Kraft

Momente, die uns über uns selbst hinaustragen. Von Christa Schyboll

Wo ist das Ende der Kraft? Ist es dort, wo der letzte Funke Glaube und Hoffnung der Verzweiflung weicht? Ist es dort, wo wir uns so tief in uns selbst vergraben, als sei diese innere Hölle die einzige Wirklichkeit des Universums?

Ist es dort, wo unsere Phantasie ihre Flügel erlahmen lässt und in ein Nebelmeer schaut? Das Ende der Kraft ist oftmals aber auch jener vermeintliche Point of no Return, der notwendig ist, um mitten im Leben ein ganz neues Leben zu beginnen.

Wie oft nehmen sich Menschen vor, gewisse Umstände des eigenen Lebens zu verändern. Sie wissen um sich und ihr fehlerhaftes Verhalten, zumal es auf sie selbst immer wieder neu zurückschlägt. Dennoch haben sie gute Gründe, es nicht zu ändern. Der Hauptgrund ist die eigene Schwäche. Die Willensschwäche, die nicht stark genug ist, eine einmal eingefahrene Gewohnheit zu verändern - auch nicht im Wissen darum, dass sie schädigt. Ein gewisses Maß an Schwächen und Schädigungen ist besser für uns alle oft leichter zu schultern als der Kraftakt einer Veränderung. Was Hans nicht lernt?... Leider in vielen Fällen wahr! Zumindest dann, wenn man ungeschult in der Willensstärkung ist. Das betrifft keineswegs nur die vielen bekannten Süchte, sondern auch unsere Denkgewohnheiten oder all die vielen, unreflektierten automatischen Handlungsmuster. Sie haben sich bereits tief in uns eingegraben. Und weil es sich mit den Nachteilen unserer Schwächen trotzdem noch irgendwie leben lässt, begleitet uns diese negative Kraft oft Jahrzehnte durch unser Leben. Wir haben sie gezüchtet und voll verdient.

Das ist schizophren!, vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes aus. Der Mensch ist ein ständig gespaltenes Wesen, das unsinnige Dinge tut, um das es weiß. Da braucht niemand auf eine schizophrene Erkrankung mit seinem Finger zeigen. Wir alle gehören in diesen Kreis. Mehr oder weniger häufig, ohne uns deshalb als pathologisch krank zu fühlen. Wir tun Schädigendes, trotz besserem Wissen. Ob es nun die körperliche Seite unseres Seins betrifft oder die mangelnde Gedankendisziplin. Ob wir soziale Krücken sind oder seelische Zombis: Wir untergraben immer wieder neu unsere eigene Motivation und guten Argumente. Wir bespitzeln uns oftmals auf eine falsche Weise, statt uns selbst zurechtzurücken. Wir tun es, weil die Kraft zur Änderung eben noch nicht jenen verzweifelten Tiefpunkt erreicht hat, dass sie möglich wird.

Gründe genug, das scheinbare Ende der eigenen Kraft auf einem der Tiefpunkte des Lebens auch einmal von einer positiven Seite zu betrachten. Denn nicht selten sind Menschen auch deshalb so „am Ende“, weil sie vorher - wie bewusst oder unbewusst auch immer - eine Reihe von Fehlern lange genug wiederholt haben… und darum auch durchaus wussten. Sonst wäre meist nicht, was ist. Ist man aber dort angelangt, dann ist jener Punkt erreicht, der das Neue tatsächlich erst möglich macht.

Manchmal braucht es den kompletten Zusammenbruch des alten Systems, um ein neues, gesundes zu errichten. Manchmal ist es eine Gnade im Leben, bis zum „Friss oder stirb!“ zu kommen, als Fanal in eine bessere Zukunft. Dieser Kraftmoment kann eine einzige Sekunde sein! Eine Blitzerkenntnis, die ausreicht, wenn man dann seine neue gesunde dann klar Richtung erkennt... und lebt.

— 21. Juni 2013
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