Vorausschauende Depression

Euro-Land unter, meint Tom Borg

Die EZB pumpt Milliarden in die Wirtschaft, doch die Verbraucher halten sich nicht mit Käufen zurück weil sie auf niedrigere Preise hoffen, sondern weil sie Angst haben vor dem, was da in der Zukunft nachkommt.

EZB-Chef Mario Draghi und seine Kollegen werden nicht müde, vor einer drohenden Depression zu warnen und uns zu erklären, dass die EZB alles unternehmen werde, um die Inflation so schnell wie möglich zu erhöhen, damit wir einer Depression mit ihren katastrophalen Wirkungen entgehen.

Vermutlich hat er recht: uns droht nicht nur eine (ökonomische) Depression, nein, wir stecken schon mitten drin in einer vorausschauenden Depression.

Den Begriff haben Sie noch nie gehört? Mag sein, so turbulent schlingerte der Euro auch noch nie durch die Kurslandschaft. Doch Tatsache ist, während Draghi & Co. mit ihren Statistiken jonglieren, scheint der Euro-Bürger längst begriffen zu haben, was da schleichend auf ihn zukommt. Die Verbraucher halten sich nicht mit Käufen zurück weil sie auf niedrigere Preise hoffen, sondern weil sie Angst haben vor dem, was da in der Zukunft nachkommt.

Es gab schließlich genügend Krisen aus denen man lernen konnte, dass Schulden, die mit niedrigen Zinsen gemacht wurden, später mit höheren Zinsen zurückgezahlt werden müssen. Das hat schon so manchen Schuldner Haus und Hof gekostet - im wahrsten Sinne des Wortes.

Insbesondere deutsche Verbraucher halten sich deshalb zurück. Anstatt die niedrigen Zinsen zu nutzen, um beispielsweise größere und teurere Immobilien zu erwerben, tilgen die Verbraucher lieber ihre bestehenden Schulden, um sie los zu werden. Nicht nur, aber auch, weil die Verbraucher Angst davor haben, später bei steigenden Zinsen ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen zu können.

Somit schlittern wir in eine vorausschauende Depression bei der die Verbrauchen nicht auf fallende Preise hoffen, sondern Angst haben vor dem was da noch kommt und deshalb nicht konsumieren.

Da kann die EZB Geld in den Markt pumpen so viel sie will: dem normalen Bürger ist das nicht geheuer. Die Wirtschaft kann mit dem Geld auch nichts anfangen, da bei schwacher Nachfrage keine Investitionen lohnen und überhaupt - die Unternehmen, die dringend Geld bräuchten, sind so angeschlagen, dass sie nicht kreditwürdig sind.

Wer soll das bezahlen?

Somit versumpfen Draghis Milliarden auf den Konten der Superreichen, die damit Aktien und andere Vermögenswerte erwerben, denn sie haben ausreichende Bonität für Kredite (fast) ohne Ende.

Doch am Ende muss irgendwer die ganzen Schulden bezahlen. Und die Lebenserfahrung sagt uns, dass in der Regel die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden. Also fangen die am besten schon mal an, dafür zu sparen, damit es sie nicht ganz so hart trifft wenn es denn irgendwann zur Sache geht. Tun sie es tatsächlich, kann die EZB Euros in den Markt pumpen so viel sie will. Je höher die Schulden der Eurozone, desto verschreckter reagieren die Bürger der Eurozone - und halten sich zurück. Damit erreicht Mario Draghi das Gegenteil von dem was er eigentlich erreichen will: Depression, wenn auch eine vorausschauende, aus Angst vor dem was da noch kommen mag.

Vielleicht wird es am Ende gar einen Schuldenschnitt bei den Notenbanken geben. Dann sind die fein ihre Schulden los, aber das Gebilde "Euro" wird dadurch keinen Deut besser werden. Im Gegenteil. Lebensversicherer und andere institutionelle Anleger suchen verzweifelt nach Möglichkeiten, das Kapital ihrer Klienten gewinnbringend anzulegen. Sollten die Lebensversicherungen darin scheitern, drohen nicht nur neue Pleiten, sondern auch Versorgungsengpässe bei den Rentners, die auf Ersparnisse und Lebensversicherungen als Zusatzrente setzen. Einspringen muss dann wiederum der Staat, für dessen Schulden letztlich wieder die Steuerzahlen gradestehen müssen. Folglich sollte man als Verbraucher tunlichst einen Notgroschen parat haben.

Obendrein steht ja auch noch die Drohung des IWF im Raum, der nahegelegt hatte, dass die Staaten ihre Schulden durch eine Einmalsteuer von 10% auf alle Vermögenswerte weltweit reduzieren. Das träfe dann auch wiederum alle Bürger, die dann plötzlich vor der Situation stünden, dass sie über viele Jahre etwas gespart oder ein Häuschen als Altersvorsorge abgestottert haben und dann plötzlich im Alter eine neue Hypothek aufgebürdet bekommen.

Und da erwarten Mario Draghi und seine EZB, dass die Bürger fröhlich konsumieren, Kredite aufnehmen und Leben als gäbe es kein morgen? Dabei ist doch eigentlich für alle sonnenklar: wenn es ein Morgen gibt, dann wird es ein sehr, sehr teures Erwachen werden…

— 23. November 2015
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