Die Freude über den Schaden Anderer

Warum empfinden Menschen Freude am Pech der Mitmenschen, fragt Christa Schyboll

Schadenfreude kann jeden Menschen treffen. Und die meisten Menschen haben es sowohl als Opfer wie auch schon als Täter erlebt und kennen beide Seiten der Medaille.

Es mag Menschen geben, denen das Gefühl der Schadenfreude unbekannt ist. Ihre Zahl dürfte überschaubar sein. Denn es hat ja Gründe, dass die Spezies Mensch dieses Gefühl im Laufe der seelisch-geistigen Evolution einmal entwickelte.

Mehr Menschen jedoch wird es geben, die wahrheitswidrig behaupten würden, dieses Gefühl sei ihnen gänzlich unbekannt, wenn man sie danach befragt. Der vermutliche Grund für die Verneinung: Sie schämen sich für dieses Gefühl. Sie wollen es nicht, aber es bricht sich immer wieder einmal hier, einmal dort Bahn. Je nach Person, Ereignis und gemeinsamen Lebenszusammenhang. Sie wissen genau, dass man mit Schadenfreude kein Ruhmesblatt in der Agenda der eigenen Gefühlsskala aufblättert.

Deshalb gehört dieser weit verbreitete Typus mehr zu jenen, die Schadenfreude "nur" klammheimlich empfinden. Da wird ein Opfer nicht offen ausgelacht, da wird mehr im Inneren heimlich gefeixt. Dieser Typus hat nämlich bereits ein erstes Feingefühl für die bösartige, negative Seite dieser hochkommenden Emotion, die noch ein Teil von ihm ist. Hier ist jedoch bereits eine Selbstreflektion am Werk, die zumindest verhindert, dass das aufsteigende Böse im eigenen Inneren jetzt auch noch ungezügelt Raum im Außen bekommt. Dass es dennoch oft vom Opfer bemerkt wird, entgeht ihm oft.

Weniger bis überhaupt nicht selbstreflektiert sind all diejenigen, die Schadenfreude offen vor sich hertragen und diese auch laut und unmittelbar ausleben. Sie verhöhnen oder verspotten vielleicht die Opfer, denen Pech zugestoßen oder ein Missgeschick passiert ist. Manche Leute überschütten das Opfer auch mit Sarkasmus oder Häme.

Dieser Typus ist auf seine Weise ehrlich in seinen noch eiskalten Gefühlen. Manche sind bösartig, rachsüchtig – in jedem Fall aber offen schadenfreudig. Hier findet deshalb nichts mehr klammheimlich statt, weil man sehr gerne das bestehende Unglück vergrößern möchte.

Schadensfreude als Beziehungstat

Schadenfreude kann jeden Menschen treffen. Und die meisten Menschen haben es sowohl als Opfer wie auch schon als Täter erlebt und kennen beide Seiten der Medaille. Ob dieses Erleben jedoch immer auch mit einem hellwachen Bewusstsein für den Ablauf einherging, ist entscheidend. Denn solange man die Zusammenhänge nicht durchdringt, wird man lange in einem Hamsterrad des Unverständnisses laufen müssen und kann dieses negative Gefühl nicht so schnell überwinden. Solche Überwindung braucht Reife und Menschenliebe, die universellen Charakter trägt und keine Beliebigkeit von Person zu Person.

Die Realität hat aufgrund ihrer dualistischen Gegebenheiten (gut-böse, Recht-Unrecht usw.) zuhauf Neider und Missgünstige in der Welt hervorgebracht. Menschen, die anderen Mitmenschen fast alles neiden, weil ihr eigenes Leben leer und traurig ist oder sich zu viel an Frust gesammelt hat, der sich in solchen Momenten beim Unglück eines anderen Bahn bricht. Dabei spielt es oft keine Rolle, ob der Neider oder Missgünstige die "Dinge" selbst besitzt oder nicht… er neidet es in jedem Fall, weil seine niederen Gefühle eben noch so sind wie sie sind. Und warum sie so sind, versteht er noch nicht.

Häufig liegt jedoch bei einer Schadenfreude eine emotionale Beziehungstat vor, die meist schon eine ältere "Geschichte" hat. Diese "Geschichte" kann eine einseitige oder auch beidseitig empfundene Angelegenheit sein. Kennzeichen ist meist: Sie wurde niemals aufgearbeitet. Die Gründe des Nichtaufarbeitens können dabei vielfältig sein. Passiert nun einem der schicksalhaft miteinander verbundenen Personen eben etwas Unangenehmes, kann sich die Schadenfreude offen oder versteckt heftig Bahn brechen. Manch einer sieht es als eine Art "göttliche" oder "schicksalhafte" Gerechtigkeit an, dass da dem anderen nun etwas Negatives passierte, das subjektiv gefühlt doch schon lange "überfälllig" war. Dabei hat der Schadenfreudige oft nicht einmal den geringsten Anteil am aktuellen Unglück, sondern ist oft nur Zaungast des Missgeschicks. Wichtig ist ihm nur, dass es den Kontrahenten bis ins Mark traf. Das erst bringt dann oft die Befriedigung der niederen Gefühle in sich selbst. Ein heimlicher, langgehegter "Wunsch" nach "Ausgleich" geht in Erfüllung. Ohne starke Emotionen beim Opfer hat Schadenfreude auch beim anderen keinen Nährboden.

