Klappe halten – oder beredt schweigen

Zwischen Gold, Silber und schepperndem Blech taumelt Christa Schyboll

Ich gehöre zu denen, die ebenso gern reden, wie auch gern schweigen. Es kommt allein auf die Situation an. Langweilen mich Menschen allzu sehr, dann muss ich zwangsläufig reden. Aus Selbstschutz. Oder umgekehrt: Ich ziehe mich, wenn man mich lässt, ins Schneckenhaus meiner Gehörarmut zurück.

Insofern weiß ich allzu genau, dass Reden nicht nur Silber und Schweigen nicht nur Gold ist, sondern beides kann umgekehrt auch einfach nur schepperndes Blech sein. Soweit mal wieder zum Wahrheitsanspruch mancher Zitate.

Denn Schweigsame sind beileibe nicht immer die Wissenden oder über den Dingen Stehende, die sie oftmals gern vorgeben, sondern nicht selten auch diejenigen, die schlicht und einfach nichts zu sagen haben. Und in solchen Fällen ist Schweigen tatsächlich Gold, weil damit eine böse Attacke auf die Nerven der Zuhörenden vermieden wird.

Wer schweigt, kann dennoch sein Nichtwissen jedoch leicht mit gespielter Aufmerksamkeit und Lächeln kaschieren. Während wiederum beim Reden die Offensichtlichkeit des tatsächlichen Niveaus für alle transparent ist.

Echt? Ist es das? Nein, das stimmt nicht.

Denn es gibt genug geschickte Redner, die auf hervorragende Weise Blech oder hohles Zeug wortreich über ihre Mitmenschen zu rieseln wissen. Und das auch nur, weil sie eben gekonnt die Klaviatur einer spannenden Rhetorik beherrschen. Dahinter dann die gähnende Leere eines geistigen Nichts. Bei nicht wenigen Zeitgenossen, die halt schnell zu beeindrucken sind, kommen sie damit erstaunlich gut durch.

Im Allgemeinen höre ich selbst schon recht genau hin und weiß solche Qualitäten zu unterscheiden. Ich höre rasch heraus, wer aus Kompetenz spricht, authentisch ist, oder wer sich einmal wieder nur geschickt irgendwelcher Euphemismen oder angesagter Schlagwörter bedient, um sich gerade einmal kurz wichtig zu machen.

Obschon! Diese Klasse von kunstreichen oder dümmlichen Blechrednern (es gibt ja beide) lässt mich schnell munter werden. Sie stacheln mich an, jetzt mit Fragen zu kommen. Ein Test. Kein böser, aber einer, der blamabel enden könnte, wenn jetzt wieder nur verbal heiße Luft durch den Raum wabert und nix dahintersteckt.

Und dann gibt es diese heißblütigen Reden, die voller Temperament, Kraft und Herzblut sind. Esprit und Witz mit spannender Information locker zu vereinen wissen und ein Gaumenschmaus nicht nur für Ohren sind. Sie steigern sich manchmal im Dialog gegenseitig so stark, bis am Ende das gemeinsame Schweigen zum finalen Höhepunkt wird. Ein angenehmer Ruhepunkt wird erreicht. Hier hat sich etwas Magisches am Wort ereignet. Eine Stufenleiter einer Entwicklung vom Reden zur Stille, die eine gesättigte ist. Es kann ein soziales Kunstwerk werden, wenn beide es beherrschen.

Miteinander schweigen ist ein intimer Akt, der eine Polarisation jener Situation darstellt, wo man sich nichts (mehr) zu sagen hat. Dieses sprachlose Miteinander ist innenaktiv, beredt und dennoch ohne Worte. Es steigert die Stimmung im Innenraum der Psyche, wie auch im Raum physischer Anwesenheit. Es wird zum Akt des tiefen Vertrauens miteinander.

Diese Form des natürlichen Schweigens können (nach meiner Beobachtung) immer weniger Menschen miteinander. Es bedeutet, den anderen in seinem Sosein erkannt zu haben und sich selbst auch in seinem Wesen erkannt zu fühlen. Es ist eine Form von Hingabe.

Ein berührungsloses In- und Umeinander.

Reden und Schweigen - beides auf die richtige Art und im rechten Augenblick zu beherrschen birgt die Chance auf eine neue gemeinsame Tiefe.

Ein Wert, der zwischenmenschliches Zusammensein reicher gestaltet.

(aus »Verschwundene Texte« Sekite 15ff)

— 08. März 2022
 Top