Partnerschaftsbörsen

Wer kennt noch die gute alte Zeitungsannonce, fragt Christa Schyboll

Ob Beziehungs-Anbandelungen aus dem Internet zum dauerhaften oder vorübergehenden Glück führen ist noch nicht ausgemacht. Aber die gute alte Zeitungsanzeige als Vermittler des Glücks ist auf dem Rückzug. Doch nicht Ort, Art und Technik bestimmen das später Glück oder Unglück zweier Menschen, sondern die richtige oder falsche Entscheidung des Herzens und der Schnittmengen, die einen später gemeinsam durchs Leben tragen sollen.

Vor langen Zeiten, als die Menschen noch leibhaftig miteinander sprachen und sich dabei in Echtzeit in die Augen statt durch Bildschirme hindurch anblickten und sich keinesfalls nur in virtuellen Räumen begegneten, gab es Zeitungen mit besonders langen Rubriken.

Die Zeitungen gibt es natürlich immer noch, auch wenn sie nun weniger und weniger werden – analog den weltweit abgeholzten Wäldern und ihrer Müdigkeit nachzuwachsen. Aber damals gab es in jenen Zeiten, von denen ich spreche, an Wochenenden gleich über viele Seiten diese Heirats-Annoncen, wo sich jene Menschen suchten, die sich auf der Straße, im Stadion oder im Theater einfach nicht fanden und hier nun neue Hoffnung schöpften.

Diese Suchenden schalteten zu diesem Zwecke eine Suchanzeige. Die Rubriken waren zunächst sehr schlicht gehalten. Sie nannten sich: M sucht W. W sucht M. Das galt für sehr viele Jahrzehnte. Irgendwann jedoch ereignet sich ein kleiner Quantensprung und zwei weitere Rubriken kamen dazu. Das war bedenklich für manch einen damaligen Zeitgenossen. Und für andere galt diese Rubrik als obszön. Denn nun las man auch: W sucht W. M sucht M.

Gelesen wurde dies alles natürlich nicht nur von Suchenden oder Inserierenden, sondern auch vom Rest der voyeuristischen Gesellschaft, die in festen Händen war. Das Angebot selbst interessierte doch immer. Auch wenn der Begriff des Outcoming noch so frisch und neu in der Denkwelt der Menschen war, dass W sucht W / M sucht M wöchentlich einen neuen Schock versprach. Doch wer liebt nicht das Gruseln vor allem dann, wenn man letztlich selbst keine bösen Konsequenzen zu befürchten hat!

Erstaunliche Details erfuhr man dann dort in diesen Anzeigen von einem Unbekannten, der keinen Nickname hatte, dafür aber eine Chiffre Nummer bei der Zeitung.

Da las man zum Beispiel: Mann, 66, Führerschein, Raucher, 78 kg, gut situiert, sucht schlanke Frau bis 42. Für die Frau von früher reichte diese Angabe einer fast schon umfangreichen Lebensbiografie vollkommen aus, um sich in aktive Schreibwut zu stürzen und dem Objekt der Begierde nun Briefe per Hand zu schreiben. Auf Papier mit Tinte, ohne Tintenkiller. Sprich: Viele Versionen brauchte es, bis ein paar erste Zeilen ihr Endformat erreicht hatten und dazu noch möglichst fehlerfrei waren. Was war das für eine Zeit! Fehlerfrei! Mit der eigenen Hand geschrieben. Vermutlich mit vielen Anläufen! Ein solcher Aufwand für einen völlig Unbekannten ohne Bild und einem solch enormen Detailpaket an Informationen!

Von den vergessenen Tabus

Niemals hätte es zu jenen alten Zeiten eine 46jährige Frau gewagt, einem fremden Herrn eine Antwort auf seine Suchanzeige zu schreiben, der doch ausdrücklich Damen bis 42 suchte. Ehrlichkeit war Ehrensache. Das Siezen ebenfalls. Und war man doch schon 43 reife Jahre alt und dazu noch ganz besonders mutig, wurde dieser missliche Umstand gleich am Anfang des Briefes schon schüchtern erwähnt, damit man selbst rein in seinem Ansinnen blieb!

Auch hätte es keine Mollige gewagt, jenem Herrn zu schreiben, der ausdrücklich eine Schlanke suchte. Denn die Angabe war eine klare Ansage, an die man sich zu halten gedachte. Denn zu jenen Zeiten fühlte man sich in gewisser Weise auch für die Enttäuschung im anderen verantwortlich, wenn man selbst täuschte. Also ließ man es gleich sein.

Wollte man jedoch als Suchender so richtig viel Post bekommen, ergänzte man seine Anzeige noch um beispielsweise Worte wie: gut situiert, Akademiker, eigenes Haus… sofern dies stimmte.

Zwar gab es schon immer auch eine Reihe Heiratsschwindler, die falsche Angaben machten, aber die waren so extrem selten, dass sich ihre Zahl letztlich doch in der Masse verlor. Verfügte man über solche positive Vorzüge wie Eigentum oder Titel, dann hagelte es wäschekörbeweise Post, auch wenn der Träger dieser Werte der Zwilling von Quasimodo war. Aber das wussten die Damen mangels Bild ja noch nicht. Ledige Damen träumten nur in schöne Richtungen, um sich nicht selbst zu enttäuschten. Und die materielle Versorgung und Sicherheit stand schon Jahrhunderte lang oben auf der weiblichen Wunschliste an. Kein Wunder auch, wenn man die Geschichte der Frauen und ihrer Möglichkeiten kennt.

