Pflichten

Lästige Pflichten oder verpflichtende Last? hinterfragt Christa Schyboll

Die Sache mit den Pflichten ist ein zweischneidiges Schwert. So sehr uns Pflichten manchmal um den Verstand, zumindest aber zeitweise um unsere gute Laune, bringen können, so sehr können sie aber auch zur Beruhigung des Lebens beitragen. Sie können Sicherheit geben, Zuverlässigkeit spüren lassen und auch Rhythmen, die letztlich als gesund empfunden werden.

Pflichten sind keine Gesetze, dennoch innerhalb von Gesetzen wirksam, insofern diese zu erfüllen sind. Weigert man sich, gibt’s Ärger, der massiv sein kann. Pflichten sind in der Regel entweder selbst auferlegt, von der Gesellschaft als Erwartungsdruck weitergegeben oder einer Autorität so anempfohlen, dass man sich ihnen nur schwer entziehen kann.

Ihr Kennzeichen ist, dass sie in der Regel kein "Müssen", sondern ein "Sollen" sind. Dieses „Sollen“ – wer immer es von einem abverlangt – kann jedoch auch dennoch als Zwang empfunden werden, dass mehr nach „Müssen“ statt nach "Dürfen" innerlich nachklingt und so manche Pflicht auch unfrei sein lässt.

Je freier ein Individuum entwickelt ist, um so mehr wird es sich dagegen wehren, Pflichten von außen her aufgedrängt zu bekommen, sondern lieber so zu handeln, wie es das eigene Gewissen verantwortet. Auch wenn es unter Umständen gegen den Mainstream ist und die Folgen der "Pflichtverletzung" dabei selbstverständlich mit ein kalkuliert hat und dann auch trägt.

Nicht selten hängen Pflichten auch mit den Begriffen der Moral zusammen, die sich je nach Zeit und Gesellschaft jedoch äußerst unterschiedlich darstellt. Es gab Zeiten, wo blinder Kadavergehorsam gegenüber staatlichen Institutionen, Lehrern oder auch den eigenen Eltern über allem stand. Die unbedingte Pflichterfüllung war Usus und brachte die Freigeister, die nach Selbstbestimmung strebten, schon zu allen Zeiten in heftige innere und äußere Kämpfe der Auflehnung gegen diese Pflicht. Eine Reihe von gesellschaftlichen Zuständen kann geradezu dazu zwingen, sich der Pflichtverletzung schuldig zu machen, wenn man im Handeln wahrhaft menschlich bleiben will. Hier bietet nicht nur der Nationalsozialismus mit seiner Pflichterfüllung grausame Anschauung, sondern jede menschenunwürdige Diktatur, die den Menschen letztlich zum sklavischen Befehlsempfänger degradiert.

Doch auch in minder schweren Fällen kann dies in häuslichen privaten Bereichen immer noch passieren, wenn der Faktor Macht eines Menschen eine ungesunde Dominanz über andere Menschen erfährt.

Nun werden aber Pflichten nicht nur aus Überzeugung oder Freiheitsimpulsen übertreten, sondern oft auch aus Faulheit, Belanglosigkeit, Gleichgültigkeit oder sozialer Kälte. Hier ist die Pflichtverweigerung letztlich völlig anders zu bewerten als im Falle eines ethischen Motivs, selbst wenn die Wirkung für die Sache (Pflichtverweigerung) die gleiche ist und etwas, was getan werden sollte, in beiden Fällen gleichermaßen unterbleibt.

Wann immer man individuell in die Lage kommt, Pflichten zu verweigern, ist also die Gewissensprüfung und die Risikoabschätzung von höchstem Wert, bevor man Nägeln mit Köpfen macht, deren Köpfe sich schneller als geköpft erweisen, als der Rest des Nagels in die Wand dringt.

— 04. Oktober 2011
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