Die Überwindung des inneren Schweinehundes

Besonders häufig kommt die Schadenfreude bei all jenen vor, die echtes oder vermeintliches Unrecht erlitten haben und sich nach einem inneren Ausgleich durch das Leben an sich sehnen. Hier wird die Frage der Gerechtigkeit, die auf einer juristischen oder sachlichen Ebene nicht ausgetragen werden kann, zur Sache einer gefühlt "höheren" Instanz – selbst dann, wenn man sie "Zufall" nennt, den man zugleich aber nicht als zufällig, sondern mehr als "geschickt" empfindet.

Es gibt aber auch eine Reihe von Menschen, die ganz grundsätzlich ein Gefühl von Neid und Missgunst in sich tragen. Hier braucht es keine Vorgeschichte. Manch einer fühlt sich als ein zu kurz Gekommener im Leben. Andere fühlen sich von der sozialen Umwelt vernachlässigt und versäumten es bisher vielleicht, einmal Ausschau danach zu halten, wie viel sie denn selbst in dieses WIR mit ihrer Gemeinschaft an wirklich Wertvollem mit einbringen. Einer Reihe von Mitmenschen ermangelt es aber auch an der gesunden Haltung zum Leben, das kein fröhlicher Selbstbedienungsladen für Egoisten ist. Um Frucht zu erhalten, ist vorher zu säen und davor der Boden vorzubereiten. Hier fehlt es oft noch am Überblick über den eigenen Anteil am höchstpersönlichen Unglück. Treffen diese dann auf Menschen, denen es richtig gut geht, stehen Neid, Missgunst oder Schadensfreude gleich Schlange.

Mit der offenen Schadenfreude geht oft auch eine Demütigung einher, die dem Pech-Opfer oder dem Unglücklichen mehr als doppelt zusetzt. Denn ist das Unglück an sich nicht schon groß genug, müssen dazu nun auch noch die emotionalen Belastungen durch Häme oder Ironie noch zusätzlich ertragen werden – statt ein aufbauendes Verständnis vom anderen zu bekommen. Nur wahres Verstehen kann sinnvoller Trost sein, der über das oftmals als demütigend empfundene bloß bedauernde Lippenbekenntnis hinausgeht.

Die Herzkraft als Ausweg aus dem Hamsterrad

Die versteckte, klammheimliche Schadensfreude ist nicht immer "sicher" auszumachen. Man erfühlt sie jedoch häufig bei dieser oder jener Gelegenheit, auch wenn sie vehement verneint wird. Denn vom klammheimlichen Schadenfreudigen geht oft eine ganz bestimmte Ausstrahlung aus, die vielen Opfern nicht entgeht, sofern sie schon feinfühlige Antennen für die nonverbalen Äußerungen entwickelt haben und nicht mehr der Gefahr der Projektion unterliegen. Doch diese Empfindungen entziehen sich meist dem Beweisbaren und sind mehr auf der Skala der inneren Erfahrungen zu verbuchen.

Wer genau beobachtet, weiß längst, dass doch nicht nur allein Worte dasjenige sind, das sich beredt ausspricht. Es ist doch immer die Gesamthaltung zum anderen an sich, die sich zahllos verschieden kundtun kann und Zeugnis über die wahre innere Haltung Auskunft gibt… über jedes gesprochene oder nicht gesprochene Wort hinaus.

Ein Überwinden der Schadenfreude in sich selbst, braucht eine Herzkraft der Liebe, die alle Menschen einschließt. Vor allem jene, mit denen man Probleme hat. Dieser Prozess ist ein notwendiger Akt in vielen Schritten, der nicht von Behauptungen lebt, sondern von der erlebbaren Tat an sich. Große und hehre Worte sind schnell gesprochen – aber das Herz selbst lässt sich nicht korrumpieren, wenn es fühlt. Das Erüben der Überwindung ist ähnlich dem der anderen negativen Eigenschaften, die so gut wie alle Menschen in sich tragen… mögen sie sich dessen bewusst sein oder auch nicht.

Die positiven Alternativen als Repertoire des Möglichen und des Zukünftigen stehen uns jedoch auch alle ausnahmslos zur Verfügung, wenn wir sie denn nur anstreben wollen. Menschen, die daran bewusst und willentlich wirken, werden die rechten Worte beim Unglück des anderen finden - oder auch das rechte Schweigen. Damit wirken sie konstruktiv an den schönen Zukunftskräften des Pechvogels mit nach dem Motto: Wer hinfällt kann auch wieder aufstehen und neu über sich hinauswachsen.

Schadenfreude kann in gefühlt harmlosen oder in schwerwiegenden Zusammenhängen des Lebens vorkommen. Wünschenswert jedoch ist ihr Abbau, weil er zum Unglück noch weiter Ungutes hinzufügt. Möglich ist dies z.B. auch durch eine ehrliche Selbstkritik, die vom Willen getragen ist, den inneren Schweinhund in ein liebevolles Miteinander zu gestalten - auch und gerade mit jenen, mit denen man es aus vielen Gründen schwerer als mit anderen Zeitgenossen hat.

— 06. April 2016
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