Ist Angela Merkel peinlich?

In gewisser Weise vermutlich, meint Eberhard Voß

Vor Angela Merkels Besuch in Washington haut der republikanische Senator John McCain mächtig auf die Pauke: Angela Merkel sei "peinlich". Vermutlich hat er recht, aber anders als beabsichtigt. Als peinlich empfinde ich als Deutscher, dass wir den Amerikanern so tief in den Allerwertesten kriechen, wie selten zu vor.

Peinlich ist für mich als Europäer, dass unser Kontinent so katastrophal von den Beziehungen zu den USA abhängt, dass wir uns letztlich alles gefallen lassen müssen. Einzig noch peinlicher ist, dass andere dies auch noch als akzeptabel empfinden. Andreas Horchler aus dem HR-Hörfunkstudio Washington kommentierte Merkels Besuch bei Obama mit "Keine Freundschaft, aber Ergebnisse". Also Ergebnisse gab es auch nach den Ausschreitungen in der Ukraine: einen Haufen Tote.

Zweifelsohne haben die USA und Europa, insbesondere Deutschland, gelegentlich unterschiedliche Interessen - und ausgerechnet McCains Vorwurf der Lobby-gesteuerten Politik eint USA und Europa, denn auf beiden Seiten des Atlantiks sind den Mächtigen die Finanzmärkte wichtiger als menschliche Schicksale. Das könnte, nein sollte, uns allen ganz besonders peinlich sein.

Doch eine deutsche Bundeskanzlerin "peinlich" zu nennen, weil sie nicht in gewünschter Weise hart durchgreift, ist schon ein starkes Stück. Denn würde sie konsequent durchgreifen, müsste sie dem amerikanischen Präsidenten vor der versammelten Weltpresse ins Gesicht sagen: "Barrack, Du bist Präsident einer Horde verlogener Betrüger". Denn verlogen ist es, was die USA mit uns als ihren angeblichen Verbündeten tun.

Zuerst hörte die amerikanische NSA die Bundeskanzlerin in bester KGB-Manier ab und legte ein Dosier über sie an. Als das aufflog sollte es zur Abkühlung der Empörung ein "No-Spy"-Abkommen geben, das jedoch nie ernst gemeint war, weil die NSA sich das Spionieren nicht verbieten lassen. Inzwischen ist alles wieder beim Alten. Das NSA-Beben hat zwar Europa durchgerüttelt, doch die Konsequenzen bleiben aus, weil Europa es sich schlichtweg wirtschaftlich nicht leisten kann, mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Wäre Angela Merkel so konsequent wie McCain dies fordert, dürfte sie einem amerikanischen Präsidenten nicht einmal die Hand reichen, ohne sich vorher Latexhandschuhe überzuziehen.

Doch das wirklich peinliche daran ist nicht der politische Bezug der ganzen Affäre(n), sondern die stille Durchdringung unserer ganzen Gesellschaft mit dem Virus der wirtschaftlichen Opportunität. Wir beurteilen Vorgänge längst nicht mehr nach moralischen oder gar christlichen Maßstäben. Einzig der Nutzen zählt, das Ergebnis eben. Wie es zustande kam, welcher moralische Preis dafür gezahlt werden musste, das ist heutzutage unbedeutend. Und das sollte uns allen peinlich sein!

Wofür steht eigentlich das "C" in den Namen Regierungsparteien? Und zu welchem Gott betete Präsident Bush, der - wie man sagt - jede Kabinettssitzung mit einem Gebet begann? Die Hälfte der 10 Gebote wird von den Regierenden diesseits und jenseits des Atlantiks täglich so oft gebrochen, dass man dafür ein eigenes Statistikbüro beschäftigen könnte. Und das ist abseits aller politischen Differenzen ein Grundübel, das uns allen peinlich sein sollte. Und es wird spätestens dann oberpeinlich, wenn wir dereinst vor dem Jüngsten Gericht dem Weltenrichter erklären müssen, warum wir dabei mitgemacht haben. Vielleicht sollten wir anfangen, wieder mehr auf die Stimme des Herzens zu hören und unser Handeln mehr an der christlichen Moral ausrichten. Die Bevormundung durch die Kirche haben wir zwar überwunden, doch das Befolgen von zumindest zwei Drittel der 10 Gebote wäre sicherlich für unser Zusammenleben, auch auf internationaler Ebene, hilfreich. Aber wenn interessieren schon die Gefühle der anderen, wenn einzig Ergebnisse zählen…?

— 05. Mai 2014
 Top