Political Correctness

Vom kleinen Unterschied der keiner sein darf. Tom Borg

Die Debatte über Sexismus und damit auch über die politische Korrektheit nimmt teilweise ungesunde Formen an, die mit dem gesunden Menschenverstand nicht mehr nachzuvollziehen sind. Ich erinnere nur an die überholte und irgendwie doch nicht ausgerottete Form des Türöffnens für eine Dame.

Jetzt hat es auch Barack Obama erwischt. Mit einem eigentlich nett gemeinten Kompliment landet er voll im sexistischen Fettnäpfchen. Und das, obwohl keiner so richtig weiß, was denn nun das Fettnäpfchen eigentlich ausmacht: Hat Obama mit seinem Lob über ihr Aussehen der kalifornischen Generalstaatsanwältin Kamala Harris ihre übrigen Fähigkeiten abgesprochen? Oder hat er nun alle andere Juristinnen beleidigt, indem er sie zwangsläufig als weniger gutaussehend diffamiert?

Zumindest erstes kann man wohl ausschließen, da Barack Obama vor seinem vielzitierten Satz auch die fachlichen Fähigkeiten der Frau Harris lobte. Bleibt also nur noch die andere Alternative - oder geht es hier letztlich um die politische Korrektheit generell? Doch was ist politische Korrektheit? Mit dem gesunden Menschenverstand ist der Begriff jedenfalls nicht so einfach zu fassen - schon gar nicht in den USA, wo man einen Behinderten korrekt als "körperlich oder geistig Herausgeforderten" bezeichnen muss, um jedem Verdacht einer negativen Intention zu vermeiden.

Aber auch hier bei uns in Deutschland nimmt die Debatte über Sexismus und damit auch über die politische Korrektheit teilweise ungesunde Formen an, die mit dem gesunden Menschenverstand wirklich nicht mehr nachzuvollziehen sind. Ich erinnere nur an die überholte und irgendwie doch nicht ausgerottete Form des Türöffnens für eine Dame. Mal angesehen davon, dass viele Frauen keine Dame sein wollen, ist eben jenes Öffnen und Aufhalten einer Tür seit der Gleichberechtigung der Geschlechter ebenfalls auf dem Prüfstand. Und egal, was auch immer in der Praxis als angemessen betrachtet wird: in einer politisch korrekten Umgebung darf das nicht sein! Denn wenn ein Mann einer Frau die Tür öffnet, könnte das ja interpretiert werden, dass er meint, sie wäre zu schwach oder zu dumm dazu.

Im Zeitalter der Gleichberechtigung darf ein Mann einer Frau nur dann die Tür öffnen, wenn er es genauso auch für einen Mann tut. Gleichberechtigung bedeutet dann aber auch, dass auch die Frau einem Mann die Tür öffnen sollte und ihren Geschlechtsgenossinnen ebenso. Also jeder öffnet jedem die Tür…?! Das wäre ein Kampf um das Vorrecht des Türöffnens. Denn wenn jeder für jeden öffnen möchte, dann ist diese einfache Geste keine Geste der Höflichkeit mehr, sondern ein triumphierendes "Ich war schneller!"

Auf der Strecke bleibt die Höflichkeit, die kleine Geste, jemandem behilflich zu sein, der sich mit einem freundlichen Lächeln bedankt oder zumindest ein unwirsches "das hätte ich auch selbst gekonnt" runterschluckt.

Dieses herausgepickte Beispiel ist natürlich nur ein kleines Tröpfen aus dem großen Universum der Fettnäpfchen. Aber es zeigt eine Tendenz, die man als ungesund bezeichnen könnte. Denn streng genommen, darf der gewisse kleine Unterschied zwischen den Geschlechtern politisch korrekt betrachtet einfach nicht sein. Eine Frau wirklich als Frau zu betrachten ist, egal was man unter dieser schwammigen Formulierung verstehen mag, immer sexistisch, was eigentlich logisch ist, denn eine hübsche Frau nimmt man ja als eine solche wahr, was doch eigentlich etwas positives ist. Oder wollen wir alle nur noch als geschlechtsneutrale Produktions- und Konsumfaktoren zur Kenntnis genommen werden?

