Eine schwierige Liaison

Beziehungsstatus: kompliziert - meint Christa Schyboll

Es ist kompliziert. Wir mögen uns nicht. Dennoch haben wir uns als Besitztum und Besitzer gegenseitig noch immer nicht ausgetauscht. Durch Verkauf zum Beispiel. Durch Neuersatz. Denn das löst uns Problem nicht wirklich. Doch auch wenn wir uns nicht sonderlich mögen, bleiben wir uns in einer gewissen Treue verbunden. Da sind wir beide altmodisch.

Es versteckt sich vor mir. Ständig. Es ist fast nie da, wenn ich es spontan brauche. Mein Handy. Oder sollte ich es besser Mobil nennen, weil jede Form von zärtlicher Anbandelung zwischen uns unterblieb.

Andere Menschen haben ihr Handy immerzu griffbereit. Ich muss erst aufwendig auf die Suche gehen. So scheucht es mich treppauf, treppab, treppauf, um niemals da zu liegen, wo ich es vermute. Schlimmer noch. Manchmal liegt es genau da, wo ich es vermute, aber es zeigt sich nicht. Dann renne ich wieder die Treppen rauf oder runter, um es dann anschließend dort zu finden, wo es schon vorher lag… aber sich unsichtbar machte. Das ist doch kein Zufall. Das kann doch nicht nur an meinen Augen liegen. So macht es mich auch noch atemlos. Mich, die ich eh nur schwer Luft kriege, wenn ich mehrfach die Treppen hoch und runter jage, weil ich es in diesen Augenblicken nun tatsächlich einmal brauche. Und zwar dalli! Es mag mich halt nicht. Ich sagte es bereits.

Warum? Vermutlich impfe ich ihm ungewollt Minderwertigkeitskomplexe ein. Also Komplexe im Verhältnis zu seiner restlichen Spezies. Jener modernen Apparatur, die ihren Menschen ganz schön im Griff hat. Jeder hat seinen eigenen. Mich jedoch hat es nicht im Griff. Darüber ärgert es sich maßlos. Ich gönne ihm nicht einmal einen dauerhaften Vertrag. Es ist nur ein Prepaid-Handy und wird nur selten mit 5 oder 10 Euro aufgeladen. Ich finde das gut. Denn es ist preiswert, schön überschaubar.

Allein schon dieser Umstand der spärlichen Aufladung mit Knete könnte schon als Hinweis auf sein ständiges Beleidigtsein gedeutet werden. Damit untergrabe ich seine Wichtigkeit in meinem Leben. Seine wenigen Vorteile, die es für mich persönlich bietet, schätze ich dennoch hoch. Das zeige ich ihm auch, indem ich diese Vorteile ja hin und wieder nutze. Es sind genau zwei Funktionen, von… wieviel Tausenden, die es kann? Ich weiß nicht, was es alles kann. Kochen jedenfalls kann es leider noch nicht. Oder putzen. Und all das wunderbare, das es kann, brauche ich nicht. Leider. Tut mir leid. Aber genau das vergiftet unser Innenklima.

Ich liebe seine Kamera-Funktion und ich liebe es, dass es mit Whatsapp umgehen kann. Mehr braucht es nicht zu können. Das mit der Kamera spart mir viel Zeit beim kreativen Arbeiten. Und Zeit ist ein unbezahlbarer Faktor in meinem Leben. Dafür streichele ich es gern. Wenn ich es denn mal in die Hände nehmen, dieses Handy… dieses unhandlich große, sich ständig versteckende Händehandy.

Der nächste Zeitvorteil: Whatsapp. "Denk an die Orangen." Plus Smiley. Sicherheitshalber Kuss-Smiley. Immerhin will ich etwas von irgendwem. Und der oder die Beauftragte will schließlich geliebt werden. Dem Erfinder des Smileys sein mein höchster Dank hiermit ausgedrückt. Diese Smiley-Funktion, die vermutlich tausend gefühlte Icons birgt, benutze ich mit den immer gleichen drei bis vier verschiedenen Versionen. Weinen, Küssen, Grüßen, Winken… So ungefähr. Das reicht. Das reicht auch für das weitere Beleidigtsein. Denn schon wieder nutze ich zu wenig von den reichhaltigen Möglichkeiten. Stelle mich unkreativ, stur, beratungsresistent. Warum kein Teufelchen oder ein Reh oder ein paar Schuhe? Es gibt doch alles. Doch wartet! Eines habe ich oben vergessen zu erwähnen: die gezündete Bombe. In der Tat, die benutze ich sogar oft, sofern man in meinem Gebrauchsverhalten überhaupt von "oft" sprechen darf. Doch fürchte ich, dass die Bombenbegrüßten meine Smiley-Verwendung gar nicht wirklich begreifen. Denn noch niemals bekam ich dafür ein Lachersmiley zurück, das mir signalisiert hätte: witzig. Du.

Menschen und Smileys und Handys. Was ist da nur für eine neue genetisch-technisch-kreative Kombination einer Spezies, die sich immer seltsamer verhält. Oder bin ich es am Ende, die Miss Merkwürden ist … und merke es nur noch nicht? Alles scheint möglich.

Ich verstehe mein Handy gut, wenn es sich in meinem Besitz hoffnungslos unterfordert fühlt. Sicher jibbert es nach einem Benutzer, der es ständig an sein Ohr hält, der es ständig betatscht und betastet und sich gebärdet, als hätte er seine Geliebte in den Armen. Oder es platziert es fast schon intim nah an seiner Gesäßtasche oder am Herzen. Wo halt gerade Platz ist für das Ding, dieses Dingelchen, das so viel kann… nur eines nicht, mich zu verführen es zu lieben.

