Ja oder nein? Die wiederkehrende Lüge unter den Menschen
Aufforderung zum Authentischsein von Christa Schyboll
Warum fällt vielen Menschen das „Neinsagen“ schwer? Warum fällt es anderen leicht?

Leichter fällt es, so scheint es, den Durchtherapierten. Die wissen nun, wo’s lang geht im Leben. Die kennen ihre Grenzen klarer und schaffen ihre Abgrenzungen leichter. Oder haben sie einfach besser als die meisten Menschen trainiert, auf jene feine innere Stimme zu hören, die ein JA oder ein NEIN in irgendeiner Situation leise flüstert? Auf jeden Fall höre ich aus dieser Menschengruppe öfter ein NEIN. Die anderen sagen meist JA, wenn man was von ihnen will. Jetzt kommt aber das großer ABER! Es gibt Situationen, da sagen sie nicht nur JA, sondern meinen auch JA… und im besten Fall handeln sie auch danach. Das sind dann sozusagen „perfekte Momente“ innerhalb menschlicher Beziehungen. Alles ist im Lot.
Häufig ist es aber auch so, dass sie JA sagen, aber nein meinen. Sie lügen sozusagen. Und das binnen eines einzigen unbedachten Augenblicks, der ihnen anscheinend innerlich gar keine andere Wahl ließ. Warum tun sie das? Sie könnten doch auch nein sagen. Dahinter steckt meist eines: Angst! Nicht irgendeine diffuse Angst, sondern eine oder gleich mehrere bestimmte Formen von Ängsten. In solchen Fällen ist es häufig dann Begegnungsangst, Beziehungsangst, Liebesentzug, Verlustangst, Angst abgelehnt zu werden! – Und das bei äußerlich ganz unspektakulären Situationen, die aber eine innere Dramatik auslösen können, die an nichts ablesbar ist und die keiner kennt, außer dem „kleinen Lügner“, der JA sagt, wo er NEIN meint…. spontan und blitzschnell!
Dahinter steckt u. a. auch eine Interpretation von Erwartungshaltung. Ob man sie dem Bittenden unterschiebt oder sie tatsächlich auch von ihm ausgeht, ob man die Erwartung an sich selbst hat, weil man so erzogen wurde oder sich selbst immer unter Druck setzt, ist individuell verschieden. Aber die Kombination von Ängsten und Erwartungen lässt dieses vorschnelle Lügen-JA so häufig entstehen. Und dann hat man natürlich die Konsequenzen zu tragen, die sich verpflichtend aus diesem JA ergibt.
Man steht nun unter einer Spannung. Jeder fühlt sie, wenn er nur darauf achtet. Man ärgert sich darüber . Zu erst über denjenigen, der einen in diese Situation zwingt, später aber über sich selbst. Man kann sich beschimpfen ob seiner eigenen Schwäche oder der Feigheit, nicht ein klares NEIN gesagt zu haben, wo noch die Gelegenheit bestand. Die Suppe ist jetzt auszulöffeln und die Sache mit den Absage-Argumenten oder den weiteren Scheinlügen macht die verfahrene Situation nicht angenehmer.
Die Kehrseite der Medaille: Sagt jemand aber NEIN zu einem dringlichen Wunsch eines anderen, entsteht oft ebenfalls ein ungutes Gefühl. Wieder nicht bereit!? Gibt es denn gute Argumente nicht helfen zu wollen? So schnell hat man die Argumente oft nicht einmal parat. Dabei schreit alles innerlich auf, wenn man sich wieder unter Druck setzen lässt. Man untergräbt die eigene Autorität, um dem Gefühl des Ver-Sagens zu entgehen.
Haben wir denn wirklich eine freie Wahl? Theoretisch schon oder in den meisten Fällen. Praktisch aber sehr selten, weil die freie Wahl zwischen Ja und Nein häufig eben mit einem unseligen Gefühl im Anschluss zu bezahlen ist, was es nun blitzschnell abzuwägen gilt. Ist das Gefühl, ein Egoist, Versager, Neinsager zu sein denn nun schwerer erträglich, als der kleine Gefallen, die kleine Fahrt, Handreichung oder die Hilfe bei was auch immer?
Hier spielen dann die Faktoren von persönlicher Distanz oder Nähe zum Bittenden eine große Rolle. Auch natürlich die Abwägung, wie wichtig ihm dieses JA-NEIN nun ist, ob es eine mehr menschliche oder mehr sachliche Bedeutung hat, die man sehr leicht oder auch gar nicht ablehnen „darf“, will man die Beziehung nicht elementar gefährden. Jede Situation ist dabei eine andere. Gemeinsam ist ihnen nur eines: Es braucht den Mut zum Authentischsein. Es braucht das Innehalten, kurz auf diese feine innere Stimme zu hören, die entweder in Richtung eigener Egoismus gehen kann oder auch sehr berechtigte Argumente für das NEIN und die Verweigerung hat, die jetzt mutig durchgesetzt werden müssen.
Die Dramen um schlichte JA und NEINs unter Menschen könnten Bücher füllen. Ich will aber kein Buch darüber schreiben, sondern nur ein paar kurze Überlegungen anstellen – verbunden mit dem Mut, an der rechten Stelle Ja oder Nein zu sagen und sich nicht von falschen Überlegungen korrumpieren zu lassen.