Was ist mit der Hausfrau, die stundenlang nach einem besonders aufreizenden Bikini für das nächsten Sommerwochenende sucht, möchte die nicht als Frau wahrgenommen werden? Wenn ja, bringen alle, die das tatsächlich tun, damit zum Ausdruck, dass sie in Beruf und Haushalt eine totale Versagerin ist? Halt, nein, Frauen und Haushalt in einem Satz, das ist ja sowas von politisch unkorrekt, das geht genauso wenig wie ein anerkennender Pfiff oder ein leises "Wow" beim Anblick einer Frau im String-Tanga.

Umgekehrt ist es natürlich auch absolut unkorrekt, beim Anblick eines durchtrainiertes Exemplars des männlichen Anteils der Schöpfung eine weibliche Augenbraue hochzuziehen. Das wäre natürlich Sexismus pur!

Und wenn Sie mich jetzt fragen, was ist politisch korrekt eigentlich noch erlaubt, dann kann ich da lediglich resignierend auf George Orwell verweisen. Er war seiner Zeit nicht nur in Sachen Buchtitel voraus, nein, in seinem Roman "1984" brachte er den Zeitgeist der poltischen Korrektheit aus der Zukunft auf den simplen Punkt: Mann und Frau gehen in ein Zeughaus und dort die Tätigkeit auszuführen, der durch die erste Hälfte des Begriffs "Zeughaus" zum Ausdruck gebracht wird. Das ist wahre politische Korrektheit! Denn auch wenn Orwell damit etwas anders beschreibt, wäre selbstverständlich das Beachten des sogenannten "kleinen Unterschieds" ein verwerflicher Akt des Sexismus, der in seiner positivsten Ausprägung eine hitzige Diskussion mit dem Schöpfer auslösen würde, warum denn ein Geschlecht als das "aufnehmende" geschaffen wurde, wo doch zwei passive Geschlechter politisch korrekt wäre…

Aber vielleicht war dem Schöpfer das alles egal; vielleicht wusste er, dass ein klein wenig Reiberei den Menschen gut tun würde? Äh, Reiberei ist natürlich wieder politisch unkorrekt und könnte total falsch verstanden werden. Streichen Sie das Wort aus Ihrem Kurzzeitgedächtnis und lassen Sie es mich lieber mit Barack Obama formulieren, der im Mai 2008, noch vor seiner ersten Wahl, einer zwischenfragenden Journalistin kurzerhand antwortete: "Warten Sie eine Sekunde, Sweetie...". Natürlich hat er sich auch damals per Anruf entschuldigen müssen. Aber ganz ehrlich: Ein Politiker, ein Führer - ach, das Wort ist ja auch politisch unkorrekt -, also ein Mensch der motivierend, planend und vorausschauend Entscheidungen vorbereitet, diskutiert und abschließend entscheidet und umsetzt, der darf gerne auch mal ein bisschen Mensch sein. Nein, es ist sogar hochgradig erwünscht. Denn jemand, der einer Frau im Eifer des Gefechts ein "Sweetie" an den Kopf wirft, ist mir allemal lieber als ein politischer Technokrat, der Frauen und Männer, beide gleichsam neutral, als reine Produktions- und Konsumfaktoren, als lebende Ausprägungen von Statistiken betrachtet. Ein bisschen Reiberei darf sein, wenn sie halbwegs angemessen und ausgewogen ist und in alle Richtungen geht. Alles andere führt irgendwann zu Orwellsche Verhältnisse. Wenngleich, das mit "Krieg ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei" haben wir eigentlich schon längst umgesetzt. Und das mit "Unwissenheit ist Stärke" werden wir sicherlich auch noch lernen. Zumindest wenn ich Fußball oder Formel-1 im TV schaue und meine Frau mir zuruft, ich solle unserer Tochter die Windeln wechseln, wäre Unwissenheit eine große Stärke - und so manchen Politiker bewahrt Unwissenheit in Untersuchungsausschüssen auch vor so mancher Unbill. Irgendwas Wahres muss wohl dran sein, an Orwells verbalem Dreigestirn. Aber wollen wir das wirklich so in unserem täglichen Miteinander haben - funktionierende, emotionslose Menschen im klinisch sterilen Umgang miteinander?

— 08. April 2013
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