, wen man fragen soll, dann hat man eben Pech gehabt. Nutzung unter Strafe verboten.

In den USA gibt es zur Erleichterung inzwischen das "Fair Use" Prinzip, zumindest für nichtkommerzielle Verwendung. Doch auch das kollidiert oft mit der Rechtsprechung anderer Nationen - und erst recht mit der sogenannten Netzkultur wie der Fall um die Memes und den "Socially Awkward Penguin" zeigen.

Dabei ist die Sache eigentlich ganz einfach: Das Bild hat jemand angefertigt, der nun die Rechte daran besitzt. Daran ändert auch nichts, dass andere etwas hinzufügen. Ansonsten könnte ja jeder beim Bäcker ein Brötchen nehmen, vom Metzger eine Scheibe Wurst und das damit gestaltete Kunstwerk auf der Straße zum Verzehr anbieten. Sowohl der Bäcker als auch der Metzger würden auf die Barrikaden gehen. Warum sollte das bei Bildern anders sein?

Die sogenannte "Netzkultur" geht davon aus, dass alles frei verfügbar ist und ohne jede Rückfrage genutzt werden darf. Das ist bei Text, Musik und Bilder nicht mehr erlaubt als das Fahren mit dem Sportwagen, der auf der Straße geparkt ist.

Spaß macht es der Netzgemeinde trotzdem - und weil niemand als Spaßbremse verschrien werden möchte, müssen nun also Unterscheidungen und Ausnahmen her, damit diejenigen, die unerlaubt und ohne zu fragen etwas nutzen möchten, keinen Ärger bekommen. Denn die Bösen sind natürlich die Besitzer von Rechten und Eigentum.

Ich nehme was ich brauche

Inzwischen geht die Bedien-Dich-Mentalität so weit, dass sogar in Sachen Memes vorgeschlagen wird, dass sobald ein Meme in den "allgemeinen Sprachgebrauch" des Internets übergeht, der Vergütungsanspruch verfällt – ähnlich wie es ursprünglich mit dem geschützten Begriff Walkman war.

Dabei verschweigt man wohlwissend, dass die Voraussetzung für den "allgemeinen Sprachgebrauch" die zuvor erfolgte massive Verletzung des Urheberrechts ist. Oder im Klartext: Man benutzt ein urheberrechtlich geschütztes Werk millionenfach unberechtigt um anschließend zu sagen: das wird millionenfach genutzt und ist deshalb Gemeingut...

Netzkultur hin, Recht her: Man kann nicht einfach alles aufgreifen und benutzen. Schließlich steht es jedem frei, sein eigenes Originalbild zu schaffen. Das darf er dann gerne millionenfach nutzen - ohne dass er bei sich selbst anfragen muss, ob er das denn überhaupt darf.

Diese Einsicht folgt auch dem Gedanken, dass hinter der Netzkultur noch andere Kulturebenen folgen, die sich der gleichen Regelungen bedienen könnten. Der gern genutzte Satz vom Eigentum das verpflichtet öffnet viele Türen und Tore. So können ungenutzte Wohnungen ggfs. zwangsvermietet werden, was für viele ok ist. Doch wie steht es mit dem Ferrari gegenüber, der seit 4 Monaten nicht gefahren wurde? Darf man den auch einfach so nutzen und wenn nein, warum nicht? Wenn ich ein Bild oder ein Musikstück einfach nutzen darf, dann müsste ich doch den Sportwagen auch einfach so benutzen können. Es gibt Länder das werden einfach Grundstücke oder Häuser besetzt und fortan als eigener Besitz betrachtet.

Wo sind da die Grenzen? Um es klar auszusprechen: Es gibt keine logischen Grenzen. Denn jede Grenze die man ziehen würde, wäre eine willkürliche. Es kann folglich nur ums Prinzip gehen. Und dieses Prinzip lautet: Du sollst nicht stehen. Solange es kein Gesetz gibt, welches formal etwas anderes definiert, ist das eben so. In dem Moment wo man das ignoriert, muss man auch akzeptieren, dass es ok ist, wenn jeder im Restaurant eine Gabel zückt und vom Teller seines Gegenübers isst. Schließlich verpflichtet Eigentum - du hast Essen, ich habe Hunger. Klar könnte ich mir mein eigenes Essen kaufen - so wie der Memes-Bastler sich eine Lizenz am Bild kaufen könnte. Ich sehe da keinen Unterschied zwischen Bilder, Musik, Brötchen, Wurst oder dem Sportwagen auf der anderen Straßenseite. Wenn eines davon einfach so genutzt werden darf, dann muss es für alles andere auch gelten - einschließlich der Wohnung eines Memes-Bastlers, die ein anderer Künstler einfach mal so umgestalten möchte. Das ist jetzt Schwachsinn? Dann sagen Sie mir, wo die exakte Grenze zwischen Gut und Böse verläuft...

— 06. September 2015
 Top