Auch die Männer erfuhren viele Jahrzehnte nur das Züchtige von suchenden Frauen. Sie, 52, leicht mollig, kann gut backen, geht gern spazieren, Witwe. Da wusste man(n) was Sache war. Wer mollig mochte, war nun gut bedient. Und Witwen waren oft bescheiden. Damit ließ sich doch schon prächtig kalkulieren.

Erst später mogelten sich böse Unsitten wie "vollbusig" oder "einsam, will dich verwöhnen" mit in die Annoncen ein. Die Menschen wurden halt auch in diesen Dingen immer erfinderischer wenn es darum ging, die Angelhaken nicht nur aus zu schmeißen, sondern damit eben auch einen guten Fang zu machen.

Einbrüche und Veränderungen

Männer und Frauen von heute lächeln über solche alten Geschichten, die gefühlte Jahrhunderte her zu sein scheinen, tatsächlich aber erst knapp zwanzig Jahre oder jünger sind. Und nein, nicht einmal das! Es gibt sie sogar heute noch in hin und wieder - man staune! Die Partnerbörse der Vergangenheit hat trotz ihrer weltweit überdimensionierten Konkurrenz im Stadium ihres Siechtums eben noch keinen Verwesungsgeruch angenommen. Obschon, lange wird es nicht mehr dauern.

Moderne Menschen halten es dennoch in der Regel anders. Sie haben ein Profil oder gleich mehrere davon an vielen Orten in den Weiten des globalen Orbits verstreut. Menschen der ganzen Welt werden über die Kerndaten informiert, die eine umfangreiche Datensammlung des höchst Persönlichen und Intimen enthält. In dieser Welt herrschen nun andere Gesetze auf dem Markt der Liebe und der Chancen. Alles ist zumeist schneller und kurzfristiger, besser organisiert, umfangreicher und detaillierter zugleich beschrieben. Es kostet auch Geld – aber das kosten die Anzeigen in Zeitungen ja auch. Anmelden, kaufen zahlen! Gezahlt wird für die Information oder die Bereitstellung. Je nach Forum, Suche und Aufbau des Anbieters der Plattform.

Die alte Kuppelmutter hat sich heutzutage ins Internet gemogelt und betreibt ihr Spiel global, finanziell höchst erfolgreich und 24 Stunden am Tag. Zeitökonomisch ist diese Form der Suche eine wirklich sinnvolle Sache, wenn sich das Schicksal partout einfach nicht dazu entschließen kann, den Traumpartner freiwillig und quasi "zu-fällig" zu schicken. Aber aus anderem Blickwinkel schickt es ihn ja doch, nur anders und schneller mit zugleich mehr Auswahl, Konkurrenz und innerem Entscheidungsdruck. Die Ware Mensch im Katalog des Internets namens Partnerschaftsbörse ist zum erfolgreichen Geschäftsmodell durch die Wünsche der eigenen Spezies geworden. Selfmademan in grandioser Selbstvermarktung durch Vermarktungsstrategien Dritter.

Die Chance, nun dort schneller auf einen Partner oder zunächst nur Gesprächspartner mit ähnlicher Wellenlänge oder Gleichgesinnung erhöht sich entsprechend, wenn man die erste Auswahl gezielt und intelligent zugleich trifft. Das hilft enorm, wertvolle Zeit zu sparen auf der Suche nach ersten Schnittmengen.

Geheimnisvolle Räume an technisch kühlen Orten

Zur ersten Auswahl gehört dann noch nicht der Kandidat, sondern vor allem die Örtlichkeit, wo er zu suchen ist. Das ist auch eine Frage von Niveau. Denn es müssen ja nicht immer nur Partnerschaftsbörsen sein, wo die Menschen sich finden. Es waren ja auch früher nicht immer nur Heiratsinstitute oder die Kuppelmutter, sondern die Kirmes, das Schwimmbad oder der Kurzflirt in der Straßenbahn.

Da aber an solchen Orten viele Menschen bereits mit Stöpseln in den Ohren herumlaufen und nicht ansprechbar sind, gibt es alternativ in den virtuellen Räumen eben die Chats, Communities oder Foren. Themenorientiert, sachlich zentriert oder sonstigem Spezialistentum verpflichtet. Der Tanz-Fan findet dort seinen Tango-Partner, mit dem er dann später auch leibhaftig seine Artistik vollführen kann. Der Schachfan findet sein leibhaftes Matt oder Remis, das ebenfalls nicht virtuell bleiben muss und auch live eine willkommene Abwechslung verspricht. Das sind schon einmal schöne Wellenlängen, gegen die eigentlich nichts zu sagen ist – auch wenn sie sich virtuell anbahnten… Oder die Freunde von Wellensittichen, wo wir gerade von Wellen schreiben, oder Wellensurfern oder Frequenzwellentüftler. Da finden sich eben nicht nur Sach- sondern im Zweifelsfall gleich auch Liebes- oder Zukunftspartner, mit dem das eigene Leben reicher werden kann.

Ob diese Beziehungs-Anbandelungen aus dem Internet zum dauerhaften oder vorübergehenden Glück führen ist dabei nicht mehr oder weniger offen als es für jede andere Form des Kennenlernens ebenfalls gilt. Da sollte man keine Vorurteile aufbauen, nur weil es neu ist. Denn nicht Ort, Art und Technik bestimmen das später Glück oder Unglück zweier Menschen, sondern die richtige oder falsche Entscheidung, Versuch und Irrtum aneinander, Erwartungshaltungen, Schnittmengen und die Kern-Frage, ob man zusammenpasst oder nicht. Das alles gilt sowohl zunächst für suchende Singles ebenso wie für suchende Mingles oder jenen Paaren auf dem Sprung, die einfach mal wieder Abwechslung ersehnen und aufs Bessere hoffen.

— 15. Mai 2014
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