Bundesregierung empfiehlt Verzicht auf E-Mail und Internet?

So muss man jedenfalls Bundesinnenminister Friedrich verstehen, meint Tom Borg

Die Einstellung "was technisch möglich ist, wird auch genutzt", ist eine Bankrotterklärung der Politik, die Kapitulation vor der rohen Gewalt der Macht. Man sollte nicht alles hinnehmen müssen, nur weil es technisch möglich ist. Es gibt auch Grenzen der Moral und Gesetz. Und eine Regierung sollte sicherstellen, dass diese angewendet werden.

Bundesinnenminister Friedrich hat es nicht leicht diese Tage. Seine Bürger und Wähler wollen Auskünfte zu Vorgängen, zu denen die Verantwortlichen, die vermeintlichen Freunde auf der anderen Seite des großen Teichs, keine echten Informationen herausrücken. Verständlich, dass ein deutscher Innenminister von nix Ahnung haben kann. Er hat mein vollstes Mitgefühl für seine unerfreuliche Situation. Aber die Art und Weise wie er diese kundtut, ist so ziemlich das saudämlichste, das ich je von einem amtierenden Minister gehört habe: "Die technischen Möglichkeiten zur Ausspähung existieren nun einmal, deshalb werden sie auch genutzt." Aha! Und im gleichen Atemzug: Aua!

Lieber Herr Friedrich, es ist zweifelsohne auch technisch möglich, in einem Auto mit 100 km/h durch eine verkehrsberuhigte Zone zu brettern. Also wird das auch gemacht - und wir alle müssen uns danach richten…? Eltern, die sich um ihre Kinder sorgen, sollten diese vorsorglich zuhause einschließen bevor sie unter die Räder kommen?

Was soll der Bürger denn tun, wenn amerikanische Firmen den Geheimdiensten dabei helfen, auf E-Mails zuzugreifen, bevor diese verschlüsselt werden? Was tun, wenn die Dienste, die man nutzt, den Nachrichtendiensten Zugriffe ermöglichen, die alle Schutzmaßnahmen ins Leere laufen lassen? Das Internet nicht mehr benutzen? Das wäre die einzige nachhaltig hilfreiche Maßnahme, wenn man den Worten des Bundesinnenministers und der damit preisgegebenen Geisteshaltung folgen will.

Doch es gibt viele Stimmen, die völlig anderer Meinung sind. CDU-Politiker Norbert Blüm bracht es unverblümt auf den Punkt: "Nicht alles, was nicht verboten ist, ist deshalb erlaubt.". Klaus Kinkel von der FDP, die ansonsten ja allem gerne freien Lauf lässt, meinte einmal: "Im Rechtsstaat muss nicht alles zulässig sein, was fachlich und technisch geht." Der international geachtete ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker formulierte es mit den Worten "Nicht alles, was Menschen technisch und ökonomisch fertigbringen, dürfen sie der Natur zumuten." und SPD-Genosse Frank-Walter Steinmeier sagte dazu: "Nicht alles, was vorstellbar ist, darf auch politisch gangbar gemacht werden. Es gelten die Grenzen des Grundgesetzes. Die lassen sich nicht überspringen wie ein Gartenzaun."

Kontra also von Freund und Feind gleichermaßen, was auch nicht weiter verwunderlich ist. Denn die Einstellung "was technisch möglich ist, wird auch genutzt", ist eine Bankrotterklärung der Politik, die Kapitulation vor der rohen Gewalt der Macht. Unabhängig davon, ob ein Schutz vor Ausschnüffelei überhaupt möglich ist, ohne sich zurück in die Steinzeit zu begeben, ist die Nutzung von allem was technisch möglich ist, ein Freibrief zur Anarchie, Ausbeutung aller Abhängigen durch technische Dominanz Weniger. Ist das wirklich die Meinung der Bundesregierung anno 2013 - wenige Wochen vor der Bundestagswahl?

Mit Verlaub, Herr Bundesinnenminister, technisch möglich ist auch, dass wir alle einfach nicht zur Wahl gehen oder generell Protest statt etablierte Parteien wählen. Soll es auch genutzt werden? In Anlehnung an die Empfehlung, dass der Bürger auf den Schutz seiner Daten achten müsse, könnte ich nun auch analog formulieren, dass Politiker selbst drauf achten müssen, dass ihnen die Wähler nicht abhandenkommen.

Aber all das ist eigentlich eine Verniedlichung der Aussage "Die technischen Möglichkeiten zur Ausspähung existieren nun einmal, deshalb werden sie auch genutzt." Wer so etwas in seiner Eigenschaft als Bundesinnenminister öffentlich zum Besten gibt, der hat den letzten Rest des Vertrauens seiner Bürger verzockt und ist reif für den Ruhestand - und das nicht erst nach der nächsten Wahl, sondern jetzt sofort…! Technisch möglich ist das auf jeden Fall… ;-)

— 17. Juli 2013
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