Es fühlt sich unterfordert. Ich schrieb es schon. Ich kenne das Gefühl sehr gut. Ich war auch einmal in seiner Situation. Ich hatte mal einen Chef, der mich ständig unterforderte. Das wurde so schlimm, dass ich an meiner Nutzlosigkeit erkrankte. Das wiederum nahm er sensibel zum Anlass, mich nun erst recht und absichtlich noch mehr zu unterfordern, weil ich ja krank war. Kranke darf man niemals überfordern. Ich war so klein, mickrig, mies in dieser Unterforderung, so würdelos, entrechtet, entmenschlicht, dass ich mich trennen musste. So, denke ich, fühlt sich mein Handy. Es würde sich am liebsten von mir trennen. Nur hat es keine Beine. Dafür aber eine Tarnkappe für meine Augen, wenn es unsichtbar sein will. Und dabei läuft diese komplizierte Sache zwischen uns beiden doch ganz anders ab. Nur will es das nicht begreifen. Und wenn ich es ihm erkläre, schaltet es sich aus. Aber es ist ja eh meistens aus. Oder weg. Oder versteckt. Oder sonst wo. Jedenfalls schwer erreichbar.

Und die anderen? Die normalen Menschen in der Welt? Die, die in der Mehrzahl sind, also doch Recht haben müssen mit ihrem so völlig anderen Verhalten, weil sie die Mehrheit stellen? Merkwürdig, kann ich nur sagen, alles sehr merkwürdig. Es ist längst zu einem neuen Körperteil geworden. Einer Verlängerung des Ich oder des Selbst oder der Vernunft oder der Unvernunft, Seele, Geist, Überlebensmotor oder was weiß denn ich! Jedenfalls ein Anhängsel mit starkem Suchtpotenzial.

Das Ohr der Welt klebt daran. Die Augen der Menschheit sind fest darauf gebannt. Der Mund spricht immerfort. Die Finger tippen wie wild. Nur die Nase ist derzeit noch außen vor. Aber das wird schon noch. Da bin ich mir sicher. Der verlängerte Mensch im Apparat.

Verliebt, verheiratet, getrennt, geschieden. Das kommt bei mir und meinem Handy nicht vor. Es sei denn, die Technik zwingt uns irgendwann einmal dazu, weil es für mein Handy keine Batterien mehr gibt. Ähmm… Batterien? Sorry. Es wird ja aufgeladen. Aber vielleicht braucht es irgendwann einmal einen ganz andere Art von Strom, den es dann nicht mehr gibt? Vermutlich sterbe ich aber vorher. Dann hat unsere Verbindung ein natürliches Ende. Verliebt war ich ja niemals in dieses Ding. Eher skeptisch, zweifelnd, experimentierend. Das aber auch wieder nur halbherzig. Eine nüchterne Annäherung, aus reinem Kalkül, was es mir bringt. Zeit. Ja, das bringt es. Aber nur dann, wenn ich es so extrem wenig benutze, dass die eingesparte Zeit am Ende nicht wieder durch Dauergebrauch konterkariert wird. Und das wird sie bei den meisten Menschen, wie ich messerscharf beobachte. Gibt es schon eine Statistik, die Auskunft darüber gibt, wie oft am Tag der menschliche Normalo darauf starrt? Und wenn ja, wieso sind die Dinger nichtlänger verboten? Was kosten sie an geistigen Ressourcen, die für anderes nicht mehr zur Verfügung stehen? Wieso schreitet hier nicht längst der Drogenbeauftragte der Bundesregierung ein? Es geht um einen schwerwiegenden Fall!

Was mich am meisten stört? Die Störung. Also die, die ich hätte, würde ich es auf völlig normale Art benutzen. Ich wäre im Hamsterkäfig eines schrecklichen Info-Infernos gefangen. Ständig irgendwelche lapidaren Kurznachrichten. Ohne jede Lyrik. Ohne innere Musik, ohne jenen Seelenanteil, der mir Wort oder Sprache zum Erlebnis echter Begegnung macht. Kurznachrichten. Die aber lang, dauernd, ständig, von überall her und das so banal, dass man am Staunen darüber schon erkranken könnte.

Ich hasse Störungen. Jedenfalls solche, die mir keinen Genuss bringen. Das Handy bringt mir nicht nur keinen, sieht man hin und wieder von einigen wenigen Bildern und selten notwendigen Whatsapps ab, sondern zwingt mich umgekehrt, auch noch ständig zu antworten, damit ich kein schlechtes Gewissen bekomme… denn Höflichkeit ist mir immer noch wichtig.

Also zeige ich mich uneinsichtig. Schalte es oft tagelang nicht ein, falls ich es doch mal wiederfinde, schaue nicht rauf, tippe nicht drauf herum. Und wenn ich dann mal doch irgendwem antworten will: dann ist es leer.

Das ist Absicht. Das nennt man Rache am Menschen. Das habe ich wohl auch nicht anders verdient. Oder?

Unsere Liaison ist also kompliziert und wird es wohl auch bleiben. Wir bleiben trotzdem zusammen. Immerhin hat es schon fünf oder sechs oder was weiß denn ich Generationen überlebt. Es kommt mir immer noch hypermodern vor. Kein Wunder, wenn man nur zwei Funktionen nutzt.

— 10. Januar 2022
 Top