Gewalt ist fehlgeleitete Kraft

Unser tägliches Handeln beleuchtet Christa Schyboll

Dieser Satz fiel heute Abend gegen Ende eines Fernseh-Dramas, nach einer wahren Geschichte (Der Polizist, der Mord und das Kind - 3sat). Es war ein bemerkenswerter Film über Kinder als Gewaltopfer und der schweren Bürde des Schmerzes und unsäglichen Verlustes, den sie zu tragen haben. Zwei Mütter wurden vor den Augen der Kinder von den Vätern der Kinder erstochen.

Es war auch ein Film über Hilfe, Wärme, Vertrauen und Verstehen... Ein Film der Leben und Zukunft gab - trotz schwieriger Umstände. Doch man schaue den Film selbst, falls das Thema interessiert. Ich möchte auf diesen oben zitierten Satz zurückkommen. Er gab mir zu denken und ich erweiterte ihn auf andere Situationen, die nichts mit Gewalt zu tun haben - aber mit fehlgeleiteter Kraft.

Wie viel Verschwendung begehen wir alle an dieser wertvollen Ressource "Kraft", wenn wir nicht die richtigen Dinge tun, sagen, fühlen und zeigen. Wie viele Kräfte vergeuden wir an den falschen Menschen, in unnötigen Situationen, im ungünstigen Augenblick?

Was kostet diese Kraftverschwendung dann wiederum an anderen neuen Kräften, die für die Folgen dieser Verschwendung aufgebracht werden müssen? Auch für Kraftverschwendung zahlt man einen hohen Preis, den es einzukalkulieren gilt.

Ist es nicht so, dass wir alle tagtäglich im unbemerkten Dauermodus auf Kräfte-verschwendung selbst programmiert sind, ohne dass wir es überhaupt noch bemerken? Es beginnt beim Meckern über Kleinigkeiten, die Kräfte rauben, obschon sich durch Meckern (an was auch immer) aber auch wirklich gar nichts ändert. Der Status quo bleibt wie er ist. Aber wir haben uns erst aufgeregt, damit Nerven und Kraft verbraucht, Zeit zerschlissen, die für anderes nicht nutzbar war, uns wieder abgeregt und ... nichts verändert! Eine tolle Bilanz. Wie oft in der Woche?

Die Kraftverschwendung durch Fehlleitung an den falschen Stellen des Alltags, ja des ganzen Lebens, dürfte ein riesiges Potenzial besitzen, dass man bei genügend Wachsamkeit und Aufmerksamkeit auch direkt hätte richtig und sinnvoll leiten können.

Wieder zu viel des theoretischen Idealismus, der praktisch kaum lebbar ist?

Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Fehlgeleitete Kraft, egal ob bei Gewalt oder bei banalen Dingen hat unbedingt auch mit Geistesgegenwärtigkeit zu tun. Diese kann man umso leichter erreichen, je mehr man Gedanken und Gefühle so miteinander in Position bringt, dass sie sich helfend unterstützen. Gedankliche Klarheit und ehrliche, geklärte Gefühle statt wilder Emotionen schaffen die Basis dafür. Schulen wir uns darin, dann könnten aus uns Kraftverschwendern eine Menge neuer Kraftnutzer werden, die die Probleme nicht frustriert beklagen, sondern vor allem viel dafür tun, dass sie verschwinden oder minimiert werden.

Doch wie schult man sich darin? Es gibt zahllose Möglichkeiten. Ich wähle vor allem die, dass ich beim Nachdenken (zum Beispiel über einen Satz im Film - wie hier) mich tief ins Geschehen einfühle, so als wäre ich eine der Hauptbeteiligten. Bin ich tief im Gefühl drin, springt mein analytischer Verstand ein und mischt gesund mit. Klärt Zweifel, Zwiespalt, Sympathie oder Antipathie und kommt infolge dessen zu deutlich sicheren Entscheidungen. Fehler können immer passieren. Dafür sind wir Menschen. Aber als Menschen sind wir eben auch "werdende Götter" in spe.... (auch wenn dieser Prozess aufgrund unserer geistigen Trägheit noch ein paar Äonen dauern wird).

All das ist leichter und schneller geschrieben, als getan. Aber so ist es doch immer mit guten Impulsen. Stecken wir uns an ihnen an, wird sich das Kraftvolle darin in und durch uns entfalten.

(Aus »Verschwundene Texte«, Seite 19ff)

— 05. März 2022
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