Spurensuche

Über Maulwürfe und Menschen sinniert Christa Schyboll

Maulwürfe sind säugende Lebewesen, die einen Großteil ihres Lebens in der Erde verbringen. Die meisten von ihnen führen eine unterirdisch grabende Lebensweise. Und damit haben sie eine Gemeinsamkeit mit einem Teil der Menschheit, der sich ebenfalls einem gewissen Graben verschrieben hat.

Weder Archäologen noch Goldgräber sind da gedanklich im Spiel, auch nicht die Zechenkumpels oder Diamantsucher.

Gemeint ist der Typus Mensch, der zwanghaft gedanklich nach allem und jedem gräbt. Er gräbt dabei keineswegs immer nur in seinen eigenen Erinnerungen nach Fundstücken, sondern buddelt, scharrt und schaufelt nach Spitzfindigkeiten im Leben, nach den eigenen oder fremden Fehlern, nach Gebrechen, Lastern, Irrtümern, Entgleisungen. Und er wird auch immer wieder belohnt und fündig. Das stachelt ihn an, mit dieser spannenden Suche weiter zu machen. Denn das Leben ist eine wahre Fundgrube für all dies menschlichen Maulwürfe, die in ihren gedanklichen Höhlen Missgriff auf Missgriffe, Macken auf Macken oder auch Dummheiten anderer Menschen und Defekte gehortet haben.

Es ist der Menschen-Typus, der sich selbst dazu auserkoren hat, der Welt zu zeigen, wie schlecht sie ist, wie unvollkommen und bedauernswert. Und immer hat dieser Maulwurf auch gute Gründe und Argumente, wenn er uns seine nackten Tatsachen-Ergebnisse vor die Füße schaufelt.

Manch ein Gärtner rückt dem tierischen Maulwurf, der ganze Äcker vernichten kann, mit Spaten, Gas oder anderen schrecklichen Dingen zu Leibe. Jeder verteidigt sein Reich. Der kleine Maulwurf ist dabei oft der listige und lässt den schlauen Gärtner oftmals dumm dreinblicken. In der Metapher ist es ähnlich. Auch wir können gegen den Maulwurf-Typus, der uns wieder und wieder mit seinen Grabungsergebnissen belästigt, nicht einfach aus unserem Sein wischen. Denn die hervorgezauberten hässlichen Fakten sprechen für sich selbst und sind Tatsachen geschuldet. Der Wirklichkeit des Dunkels, die jedoch nur eine Seite des Seins beleuchtet. Eie wahre, aber auch eine blinde und einseitige dazu. Die andere Seite ist die des Lichtes, die der Maulwurf nicht kennt. So ergeht es auch dem menschlichen Maulwurf, der seine Finger ständig in die Wunden aller Unvollkommenheit legt. Für die durchaus vorhandenen Vollkommenheiten ist ein Blick noch nicht erwacht. Das blendet seine Augen.

Tierische Maulwürfe haben durch ihre Grabtätigkeit auch einen gewissen Anteil an der Bodenbildung. Sie tragen zur Durchmischung der Böden bei. Auch verfrachten sie humusfreies Unterbodenmaterial nach oben. Durch ihren lockernden Einfluss auf das Bodengefüge begünstigen sie ferner die Durchlüftung bzw. bedingt auch die Drainage. Und so ist es auch mit dem Maulwurfs-Mensch und seinen Grabungen nach den Fehlleistungen. Durch sie erkennen wir oft erst überdeutlich, woran weiter zu arbeiten und zu werkeln ist, weil sie uns die Wahrheit immer wieder neu vor die Füße buddeln und damit auch den Boden in uns selbst locker halten.

— 27. Juni 2013
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