Dating

Von der Unwägbarkeit des ersten Treffens, schreibt Christa Schyboll

Der Run auf die Selbstoptimierung macht auch vor dem Faktor Zeit nicht halt. Deshalb ist das Dating im Internet oder in Massenveranstaltungen im Minutentakt real live zu einer wohlfeilen Angelegenheit geworden, die keinen unnützen Zeitaufwand für die Partnerwahl mehr zulässt. Ob das aber immer so funktioniert?

Wollen sich Menschen kennen lernen, so war es früher dafür notwendig, sich dafür leibhaftig zu treffen. Irgendwo halt. Meist an öffentlichen Orten, wenn man sich noch fremd war. In einem Cafe, im Theater oder im Restaurant. Heute ist es das Internet… na ja, vielleicht auch hier und da die Mucki-Bude oder die angesagte Location mit infernalisch brummenden Bässen. Man muss ja nicht gleich miteinander sprechen. Aber bleiben wir zunächst bei früher.

Traf man sich zu einer ersten Verabredung, wo auch immer, so hatte dies den Vorteil, dass man zugleich direkt auch eine sinnliche Wahrnehmung von diesem noch fremden Menschen bekam. Ein Ersteindruck, nicht mehr. Aber immerhin erfasste man in Bruchteilen von Sekunden bereits die Gestalt im Ganzen und konnte sich danach dann ruhig in die Detailbetrachtungen verlieren. Feinheiten, wie Mimik, Gestik, Sprache, Bewegung, Eigenduft, Ausstrahlung luden die sympathischen oder antipathischen Kräfte dazu ein, jetzt aber schnell ein vorsichtiges leises Ersturteil zu fällen. Der Kenntnisstand über die außer- oder übersinnlichen Eigenschaften musste noch ein wenig warten. Dazu zählten dann Charakter, Gemüt, Intelligenz, Sensibilität, um nur einige zu nennen, die in Folge weiterer Treffen entscheidend sein würden für die Lust auf und aneinander.

Der innere Taxierer lag natürlich schon auf dem Hinweg zum Treffen heimlich berechnend ebenso auf der Lauer, wie der kritische Zensor, der vor allen den Vorgaben des Egos lauschte und sie zu bedienen dachte.

Traf der oder die Kandidat/in schon allein vom Ersteindruck nicht einmal im Ansatz die eigenen Vorlieben, mochte man zwar am liebsten keine weitere Sekunde investieren, stand jedoch zugleich im Falle einer festen Verabredung in der Benimm-Pflicht. Nun war man einmal gemeinsam vor Ort und musste schauen, wie man aus dem Desaster ohne großes Federnlassen wieder herauskam, wenn es für einen von beiden, gar für beide, suboptimal miteinander war. Sprich: In die erhoffte angenehme chemische Verbindung hat sich Ätzlösung ergossen. Jetzt war jedoch eine gewisse Minimalzeit miteinander zu verbringen, um den anderen nicht einer geradezu beleidigenden Peinlichkeit auszusetzen.

Zeitoptimiertes Dating

Tendierte die innere Entscheidung nach der sympathischen Richtung, dann konnten die nächsten mentalen Raketen gezündet werden: Geist, Seele, Gemüt und Charakter wurden ergründet. Dabei wurde der Esprit ebenso auf die Probe gestellt wie auch die soziale Kompetenz, die Scharfzüngigkeit und die Intelligenz. Zumindest bei der gebildeten Klientel, die es sehr genau in diesen Dingen nahm und sich nicht unter dem eigenen Niveau verkaufen wollte. Manchmal jedoch konnte der Außeneffekt des Kandidaten umwerfend grandios sein, dass nun andere Reize stärker lockten. Wer würde das nicht verstehen! Was einem die Sprache verschlägt, braucht eben andere Ausdrucksmittel.

All dies konnte je nach Flirttypus und persönlichem Zeitbudget durchaus amüsant und spannend sein. Barg es doch zudem ein kleines Universum von noch Unbekanntem, das es zu erschließen galt. Das bedeutete aber auch: Man brauchte oft mehrere Treffen, bis man endlich an die erste Schicht des noch unbekannten Kerns gelangte, den man gern kennen lernen wollte. Der innere kritische Aufpasser jedoch stellte schon einmal die leise Gretchenfrage: Gibt es zwischen uns genug Schnittmengen über die äußeren Anziehungsmerkmale hinaus?

Die Antwort darauf allzu forsch mit offenen oder versteckten Hinterfragungen, gar mit unverhohlener Neugier zu versuchen, zerstörte bei halbwegs sensiblen Menschen schon jeden ersten Versuch eines Vertrauensaufbaus. Mit anderen Worten: All dies brauchte Zeit. – Aber wer, bitteschön, hat denn heute noch Zeit?!

Um dieses globale Problem des Homo Ludens, des spielenden Menschen, in den Griff zu bekommen, entwickelte die Spezies Mensch so genannte Zeit-Maschinen. Ihrer wesenhaften Vielfältigkeit nach fielen sie sehr unterschiedlich aus, waren aber in ihrem Ziel äußert effektiv, wenn es darum ging, Zeit zu sparen. Eine Zeit-Maschine nannte man Auto, die dem verkürzten Zeitaufwand der schnelleren Bewegung diente. Eine andere Zeit-Maschine war ein so genanntes Telefon, durch das man sprach, jedoch das weder Bilder noch Musik sendete, nicht einmal die Grundrechenarten beherrschte. Aber es sparte Zeit, wenn man etwas über Distanzen mitzuteilen hatte. Derzeit nennt man es ipad und wird gewiss auch bald im Stande sein, Spaghetti al dente zu kochen. Oder dann die Superzeitmaschine namens Internet. Sie eroberte mit ihrer Geschwindigkeit auch Politik, Krieg und Liebe. Nun ging alles noch schneller.

— 14. Mai 2014
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