Zeitlose Musik

...muss nicht zwangsläufig klassisch sein, meint Tom Borg

Es gibt Melodien Songs die bei uns ein Gefühl auslösen, an dem sich auch über Jahre oder Jahrzehnte nichts ändert. Und das muss nicht unbedingt etwas mit Erinnerungen von irgendwann zu tun haben. Manche Songs machen uns immer wieder fröhlich oder schwermütig, ruhig oder aggressiv.

Es gibt Lieder, die begleiten uns ein ganzes Leben und haften in unserer Erinnerung besser als es jeder Notizblock festhalten könnte. Musik, egal ob sie nun frei nach Wilhelm Busch mit Geräusch verbunden oder einfach nur "IN" ist, spricht unsere Gefühle an - im Positiven wie auch Negativen und versetzt uns damit in die Lage, uns an Dinge zu erinnern, die wir ansonsten schon längst vergessen hätten. Oder wissen Sie noch, wer am 24. Juni 1988 Nummer 1 in den spanischen Musikcharts war? Nein? Aber wenn ich frage, welcher Song während Ihres Spanien-Urlaubs 1988 ständig gespielt wurde, dann wissen Sie es sofort. Der Song und die Sommernächte von anno dazumal fallen Ihnen sofort wieder ein. Auch ein alter Mensch, der das meiste aus seiner Schul- und Jugendzeit vergessen hat, kann garantiert auch noch bis auf seine letzten Tage wie aus der Pistole geschossen sagen, welches Lied bei seiner (ersten?) Hochzeit gespielt wurde, als er mit seiner Neuvermählten den Hochzeitstanz absolvierte.

Aber nicht nur mit konkreten Ereignissen verbinden wir Musik, auch mit speziellen Gefühlen. Es gibt Melodien Lieder - pardon, heutzutage sagt man Songs - die bei uns ein Gefühl auslösen, an dem sich auch über Jahre oder Jahrzehnte nichts ändert. Und das muss nicht unbedingt etwas mit Erinnerungen von irgendwann zu tun haben. So hat meine Tochter nicht nur ein Lieblingslied zum Randale machen, sondern neuerdings eines zum Einschlafen. Und sie kann mit ihren knapp 9 Monaten ganz sicherlich noch nichts mit "cooler" Musik anfangen. Ihr gefällt etwas oder auch nicht. Vieles änderte sich in den ersten 9 Monaten immer wieder. Aber seit sie ihren "Spaghetti-Song" kennt, findest sie den toll. Sie tobt und lacht, wirbelt mit den Armen und ist richtig gut drauf, wenn ich den anstelle. Und vor 4 Wochen passierte es, dass ich beim Klicken auf meine Oldie-MP3s, deren Audio-CDs längst ins hinterste Regal entrückt sind, einen Stefan Remmler Song erwischte: Turaluralu. Und ich traute meinen Augen nicht - schon nach dem halben Song wurde mein Quälgeist schläfrig. Ich drückte geistesgegenwärtig auf die Endlos-Taste - und bei der zweiten Wiederholung war mein Schreihälschen fest eingeschlafen. Tage später probierte ich es spaßeshalber nochmal aus - gleiches Ergebnis. Seitdem ist sie regelmäßig zu Stefan Remmler eingeschlafen. Ich habe dieses Lied seitdem zwangsläufig auch mehrfach hören müssen und muss gestehen: irgendwas hat der Song. Ich hatte schon immer ein gespaltenes Verhältnis zu Stefan Remmler und ganz besonders seinen Solo-Songs. Ist eigentlich nicht mein Geschmack, aber irgendwas hatten sie, dass ich sie doch zur Kenntnis genommen hatte. Und, ganz ehrlich, wer auf "wir haben viel gelacht" ein banales "soviel Sterne in der Nacht" reimt, der muss doch ein Künstler sein... *g* Und tatsächlich, wenn man den Text nicht so ernst nimmt, ist es eine Melodie, die durchaus eine leicht schwermütige Stimmung verursacht, wenn man sich darauf einlässt. Auch rund 30 Jahre nach seiner Aufnahme versprüht der Song ein gewisses Etwas, das man nicht unbedingt mögen muss, aber wenn man sich auf Melodie und Harmonie einlässt, dann kommt tatsächlich eine leichte Müdigkeit auf - nicht nur beim Töchterchen, nein, auch bei ihrem Papa...

Auch meine spätjugendliche Nichte, die eigentlich auf RAP und dergleichen abfährt (wo kommt sie eigentlich an?) beurteilt Rod Stewards "Sailing" mit "kann man anhören"; und Santanas "Samba pa ti" bringt auch die heutige Generation noch zum träumen. Ich habe zwar nie herausgefunden, welches Kraut Carlos Santana rauchte, um so eine Melodie zu spielen, aber sie ist einfach zeitlos und könnte beim engen Kuschel-Blues stundenlang weitergehen ohne dass man genervt wäre.

Musik kann eine Droge sein, mit all ihren positiven und negativen Wirkungen. Und an deren Polarität ändert auch die Zeit nichts. Ein Song, der richtig unter die Haut geht oder aufpuscht, der erzielt die gleiche Wirkung auch noch nach Jahrzehnten - ohne dass irgendein Kulturpapst seinen Segen dazugeben müsste.

Eingefleischte Liebhaber der klassischen Musik werden jetzt sicherlich mit dem Kopf schütteln und zu bedenken geben, dass Beethoven, Mozart und Haydn zwei Jahrhunderte überdauert haben. Dem ist natürlich nichts entgegenzusetzen außer dem Hinweis, dass in unserer schnelllebigen Zeit, insbesondere wenn es um Musik und Medien geht, 30 Jahre schon eine ziemlich lange Zeit sind. Immerhin gibt es Charts-Stürmer, die mehrfaches Platin holen und nach einem Jahr entweder vergessen oder so abgenutzt sind, dass selbst treue Fans die Songs einfach nicht mehr hören mögen.

Zeitlos fängt deshalb bei mir durchaus auch schon bei 30 Jahren oder gar weniger an. Wer in unseren medienpräsenten Zeiten mehr als 10 Jahr erfolgreich übersteht, dem kann man wohl per se ein gewisses Etwas nicht absprechen. In diesem Sinne bringt auch unsere heutige Zeit immer wieder zeitlose Lieder hervor, die auch viele Jahre später immer noch nichts von ihrem Zauber verloren haben. Und das ist doch immerhin ein Lichtblick in diesem so viel gescholtenen Medienzeitalter...

— 16. Juni 2012
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