Terror, Krieg und Tod

Von wichtigen und weniger wichtigen Toten, schreibt Christa Schyboll

Anschlagsopfer, blutige Leichen, verrenkte oder verstümmelte Gliedmaßen können wir, wenn wir nur wollen, ständig live und authentisch im Fernsehen anschauen. Da braucht es nicht einmal einen blutrünstigen Hollywood-Schocker, das erledigt unsere politisch-kriegerische Wirklichkeit auch ohne Filmbudget und Drehbuch.

Unsere teilweise Abstumpfung gegenüber den Bildern der elendig durch Krieg oder Terror umgekommenen Menschen, die zum Teil entsetzliche Schmerzen vor ihrem Tod erlitten, ist nicht nur der Inflation solcher Bilder geschuldet, sondern vor allem der Inflation der menschlichen Grausamkeit. An ihr vermochte bisher weder eine UN-Menschenrechtscharta etwas zu verändern, noch all die gut meinenden religiösen Gebote oder philosophischen Weisheiten aus allen Kulturen. Das mörderische Raubtier Mensch tötet nach wie vor in bestialischer Weise. Mehr und mehr im staatlichen Auftrag und legitimiert… und davon „angeregt“ eben auch mehr und mehr durch Terrorzellen, die denen der entarteten Krebszellen eines tot kranken Menschenorganismus gleichen.

Unterschiede machen jedoch die Nationalitäten all der toten Terroropfern und die jeweilige politische Lage, gesellschaftliche Gestimmtheit oder kulturelle Eigenheit im globalen Spiel der Mächte, das sich über die Jahrtausende in alle Himmels-Richtungen immer einmal wieder verschiebt. Derzeit sind vor allem die Opfer und Toten der westlichen Welt jene, die mehr und schlimmeres Rest-Entsetzen und entsprechende Reaktionen in uns noch entlocken können, als jene in den Unruhezonen von Afrika, Asien oder dem Vorderen Orient. Von dort kennt man kaum noch andere Bilder, als Gliedmaßenverstümmelte, verblutete Leichen oder neuerdings auch einmal wieder Giftgas-Opfer mit ganz entsetzlichen Leiden. Gebombt wird täglich. In manchen Gebieten stündlich. Der Schmerz des Individuums, den es trifft, dürfte weltweit ein vergleichbarer sein, da wir Menschen alle um ähnliche Schmerzrezeptoren im Falle von Verletzungen verfügen.

Warum ist nun aber in unseren Herzen und Köpfen ein toter Zuschauer beim friedlichen Marathonlauf in Bosten so viel schlimmer als eine friedliche tote Mutter aus dem syrischen Kriegsgebiet, die das Leben ihres Kindes retten wollte? Dass beide Getötete in friedlicher Absicht lebten und handelten, steht doch ebenso außer Frage wie auch, dass in beiden Fällen die Hinterbliebenen die gleiche Trauer zu bewältigen haben. Es gibt einfach de facto nichts, was ein Leben über ein anderes Leben stellen kann oder darf. Und dennoch ist es so. - Nur warum? Weil wir Westler untereinander einfach tiefer miteinander identifiziert sind als mit den Mitmenschen anderen Kulturen? Weil es in anderen Kulturen „die Bösen“ gibt und wir natürlich zu den Guten gehören? Ganz unabhängig von der Tatsache, dass es auch bei uns einheimische Terroristen gibt, die jahrelang mordeten? Und gäbe es im Falle von Terror und Mord nicht auch wieder dann latente gefühlte Unterschiede, ob ein Westler dann arabischer, türkischer oder eben italienischer oder englischer Abstammung wäre?

Warum reagieren wir emotional so unterschiedlich auf Tote, selbst wenn unsere Vernunft das gerne abstreiten will? Warum, wenn deren Schmerz so vergleichbar ist und deren Angehörige das gleiche Leid zu schultern haben als die einer anderen Kultur und Abstammung? Warum ist ein toter Läufer oder friedlicher Zaungast aus dem Irak nicht in der Lage, ein ähnliches starkes Mitgefühl zu erzeugen als ein toter amerikanischer, französischer oder deutscher Läufer, der während einer friedlichen Zusammenkunft zerbombt wurde.

Warum machen wir diese Unterscheidungen? Wer in uns oder außer uns bestimmt darüber, weshalb wir in dem einen Fall mit starken, im anderen Fall mit mittleren und im dritten Fall mit gar keinen Emotionen mehr reagieren können? Und das, obschon doch die Würde des Menschen gleich und unantastbar ist? Kann man aus diesen Unterschieden ableiten, dass unsere kollektiven Reaktionsweisen eigentlich noch unter „gesund“ einzustufen sind? - Wer hat dazu die Antwort?

— 27. April 2013
 Top