Zwischen Überdruss und Langeweile

Was machen wir mit unserer freien Zeit, fragt Christa Schyboll

Mir ist so langweilig, mault da mal wieder jemand in meiner Umgebung. Zum Glück bin ich es nicht selbst. Wenigstens von diesem Leiden bin ich noch nicht befallen. Aber das ist kein Zufall, sondern ein unzufälliges Erkenntnisglück, an dem ich selbst auch gern arbeite.

Mir ist nie langweilig, weil meine natürliche Neugier auf alles Mögliche immer noch hellwach ausgerichtet ist. Selbst wenn ich krank bin und Schmerzen habe. Mich interessiert einfach ungemein viel. Deshalb schaue ich, beobachte, lese, höre – und nehme wahr, nehme teil, wo immer mir das möglich ist. Ich habe also trotz der sehr vielen Freizeit immer noch viel zu wenig davon angesichts dessen, was mich alles interessiert.

Vielen ergeht es anders. Und das nicht etwa, weil ihnen ein gewisses Maß an Geld fehlt, um interessante Dinge zu realisieren, sondern der Mangel ist ein anderer: Fantasie. Gepaart mit dem Verlust an Lebensfreude, Neugierde, Interesse, Abenteuerlust, Motivation, Sinnesschärfung usw.

Spannendes, Schönes, Erholsames oder Aufregendes kann man auch mit wenig oder ohne Geld erleben. Was man dafür braucht, sind halt die hellwachen Sinne, die das Verborgene erspähen und dabei nicht nur ins Staunen kommen, sondern zur Tat motiviert werden. Potenziell ist das jedem Menschen möglich. Doch was hindert Menschen daran, diese Möglichkeiten zu nutzen? Ich vermute dahinter neben oben erwähntem Fantasiemangel vor allem folgende Faktoren: Bequemlichkeit, Faulheit, Reizüberflutung, Medien-Süchte, dadurch bedingt auch Erschöpfung, die wiederum andere Aktivitäten nicht zulässt oder jede Lust herunterbremst... sieht man einmal von Krankheit oder Depression ab.

Das in Kombination ergibt dann dieses individuelle Giftgebräu, das Unzufriedenheit, Langeweile, Frust oder gar Einsamkeit hervorbringt.

Doch Langeweile kann auch in durchaus gesunder Form erlebt werden. Dann allerdings ist es ein Erholungsfaktor, der uns Kräfte schenkt. Dieses Nichtstun ist dann auch frei von Unbehagen oder Enttäuschung. Hier kann auch eine bewusste oder noch unbewusste Weisheit die Feder führen, wenn man sein Gefühl oder seine Gedanken mit Ewigkeit und Unsterblichkeit verbindet. Das jedoch dürfte bei den meisten Menschen eher erst selten vorkommen. Doch oft ist Passivität mit einem gewissen Frust verbunden, der einerseits Zeit für Schönes raubt und andererseits zugleich einen nötigt, die Zeit irgendwie totzuschlagen. Welch ein Frevel angesichts unserer Endlichkeit!

Keiner weiß, wie viel Zeit jedem Einzelnen von uns in diesem Leben geschenkt ist und wie kurz es unter Umständen sein kann. Da wir sterblich sind, könnte es uns bei etwas Pech auch jeden Tag ereilen. Warum also diese knappe Ressource so verschwenden?

Oder ist es am Ende auch wieder einmal eine Frage des Bewusstseins, dass nicht reflektiert genug ist und all das gar nicht bedenkt?

Wir sollten uns gut überlegen, ob wir unsere Zeit verschlafen und vertrödeln oder ob wir sie mit all unseren Sinnen wunderbar genießen. Faulenzen inbegriffen, wenn es ein vorübergehender Genuss ist.

— 09. November 2022
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