Hochnäsige Besserwisserei

Oder einfach nur vorausschauendes Zupacken? fragt sich Tom Borg

Eine Hilfe kann nicht immer so beschaffen sein, wie der Hilfsbedürftige sie erwartet oder wünscht. Ein Ertrinkender verliert die Übersicht so wie auch ein Verschütteter nicht beurteilen kann, wie man ihn am besten aus seiner misslichen Lage befreien kann. Ist das nun Besserwisserei des Helfenden?

Da schütteln wir nun fassungslos den Kopf angesichts der Kritik aus dem Ausland an Deutschland und seiner Art des Helfens. Dabei ist das doch eigentlich nichts Neues. Schon Friedrich Wilhelm Nietzsche schrieb: "Große Verbindlichkeiten machen nicht dankbar, sondern rachsüchtig."

Der einflussreiche serbisch-orthodoxe Bischof Amfilohije hat am Osterwochenende den "Eroberungstrieb" der europäischen Länder und der Nato angeprangert und gar die Kosovo-Politik mit in die Nähe der Tradition der Kreuzzüge und die "Tyrannei der Osmanen" gerückt. Da bekommt die ganze EU ihr Fett weg, und die ganze NATO gleich mit dazu: "Europa hat durch die Bombardierung Serbiens 1999 wieder mal seinen Eroberungstrieb gezeigt wie wir ihn von den Kreuzzügen und den habsburgischen und faschistischen Märschen kennen", wettert der Kirchenmann, der zuvor Gott angerufen hatte, damit die Nato aufgelöst wird.

Solche Worte verstören und machen nachdenklich; sie sind geeignet, sich dem ganzen Thema zu entziehen und die Augen zu verschließen vor Not, Willkür und Unterdrückung. Denn auch helfen tut weh, kostet Kraft und Anstrengung, was beileibe nicht jeder hierzulande mittragen möchte. Die Kritik an Auslandseinsätzen der Bundeswehr im NATO-Verbund ist nicht zu überhören.

Doch ein Nichteingreifen, Nichthandeln bedeutet im Umkehrschloss ein desinteressiertes Wegschauen, eine selbst verordnete Nichtbeachtung der Not anderer Menschen. Ist es das, was der Bischof möchte, wo doch sein Amt eigentlich das Gegenteil vermuten lässt?

Eine Hilfe kann nicht immer so beschaffen sein, wie der Hilfsbedürftige sie erwartet oder wünscht. Ein Ertrinkender verliert die Übersicht so wie auch ein Verschütteter nicht beurteilen kann, wie man ihn am besten aus seiner misslichen Lage befreien kann.

Dies ist natürlich kein Freibrief für Aktionismus aller Art; und auch das Hinterfragen der Notwendigkeit der Bombardierung Serbiens ist gestattet und mag so manchen Zweifel an der Rechtmäßigkeit oder gar Notwendigkeit aufwerfen. Und natürlich beurteilen die Gegner in einem Konflikt das Eingreifen eines Dritten wohl immer unterschiedlich.

Dennoch geht die aktuelle Eskalation der Anfeindungen Europas und vor allem Deutschlands weit übers Ziel hinaus und rückt eine ganz andere Fragestellung ins Blickfeld: Nämlich die Frage nach dem Sinn und Zweck der Europäischen Union. War sie anfangs noch ein Garant der Friedenssicherung, droht sie nun ins Gegenteil umzuschlagen. Die Union ist alles andere als eine Gemeinschaft. Dafür sind die Interessen, Kulturen und Lebensweisen viel zu unterschiedlich. Das zeigen zähe Verhandlungen, selbst bei eigentlich unwichtigen Details, immer wieder auf. Eine EU in der alle Mitglieder sich zuhause fühlen, kann es wohl auf Dauer nicht geben. Und dennoch wollen alle dazugehören. Warum? Aus rein finanziellem Interesse, um was vom großen Topf aus Brüssel abzubekommen?

Leuten wie Bischof Amfilohije und den Demonstranten gegen europäische Rettungspakete sollte man ganz klar aufzeigen, was die Alternative ist: Raus aus der EU und selber zusehen, wie sie aus dem Schlamassel rauskommen, in den sie sich selbst hineinmanövriert haben - egal, ob es nun eine Banken- oder Staatspleite oder ein Bürgerkrieg ist. Die EU ist kein Spendentisch voller milder Gaben, die einige wenige finanzieren, damit sich alle anderen genüsslich daran laben können. "Wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird", sagt ein altes Sprichwort. Und natürlich will ein Geberland sicherstellen, dass die Gaben nicht in einem Fass ohne Boden versanden, sondern da ankommen, wo sie gebraucht werden und etwas positives bewirken.

Vor allem Deutschland wird im Ausland immer wieder als ewiger Besserwisser hingestellt, was in der negativen Ausstrahlung dieses Begriffs sicherlich ungerechtfertigt ist, da es nun mal eine Tatsache ist, dass Deutschland das derzeit wirtschaftlich stabilste Land der EU- und der Euro-Zone ist. Also irgendwas muss Deutschland wohl richtig und besser gemacht haben als die anderen, denn im jungen 21. Jahrhundert haben alle Staaten die gleichen Chancen auf Bildung und wirtschaftlichen Ausschwung. Wenn sie in der Realität fehlen, dann ist da ganz offensichtlich in einigen Ländern etwas falsch gemacht worden. Da haben einige Länder andere Prioritäten gesetzt und fordern nun, dass ihnen wie dem verlorenen Sohn ihre Sünden vergeben und vergessen und sie mit Gaben überhäuft werden. Doch kann man das ernsthaft verlangen? Es ist als würde jemand absichtlich und entgegen fundierter Ratschläge auf dünnes Eis gehen und dann nach dem Bruch des Eises rufen: Jetzt kommt gefälligst etwas schneller um mich zu retten… Ist das wirklich noch Christenpflicht? Ich bin eher geneigt, die deutschfeindlichen Demonstranten, die uns der Besserwisserei beschuldigen, und auch den bibelkundigen Bischof auf Matthäus 25,1-13 zu verweisen:

"Dann wird das Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen aus, dem Bräutigam entgegen.
Aber fünf unter ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten nahmen Öl in ihren Lampen; aber sie nahmen nicht Öl mit sich. Die klugen aber nahmen Öl in ihren Gefäßen samt ihren Lampen.
Da nun der Bräutigam verzog, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Zur Mitternacht aber ward ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam kommt; geht aus ihm entgegen! Da standen diese Jungfrauen alle auf und schmückten ihre Lampen. Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsere Lampen verlöschen. Da antworteten die klugen und sprachen: Nicht also, auf dass nicht uns und euch gebreche; geht aber hin zu den Krämern und kauft für euch selbst.
Und da sie hingingen, zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür ward verschlossen. Zuletzt kamen auch die anderen Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf! Er antwortete aber und sprach: Wahrlich ich sage euch: Ich kenne euch nicht.
Darum wachet; denn ihr wisset weder Tag noch Stunde, in welcher des Menschen Sohn kommen wird."

Darum sorge ein jeder vor für seine Not und packe an, wenn es etwas zu tun gibt. Wer stattdessen lieber das Leben zelebriert und genießt um anschließend "Hilfe, Hilfe" zu rufen, dessen Rufe möchte ich am liebsten überhören.

— 01. April 2013
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