Brüllaffenhitze

Gedanken über Europa im Fieber vom Christa Schyboll

Noch gibt es Wasser. Noch gibt es Eis nicht nur beim Italiener. Noch gibt es Strom für Kühlgeräte und meinen PC. Sogar noch Gas gibt es für die, die in der Hitze heiß duschen müssen. – Ansonsten dürfen wir uns aber bald warm anziehen, um in der Hitze des Klimawandels zugleich nicht zu unterkühlen. Das klingt absurd, ist aber so. Überhaupt häufen sich die Absurditäten derzeit überproportional, wenn man nur genau genug hinschaut. Täten das viele, könnte Panik hochsteigen.

Wir werden zwar alle mental und psychisch auf harte Zeiten vorbereitet, dennoch ist es mit der Realisierung des Wissens so eine Sache. Tagtäglich erfahren wir in erträglicher Nachrichtendosis, an deren Tropf wir hängen, was uns blüht – respektive demnächst alles nicht mehr blüht und damit auch nicht erntereif wird. Steter Tropfen höhlt nicht nur den Stein, sondern auch gleich das Bewusstsein? Ich glaube, der Stein ist mit seinem Schneckentempo der wässrigen Aushöhlung schneller als das Bewusstsein der Massen, wenn es um schnelle Anpassung geht, die wirksam und nachhaltig zugleich ist. Im Winter haben wir es dann vielleicht endlich über eine ganz andere schmerzhafte Ebene kapiert, dass Tausende Euros mehr für etwas fällig sind, was bisher für jedes Durchschnittseinkommen gut finanzierbar war. Die Zeiten ändern sich. Die Finanzlage auch. Der Mensch nur schwer.

Aber wer checkt das tatsächlich? Unser Verstand schon. Wir sind ja nicht blöd. Unser Gefühl eher weniger. Es bleibt noch gelassen. Noch! Und unser Verhalten hält sich ans Gewohnte. So, wie wir es halt lebenslang kennen: Alles noch da. Alles verfügbar… zumindest im Existenziellen und bei uns hier in Deutschland. Alles also nicht so schlimm. – Der Wald sollte immerhin auch schon vor über 2 Jahrzehnten komplett in Europa verschwunden sein. Ist aber noch da. – Na ja. Noch. Und wie krank und erbärmlich, beschreiben wir hier lieber einmal nicht.

Man muss weder Pessimist noch Hellseher sein, um auch jetzt schon zu wissen: Die Zukunft wird heiß. Nicht nur klimatisch. Nicht nur wassertechnisch. Sondern auch politisch, gesellschaftlich, finanziell, existenziell. Die arm-reich-Schere klafft bald über einem Abgrund ohne Brücke. Lohnt sich Einwandern ins zunehmend heiße Europa noch, sollten sich so manche ernsthaft fragen, die sich noch nicht auf den Weg gemacht haben. Immerhin 100 Millionen (man realisiere die Zahl) sind schon auf Wanderschaft und der Suche nach… ja auch nach Wasser. So schlicht sind manchmal die Gründe. Aber sie fragen sie nicht. Sie kommen. Denn was uns erst als Höhepunkt bald bevorsteht, haben sie schon in ihrer Heimat in der Gegenwart. Aber sie sollten realistisch bleiben und wissen: Bald betrifft es uns alle. Ist das Hoffnung, Trost oder der Totalbankrott?

Die Waldbrandgefahr in vielen Gebieten steigt heute und morgen auf die Höchststufe 5. 38 oder stellenweise werden über 40 Grad werden erwartet. Fehlt nur noch so ein kleines Grillfeuerchen am Waldrand, mag manch ein irrer Pyromane denken! Es ist erst Juni. Die heißen Sommertage flirren meist erst im August so richtig ran. Sollen sie kommen – wir können sie eh nicht verhindern.

Aber Wasser könnten wir schon mal sparen. Ein bisschen wenigstens. Waschen statt Duschen. Das geht! Man mag es nicht glauben. Überhaupt die Sache mit dem Wasser wird vermutlich noch prekärer werden als die mit Strom und Gas. Nicht nur kostenmäßig, sondern vor allem verteilungsmäßig. Wenn man bedenkt, dass unsere sauberen und immer schwächer werdenden Trinkwasserreserven auch für die Industrie genutzt werden, oder fürs Auto zu waschen: Himmelschreiend, dass da immer noch nichts auf zwei Wassersysteme für Brauch- und Trinkwasser seit Jahren umgestellt wurde. Immer zu teuer. Und dann wird es am Ende aber unbezahlbar.

Affenhitze! Brüllend heiß. Europa kocht. Weh dem, der keinen Garten hat. Weh dem, der unter dem Dach wohnt. Oder dort wo die Sonne brutal den lieben langen Sonnentag reinknallt. Weh dem, der gerade mit eigenem Fieber kämpft, ein schwaches Immunsystem hat, keine Kühlung findet. Soll er etwa in den Kühlschrank kriechen? Klappt nicht.

Die ganze Erde ist im Fieber. Und sie findet niemanden, der sie heilt.

Affentheater. Um so viele Kinkerlitzchen und lächerliche Themen auf anderen Gebieten, wo wochenlang drüber debattiert wird. Aber an die ganz großen Themen, die wirklich Existenziellen, wie das Verbot von Brunnenverkäufe in private Hände und viele andere Notwendigkeiten des Über-Lebens: Da ist immer noch niemand zuständig im Sinne letzter Verantwortlichkeit. Man schiebt alles hin und her und her und hin. Und wenn doch mal wieder gesprochen wird, dann wird blockiert, vertagt, bis das Kind im ausgetrockneten Brunnen liegt.

Affentheater! Brüllaffenhitze. - Nur: Die Affen können wahrlich nichts dafür!

— 19. Juni 2022
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