Geschenke

Was ist angemessen und was ist un-verschämt?, fragt Christa Schyboll

Sam und Linda haben sich ein Haus gekauft. Eine ordentliche Leistung für das noch junge Paar. Auf Jahre Schulden. Der Umbau hat gekostet. Jetzt wird es eingeweiht. Familie, Freunde, Nachbarschaft, Bekannte, Kollegen. Gefühlt das ganze Dorf. Stehparty.

Die wenigen vorhandenen Stühle sind von den Jungen längst besetzt. Und sie bleiben es. Grund für die Alten, bald wieder nach Hause zu gehen. Es sind eh zu viele Menschen da. Man versteht sein eigenes Wort nicht. Aber man war eingeladen. Das ist doch nett. Und dann die Sache mit den Geschenken.

Linda und Sam sprechen gern Klartext. Deshalb stand auf der Einladung, dass sie Geld wollen. Genauer: „Scheinchen“. Wie groß oder klein, stand nicht dabei. Aber das verniedlichte „chen“ am Ende suggerierte doch, dass man nicht von jedem einen Hunderter erwartete. „Unser Haushalt ist komplett“. Das stand auch dort. Und gewiss war es ehrlich. Für die, die das mit den Scheinchen übergehen wollten, aber nochmals extra erwähnt. Am Ende kam doch noch jemand auf schräge Gedanken und mistete in seinen eigenen Ladenhüter-Geschenken herum. Ein Bäumchen vielleicht? Ein Apfelbäumchen, nachdem Linda und Sam das mit Kind und Haus nun geregelt hatten? Drei Stück standen fein verpackt und geschmückt schon am Eingang. Diese Idee hatten auch andere. Aber der Garten war längst voll. Wohin also damit? Wie mögen sie dieses Problem nun lösen? Also Geld schenken.

Wie viel Geld ist denn angemessen? Was gibt man denn so? Geld hat die dumme Eigenschaft, seinen Eigenwert sehr unromantisch durch eine Zahl auszudrücken. Vasen nicht. Kreative Türklingeln auch nicht. Wie gesagt, das halbe Dorf ist da. Da kommt was zusammen! Sofern man sich dran hält. Manche tun es nicht. Nicht nur die drei mit den überflüssigen Apfelbäumchen. Andere schenken Blumen. Teuer verpackt. Trotzdem in vier Tagen welk. Dann stinken sie. Die Verpackung kostete. Oder ob da noch ein Scheinchen im Blumenkuvert war?

Linda und Sam tun jedenfalls so, als seien auch Blumen willkommen. Sie begrüßen jeden etwas knapp, schnell, freundlich. Zu viele sind es, um sich ihnen einen Augenblick länger zu widmen. Manche sind darüber befremdet. Andere finden das ganz normal. Ich bewundere das junge Paar. Auch wegen des Mutes, Scheinchen zu erbitten. Von Münzen war keine Rede. Ob sie nicht genommen würden? Vermutlich doch! Die beiden haben später jedenfalls nicht meine Probleme: Wohin nur mit all den schrecklichen Geschenken netter Menschen, wenn man seine eigene Ästhetik erst einmal entwickelt hat? Kann man über Geschmack streiten? Ja. Aber es bringt nichts. Geld bringt was. Dennoch! Sehr befremdlich, es so zu schreiben. Was denn nun? Ist es gut oder ist es schlecht? In jedem Fall ist es ehrlich.

Meine Erziehung ist Schuld. Ehrlichkeit war wichtig, aber doch nicht zu jedem Preis! Also nicht zu jedem Geldpreis! Wer wird denn Geld verlangen! Wie peinlich ist denn das. Sam und Linda gehören einer anderen Erziehungsgeneration an. Der Generation Klartext. Man könnte sich drüber hinwegsetzen. Die Apfelbaumschenker haben es getan. Aber sie sind in der Minderheit. Es häufen sich die Umschläge. Bin ich neidisch? Na klar! So offen und ehrlich hätte ich es gern auch gehabt. Aber da waren Vorbehalte. Das tut man nicht! Auch wenn es immer mehr tun. Alte Peinlichkeiten über Bord werfen? Dabei bleiben? Sich anpassen? In welche Richtung denn?

Ambivalenzen kriechen durch mein Sein. Sie schlängeln sich mal hier hin, mal dort hin. Sagen Ja, flüstern Nein. Mir fehlt der Überblick. Mein Gefühl sagt anderes, als mein Verstand. Sollte man in diesen Fällen nicht aufs Gefühl hören? Also ich werde niemals Scheinchen verlangen. Es bleibt peinlich. Aber ich schenke eins. Das dann doch! Immerhin wollten wir Freude machen und freuen uns ja auch über die Einladung.

— 29. Juni 2013
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