Abfraßtag

Aus der persönlichen Sicht von Christa Schyboll

Ich bin passionierte Kleingärtnerin. Also solche wird meine Nächstenliebe ständig neu auf die Probe gestellt. Jahr ein, Jahr aus. Vor allem das Gebot: „Du sollst nicht töten!“ schlägt mir bei jedem Kontrollgang Gewissenslöcher in die wutentbrannten Gedanken.

Mein Zorn gilt meinen winzigen Mitlebewesen. Dem so genannten Ungeziefer. Es so zu betiteln, ist vermutlich Öko-Rassismus. Denn natürlich weiß ich um die weisheitsvolle Intelligenz der Schöpfung. Sie hat alles perfekt gerichtet. Bis auf den Menschen. Und weil der Mensch so halbwegs misslungen ist, hat dieser mit dem Rest der Schöpfungsordnung ein Problem. Und eines davon heißt: Ungeziefer!

Wie sehr es jedem Kleingärtner das Leben zur Hölle machen kann, wissen nur die, die eben wenig gewillt sind, sich in Giftwolken zu hüllen und diese anschließend mitsamt dem Ernteergebnis mit zu verzehren. Will man dem Ungeziefer auf natürliche Weise zu Leibe rücken, dann handelt es sich zwar immer noch um Gartenmord, aber auf eine möglichst schonende Weise. Ob das Ungeziefer das auch so sieht, wage ich zu bezweifeln. Ökologisch schonend um die Ecke gebracht zu werden, weil man um denselben Kohlkopf streitet, ist vermutlich für ein Mordopfer nicht so entscheidend wie die Tatsache: Wer gewinnt? Der gedungene Mörder oder das Kleinzeugs, das man oft nicht einmal richtig heraus waschen kann?

Ungeziefer sind kleine, manchmal klitzekleine Tierchen. Damit wir unseren Mordauftrag ethisch begründen können, nennen wir sie auch gern Schädlinge. Denn sie schaden uns bei der Ernte. Dem Kohlkopf schaden sie jedoch keineswegs mehr als der Mensch, der ihn ja auch gerne verzehren möchte. Den Pflanzen dürfte es ziemlich gleichgültig sein, von wem sie geerntet werden. Lästlinge sind sie! Manchmal richtig Ekel erregend. So zumindest müssen wir sie anstarren und etikettieren, damit uns am Ende nicht noch das schlechte Gewissen bei unseren Tötungsabsichten in die Quere kommt.

Abhilfe verspricht der 6. September. Das ist der Magnus-Tag. Magnus wirkte im 8. Jahrhundert in Füssen und war ein sehr frommer Mann. So fromm, dass man ihm zutraute, bei Gott doch Milde zu erbitten. Milde gegen den Abfraß von Kohl und Salat, Rübchen, Blättern und Blüten. Früchten, Getreide und alles Essbare überhaupt. Magnus anzurufen ist vielleicht nicht die moderne Art eines Versuchs, einen überzeugenden Ernteeintrag für die Müh und Plage der Kleingärtnerei zu erwirken, aber doch zumindest eine humane. Schaden kann der Versuch zumindest nicht.

— 06. September 2013
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